Reportage unter dem Strang geschrieben (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Reportage unter dem Strang geschrieben
Autor Fučík, Julius (1903-1943)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1946, Wien
Titel Reportage unter dem Strang geschrieben

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Globus-Verlag
Gedruckt von Globus Zeitungs-, Druck- und Verlagsanstalt
Publiziert von Fučík, Julius (1903-1943)
Umschlaggestaltung von Jaruska, Wilhelm (1916-2008)

Herausgegeben von Fučíková / Fučík, Gusta (1903-1987)
Umfang 120 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In seinem Erinnerungsbericht schildert der tschechische Autor und Redakteur Julius Fučík seinen einjährigen Aufenthalt im Gestapo-Gefängnis am Pankrác in Prag; er berichtet aber auch vom Leben vor seiner Verhaftung als Mitglied der kommunistischen Partei sowie vom Schicksal seiner Freunde und Bekannten. Vor allem die Darstellung des Mutes und der Opferbereitschaft seiner kommunistischen Genossen ist eines seiner großen Anliegen, als „Beispiel von Leuten, die den Kopf am richtigen Fleck haben. Und vor allem das Herz“ (S. 108).

Der Text ist geprägt von Fučíks journalistischer Erfahrung: Fast essayistisch bringt er dem Leser in dichten adjektivreichen Beschreibungen das Geschehen nahe. Einzelne Passagen, wie die Verhaftung, sind temporeich im Präsens verfasst und mit vielen Ausrufe- und Fragezeichen versehen – allein dreizehn Fragezeichen finden sich in zwei Absätzen, in denen Fučík den Verrat an der Gruppe thematisiert (vgl. S. 46f). Durch den Rhythmus der Sprache entsteht ein beinahe rasender Erzählstil: „Aufmachen! Polizei! Schnell zu den Fenstern! Davon! Ich habe einen Revolver und decke euern Rückzug. Zu spät!“ (S. 12) Stilistisch bedient sich Fučík an einzelnen Stellen beim Genre des Kriminalromans, wie etwa in der ersten Verhörszene: „Der erste Schlag mit dem Knüppel. Der zweite. Der dritte. Soll ich sie zählen? Diese Statistik, Junge, wirst du nirgends und niemals verwerten“ (S. 14). Fučík schreibt an verschiedenen Tagen. Dies spiegelt sich an der Vielzahl von Textformen wieder, denn es gibt Passagen, die einem Tagebucheintrag ähneln, Abschnitte, die wie ein Testament verfasst sind, oder kurze psychologische Beschreibungen von Personen.

Fučík nimmt noch einmal die Position des gerade erst Verhafteten ein, um dem Leser die Situation zu verdeutlichen; es gibt kaum Erklärungen, oft ist die Erinnerung fragmentiert, was der Autor grafisch durch drei Punkte verdeutlicht. Er verschriftlicht die rasche Reihe an Gedanken, die ihm durch den Kopf gehen, in inneren Monologen und Bewusstseinsströmen. Auch bei Dialogen streicht er Formulierungen wie „sagte er“ gänzlich, wodurch diese dem Leser ungefiltert präsentiert werden; selbst die Worte eines Mithäftlings und eines Wärters gibt er ohne Markierung durch Anführungszeichen in der Ich-Form wieder.

Fučík wendet sich an vielen Stellen direkt an den Leser, gibt ihm Ratschläge für die Zukunft, bittet ihn um Hilfe und unterstreicht so die Dringlichkeit seiner Worte. Er thematisiert auch die Schwierigkeit des Schreibprozesses im direkten ‚Gespräch‘ mit dem Leser: „Der ‚Vater‘ – das ist … Aber wie willst du das schreiben, Junge?“ (S. 32) Immer wieder appelliert er – durchaus voller Pathos – für die kommunistische Sache: „jetzt tönt die Internationale in der ganzen Welt, sie soll auch aus unserer Zelle tönen. Wir singen. […] Ja, wir sind mit euch“ (S. 41).

Dabei reflektiert der Autor die Haftsituation in hohem Maße. Immer wieder kontrastiert er beispielsweise die Welt außerhalb des Gefängnisses mit seiner Lage in der Verhörzelle: „Zwei Uhr. Prag schläft, vielleicht weint irgendwo ein Kind im Schlaf und ein Mann streichelt seine Frau über die Hüften. – Sprich! Sprich!“ (S. 15)

Neben der Brutalität der Verhöre und den schlechten Bedingungen im Gefängnis berichtet Fučík vom starken Zusammenhalt der Häftlinge, die als Kollektiv gemeinsam ihren Alltag meistern und sich gegenseitig Kraft geben. Vor allem die ‚400er‘, eine Zelle, in der kommunistische Häftlinge vor und nach den Verhören untergebracht sind, wird zum Sammelpunkt der politischen Aktivitäten und Hilfeleistungen. Fučík spricht von der „Brüderschaft der Unterdrückten“ (S. 50) oder auch der Einrichtung einer „kommunistische[n] Zentrale“ (S. 51).

In den Kapiteln „Gestalten und Figuren I und II“ berichtet Fučík über Familien und Freunde, die ebenfalls für die Kommunistische Partei tätig waren, sowie über Gefängnisangestellte. Er beschreibt freundliche und angenehme Aufseher, die teilweise nur im Pankrác arbeiten, um die Gefangenen zu schützen, aber auch sadistische und hinterhältige Persönlichkeiten lässt er nicht aus. Außerdem erzählt er von sogenannten Gefängnis-Hausarbeitern, die alle Gefahr auf sich nehmen, um für die Häftlinge Nachrichten und Briefe zu übermitteln.

Am 9. Juni 1943, in der Nacht vor seinem Transport nach Deutschland, schreibt Fučík zum letzten Mal und berichtet in seinem abschließenden Kapitel „Ein Stückchen Geschichte“ vom Wiederaufbau der Kommunistischen Partei im Untergrund nach der Zerschlagung im Februar 1941 und von seiner eigenen Arbeit bei der Tageszeitung „Rudé Právo“. Er betont dabei immer wieder die Überzeugungskraft der kommunistischen Gesinnung: „Nach jedem Schlag konnte man aber von neuem sehen, wie unzerstörbar die Partei ist. Ein Kämpfer fiel – und wenn ihn einer nicht ersetzen konnte, traten zwei, drei an seine Stelle“ (S. 118). Fučík verabschiedet sich, seinen eigenen Tod vor Augen, mit den Worten „Menschen, ich hatte euch lieb. Seid wach!“ (S. 122)


Biografie

Julius Fučik (geb. 23.02.1903 in Prag, gest. 08.09.1943 in Berlin-Plötzensee) verbrachte seine Kindheit zunächst in Prag-Smíchov und später in Pilsen. Im Herbst 1913 zog er nach Prag, um dort eine Stellung bei der Behörde für Statistik auszuüben, die er jedoch schon nach zwei Jahren auf Grund seiner politischen Einstellung verlor. Er besuchte zahlreiche Vorlesungen der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität und engagierte sich zunehmend in der Kommunistischen Partei. Er begann schließlich für linke Zeitschriften in Prag und Pilsen zu schreiben: Von 1927 bis 1929 war er Redakteur bei der Zeitschrift „Kodeřičová“ („Der Stamm“) und ab 1927 zudem als Mitredakteur der Zeitschrift „Tvorba“ („Schaffen“) tätig; zahlreiche Artikel von ihm erschienen in verschiedenen anderen Zeitungen. Ab 1939 war Julius Fučík unter dem Namen „Professor Horak“ als Redakteur der Untergrundzeitschrift „Rudé Právo“ tätig.

Mehrere Reisen führten ihn in die Sowjetunion: Nach seinem ersten Besuch im Jahr 1930 reiste er erneut im August 1934 in die UdSSR, wo er in der Folge fast zwei Jahre als Berichterstatter tätig war. Am 30. Juli 1938 heirateten er und seine langjährige Lebensgefährtin Gusta (geb. Kodeřičová) in Prag.

Am 24. April 1942 wurde Fučík bei einem konspirativen Treffen im Haus einer Familie Jelínek, wo man die Verbreitung der Mainummer des „Rudé Právo“ organisieren wollte, bei einer Razzia der Gestapo verhaftet. Laut Fučík hatte ein Provokateur namens Václav Dvořác die Familie Jelínek an die Gestapo verraten. Über ein Jahr verbrachte Fučík im Pankrácer Gefängnis, wo er seine „Reportage unter dem Strang geschrieben“ verfasste. Am 10. Juni 1943 wurde Fučik über Dresden in das Zuchthaus Bautzen überführt und am 24. Juli schließlich in das Gefängnis Berlin-Moabit verlegt. Am 28. Juli klagte man ihn wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ an und verurteilte ihn am 25. August zum Tode. Am 8. September 1943 wurde er in Berlin-Plötzensee während einer Massenhinrichtung erhängt.

Quelle:

  • Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“. Albert Leo Schlageter und Julius Fučík. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Paderborn 2006.


Werkgeschichte

Die „Reportage“ entstand auf einzelnen Papierstücken während Julius Fučíks Aufenthalt im Pankrácer Gestapo-Gefängnis, er selbst datiert den Text auf „Frühling 1943“ (S. 7). Nach Kriegsende erhielt seine Frau Gusta Fučíková die Aufzeichnungen von Adolf Kolínský, einem Gefängniswärter ihres Mannes – Fučik bezeichnet ihn als „Initiator dieser Aufzeichnungen“ (S. 41) –, die er zusammen mit dem Aufseher Josef Hora heimlich aus dem Gefängnis geschmuggelt und an verschiedenen Orten versteckt hatte. Dabei wurden die Abschnitte einzeln aus dem Gefängnis hinaus gebracht und Fučík konnte nicht mehr auf die zuvor geschriebenen Passagen zurückgreifen. Der Text wurde vor der Erstveröffentlichung unter dem Titel „Reportáž psaná na oprátce“ 1946 im tschechoslowakischen Verlag Svobada („Freiheit“) bearbeitet. Gusta Fučíková selbst war an der Bearbeitung des Texts beteiligt und beschreibt das Vorgehen im Vorwort des Buchs: „Die beschriebenen num[m]erierten Blätter, die an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Leuten versteckt waren, ordnete ich und lege sie nun Dir, Leser, vor. Es ist das letzte Werk Julius Fučíks“ (S. 6).

Zunächst erschien diese gekürzte Fassung, in welcher – aus ideologischen Gründen – Passagen gestrichen wurden, in denen Fučík von seiner ‚Zusammenarbeit‘ mit der Gestapo berichtet, um diese auf eine falsche Fährte zu locken. Außerdem wurden Stellen entfernt, in welchen Fučík betont, dass nicht alle Deutschen mit den NS-Beteiligten gleichzusetzen seien. Diese Passagen fehlten auch in der deutschen Übersetzung. Im Jahr 1995 lag erstmals eine vollständige und kritische Werkausgabe auf Tschechisch vor, die deutsche ungekürzte Ausgabe folgte 2000.

Die deutsche Fassung erschien im selben Jahr wie die tschechische Erstauflage. Übersetzt wurde das Werk von Felix Rausch. Das Buch erlebte viele Auflagen: Bereits im Jahre 1953, dem Gedenkjahr von Fučíks Geburt und Tod, waren 19 verschiedene auf Tschechisch erschienen. Ein Jahr nach der ersten deutschsprachigen Auflage erschien bereits eine zweite deutsche Auflage im Verlag JHW Dietz Nachf. Berlin, der ebenfalls die Übersetzung von Felix Rausch zugrunde liegt. Inhaltlich sind beide Auflagen identisch, nur unterscheidet sich die Covergestaltung. Weitere deutsche Ausgaben folgten u.a. im Reclam Verlag (1965), Verlag Volk und Welt (1973) und Suhrkamp (1976). In Polen wurde der Bericht in der Übersetzung von Helena Gruszczyńska-Dubowa 1949 verlegt. Das Buch fand auch in Polen viele Leser, denn bereits 1953 kam es zu einer sechsten Auflage. Die „Reportage“ wurde auch in der Sowjetunion ein großer Erfolg, was sich durch den Status erklären lässt, den Fučík nach Kriegsende erhielt: Er wurde als Widerstandskämpfer gegen die Deutschen verehrt und sein Werk als kommunistische Propaganda verwendet.

Rezensiert wurde das Werk unter anderem 1947 von F.C. Weiskopf, der selbst mehrere Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus geschrieben hat (z.B. „Die Stärkeren“) und zu diesem Zeitpunkt Diplomat in tschechischen Diensten war. Kein anderes Buch über die Zeit des Nationalsozialismus habe ihn so sehr bewegt wie das Werk Fučíks. Er forderte in seiner Rezension die Übersetzung des Buchs in alle Sprachen, damit sich die Menschheit ein Bild von den Grausamkeiten der Nationalsozialisten machen könne.

Quellen:

  • Fučík, Julius: Reportage unter dem Strang geschrieben. Berlin 1947.
  • Weiskopf, F. C.: „Reportáž psaná na oprátce by Julius Fučík“. In: Books Abroad (1947), Bd. 21, Nr. 1, S. 40.
  • Zwicker, Stefan: „Nationale Märtyrer“. Albert Leo Schlageter und Julius Fučík. Heldenkult, Propaganda und Erinnerungskultur. Paderborn 2006.



Bearbeitet von: Isabelle Maier und Christiane Weber