Reise durch den letzten Akt (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Reise durch den letzten Akt. Ein Bericht
Autor Vermehren, Isa (1918-2009)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Hamburg
Titel Reise durch den letzten Akt. Ein Bericht

Erscheinungsort Hamburg
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Christian Wegner Verlag
Gedruckt von J. J. Augustin, Glückstadt
Publiziert von Vermehren, Isa (1918-2009)
Umschlaggestaltung von H. H. Hagedorn

Umfang 233 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

In ihrem Erinnerungsbericht beschreibt die Autorin ihre Haft in den Konzentrationslagern Ravensbrück, Buchenwald und Dachau, sowie die fortwährende Verschleppung als Mitglied des Geiseltransports von prominenten KZ-Häftlingen und Sippenhäftlingen ab Februar 1945 bis zur Befreiung am 4. Mai 1945 in Südtirol. Der Bericht umfasst insgesamt den Zeitraum vom 10. Februar 1944 bis zum 26. Juni 1945. Im Vorwort, das vom Allerheiligen 1945 datiert, schreibt Isa Vermehren, dass sie kein Buch im literarisch abgerundeten Sinne habe schreiben wollen, sondern nur einen Bericht über einen bestimmten Zeitabschnitt. Sie habe keine „sensationsträchtige Reportage“ (o. S.) verfassen, sondern habe lediglich das, was sie gesehen und gedacht habe, festhalten wollen: Die Lebensbedingungen in einem KZ sind so ohne jeden Vergleich, daß man ein Bild davon nicht mit einigen leichten Strichen zeichnen kann, sondern mühsam zusammentragen muß aus all den Einzelheiten“ (S. 76). Bewogen habe sie der Gedanke, dass es immer noch Menschen gebe, die nicht glauben wollten oder könnten, was geschehen sei.

Den überwiegend chronologisch geordneten Bericht unterteilt die Autorin in zwei große Abschnitte, wovon der erste und längere die Zeit im KZ Ravensbrück umfasst, und der zweite sich dem wochenlangen Transport von Ravensbrück über Potsdam, Buchenwald, Schönberg, Dachau, Innsbruck, Niederndorf, Prags, Capri und Paris bis zur Befreiung und Heimkehr widmet. Ihre Schilderungen mischt Vermehren mit differenzierten psychologischen und philosophisch-soziologischen Beobachtungen und Reflektionen über die Auswirkungen der Konzentrationslagerhaft auf die gefangenen Menschen.

Vergebung ist ein wichtiges Anliegen für die tiefreligiöse Autorin. Es bildet sowohl den Anfang als auch das Ende des Textes und umschließt ihn so gewissermaßen. Ihrem Text voran stellt sie das Motto: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Diese Bitte aus dem Vaterunser soll auch für den Leser Ausgangspunkt der Lektüre sein. Sie schließt mit der Abbitte an Gott „daß wir so furchtbar Dein Bild im Anderen angegriffen und zerstört haben […], vergib uns, wie auch wir denen vergeben wollen, die im Vollzuge des Bösen sich so grausam an und unseren Brüdern und Schwestern versündigt haben“ (S. 233).

Der Bericht beginnt im Februar 1944, als bekannt wird, dass ihr Bruder zu den Alliierten übergelaufen ist. Sie wird – ebenso wie die übrigen Familienmitglieder –  in Sippenhaft genommen. Als einzige der Familie gelangt sie nach Ravensbrück, wo sie in der Zelle 65 neben Graf Helmut von Moltke untergebracht wird. Auch andere namhafte Mithäftlinge befinden sich im Zellenbau, wie etwa Graf Bernstorff, Fräulein von Thadden sowie das Ehepaar Kiep. Anfang Juli 1944 wird Vermehren strafversetzt in eine Zelle auf der Nordseite des Hauses, wo die Unterbringung viel weniger privilegiert und die Zellen deutlich heruntergekommener sind. Ohnehin machen sich nach dem 20. Juli große Veränderungen bemerkbar: „Der ganze Betrieb wurde straffer und gefährlicher“ (S. 39). Neue prominente Häftlinge kommen ins Lager, so etwa unter anderem Baron Guttenberg mit seiner Familie, Graf Helldorf und Generaloberst Halder mit seiner Ehefrau sowie Dr. Julius Leber, ehemaliger sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter.

Den ‚gewöhnlichen‘ Häftlingen begegnet die Autorin dort nach eigenen Angaben fast nie „obwohl wir doch auf engstem Raum beieinander lebten. […] Wir externen Berliner Häftlinge wurden auf das schärfste getrennt gehalten von den Ravensbrücker Internen“ (S. 48).

Schließlich wird sie im Verwaltungsblock Block II untergebracht, bei der ‚geistigen Oberschicht des Lagers‘.

Ausführlich widmet sich die Autorin sowohl den äußeren Merkmalen als auch den seelischen Defiziten der Aufseherinnen, wie etwa den Frauen Mewes und Boedecker sowie der Oberaufseherin Binz: „Nie hätte ich so viel Häßlichkeit für möglich gehalten! […] Alle hatten sie die gleiche Figur, deren hervorstechendste Linie die Diagonale war: vorne oben hatten sie viel und hinten unten noch mehr“ (S. 59). In ihren dicken und roten Gesichtern, „schwammigen Gesichtern, formlosen Gesichtern, ‚Visagen‘ im schlimmsten Sinne, [findet] […] sämtliche Bosheit, Dummheit, Frechheit, Brutalität, kurz, eine der schlimmsten Möglichkeiten des menschlichen Wesens seine besondere Prägung“ (S. 59). Innerlich seien sie für den Beruf der Aufseherin gänzlich ungeeignet. Dennoch: „[E]s dürfte in keinem Verteidigungsplädoyer für diese irregeleiteten Geschöpfe fehlen, daß sie für diesen Beruf geworben wurden mit falschen Ködern“ (S. 60). Denn Willkür sei verheerend, urteilt Vermehren, ob in den Händen eines großen Mannes oder in den ungeschickten Fingern dicker, dummer Mädchen.

Ähnliche Betrachtungen stellt sie in Bezug auf die Häftlinge an. Hier konstatiert sie, dass diese, anstatt sich das schwere Los zu erleichtern, helfen, es zu seiner äußersten Vollendung zuzutreiben. Keineswegs finde sich im Lager eine selbstverständliche Kameradschaft unter den Häftlingen, „sondern ein böser Egoismus sich gegenseitig befehdender einzelner Häftlinge und kleinerer Cliquen trieb die skrupellosesten Blüten gegenüber nur ganz wenigen, wahrhaft zauberhaft schönen Erscheinungen sich vollendender Nächstenliebe“ (S. 103).

Die sittliche Verkommenheit sei erschreckend groß, was sich unter anderem daran zeige, dass etwa der Begriff des Stehlens durch das Wort ‚Organisieren‘ ersetzt worden sei. Angst sei das bestimmende psychologische Moment im Lager: Angst vor Kälte und Hunger, vor Strafe und Tod, vor dem Bösen und vor Verzweiflung. Die Gleichgültigkeit der Lagerleitung sei dabei nicht größer als die der Häftlinge selber: „Die Nichtachtung, die sie [die Häftlinge] füreinander hatten, steht in nichts der Nichtachtung nach, der sie ausgeliefert waren. Hier vollendeten sie durch eigene Schuld die Schuld der SS“ (S. 109). Mehrfach verweist sie in diesem Zusammenhang auf den Begriff Akedeia [auch Akedia: Begriff aus der griechischen Antike für Desinteresse, Trägheit, Lustlosigkeit], die einmal die letzte der sieben Hauptsünden war und mit der auch die Häftlinge kämpften. Nur wenige Häftlinge brächten die Voraussetzungen mit standzuhalten, die Mehrzahl stelle unter Beweis, wie abhängig der Mensch von der geordneten Rechtlichkeit der ihn umgebenden Verhältnisse sei, solle er nicht zum Verbrecher werden. Dennoch, so betont sie, seien auch die schlechtesten Lebensumstände nur eine Erklärung, niemals eine Entschuldigung für das Böse. So verurteilt Vermehren etwa, dass einige Frauen die Bedürfnisse junger unerfahrener Mädchen nach einfacher menschlicher Zuneigung und Nähe ausnutzen, um ihre lesbische Sexualität „mit allen abstoßenden Erscheinungen ihrer verzerrenden Wirkung“ (S. 56) auszuleben.

In der Lagerhierarchie, so bemerkt sie, sind fast alle leitenden Posten, so wie etwa Blockleiter, Kapofunktionen und Küchenpersonal von Polen besetzt, weil diese mit den ersten Masseneinlieferungen nach der Besetzung Polens ins Lager gekommen sind. Sie nimmt auch andere stereotype Zuweisungen vor. So lesen ‚Zigeuner‘ aus der Hand, legen die Karten, stehlen wie die Raben und lehren das auch ihre Kinder.

Am 3. Februar 1945 wird Vermehren zusammen mit weiteren prominenten KZ-Häftlingen und Sippenhäftlingen aus vielen europäischen Ländern im sogenannten Geiseltransport verschleppt. Sie sollten dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), SS-Obergruppenführer und General der Polizei Dr. Ernst Kaltenbrunner, für Verhandlungen mit den Westalliierten zur Verfügung stehen.

Das „grausame Straßenbild“ (S. 133), das sich ihr unterwegs bietet, entsetzt sie. Überall sieht sie Angst, Verzweiflung und „hoffnungslose, zerstörte Menschheit“ (S. 133). Der seelische Zustand der Menschen draußen unterscheidet sich eigentlich in nichts von dem der meisten Häftlinge, urteilt sie, eher das Gegenteil: „[ J]ene hatten immerhin noch die Hoffnung auf Entlassung, die Sensation einer möglichen Befreiung vor sich“ (S. 134). Nur die herzlose Dialektik könne noch einen realen Unterschied herstellen zwischen der Verfolgtheit jener draußen und derjenigen im KZ: „Der Stacheldraht zog sich um das ganze deutsche Volk“ (S. 135).

Nach einem kurzen Aufenthalt im Potsdamer Polizeigefängnis, wo es etwas menschlicher und persönlicher zugeht als in Ravensbrück, trifft sie nach acht Tagen Haft einige Offiziere des 20. Juli sowie andere Sippenhäftlinge wieder. Nach sechs Wochen werden sie Ende März nach Buchenwald gebracht. Wieder fahren sie durch Trümmerstädte, sehen überall „Aufbruch, Auflösung, Flucht und Chaos“ (S. 149). Auch in Buchenwald trifft sie auf alte Bekannte, wie die Familie Stauffenberg, Fritz Thyssen, Familie Goerdeler und Baronin Hammerstein. Über Schöneberg im Bayrischen Wald und Regensburg fahren sie am 16. April 1945 weiter nach Dachau. Hier teilen sie sich mit evakuierten SS-Familien die Baracke des Lazaretts. Am 26. April ergeht für Vermehren und etwa 150 weitere Gefangene aus vielen verschiedenen Nationen wie etwa Prinz Philipp von Hessen, Prinz Friedrich Leopold von Preußen, Pastor Niemöller und Hjalmar Schacht der Evakuierungsbefehl nach Innsbruck. Auf dieser Fahrt führt sie ein Gespräch mit einem alten Lagerinsassen, der am Morgen des 27. April eigentlich entlassen worden war. Dieser erzählt ihr vom Widerstandskämpfer Georg Elser.

Die Reise der Gruppe geht weiter. In Niederndorf, dem Hauptquartier der Partisanen, ist die SS plötzlich verschwunden. Die Gruppe erlebt einige Tage nahezu in Freiheit. Statt der erwarteten Partisanen erscheint jedoch die Wehrmacht und bringt die Gruppe zum Hotel Pragser Wildsee. Auch unter den gebildeten und privilegierten Häftlingen beobachtet Vermehren die moralische Verwahrlosung durch die Haft. Selbst hier sorgt jeder zunächst für sein eigenes Überleben. Dennoch: An diesem Ort ist es möglich, „im anderen zuerst den Nächsten, den Mitmenschen zu erblicken und erst in zweiter Linie den Vertreter einer Nation. Das verheerende politische Wir-Bewußtsein, das uns Deutschen durch zwölf Jahre rücksichtlosester und brutalster Propaganda eingehämmert worden war […], wurde hier endlich und vollkommen abgelöst durch das dem Menschen gemäße Ich-Du-Bewußtsein“ (S. 202). Der Zustand hält jedoch nicht lange an. Am Freitag, dem 4. Mai 1945, erscheint die amerikanische Armee. Plötzlich fühlen sich die Deutschen unter den Häftlingen nicht mehr als Weltbürger, sondern als Verlierer. „Fast hätten wir uns zurücksehnen mögen ins KZ, wo man sich als Unschuldiger hätte fühlen können in den Händen des Schuldigen; hier hingegen lastete sich einem das Gewicht der ‚deutschen‘ Schuld mit so erdrückender Wucht auf“ (S. 217). Die Deutschen werden von der Gruppe getrennt. Über Neapel erreichen sie Capri am 9. Mai. Die übermäßige Schönheit der Landschaft überfordert die Häftlinge jedoch und drückt auf die Stimmung. Der Mensch vertrage die Superlativen nicht, nicht im Guten und nicht im Bösen, konstatiert die Autorin. Am 12. Juni gelangt die Gruppe dann nach Paris, wo sie fälschlicherweise für gefangene SS-Familien gehalten werden und den Hass der Franzosen zu spüren bekommen. Schließlich landen sie am 15. Juni auf dem Flughafen in Frankfurt, wo sie für 14 Tage in einem Massenquartier unterkommen. Diese Zeit enthält den „schwersten und mühsamsten Teil unserer Heimkehr“ (S. 230), schreibt Vermehren. Denn die schlimmsten Befürchtungen sind zu nüchternsten Realitäten geworden: „[H]ier stand das zerschlagene Individuum in den Trümmern seiner Tradition“ (S. 230). Am 28. Juni gelangt Vermehren schließlich nach Hause.

Ihren Bericht widmet Vermehren der Erinnerung an die umgekommenen und überlebenden Familien allgemein sowie dem Schutzhäftling D.T., Schutzhäftling 3640 Ravensbrück und G.v.P., im Besonderen.

Biografie

Isa Vermehren (geb. 21.04.1918 in Lübeck, gest. 15.07.2009 in Bonn) wuchs in Lübeck in einem protestantischen Elternhaus auf. Sie war das zweite Kind von Dr. jur. Kurt Vermehren und Petra Vermehren, geborene Schwabroch. Ihr Großvater Julius Vermehren war Senator.

Nach Besuch des Ernestinen-Gymnasiums zog Vermehren mit ihrer Mutter, die Journalistin war, nach Berlin. Während Petra Vermehren im April 1934 auf Empfehlung des Berliner Rechtsanwalts und Freundes der Familie Paul Leverkuehn als erste Frau in der außenpolitischen Redaktion beim „Berliner Tageblat“ angestellt wurde, machte sich Vermehren mit Auftritten im politisch-literarischen Kabarett von Werner Finck, der Katakombe, schnell einen Namen. Ihr Markenzeichen wurde die Ziehharmonika, die sie „Agathe“ nannte und zu der sie Seemannslieder und Balladen sang. Mit ihren Sticheleien gegen das NS-Regime galt sie als Nachwuchstalent des Berliner Kabaretts.

1938 konvertierte sie durch den Kontakt zu Elisabeth Gräfin von Plettenberg, die später die Ehefrau ihres jüngeren Bruders Erich wurde, zur katholischen Kirche. Am Abendgymnasium holte sie ihr Abitur nach und spielte zwischen 1934 und 1941 in mehreren Spielfilmen mit. Ein Antrag auf Aufnahme in den Sacré-Coeur-Orden wurde wegen ihrer Tätigkeit als Unterhaltungskünstlerin abgelehnt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde sie mit ihrer Ziehharmonika zur Truppenbetreuung an die Front einberufen. Sie gehörte dem regimekritischen Solf-Kreis um Hanna Solf, der Witwe von Wilhelm Solf an. Auch unter anderem Albrecht Graf von Bernstorff, Otto Kiep und Herbert Mumm von Schwarzenstein an zählten dazu.

Im Januar 1944 setze sich ihr Bruder Erich Vermehren, der Mitglied der Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris war, zusammen mit seiner Frau von seinem Einsatzort Istanbul nach London ab. Isa Vermehren, ihre Eltern, ihre Schwester und ein weiterer Bruder wurden in Sippenhaft genommen und in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert. Sie überlebte die Lageraufenthalte in Ravensbrück, Buchenwald und Dachau. Als Mitglied des Geiseltransports von prominenten KZ-Häftlingen und Sippenhäftlingen wurde sie nach Südtirol verschleppt und dort am 4. Mai 1945 durch Wichard von Alvensleben befreit. Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg Ende Juni 1945 nahm sie ein Engagement bei Radio Hamburg und später beim Nordwestdeutschen Rundfunk an. Anfang 1946 erschien im Verlag von Christian Wegner ihr Bericht über ihre Lagerhaft unter dem Titel „Reise durch den letzten Akt“, in dem sie auch zu einer Fehlinterpretation des Hitler-Attentäters Georg Elser beitrug. 1947 übernahm sie eine Rolle in Helmut Käutners Trümmerfilm „In jenen Tagen“.  

Von 1946 bis 1951 studierte Vermehren an der Universität Bonn Katholische Theologie, Deutsch, Englisch, Geschichte und Philosophie. Dort förderte sie von 1949 bis 1951 das Studentenkabarett „Wintergärtchen“. Am 15. September 1951 trat sie in das Herz-Jesu-Kloster in Beuel-Pützchen der Kongregation der Schwestern vom Heiligsten Herzen Jesu ein. Dieser Frauenorden war während der Französischen Revolution von der heiligen Sophie Barat in Frankreich gegründet worden, um Kindern aus dem Proletariat ein Mindestmaß an Bildung zu vermitteln. Sie unterrichtete dort und wurde ab 1961 mit der Leitung des Sankt-Adelheid in Beuel-Pützchen betraut; von 1969 bis zum Eintritt in den Ruhestand 1983 leitete sie die Sophie-Barat-Schule in Hamburg. Von 1986 bis 1998 sprach sie regelmäßig das „Wort zum Sonntag“ in der ARD. Vor allem ihrer Bildschirm-Präsenz verdankte die zuletzt in Bonn lebende Ordensfrau eine erhebliche Popularität. Für ihre Arbeit erhielt sie das Bundesverdienstkreuz, den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen und den Deutschen Predigtpreis. Sie starb im Alter von 91 Jahren und wurde im Herz-Jesu-Kloster in Bonn-Pützchen beerdigt. Ihre Ziehharmonika ‚Agathe‘ hat seit 2005 einen Ehrenplatz im Bonner Haus der Geschichte.

Quellen:


Werkgeschichte

Nach der Heimkehr aus dem Konzentrationslager 1945 wohnte Isa Vermehren zunächst bei ihrem Vater. Er drängte sie, das Erlebte aufzuschreiben. Diesen Wunsch erfüllte sie ihm zum Geburtstag. Kurt Vermehren bat den Verleger Wegner, das Manuskript seiner Tochter zu lesen und zu prüfen. Wegner beschloss, es umgehend zu veröffentlichen. Papier konnte aus der französischen Zone und Druckerschwärze aus Norddeutschland beschafft werden. Anfang 1946 erschien die erste Auflage von zehntausend Exemplaren. Eine zweite und dritte Auflage folgten bald. Die „Welt“ druckte am 2. Juli 1946 einige Absätze aus „Reise durch den letzten Akt“ kurz vor der Erscheinung ab. Dem Buch gebühre größte Aufmerksamkeit, heißt es in einem kurzen einführenden Abschnitt, „weil es mit gewissenhafter Genauigkeit, mit echten menschlicher Besorgnis und mit psychologischer Erfahrung die Erlebnisse und Einsichten der Verfasserin im KZ schildert“. In der „Zeitwende“ wurde „Die Reise durch den letzten Akt“ in dem Beitrag „Der deutsche ‚Widerstand‘ im Spiegel der Literatur 1946“ kurz erwähnt und als „eindrucksvoll“ bezeichnet. Dr. Ernst Emmert würdigte im „Neubau“ lobend, dass der Bericht eines weiblichen Häftlings über seine Beobachtungen und Erfahrungen im KZ nach dem 20. Juli 1944 nichts beschönige und vor keiner Gräßlichkeit die Augen geschlossen würden. Es finde sich kein Ton der persönlichen Klage, kein Haß gegen die Bedrücker: „Im Ganzen gewinnt man den Eindruck, daß mit der Geistesart, die hier zu Worte kommt, die Furchtbarkeit dessen, wofür das KZ der eine und Stalingrad der andere Ausdruck war, viel ernster und unentrinnbarer zum Bewußtsein gebracht wird als mit der naturalistischen Darstellungsweise der beiden anderen Bücher“. Dr. Elisabeth Brunner schreibt 1946 in „Welt und Wort“ der Bericht umfasse buchstäblich den letzten Akt einer sich vollendenden Epoche deutscher Geschichte, den Niedergang der nationalsozialistischen Herrschaft: „So stellen sie Aufzeichnungen ein Zeitdokument dar, das sowohl wegen der geschilderten Zustände wie der beschriebenen Personen aus dem Kreise der antifaschistischen Bewegung jenes letzten entscheidenden Jahres von Wert ist. Und die Verfasserin erweist sich in ihren Schilderungen als äußerst kluge Beobachterin und plastische Darstellerin, der es in wenigen Sätzen gelingt, die Atmosphäre des Hintergrundes, die Psyche der Aufseher und das Charakteristische der Mithäftlinge nahe zu bringen“. Gerade die Art, wie sich Isa Vermehren um die Interpretation des Erlebten bemühe, sei so ungemein wohltuend: „Hier spricht eine Frau, der es nicht darum zu tun ist, aus Haß und Verbitterung anzuklagen. […] So leuchtet aus der Darstellung dieser traurigen Verirrungen unserer Zeit eine menschliche Würde, die zwar das Niederschmetternde der Tatsachen nicht aufheben kann und auch gar nicht aufheben will, die jedoch durch die Hoffnung auf die Güte im Menschen versöhnt und neue Wege weist.

Der Union-Pressedienst besprach das Buch im Dezember 1946 zusammen mit Nanda Herbermanns „Der gesegnete Abgrund“ und Heinrich Christian Meiers „So war es“. Der Bericht Isa Vermehrens sei eine eindrucksvolle Ergänzung zu den Schilderungen Nanda Herbermanns. „Ihr Versuch einer Psychologie des Lagers ist aus tiefen und leidvollen Erkenntnissen geschürft und aus christlicher Grundhaltung geboren. Auch Isa Vermehren predigt nicht Haß, sondern die Liebe“. In allen drei Büchern zeigten sich „die gleichen entwürdigenden und zersetzenden Auswirkungen des entsetzlichen Systems und der furchtbaren Willkürmethoden der SS, unter denen alle Schwachen erbarmungslos zu Grunde gehen mußten“.

Wolfgang Borchert bescheinigte dem Werk in der Hamburger Freien Presse vom 18. Januar 1947 in einer Sammelrezension zur KZ-Literatur, dass es ungewöhnlich spannend und interessant sei, weil die Verfasserin von ihren Begegnungen mit berühmten Persönlichkeiten berichte: „Das Buch hätte auch heißen können: Prominenz hinter Stacheldraht“, urteilt er. Das sei aber gleichzeitig auch die Schwäche des Buches, da der namenlose Häftling, der es sehr viel schlechter gehabt habe als der prominente, dabei „etwas ins Hintertreffen“ gerate. „Isa Vermehren versucht mit feiner weiblicher Psychologie in das Wesen und hinter die Motive ihrer Wärterinnen zu dringen, aber die oft sehr klugen Sätze, die sie zu dem allgemeinen, menschlichen Problem findet, können leider die etwas auf die Sensationsgier des Publikums zugeschnittenen Details über den Grafen oder die Freifrau von Soundso nicht ganz verdecken“. Jedoch, so schließ er, sei das Buch, ebenso wie das „Gefängnistagebuch“ von Luise Rinser „weitaus objektiver und wertvoller als die Aufzeichnungen der männlichen Autoren“.

Vermehren trug in ihrem Text auch zu einer Fehlinterpretation des Hitler-Attentäters Georg Elser bei. Sie gibt darin ein Gespräch mit einem alten Lagerinsassen wieder, der ihr vom Widerstandskämpfer Georg Elser erzählt. Aus den Erinnerungen anderer Häftlinge geht hervor, dass der alte Häftling wohl Kalfaktor Wilhelm Visintainer war. Dieser erzählt ihr, so Vermehren, Elser habe sich 1939 überreden lassen, gegen eine Bestechungssumme von vierzigtausend Mark die Zeitbombe im Bürgerbräusaal in München unterzubringen. Nachdem öffentlich der britische Secret Service als Schuldiger benannt worden sei, habe man Elser im Sonderbau des KZ Sachsenhausen eingewiesen, wo ihm zwei Zellen sowie eine Hobelbank zur Verfügung gestanden hätten. Er habe Sonderrationen bekommen und in seiner Isoliertheit gut gelebt. Im März 1945 sei er nach Dachau gebracht worden, wo er ebenfalls Vergünstigungen bekommen habe. Er sei dort am 26. April erschossen worden.

Diese Gerüchte entsprechen jedoch nur zum Teil den tatsächlichen Geschehnissen. Zunächst einmal wurde Elser gut zwei Wochen vor dem 26. April getötet. Auch dass er mit vierzigtausend Mark gelockt worden sei, ist lediglich ein Gerücht, das allerdings unter Häftlingen verbreitet war. Richtig ist, dass Elser im KZ Sachsenhausen und später im KZ Dachau diverse Vergünstigungen, wie etwa mehrere Zellen, eine kleine Werkstatt zum Basteln und ordentliche Verpflegung genoss. Absicht war wohl, Elser nach einem erwarteten Endsieg als Kronzeugen in einem Prozess gegen die britische Regierung und den britischen Geheimdienst zu instrumentalisieren.

Es wurde bemängelt, dass Isa Vermehren auch in späteren Neuauflagen an ihrer Passage über Elser nichts verändert hat. In ihrem Vorwort zur Taschenbuchausgabe von 1979 schreibt sie dazu: „Dem Bericht wurde – nach so langen Jahren – nichts hinzugefügt, und nichts wurde weggestrichen. So wie der Text damals als Ergebnis eines intensiven Mühens um eine gerechte, dem einzelnen Menschen gerecht werdende Darstellung dem Verleger übergeben wurde, so soll er auch heute wieder hinausgehen, ungeachtet seiner literarischen Schwächen, ungeachtet der Tatsache, dass er vielleicht einige Aussagen enthält, die von der Forschung inzwischen korrigiert wurden. Es geht ebenso wenig wie damals um ein ästhetisches oder ein historisches Werk: es ging und geht um ein Zeugnis für das, ‚was im Menschen ist‘.“ (Vermehren 1979, S. 10).

Isa Vermehrens Leben wurde unter der Regie von Thomas Berger und mit Nadja Uhl in der Hauptrolle verfilmt. Im April 2013 zeigte das ZDF erstmals den Film „Ein weites Herz: Die Isa Vermehren“. Einige Familienmitglieder beklagten jedoch, dass der Film sich zu sehr von der Biographie gelöst habe. Neben einigen zeitlichen Ungenauigkeiten ist es vor allem auch die Umdeutung der Freundschaft Vermehrens zu ihrer späteren Schwägerin Elisabeth Plettenberg in eine lesbische Beziehung, die Empörung erregte.

Quellen:

  • „Isa Vermehren“. In: Das Portal zur katholischen Geisteswelt. Online: http://www.kath-info.de/vermehren.html(Stand: 05.07.2022)
  • „Reise durch den letzten Akt. Versuch einer Psychologie des Lagers“. In: Die Welt, 02.07.1946, S. 3.
  • Borchert, Wolfgang: Kartoffelpuffer, Gott und Stacheldraht. KZ-Literatur, besprochen von Wolfgang Borchert. In: Hamburger Freie Presse, 18.01.1947.
  • Matthias Wegner: Ein weites Herz. Die zwei Leben der Isa Vermehren. München 2003.
  • o.A.: Der Pesthauch der deutschen Hölle. In: Union-Pressedienst. Nr. 24, 12/1946. S. 1f.
  • Vermehren, Isa: Reise durch den letzten Akt. Ravensbrück, Buchenwald, Dachau: eine Frau berichtet, Hamburg 1979.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger