Nacht über Deutschland (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Nacht über Deutschland
Autor Adam, Walter (1886-1947)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1947, Wien
Titel Nacht über Deutschland

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Österreichischer Verlag
Gedruckt von Erwin Metten Nachf.
Publiziert von Adam, Walter (1886-1947)

Umfang 85 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Walter Adam beleuchtet in seinem Erinnerungsbericht viele Facetten seiner Haftzeit in den Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg. Dies tut er vor allem, um Tendenzen einer Verharmlosung entgegenzuwirken und die von ihm festgestellte verbreitete Abwehrhaltung gegen Zeugnisberichte zu durchbrechen.

Der Bericht setzt ein mit der Schilderung des ersten österreichischen Transports nach Dachau. Bereits unterwegs werden die Häftlinge geprügelt, was sich während der Aufnahmeprozedur Anfang April 1938 in Dachau noch verschärft. Nach dem Bericht über die Registrierung wendet sich Adam einer Beschreibung des inneren und äußeren Aufbaus des Lagers zu. Dies verbindet er mit einem Ausblick auf die Zeit nach der Befreiung, indem er Überlegungen dazu anfügt, was mit den ehemaligen Konzentrationslagern geschehen soll: „Das ganze Lager mit allen seinen Bauten und Anlagen soll in eine Trümmerstätte verwandelt, dann mit einem Drahthindernis umgeben werden und so als Wüstenei für alle Zeiten liegen bleiben, als Schandmal und als Erinnerung an die schmachvollste Zeit in der Geschichte des deutschen Volkes“ (S. 14).

In den folgenden Kapiteln erzählt Adam systematisch zunächst von den verschiedenen Häftlingsgruppen in Dachau, vom Alltag, der Zwangsarbeit, den Strafen, von Krankheiten, von den pseudomedizinischen Experimenten und den Hinrichtungen. Schließlich berichtet er von den fünf Monaten, die er im Konzentrationslager Flossenbürg verbracht hat.

Die SS-Wachleute charakterisiert Adam als „gescheiterte bürgerliche Existenzen, verkommene Halbintelligenz und arbeitsscheues Gesindel vom Lande“ (S. 15). Sie haben absolute Macht, die sie weidlich ausnutzen, sei es um die Häftlinge unablässig zu demütigen und zu drangsalieren oder aber um sich selbst zu bereichern und in relativem Luxus zu schwelgen. Ihr Handeln erklärt er sich zum einen dadurch, dass die NS-Führungsriege „die Bestie in den Menschen entfesselt“ (S. 20) habe, zum anderen seien noch spezifisch deutsche Wesensmerkmale hinzugekommen wie etwa Antisemitismus, ein blinder Gehorsam, Mangel an Zivilcourage sowie Organisationstalent. „Aber bei allen Versuchen, dieses Schreckensregiment nach Entstehung und Ursache zu deuten, wird immer ein unlösbarer Rest zurückbleiben, ein Unfaßbares, das jeder menschlichen Einsicht verschlossen bleibt“ (ebd.), muss er einräumen.

Anschließend schildert und charakterisiert Adam die verschiedenen Häftlingsgruppen, die er in Dachau und in Flossenbürg erlebt: politische Gefangene, Kriminelle, Juden, Priester, Homosexuelle, Sinti und Roma, ‚Asoziale‘ und Zeugen Jehovas. Er betont, dass aus all diesen Menschen und Gruppen im Lager keine Heiligen geworden sind. Vielmehr wirken auch hier die gleichen Mechanismen wie in Freiheit: „Die gleichen Tugenden, Schwächen und Fehler, die gleichen Neigungen und Leidenschaften, die gleichen Eigentümlichkeiten der Charaktere und Gemüter, die sonst in der Welt zu Gruppierungen der Gesellschaft führen, wirken auch im Lager und erzeugen dort dieselben Erscheinungen wie außerhalb des Stracheldrahtes, allerdings in gewissen Verzerrungen“ (S. 27). Bei allen Unterschieden aber haben die Häftlinge gemeinsam, dass sie Opfer des Nationalsozialismus seien und daher auch ein Recht auf Vergeltung hätten.

Eindringlich und plastisch erzählt Adam vom Alltag im Lager, dessen Tagesablauf mit Appellen, dem ‚Bettenbau‘, dem Gestank und anderem mehr er ausführlich schildert. Die Qualen für die Häftlinge, betont er, mache nicht allein der Terror aus, „sondern nicht minder der Alltag mit seinen kleinen Schikanen, seinem Lärm, seinem Schmutz, seiner kalten Trostlosigkeit“ (S. 31). Zudem komme die quälende Ungewissheit über die Dauer der Haft noch hinzu. Allerdings stellt Adam auch einen Gewöhnungseffekt fest: Was vielen Häftlingen in der ersten Zeit im Lager noch als grotesk oder undenkbar erscheint, registrieren sie irgendwann kaum noch, nehmen es als alltäglich hin. Überdies werde die Welt außerhalb des Lagers „trotz aller Sehnsucht und allen Heimwehs immer ferner und unwirklicher“ (S. 37).

Adams Schilderung ist sehr sachlich und nüchtern, scheut gleichwohl nicht vor klaren Werturteilen zurück. Anschaulich führt er den Lesern in den folgenden Kapiteln die mitunter sinnlose und nur entkräftende Zwangsarbeit, die willkürlichen Strafen sowie die katastrophalen hygienischen und medizinischen Umstände in Dachau vor Augen.

Im Herbst 1939 gelangt Adam mit 1.000 anderen Dachauer Häftlingen nach Flossenbürg, wo die Zustände weitaus schlechter sind, die Arbeit härter und die Ernährung karger, so dass er wie viele andere auch erkrankt. Als er nach wenigen Monaten im März 1940 wieder zurück nach Dachau kommt, spürt er trotz der dortigen Zustände Erleichterung: „Mit dem Gefühl, einer Hölle entronnen zu sein, waren wir in all den Jahren deutscher Schmach wohl die ersten, die sich freuten, die Maschinengewehrtürme des KZ. Dachau wiederzusehen“ (S. 80). Adam schließt seinen Bericht mit einem Plädoyer für die Bestrafung der verantwortlichen Täter ab, die nach den seinerzeit geltenden Normen des Strafrechts zu verurteilen seien.


Biografie

Walter Adam (geb. 06.01.1886 in Klagenfurt, gest. 26.02.1947 in Innsbruck) besuchte zunächst die Kadettenschule in Innsbruck, anschließend bis 1912 die Kriegsschule in Wien. Während des Ersten Weltkriegs war er Offizier des Generalstabs in Südosteuropa, zuletzt in der Türkei. Nach dem Krieg blieb Adam zunächst bis 1924 bei der österreichischen Armee. Danach arbeitete er als stellvertretender Chefredakteur der Wiener Tageszeitung „Reichspost“. 1934 wurde Adam Staatsrat und Bundeskommissar für den Heimatdienst, zeitgleich war er bis 1936 Generalsekretär der Vaterländischen Front. Ab 1937 leitete Adam den Pressedienst im Bundeskanzleramt. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs wurde Adam entlassen und in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen; zeitweise war er in Flossenbürg inhaftiert. Nach seiner Entlassung 1943 war ihm der Aufenthalt in Österreich verboten, daher lebte Adam im Rheinland. 1947 starb er an Tuberkulose.

Quellen:


Werkgeschichte

Walter Adam verfasste seinen Erinnerungsbericht im April 1945 im Westerwald bei Graf Eduard Walderdorff, zunächst gab es jedoch keine Publikationsmöglichkeit. „Was mich nun ermutigte, einer verspäteten Publikation zuzustimmen“, schreibt Adam, „ist vor allem die Tatsache, daß schon jetzt eine Propaganda von Mund zu Mund eifrigst bemüht ist, die bisher erschienenen Berichte aus den Konzentrationslagern als Tendenzlügen oder als maßlose Übertreibungen abzutun. Das sind Symptome einer wiedererwachenden nationalistischen Gesinnung, der nicht rasch und scharf genug begegnet werden kann“ (S. 3).

Quelle:

  • Adam, Walter: Nacht über Deutschland. Erinnerungen an Dachau. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte des Dritten Reiches. Wien 1947.



Bearbeitet von: Markus Roth