Neun Jahre lebendig begraben (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
Wechseln zu: Navigation, Suche

Angaben zum Werk

Titel Neun Jahre lebendig begraben
Autor Zarniko, Wilhelm (1908-1996)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1946, Hamburg
Titel Neun Jahre lebendig begraben
Untertitel Ein Tatsachenbericht aus der Hölle der Nazi-K.Z.

Erscheinungsort Hamburg
Erscheinungsjahr 1946
Auflage 1

Verlegt von Morawe & Scheffelt Verlag
Gedruckt von Buchdruckerei Heinrich Kock
Publiziert von Zarniko, Wilhelm (1908-1996)

Umfang 31 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Wilhelm Zarniko schildert in seinem schmalen Erinnerungsbericht chronologisch, aber mehr streiflichtartig als detailreich, seine insgesamt neunjährige Haftzeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Laut Häftlings-Personal-Karte war Zarniko mehrfach vorbestraft und wurde als sogenannter Asozialer am 13. September 1938 von der Kriminalpolizei Berlin verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingewiesen. In seinem Erinnerungsbericht hingegen schreibt er, er sei „wegen angeblicher geheimer Tätigkeit für die sozialdemokratische Partei“ (S. 7) verhaftet und bereits im März 1936 in das „Umschulungslager“ Oranienburg gebracht worden. Diese Diskrepanz zwischen narrativer Darstellung seiner Erlebnisse und historischen Angaben aus Archivquellen tritt in seinem Text an mehreren Stellen auf. So gibt Zarniko beispielsweise auch an, dass er im Januar 1940 von Oranienburg – gemeint ist demnach vermutlich Sachsenhausen – nach Mauthausen überstellt wurde. Auch seine Überführung nach Gusen sowie sein dortiger Einsatz als Blockältester, wie es ebenfalls aus seiner Häftlings-Personal-Karte hervorgeht, bleiben unerwähnt. Zarniko berichtet insbesondere von wiederholten harten Strafen und Foltererlebnissen in den Konzentrationslagern, die er selbst erlitten hat oder von denen er Zeuge wurde.

Nach seiner Festnahme und ersten Folterungen während eines Verhörs – in dessen Verlauf auch deutlich wird, dass Zarniko die wahren Gründe für seine Verhaftung nicht kennt – beschreibt er seine Aufnahme in das „Getriebe der Nazi-KZ“ (S. 8) als Entmenschlichung. Sein einziges Unterscheidungsmerkmal von anderen ist eine Nummer. Nach zweijähriger Arbeit und Prügel in der Strafkompanie, die Zarniko nicht genauer beschreibt, ist er völlig entkräftet und wird zu einem sogenannten „Muselmann“ (S. 9). Nur mit äußerster Kraft gelingt es ihm 20 Kniebeugen zu absolvieren. Infolgedessen wird er wieder als arbeitsfähig erklärt und entgeht somit der „letzte[n] Fahrt zum Vergasungsraum“ (S. 10).

Im Januar 1940 wird Zarniko mit 1400 Mithäftlingen in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt; „251 Häftlinge starben unterwegs“ (S. 11), wie er in einer Zwischenüberschrift besonders hervorhebt. Dieses stilistische Mittel – vereinzelt in den Satzbau integriert – tritt wiederholt auf. Zum einen fungieren diese Zwischenüberschriften als Textgliederung. Zum anderen betont Zarniko damit überwiegend die gegen ihn gerichteten Strafmaßnahmen, da er fortwährend im Kampf ums Überleben gegen die Lagerregeln der SS verstößt. Zarniko wird beispielsweise bei dem Versuch erwischt, sechs Kartoffeln in das Lager zu schmuggeln. „Dafür bekam ich eine Stunde Pfahl“ (S. 14) hält er in der Zwischenüberschrift fest.

Der Verfasser schildert die Ankunft in Mauthausen bei Linz, die Gleichgültigkeit der Bevölkerung und den Weg zum Lager. Von der Zwangsarbeit im Steinbruch, dem ständigen Hunger, den fortwährenden Demütigungen und der Prügel, Anzeichen von Kannibalismus unter den Häftlingen sowie von einem tagelangen Appell aufgrund einer Flucht. Zarniko berichtet in kurzen, fast essayistischen Sätzen, die den Leser in unmittelbare Nähe zu den geschilderten Ereignissen setzen. So heißt es zum Beispiel, über seine Deportation in das KZ Mauthausen: „Und weiter ging die Fahrt, endlos verrannen die Stunden. Meine Augen schmerzten, mein Kopf war schwer, die Füße eingeschlafen“ (S. 10). Aber auch die anhaltende traumatische Belastung Zarnikos wird in einigen Passagen deutlich. In diesen Abschnitten wechselt er von der Erinnerungsdarstellung im Präteritum ins Präsens: „Die Kamine des Krematoriums rauchten, Autos mit Leichen verließen das Lager. Der süßliche Leichengeruch brennt in den Augen, legt sich auf die Lungen, aber wir haben uns daran gewöhnt. Überall Tote“ (S. 18). Gerade in diesen Passagen, die die eigene Folterungen Zarnikos oder seiner Mithäftlinge beschreiben, äußert sich zugleich eine leichte religiöse Verbundenheit. „Ich dankte meinem Schöpfer für seine Güte“ (S. 17), schreibt Zarniko zum Beispiel nach seiner Schilderung, wie er während der dreitägigen Lagerstrafe des „Sonnenbad[s]“ (S. 16) völlig dehydriert und entkräftet das Bewusstsein verlor und erst durch einen Regen wieder zu sich kam. Insbesondere aber die Weihnachtsfeste dienen Zarniko als grobe Berechnungsgröße für seine Zeit in Lagerhaft. Stellenweise hält er fest: „so verbrachte ich Weihnachten 1943“ (S. 17), „[s]chon wieder kommt Weihnachten heran“ (S. 18) und schließlich, zum Ende seines Berichts hin, es „brach das Jahr 1945 an, das neunte Weihnachten für mich“ (S. 28).

Zarniko erinnert sich neben den eigenen Erlebnissen aber auch an neuankommende Häftlinge während des Kriegs: Juden, Polen, Spanier, Österreicher, Tschechen, unter ihnen sind auch viele Kinder. Obwohl er stellenweise auf Mithäftlinge und NS-Funktionsträger Bezug nimmt, diese sogar mitunter direkt zitiert, bleiben sie dennoch namenlos. In der Kriegsendphase sind immer wieder alliierte Flieger und Bombenangriffe zu hören oder zu sehen. Zarniko bleibt auch die zunehmende Nervosität der Wachmannschaften nicht verborgen. Überdies prägen wachsender Hunger und grassierende Krankheiten diese Phase bis zur Befreiung des Lagers durch amerikanische Soldaten im Mai 1945. Diese letzten Schilderungen sind ausführlicher gestaltet. Zarniko berichtet beispielsweise von der Ankunft des ersten Panzers, von Eisenhowers Rede sowie von den ersten Hilfemaßnahmen der Amerikaner. Unterernährt und völlig entkräftet wird der Berichtende nach der Befreiung in ein Linzer Krankenhaus gebracht. „Daß jeder Deutsche von den Errungenschaften des Nazi-Verbrecherstaates geheilt wird und weiß, wofür er in Zukunft zu kämpfen hat“, schreibt Zarniko am Ende, „dazu soll mein Bericht beitragen. Dann hat er seinen Zweck erfüllt!“ (S. 31)


Biografie

Wilhelm Zarniko (geb. 21.03.1908 in Gelsenkirchen, gest. 11.08.1996 in Hamburg) war vermutlich bereits 1933 und 1936 kurzeitig unter den Nationalsozialsten inhaftiert. Am 13. September 1938 wurde er von der Kriminalpolizei Berlin in das Konzentrationslager Sachsenhausen eingewiesen. Von dort wurde er am 24. Januar 1940 in das Lager Mauthausen überwiesen. Schließlich kam er am 26. März 1941 von Mauthausen nach Gusen, wo er zeitweise als Blockältester eingesetzt war. Laut Häftlings-Personal-Karte war Zarniko mehrfach vorbestraft und wurde als sogenannter Asozialer verhaftet. In seinem Erinnerungsbericht hingegen schreibt er, er sei „wegen angeblicher geheimer Tätigkeit für die sozialdemokratische Partei“ (S. 7) verhaftet und bereits im März 1936 ins „Umschulungslager“ Oranienburg gebracht worden.

Aus einer Auskunft des International Tracing Service (ITS) an die Arbeits- und Sozialbehörde – Amt für Wiedergutmachung – der Freien und Hansestadt Hamburg (ITS, Doc. No. 91299201#2: Korrespondenzakte T/D - 37 685) geht hervor, dass Zarniko anscheinend 1944 von Mauthausen in das Bewährungsbataillon (BB) Dirlewanger überstellt wurde. Es bleibt jedoch unklar, ob dieser Vorgang tatsächlich stattfand, da sich darüber keine Hinweise bzw. Angaben in der Inhaftierungsbescheinigung Nr. 474743 des ITS (ITS Doc. No. 91299205#1: Korrespondenzakte T/D - 37 685) finden lassen. Diese Ungewissheit über den Verbleib Zarnikos stellte im März 1969 auch ein Problem in einem Rechtsstreit zwischen Zarniko, damals wohnhaft in Hamburg, und der Landesversicherungsanstalt Freie und Hansestadt Hamburg dar (ITS, Doc. No. 91299202#1: Korrespondenzakte T/D - 37 685). Des Weiteren geht aus der Auskunft des ITS an das Amt für Widergutmachung Hamburg hervor, dass sich Zarniko nach dem Krieg – ohne dabei genaue Daten zu nennen – zeitweise in den USA und Korea aufgehalten haben muss.

Quellen:

  • „Anfrage Amt für Wiedergutmachung, Arbeits- und Sozialbüro, Freie und Hansestadt Hamburg an den Internationalen Suchdienst“, 6.3.3.2/91299201/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Inhaftierungsbescheinigung, 30. Oktober 1967“, 6.3.3.2/91299205/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Konzentrationslager Gusen, Häftlings-Personal-Karte Wilhelm Zarniko“, 1.1.26.3/185688/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Sozialgericht Hamburg an den Internationalen Suchdienst, 24. März 1969“, 6.3.3.2/91299202/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.




Bearbeitet von: Anika Binsch