Revolte der Heiligen (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Revolte der Heiligen
Autor Sommer, Ernst (1888-1955)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946, Berlin
Titel Revolte der Heiligen

Erscheinungsort Berlin
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Verlag JHW Dietz Nachf.
Gedruckt von Spamer AG
Publiziert von Sommer, Ernst (1888-1955)

Umfang 213 Seiten

Lizenz Nr.G-22112

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Schauplatz des Romans ist ein nicht näher benanntes Arbeitslager in der polnischen Stadt L. im Generalgouvernement, in dem Juden aus allen Teilen Europas – vor allem aus Tschechien und Österreich – zur Zwangsarbeit herangezogen und fürchterlichen körperlichen und seelischen Qualen ausgesetzt werden. Unter dem Eindruck des jüdischen Gebots des Gewaltverzichts wird das Verhalten der Häftlinge zunächst mehrheitlich von Duldung und Passivität bestimmt. Als sich die Lebensbedingungen im Lager jedoch zunehmend verschärfen, gelingt es einigen vornehmlich jüngeren Häftlingen, die übrigen von einem bewaffneten Aufstand – der titelgebenden „Revolte der Heiligen“ – zu überzeugen, auch wenn der Widerstand keine Chancen auf Rettung bietet.

Beginnend mit einer Beschreibung der Stadt L. führt der auktoriale Erzähler den Leser an das eigentliche Geschehen und die beteiligten Figuren und Akteure heran. L. liegt auf einer Anhöhe, „die durch eine Schlucht in zwei gesonderte Kuppen geteilt ist“ (S.7). Auf der einen liegt die „Christenstadt“ (ebd.), auf der anderen steht das inzwischen nur noch teilweise erhaltene Schloss, zu dessen Füßen „die Judenstadt“ (ebd.) liegt. Während in der Christenstadt kriegsbedingt kaum noch Menschen leben, wohnen in der zerstörten Judenstadt jüdische Zwangsarbeiter, die „wenigen Bevorzugten, die eine entfernte Ähnlichkeit mit wirklichen Arbeitern haben. Sie leben abgesondert von ihrer Arbeitsstätte. Sie erhalten einen, wenn auch lächerlichen Lohn. Man teilt ihnen zuweilen Lebensmittel zu“ (S. 9). Dennoch haben sie „nur eine Existenz auf Widerruf“ (ebd.), ihr einziger Schutz und Wert bestehen darin, für die deutschen Besatzer möglichst viel und schnell zu möglichst geringen Kosten herzustellen oder zu erwirtschaften.

Nach und nach führt der Erzähler einige der Bewohner und Hauptakteure mit ihren sehr verschiedenen Glaubens- und Lebenseinstellungen vor. Dabei schwankt die sprachliche Gestaltung zwischen inneren Monologen und sachlicher Berichterstattung des Erzählers. Er idealisiert die Figuren keineswegs, sondern stellt mit jeweils wenigen Sätzen die Zerbrochenheit und verzweifelte Irrationalität der Menschen dar. Da ist etwa Sebastian Wolf, der als ehemaliger Chefkonstrukteur einer nordböhmischen Maschinenfabrik neu in die Stadt kommt und von Jonas, der dem Judenrat angehört, in Empfang genommen wird. Wolf bemerkt sofort, dass es keine Kinder in der Stadt gibt: „Außer für seine eigene Tochter hatte er niemals für andere Kinder Sympathien empfunden. Hier aber hatte er das heftige Verlangen, einem Kinde zu begegnen“ (S. 13). An Wolfs Stelle muss der alte und schwer kranke Schneider Knüpfer mit ungewissem Ziel die Stadt verlassen. Niemand weiß, wohin die Verschickten gebracht werden, es kursieren jedoch Gerüchte, die von einem Tod durch Gas oder elektrischen Schlägen erzählen.

Anhand der Reaktionen der Bewohner auf Knüpfers Verschickung zeigen sich grundsätzliche Einstellungen und Wesenszüge der Figuren. Jonas etwa zieht Parallelen zu den Leiden Hiobs und mahnt, dass Gott keine Rechenschaft über seine Entscheidungen ablege. Sie müssten lernen, ihr Schicksal zu ertragen, ohne sich ein Urteil anzumaßen oder Gott dafür anzuklagen. Ganz unterschiedlich agiert das Paar Michael und Ruth. Während Ruth die schrecklichen Nachrichten über das Schicksal der Deportierten ernstnimmt und nicht verdrängen will, weigert sich Michael, die Gerüchte an sich heranzulassen. Er beschimpft Ruth, sie leide an einer „akuten Welle des Verfolgungswahns“ (S. 25), und sie und andere seien zu feige, diesen Wahn zu bekämpfen und zu schwach, ihn zu unterdrücken. Auch dem Waldarbeiter Fritz gelingt es nicht, seine immer präsente Angst und Unruhe zu überwinden. Statt Trost und Halt bei seiner Frau Anna zu finden, führt ihre vermeintliche Ruhe und Überlegenheit bei ihm zu Hassgefühlen ihr gegenüber, die er in Beschimpfungen auslebt: „Elend hebt alle Hemmungen auf. Die verborgensten bösen Instinkte entfalten sich. Und weil Fritz sich seiner Gattin immer unterlegen gewußt hatte, rächte er sich. Das Bewußtsein seiner Schwäche führt zu Ausbrüchen, blinden und drohenden Explosionen eines angesammelten Gewitters“ (S. 29).

Überwacht werden die Bewohner von dem böhmischen Automechaniker Ludwig Schilling, der nicht nur Betriebsleiter, sondern auch „Herr über Leben und Tod seiner Arbeiter“ (S. 42) ist. Der zum Katholizismus konvertierte Wolf, der einen guten Ruf als Maschinenkonstrukteur, aber wenig Erfahrung als Arbeiter hat, erregt zunächst Schillings Misstrauen und damit auch das der übrigen Arbeiter, die ihn deshalb meiden und ablehnen. Hinzu kommt, dass Wolfs Christentum ihn von den übrigen trennt, ebenso wie seine Überzeugung, dass sie gegen die Zustände aufbegehren und sie bekämpfen müssen. Der strenggläubige ostslowakische Jude Luria ist dagegen überzeugt, dass es eine Vergünstigung des Himmels ist, Jude zu sein. Wolfs Frage, warum Gott die Juden dann nicht befreie, statt sie gefangen zu halten, beantwortet er zornig: „Das Judentum hält niemanden gefangen. Im Gegenteil. Es macht dem Gefangenen das Gefängnis leicht“ (S. 52). Anhand solcher Gegenüberstellungen macht der Erzähler verschiedene und scheinbar gegensätzliche Positionen innerhalb des Judentums deutlich.

Eines Tages teilt Schilling Jonas mit, dass zwanzig neue Arbeiter für die Werkstatt auf dem Weg seien. Zwanzig überwiegend ältere Menschen müssen dafür ‚eingetauscht‘ werden. Zu den Neuankömmlingen gehören etwa Jan, der Sohn eines Winzers im südlichen Mähren, und der aus Wien kommende Simon, der sowohl eine jüdische Gesetzesschule besucht hat als auch in der marxistischen Doktrin unterrichtet wurde. Für ihn sind religiöse Psalme „gestern geschriebene Propaganda“ und „Auszüge aus der Untergrundliteratur unserer Vorfahren“ (beide Zitate S. 63). In seinen Schuhsohlen stecken Flugblätter mit der Aufforderung zur Sabotage, die er Jan und dem ebenfalls neu ankommenden Imre zeigt. Diese Flugblätter wirken bei den dreien wie ein kleines, heimliches Licht in der Dunkelheit. Sie verteilen die Flugblätter in der Judenstadt. Auf jeden, der sie liest, machen sie ungeheuren Eindruck, jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. Michael und Fritz etwa empfinden sie als gewissenlose Tat, die andere zusätzlich in Gefahr bringt. Für Ruth dagegen werden sie zu einem starken und kraftgebenden Symbol. Kaum einer wagt es jedoch nach Michaels eindringlichen Warnungen, die Zettel zu behalten: „So erfüllte keines der Blätter in der Judenstadt jenen Zweck, den Verfasser und Verbreiter ihm zugedacht hatten. Zwar steckte eine große Gewalt in ihnen. Aber diese Gewalt vermochte nur zu wirken, wenn sie sich mit anderen Gewalten verband“ (S. 72). Dennoch bleiben sie nicht ohne Wirkung: „Sie machten vielleicht, daß man leichter einschlief, tiefer Atem schöpfte und einen Herzschlag lang echte Hoffnung empfand“ (S. 73).

Unter dem ständigen Druck, den Arbeitern mehr Leistung abzupressen, sucht der arische Betriebsleiter Schilling nach einer geeigneten Methode „sein Menschenmaterial“ (S. 43) auf eine immer höhere Stufe der Leistung zu treiben, ohne die Arbeitskraft dabei zu zerstören. Obwohl er grundsätzlich davon überzeugt ist, dass Todesangst der beste Einpeitscher für die Zwangsarbeiter ist, lässt er sich auf ein Experiment ein. Nachdem er an zwei anderen Häftlingen die Wirkungslosigkeit von Drohung und Einschüchterung bemerkt hat, versucht er es mit einem „bisher nahezu unbekannten Kunstgriff“ (S. 76) - der guten Behandlung. An Jan testet er diese Methode erfolgreich aus. Jan arbeitet noch schneller, die gute Behandlung steigert seine Hoffnung und diese verdoppelt die Energie. Die erfolgreiche Methode steigert bald schon die Produktivität aller Arbeiter. Die minimalen Bemühungen Schillings und die durchschlagende Wirkung auf die Arbeiter kommentiert der Erzähler sarkastisch: „Und wie leicht war Hoffnung in den Juden erregt! Der kleinste Anlaß genügte, Juden waren zufrieden, wenn man ihnen statt Tatsachen Symbole gab. Schilling beschenkte sie mit Symbolen“ (S. 82). Jans Ansehen unter den Arbeitern steigt beträchtlich, jeder möchte mit ihm befreundet sein. Er wartet jedoch noch immer auf einen geeigneten Moment, um sich gegen die Unterdrücker zu wehren. In dem zurückhaltenden und abseits der Gemeinschaft stehenden Wolf sucht er einen Verbündeten. Dieser ist jedoch erst bereit, zur jüdischen Gemeinschaft zurückzukehren und Jan zu unterstützen, wenn sie eine „Gemeinschaft des Handelns“ (S. 87) geworden sei. Jan wartet jedoch vergeblich darauf, dass etwas die Menschen aus ihrer Lethargie rüttelt. Dies geschieht nicht einmal als Schilling die nach einem Arbeitsunfall schwer verletzte Gertrud kaltblütig erschießt und so deutlich macht, dass die Arbeiter wie ein Werkzeug sind, „so billig im Herstellungspreis, daß es einer Reparatur nicht verlohnte. War es beschädigt, so schaffte man ein neues an. Das alte wurde weggeworfen“ (S. 94).

Als Schilling bei einem Heimaturlaub überraschend an einem Schlaganfall stirbt und sein Vertreter, der Egerländer Ehrenfried Brigola, dauerhaft die Führung der Arbeiter übernimmt, verschlechtern sich die Zustände für alle dramatisch. Brigola verordnet, dass ab jetzt das Arbeitsergebnis von Woche zu Woche gesteigert werden muss und verschärft die Strafen für Fehlverhalten oder unzureichende Arbeitsleistung rigoros. Einer nach dem anderen geht daran zugrunde. Fritz bricht eines Tages bei der Arbeit tot zusammen. Nachdem nun wieder Hoffnungslosigkeit die Bewohner der Judenstadt ergriffen hat, erwägen die jungen Männer – allen voran Jan – erneut Aufstandspläne. Michael jedoch stemmt sich mit allen Mitteln dagegen. Nachdem Jan auf einem Außeneinsatz Kenntnis davon erlangt, dass eine ukrainische Partisanengruppe in der Nähe ist und den Juden helfen könnte, versammelt er zehn Vertrauensleute, um mit ihnen die Fluchtpläne zu besprechen. Die Gruppe ist jedoch weiterhin zutiefst gespalten. Schließlich behalten die Gegner der Befreiungspläne die Mehrheit. Sie berufen sich auf das Gesetz der Juden, das Gehorsam und Geduld lehrt und sinnlosen Kampf verbietet: „Aufruhr war der jüdischen Gemeinschaft fremd. Wehe den Juden, die die Geduld verloren. Geduld verlieren, hieß den Glauben verlieren. Gott selber zog die Hand von den Ungeduldigen“ (S. 140). Nun ändert sich jedoch auch Jans Stellung unter den Arbeitern, denn er will seine Pläne nicht ohne die Zustimmung der übrigen durchführen, um die Zurückbleibenden nicht zu gefährden. Seine stillschweigende Autorität als Sprecher der Belegschaft geht nun daraufhin auf Michael über, der alles tut, um sich und auch Ruth zu schützen. So wird er zum willigen Werkzeug Brigolas, der aufgrund des immer schlechter werdenden Betriebsergebnisses immer mehr Arbeiter verschicken muss. In dem verzweifelten Bemühen, die Menschen aufzurütteln, opfert Jan schließlich in einem spektakulären Sabotageakt sein eigenes Leben: Er stürzt sich mit einem voll beladenen Güterwagen einen Abgrund hinunter. Sein Ziel ist es, künftig ein Zeichen für die Belegschaft zu sein, wann immer sie den Abgrund passieren. Dies erweckt jedoch auch die Aufmerksamkeit der Verwaltung in Krakau. Sie beschließen, die Zahl der Arbeiter in L. zu halbieren. Michael wird von Brigola mit der Auswahl beauftragt. Willkürlich und nach persönlichen Gesichtspunkten wählt er die Menschen aus, die gehen müssen.

Nun erreicht die Romanhandlung ihren Wendepunkt. Als Ruth von den Verschickungsplänen erfährt, warnt sie die betroffenen Personen und endlich geht Jans Wunsch in Erfüllung. Die Menschen sind zum Widerstand bereit. Da jedoch die Partisanengruppe bereits weitergezogen ist und ihnen nicht mehr zur Hilfe kommen kann, ist klar, dass eine Rettung unwahrscheinlich ist und die Revolte lediglich ein letztes Aufbegehren vor dem ohnehin sicheren Tod sein wird. Wolf übernimmt das Kommando und entwirft einen Plan für die Kampfhandlungen. Dies erfordert jedoch auch die Überwindung Michaels. In einem letzten verzweifelten Bemühen, die Kampfbereiten aufzuhalten, versucht sich Michael ihnen entgegenzustellen, wird jedoch durch einen Stein, der ihn am Kopf trifft, getötet: „Noch nach seinem Tode suchte Michael den Weg zu versperren. Sein Körper nahm die ganze Breite der Gasse ein. […] Hatte man einmal die Stelle passiert, auf der Michael lag, dann ging es regelmäßig und ohne Aufenthalt weiter“ (S. 192).

Die Menschen verlassen die Judenstadt und verschanzen sich im Schloss auf dem Hügel. Die Wachmannschaften sind schnell überrumpelt, Wolf selber tötet Brigola mit dessen eigener Waffe. Bis zum letzten Mann kämpfen sie gegen die schließlich anrückende übermächtige Panzerkolonne der deutschen Armee. Rettung erwartet niemand mehr: „Das letzte Glück, das das Leben noch mit sich bringen konnte, war die Vernichtung möglichst vieler Feinde“ (S. 208). Sterbend vernimmt Wolf noch einige Flugzeugmotoren. Es sind Flieger der sowjetischen Armee, die von dem Aufstand Kenntnis erlangt haben und den Belagerten zu Hilfe kommen wollen. Schnell erkennen sie jedoch, dass jede Hilfe zu spät kommt. Wolf ist sich in seinem letzten Gedanken sicher, dass das Geschehen zumindest der Anfang einer Wendung war: „Was sich hier abgespielt hatte, war der Vorbote des Endes der Gewalt. Aber es war noch weit davon entfernt, Gerechtigkeit zu sein“ (S. 213). Er stirbt mit einem Gesichtsausdruck voller Zuversicht. Denn – so die Botschaft am Ende des Romans – die jüdische Gemeinschaft lebt trotz allem weiter, gerade im Angesicht des Todes besteht die Idee fort.

Bereits am Anfang des Romans weist Sommer auf die Unterschiede zwischen den Gettos, Arbeits- und Vernichtungslagern hin. So verdeutlicht er auch den Konflikt der Nationalsozialisten, einerseits von der billigen und in Massen zur Verfügung stehenden Arbeitskraft der Juden profitieren zu wollen, und dem Anspruch, die Juden gänzlich zu vernichten. Sommer thematisiert anhand der Figuren Jonas und Michael auch die ambivalente Rolle der Judenräte, die zwischen der Notwendigkeit, den Befehlen der Unterdrücker Folge leisten zu müssen, und dem Versuch, ihr Leben sowie das der Familienangehörigen zu retten, aber auch an das Wohl der übrigen Leidensgenossen zu denken, zerrissen werden.

Der Roman trägt die Widmung: „Den Helden des Warschauer Ghettos“ (o.S.).


Biografie

Ernst Sommer (geb. 29.10.1888 in Iglau/Mähren, gest. 20.10.1955 in London) wurde als Sohn des deutschsprachigen, jüdischen Süßwarenfabrikanten Jakob Sommer und der Mutter Marie geboren. Sein Vater hatte ihn für die Nachfolge des familieneigenen Geschäfts vorgesehen. Nach dem Besuch der Knaben-Volksschule ab 1894 erlangte er 1907 das Abitur am Obergymnasium. Im gleichen Jahr begann Sommer ein Medizinstudium an der Universität Wien. Nach einem Semester wechselte er jedoch zur Rechtswissenschaft, wo er 1912 promovierte. Er war Mitglied einer jüdischen schlagenden Studentenverbindung in Wien. 1913 erschien sein erster Roman „Gideons Auszug“, der sich mit der zionistischen Idee beschäftigt und erzählerisch von der Wiener Moderne geprägt ist. In einer Wiener Monatsschrift veröffentlichte Sommer zudem einige Beiträge über das Judentum und den Zionismus. Er stand dem ‚Prager Kreis‘ um Max Brod und Franz Kafka nahe.

Von 1912 bis 1914 war Sommer am Kreis- und Bezirksgericht in Iglau tätig. Während des Ersten Weltkriegs wurde er einberufen und war bei verschiedenen Kriegsgerichten für juristische Aufgaben eingesetzt. Nach Kriegsende und seiner Entlassung aus dem Militär setzte er seine Tätigkeit als Konzipient in Dux bis 1920 fort. Am 9. Juni 1919 heiratete er Leontine Illowy und im April 1920 wurde seine Tochter Beate Claudia geboren. 1919 legte ebenfalls die Advokatenprüfung ab. 1920 eröffnete er in Karlsbad eine Anwaltskanzlei und saß für die Sozialdemokratische Partei, der er wahrscheinlich 1920 beigetreten war, im Stadtrat.

Bis 1922 veröffentlichte er zudem zwei weitere literarische Werke. Er war ständiger Mitarbeiter der sozialdemokratischen Tageszeitung „Volkswille“ in Karlsbad und schrieb viele Theaterkritiken. Er verfasste auch selbst einige Bühnenstücke, so etwa 1921 das Legendenspiel „Johannes und Hieronymus“. 1924 gründete er zusammen mit dem Schriftsteller Bruno Adler und Ernst Bergauer die Literaturzeitschrift „Die Provinz“. Sie sollte das Verständnis zwischen Tschechen und Deutschen fördern. Egon Kirsch, Otto Pick und Rudolf Fuchs veröffentlichten darin Beiträge. Die Zeitung musste jedoch nach einem Jahr eingestellt werden, da sie nicht genügend Leser fand. Sommer gehörte außerdem als Mitglied der 1894 gegründeten Freimaurerloge ‚Karlsbad‘ der Vereinigung ‚B’nai B’rith“, einer weltweiten jüdischen Brüderschaft, die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden war, an.

Erst mit der Machtübernahme Hitlers begann Sommer wieder nebenberuflich schriftstellerisch zu arbeiten. 1935 erschien Sommers historischer Roman „Die Templer“, an dem er seit 1933 gearbeitet hatte. Er wurde von vielen Kritikern als eine verfremdete Anklage gegen den Nationalsozialismus gelesen. 1937 folgte der Roman „Botschaft aus Granada“, der auf die ‚Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums‘ gesetzt wurde und nur im Rahmen einer Ausnahmeregelung in Deutschland erscheinen konnte. Thema des Romans war die Vertreibung der Juden durch Königin Isabella von Kastilien im Jahr 1493. Bei der Ausübung seines Anwaltsberufs hatte Sommer ab 1935 auch häufiger mit politischen Fällen zu tun und verteidigte Angehörige der linken Parteien.

Als Karlsbad im September 1938 dem Deutschen Reich zufiel, ging Sommer 1938 nach Prag ins Exil. Hier wurde er im Oktober offiziell als Flüchtling anerkannt. Er war außerdem Mitglied des internationalen P.E.N. Da Sommer als Jude und wegen seiner Tätigkeit als Anwalt als besonders gefährdet galt, wurde sein Visaantrag für England schnell berücksichtigt. Bereits im November desselben Jahres konnte er per Flugzeug nach England ausreisen. Seine Familie folgte ihm Anfang 1939. Nach dem Verlust seines Vermögens und seiner Arbeit war Sommer auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen, etwa des CRFT (Czech Refugee Fund) oder des P.E.N. Sommer erwog weiter in die USA auszureisen, stieß jedoch auf Schwierigkeiten und kam schließlich von diesem Plan ab.

Sommer unterstützte während des Zweiten Weltkriegs die tschechoslowakische Exilregierung publizistisch und engagierte sich in der Exilpresse. Er beschäftigte sich auch mit dem Thema der Judenverfolgung, zumal er zunehmend Sorgen um seine Familie hatte. Von den im Oktober 1941 beginnenden Deportationen der Juden aus den böhmischen Ländern in das Getto Theresienstadt waren auch seine Mutter und die Familie seiner jüngeren Schwester Antonia Grünberger betroffen. Sommers Mutter beging 1942 im Getto Theresienstadt durch einen Sprung aus dem Fenster Selbstmord, seine Schwester wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Sommers Erzählung „Die Gaskammer“ vom Dezember 1942 ist seine erste literarische Arbeit zum Holocaust. Sie war eine Auftragsarbeit für die Weihnachtsausgabe der Zeitschrift „Einheit“. Die Erzählung beschreibt Soldaten, die zuerst grausame Morde verüben und dann sentimental Weihnachten feiern. Im April 1943 begann er mit seiner Arbeit an dem Roman „Die Revolte der Heiligen“, der 1944 erstmals in Mexiko herausgegeben wurde.

Nach Kriegsende reiste Sommer 1946 und 1947 nach Prag, kehrte jedoch trotz Plänen, in die Tschechoslowakei zurückzukehren, nicht dauerhaft dorthin zurück. In England stieß er jedoch auch auf Probleme bei der Ausübung seines Anwaltsberufs, da ihm zunächst die amtlich Erlaubnis fehlte. Es gelang ihm ebenfalls nicht, sich als Autor auf dem englischen Buchmarkt zu etablieren. Vorübergehend arbeitete er daher in einer Spiegelfabrik. Auch Pläne nach Österreich auszuwandern, wurden nicht realisiert. Seit Kriegsende studierte Sommer autodidaktisch ‚angelsächsisches Recht‘, erhielt 1948 schließlich die Lizenz als ‚consultant of international law‘ und arbeitete von nun an in London in einer eigenen Kanzlei als Anwalt für internationales Recht. Er betätigte sich auch erneut wieder als Theaterkritiker. In diesem Zeitraum wurde die Parkinsonsche Krankheit bei ihm diagnostiziert. Mit der Verschlimmerung seiner Krankheit wurde die Arbeit als Anwalt zunehmend schwieriger. Er veröffentlichte jedoch weiterhin zahlreiche Bücher, in der Hauptsache historische Biographien, wie über Thomas Münzer und Ullrich von Hutten. 1951 nahm Sommer die britische Staatsbürgerschaft an. Im gleichen Jahr wurde er zudem Mitglied des PEN-Klub deutscher Autoren im Ausland, da er aus dem tschechoslowakischen PEN ausgeschlossen worden war. Sommer lebte bis zu seinem Tod in Großbritannien.

Quellen:

  • Bauer, Stefan: Ein böhmischer Jude im Exil. München 1995.
  • Herzog, Andreas: „Sommer, Ernst“. In: Kilcher, Andreas B.: Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Stuttgart/Weimar 2000, S. 536-562.
  • Macháčková-Riegerová, Věra: Ernst Sommer. Praha 1969.
  • Pazi, Margarita: Fünf Autoren des Prager Kreises. Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1978, S. 170-210.


Werkgeschichte

Ernst Sommer hielt sich seit 1938 in England auf. Hier erfuhr er durch Kontakte zur polnischen Exilregierung in London aus erster Hand von der Massenvernichtung der Juden. Von der Deportation der Juden aus den böhmischen Ländern nach Theresienstadt waren auch Sommers Mutter und Schwester betroffen, daher lag Sommer besonders viel daran, sich immer neue und aktuelle Informationen zu beschaffen.

Am 10. April 1943 schrieb Sommer in einem Brief an Johannes Urzidil vom Beginn an einem Werk über ein geschlossenes Judenlager: „Ich habe unlängst das Original des Verordnungsblattes des Generalgouvernements Polen zu Krakau gelesen. […] Und da frappierte mich besonders die Unterscheidung von Judenwohnbezirken d.s. Ghetti, in denen Todgeweihte untergebracht sind, und geschlossenen Lagern, d.s. Lagern von Tätigen, speziell für Juden, die für die deutsche Wehrwirtschaft arbeiten. [...] Das Leben in einem solchen geschlossenen Lager hat es mir angetan. Und seit zehn Tagen schreibe ich an einem Buch. Es soll gerade die Mindestzahl von Worten haben, wie sie ordinary fiction verlangt, also 80 000. Ich hoffe es in drei Monaten fertig zu haben“ (Bauer 1995, S. 210). Am 1. April 1943, 19 Tage vor dem Aufstand im Warschauer Getto, begann Sommer die Arbeit an seinem Werk. Es ist deshalb nicht, wie häufig in Rezensionen oder Sekundärliteratur behauptet wird, vom Warschauer Gettoaufstand inspiriert. Ursprünglich sollte der Roman den ‚Opfern von gestern, den Empörern von morgen‘ gewidmet werden. Erst unmittelbar vor der Herausgabe des Buches änderte Sommer die Widmung in „Den Helden des Warschauer Ghettos“ (o.S.), da er die alte Widmung nicht mehr aktuell fand und die neue zudem deutlicher sei. Die Fakten für seinen Roman erhielt er direkt von offizieller Seite, wie er am 4. Mai 1944 an Victor Gollancz schrieb: „The facts the novel is based on, were given me by courtesy of the British Headquarters in London, as well as the Governments concerned, especially that of my own country – Czechoslovakia“ (ebd., S. 212). Sommer weist im Roman eingangs darauf hin, dass mit der Beschreibung der „Judenstadt von L“ (Sommer 1944, S. 12) ein bestimmter Typus von Lagern im Generalgouvernement gemeint sei, dessen Bewohner „eine entfernte Ähnlichkeit mit wirklichen Arbeitern“ (ebd.) hatten. Mit L. könnte daher sowohl das Getto von Lemberg als auch das Getto Lublin oder das Getto von Lodz/Litzmannstadt gemeint sein. Gerade zum Getto von Lodz bestehen große Ähnlichkeiten, wo die Ausbeutung der Arbeitskräfte perfektioniert und ins Maximale gesteigert wurde. Sommer begründet seine Wahl, eine privilegierte Gruppe von Juden in einem Arbeitslager darzustellen, mit der Aussage, es sei ebenso unmöglich das Leben der Juden in den Vernichtungslagern darzustellen, wie es unmöglich sei, Authentisches „von den letzten Minuten Sterbender“ (Sommer 1944, S. 11) zu sagen. Sein Anliegen war es, anhand repräsentativer Figuren für die sozialen und ideologische Gruppierungen des Judentums ein möglichst differenziertes Bild der jüdischen Gemeinschaft zu zeigen, dies hätte die Situation in einem Vernichtungslager nicht zugelassen. „[Der Roman] soll nicht nur die Wünsche, Ängste, Hoffnungen eines jüdischen Zwangsarbeiters schildern, der – selbst wenn er zur obersten Kategorie gehört, der für die Wehrwirtschaft tätigen Juden – immer noch ein bedingt zum Tode Verurteilter ist, sondern auch die merkwürdige Passivität erklären, mit der Juden weit mehr ertragen, als andere Menschen, ohne auszuschlagen (Ausnahmen wie die berühmte Revolution im Warschauer Ghetto bestätigen bloß die Regel.)“, so Sommer im Mai 1943 in einem Brief an Johannes Urzidil (Bauer 1995, S. 216).

Am 20. Mai 1943 war das Buch bereits zur Hälfte fertig; im August schloss Sommer die Arbeit daran ab. Noch 1943 erschienen zwei Vorabdrucke in Londoner Exilzeitschriften mit den Titeln „Gerichtstag“ (Zeitspiegel vom 25.12.1943, Nr. 48/49, S. 11) und „Sabotage“ (Die Zeitung vom 15.10.1943, Nr. 345, S. 6). Das letzte Kapitel wurde zudem in der Anthologie „Stimmen aus Böhmen“ abgedruckt, die 1944 im Verlag der Zeitschrift „Einheit“ erschien. Bei der Publikation des Romans konnte Sommer seine politischen Verbindungen nutzen. Über den Freien Deutschen Kulturbund in Großbritannien wurde er an den Verlag „El Libro Libre“ in Mexiko vermittelt. Der Verlagsleiter Walter Janka zeigte großes Interesse an dem Werk. Sommers Buch gehöre zu den „ersten und besten“ (zit. nach Bauer 1995, S. 221) zum Thema der Judenverfolgung und -vernichtung. Außerdem sei auch die Verbindung von jüdischem Aufstand und Roter Armee von Interesse.

In der Urfassung griffen jedoch weder die Partisanen noch die Bomber der Roten Armee aktiv in das Handlungsgeschehen ein, was jedoch dem Propagandabild der Roten Armee widersprach. Daher verlangte der Verlag El Libro Libre im Juni 1944 Änderungen am Manuskript. Neben einer Änderung im ‚Präludium‘, das bereits auf Seite vier mit den Worten „Eine Stätte des Grauens“ (ebd.) enden sollte, wünschten sie Änderungen auf der letzten Seite des Romans: „Es wirkt weder günstig für die Schlußsteigerung der Erzählung, daß gerade ein roter Flieger Juden und Nichtjuden bombardiert, noch ist es ein glaubwürdiger Zufall, daß der Flieger gerade am Ende des Kampfes kommt und von nichts weiß. Wäre es nicht viel wahrscheinlicher, daß die Rote Armee auf dem Wege über die Partisanen-Verbindungen etwas von den Vorgängen erfahren hätte, daß die Flieger zur Erkundung oder Waffenlieferung ausgesandt wurden, daß sie zu spät kamen – und daß sie aber die Gelegenheit benützten, um Bomben auf die Panzerkolonne der Nazis zu werfen?“ (ebd.) Es sei der künstlerischen Phantasie und literarischen Kraft Sommers überlassen, einen besseren Schluss zu finden, heißt es weiter. Sommer nahm die gewünschten Änderungen vor. Der Einsatz der Bomber ist nun der „Vorbote des Endes der Gewalt“ (Sommer 1944, S. 253). Damit wurde gleichzeitig die politische Aussage des Romans verändert.

Die zeitgenössischen Reaktionen auf die deutschsprachige El Libro Libre-Ausgabe war ausnahmslos begeistert, bezogen sich jedoch vor allem auf die politische Bedeutung des Buchs. Sommer kündigte in einem Brief an Johannes Urzidil im Oktober 1944 die Veröffentlichung seines Werks für November 1944 an. Er wies außerdem darauf hin, dass der Preis von 2 US-Dollar – bei Subskription und Einzahlung des Betrages 1.50 US-Dollar – für ein Buch mit 300 Seiten und Pappband teuer sei. Schließlich erschien das Buch am 1. Dezember 1944 in einer Auflage von 1.500 Exemplaren. Die Auflage richtete sich nach der Anzahl der Subskriptionen, da der Verlag jeweils ein Buch durch die Einnahmen des vorherigen finanzierte. Setzer und Drucker waren Mexikaner ohne Deutschkenntnisse, daher mussten die Lektoren jedes Wort eines Manuskripts in Silben trennen, um den Setzern die Trennstellen zu zeigen. Das führte zu kaum vermeidbaren Druckfehlern. Sommer wurde für sein Buch verhältnismäßig gut bezahlt: Er erhielt 10 Prozent Honorarverrechnung auf den Verkaufspreis, für 1.100 verkaufte Exemplare wurden ihm 184 US-Dollar überwiesen.

Sommer fand auch Unterstützer unter Schriftstellerkollegen. F.C. Weiskopf versprach etwa dafür zu sorgen, dass das Buch in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften gewürdigt würde. Für ihn gehörte der Roman zu den Büchern, die von Präsident Roosevelt „als gute Waffe im Krieg der Ideen bezeichnet wurde“ (Weiskopf 1945, o.S.). Rudolf Popper sah in den Figuren des Romans Revolutionäre, die vor allem ihren jüdischen Brüdern und Schwestern den rechten Weg zeigten. Bodo Uhse vertrat die Auffassung, das Buch zeige, wozu die Juden bereit sein sollten, nämlich zur Verteidigung der Freiheit durch einen Aufstand, wenn schon das eigene Leben nicht gerettet werden könne. In einer Rezension in den „Sozialistischen Nachrichten“ wurde der Roman am 15. März 1945 als „das erste Werk, das den nazistischen Massenmord an wehrlosen Menschen in seiner ganzen menschlichen und psychologischen Ungeheuerlichkeit in die Phantasie unserer anderen Vorstellungswelt projiziert“ (S. 16) bezeichnet.

Der Verlag ließ drei Abschriften des Manuskripts erstellen, die wohl für eine englische, eine jiddische und eine spanische Übersetzung bestimmt waren. Der tschechoslowakische Botschafter Zdeněk Fierlinger schleuste eines der Manuskripte nach Moskau ein. Dort erschien 1945 eine jiddische Übersetzung von Moses Altmann im Verlag Meluche-Farlag der Ėmes. Ein weiteres Manuskript sandte Sommer nach Jerusalem, da er den Roman auch als Bekenntnis zum Judentum und Beitrag zum Aufbau Israels verstand: „Ich rechne nicht nur auf das Verständnis der amerikanischen, sondern insbesondere der Juden, die bei sich selbst zuhause sind und zu ihrem Glück keines Wolkenkuckucksheims bedürfen. Diese werden mir auch meine ‚Un-Orthodoxie‘ nicht verübeln. Denn meine Botschaft ist auch die ihre“ (zit. nach Bauer 1995, S. 226). Schließlich gelang es, einen Verleger für die hebräische Ausgabe zu finden, die 1946/47 erschien. 1947 folgte nach einigen Schwierigkeiten eine Veröffentlichung auf Englisch in der Londoner Alliance Press unter dem Titel „Revolts of the Saints“. Nach einer zunächst unbrauchbaren Übersetzung, die Sommer von dem Berater Dr. Berger, einem Mitarbeiter der tschechischen und englischsprachigen Zeitschrift „Review 43“, die in London erschien, „aufgenötigt“ (Sommer zit. nach Bauer 1995, S. 227) wurde, ließ er den Roman im März und April 1944 von Harry C. Schnur übersetzen. Die Phaidon-Press und auch der Verlag Cresset Press lehnten das Buch zunächst ab, schließlich nahm es der Verlag Alliance Presse an. Der Gutachter erklärte, der Roman sei „das beste jüdische Buch der letzten 10 Jahre“ (ebd.). Probleme bei der Papierbeschaffung verzögerten den Druck jedoch bis Dezember 1947. Im gleichen Jahr erschien auch eine tschechische Übersetzung von Alois Humplík und 1950 eine holländische Ausgabe von Willy Berg.

Nach der deutschen Ausgabe im Verlag El Libro Libre erschien die erste Ausgabe in Deutschland 1946 im Berliner Dietz Verlag, der in der Sowjetischen Besatzungszone lag. Der Roman galt hier als Ausdruck einer antifaschistischen Haltung. Diese Ausgabe war gegenüber der Erstausgabe unverändert, enthielt aber auf Sommers Wunsch den Hinweis auf die Entstehungsbedingungen: „Geschrieben im Mai und Juni 1943 in London, zuerst veröffentlicht im Sommer 1944 durch den Verlag El Libro Libre in Mexiko“ (Sommer 1946, o.S.). Das Buch scheint ein Verkaufserfolg gewesen zu sein und der Verlag steuerte den Vertrieb bewusst. So schrieb Fritz Schälike vom Dietz-Verlag am 21. August 1949 an Sommer: „Von den uns bis jetzt von der Druckerei ausgelieferten 24.600 broschierten Exemplaren (5.000 Exempl. werden Halbleinen gebunden) sind bereits 12.000 ausgeliefert. Die Auflage hätte schon vergriffen sein können, wenn wir sie nicht absichtlich ‚bremsen‘, d.h. darauf achten, daß nicht einzelne Buchhändler und Literatur-Vertriebsstellen unserer Organisation mehr Exemplare erhalten, als die begrenzte Auflage es prozentual zuläßt. Wir streben an, unsere Bücher durch möglichst zahlreiche Buchhandlungen etc. zu vertreiben. Wir wären in der Lage, die Auflage allein in Berlin umzusetzen. Der Hunger nach allem was Roman und Unterhaltungsliteratur darstellt, ist ungeheuer, und noch immer wird ziemlich wahllos gekauft. Der schnelle Absatz des Buches ist darum noch kein absoluter Maßstab dafür, wie es vom Publikum aufgenommen wird. Es ist wichtig, wie die Presse und ernsthafte Zeitschriften eine Neuerscheinung rezensieren. Wir haben bis jetzt 160 Besprechungsexemplare verschickt“ (zit. nach Bauer 1995, S. 300). Die Rezensionen des Werks scheinen durchweg positiv gewesen zu sein, „eine Neuauflage wurde angekündigt, aber von der Papierzuteilung abhängig gemacht“ (ebd.). 1948 folgte eine weitere Ausgabe mit einer Auflage von 50.000. Diese trug nun den ursprünglich geplanten Titel „Revolte der Wehrlosen“. Insgesamt erschienen in diesem Verlag drei Auflagen mit zusammen 60.000 Exemplaren.

Die DDR-Literaturgeschichte behandelte den Roman als Ausdruck einer ‚antifaschistischen Haltung‘. In einer Rezension von Heinz Rein in der „Weltbühne“ von 1947 wurde der Roman in direkten Zusammenhang mit dem Partisanenkampf militanter Zionisten in Palästina gebracht. Es sei ein gutes Buch, schickt der Rezensent vorweg, und Sommer beschreibe zu Recht nicht Warschau, denn es sei unmöglich, die Gräuel dort aus der Ferne richtig zu zeichnen. Er taste stattdessen nach, „wie die Lage in einem solchen Ghetto unter der Naziherrschaft sein muß, und das ist ihm wahrhaft gelungen“ (zit. nach Bauer 1995, S. 311). Dazu füge Sommer noch das gespenstische Element der „jüdischen Tradition der Geduld, der Abwendung vom Irdischen“ (ebd.) bei. Leider sei Sommer jedoch der Schluss nicht gelungen, fährt Renn fort. Er kenne die individuellen Gefühle der Angst, Furcht, körperlichen Erschöpfung und des Todes genau: „Das Massenerlebnis des Kampfes im Warschauer Ghetto werden wir erst später erfahren, wenn ein einziger herausgekommen ist und auch die Fähigkeit haben sollte, zu sprechen. Bis dahin haben wir die ‚Revolte der Heiligen‘ als eine Erzählung von großer Stärke und über ein Leiden ohnegleichen. Aber auch dann wird es mit Erschütterung gelesen“ (ebd.).

Sommer versuchte schon früh auch eine Verbindung zum österreichischen Buchmarkt herzustellen. 1946 kam es durch die Vermittlung von Egon Erwin Kisch zu einem ersten Kontakt mit dem Generaldirektor des Wiener Globus-Verlages Dr. Nagler. Schnell einigte man sich über die Herausgabe der „Revolte der Heiligen“. Nur der Titel bereitete Probleme und wurde zu dem ursprünglichen Titelvorschlag Sommers „Revolte der Wehrlosen“ umgeändert. Sommer schrieb am 29. Januar 1947 an Hans Goldschmidt vom Globus-Verlag: „Wie ich sehe, paßt ihnen der Titel nicht. Ich verstehe das. In dem katholischen Österreich soll man jeden, auch nur einen scheinbaren Anstoß vermeiden. Ich würde vorschlagen: ‚Revolte der Wehrlosen‘ wie der Roman ursprünglich heißen sollte“ (zit. nach Bauer, 1995, S. 311). Sommers Bitte nach einem „diskreten und doch wirksamen Umschlag“ (ebd., S. 312) kam der Verlag nicht nach. Der Schutzumschlag der Wiener Ausgabe zeigt einen Schützen mit einer Hakennase, diese Typisierung kann als späte Folge der nationalsozialistischen Rassenlehre gesehen werden, wie Bauer darlegt. 1949 teilte der Verlag Sommer mit, dass sich das Buch schlecht verkaufe, im Zeitraum vom 1. Januar 1949 bis zum 30. September 1949 seien nur 44 Exemplare abgesetzt worden. Ursache sei eine „Krise am Österreichischen Buchmarkt“ (ebd.) Sommer schlug vor den unverkauften Rest in Absprache mit dem Dietz-Verlag nach Westdeutschland abzustoßen.

1949 folgte eine tschechische Ausgabe im Prager Verlag Práce, 1950 eine Veröffentlichung im Amsterdamer Verlag Hafkamp. In Deutschland wurde der Roman zudem 1970 im Rudolfstädter Greifenverlag sowie 1979 im Berliner Verlag Europäischer Ideen herausgegeben. Zuletzt erschien er im Rahmen einer Werkausgabe 2005 im Berliner Guhl Verlag.

Die westdeutschen Ausgaben, die ein Reprint der Ausgabe des Dietz-Verlages von 1949 waren, erhielten jedoch scheinbar nur spärliche Resonanz. Eine ausführliche Rezension in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von Tadeusz Nowakowski 1981 bescheinigt dem Roman, dass er die „Entmenschlichung der Eingeschlossenen […] in einigen drehbuchähnlichen Momentaufnahmen“ (S. 26.) zeige. Er kritisierte jedoch auch die vermeintlichen „Ungenauigkeiten“ in diesem „halb visionären Bericht“ (ebd.). Der Roman sei ein „nur zum Teil gelungener Versuch […], das Selbsterlebte durch Phantasie und Intuition zu ersetzen“, weil hier „unnötigerweise und fast theatralisch dämonisiert“ (ebd.) werde. Beim Thema der Judenverfolgung sei das Dokument dem Roman vorzuziehen, weil es „mehr faktisches und erschütterndes Material“ (beide Zitate ebd.) sei. Dennoch wäre es schade gewesen, so das Fazit Nowakowskis, wenn das Buch nicht geschrieben und herausgegeben worden wäre. Denn dem Roman sei vor allem zu entnehmen, woran ein jüdischer Exilschriftsteller in London während des Krieges gedacht und geglaubt habe. Er zeigte sich beeindruckt davon, „welch einfühlsame Menschenkenntnisse, grelle Phantasie, Mitleid, Kummer, tiefer Ekel und Zorn hier, um der Gerechtigkeit und der Wahrheitsfindung willen, zur Sprache kommen“ (ebd.). Eine Besprechung im „Aufbau“ vom 29. Februar 1980 würdigte den Roman als „Widerstandserzählung eines ‚vergessenen Autors‘“ (zit. nach Bauer 1995, S. 332). Margarita Pazi schrieb in ihrem Beitrag zu Ernst Sommer in ihrem Band „Fünf Autoren des Prager Kreises“, Sommers Roman stelle im Jahre 1944 einen großen „Appell an das Gewissen der Welt dar, die noch zu Rettenden vor dem Untergang zu bewahren“ (Pazi 1978, S. 191). Als solcher müsse das Buch auch gewertet werden.

Quellen:

  • Bauer, Stefan: Ein böhmischer Jude im Exil. Der Schriftsteller Ernst Sommer (1888-1955). München 1995.
  • Grenville, Anthony: „The Earliest Reception of the Holocaust: Ernst Sommer’s ‚Revolte der Heiligen’”. In: Vietor-Engländer, Deborah (Hg.): The Legacy of Exile. Oxford/Malden 1998, S. 100-115.
  • K-ček (d.i. Dr. Kodíček): „Revolts of the Saints”. In: The Central European Observer vom 16.05.1945, o.S.
  • Macháčková-Riegerová, Věra: Ernst Sommer. Praha 1969.
  • Nowakowsi, Tadeusz: „Inferno nur vom Hörensagen? Eine Neuauflage von Ernst Sommers ‚Revolte der Heiligen‘“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17.01.1981, Nr. 14, S. 26.
  • Pazi, Margarita: Fünf Autoren des Prager Kreises. Frankfurt am Main/Bern/Las Vegas 1978, S. 170-210.
  • Weiskopf, F.C.: „Ernst Sommer, Revolte der Heiligen“. In: Books Abroad (1945), o.S.
  • Winternitz, J.: „Revolte der Heiligen“. In: Einheit vom 07.04.1945, o.S.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger