Rinser, Luise (1911-2002)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Name Rinser, Luise

Geschlecht weiblich
Geburtsdatum 30. April 1911
Geburtsort Landsberg (Lech)
Sterbedatum 17. März 2002
Sterbeort Unterhaching
Tätigkeit Schriftstellerin, Musikerin, Literaturkritikerin
Externe Referenzen Deutsche Nationalbibliothek Virtual International Authority File Deutsche Biographie Wikidata

Biografie

Luise Rinser (geb. 30.04.1911 in Pitzling am Lech, gest. 17.03.2002 in Unterhaching) verbrachte ihre Kindheit in Oberbayern. Ihre Eltern waren streng katholisch. Mit dreizehn Jahren kam sie in ein Lehrerinnenseminar in München, wo sie eine Ausbildung zur Volksschullehrerin begann. Sie studierte Pädagogik und Psychologie und war danach ab 1935 als Aushilfslehrerin in verschiedenen kleinen Orten tätig. Ab 1931 schrieb sie Artikel für die „Deutsche Junglehrzeitung“. Außerdem veröffentlichte sie ihre ersten kleinen Erzählungen in der Zeitschrift „Herdfeuer“, über eine dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstehende junge Frau. 1934 verfasste sie unter dem Titel „Junge Generation“ ein Lobgedicht auf Adolf Hitler. Sie gehörte seit 1936 der NS-Frauenschaft und bis 1939 dem NS-Lehrerbund an. Sie engagierte sich auch stark im BDM, organisierte etwa Schulungslager für junge Lehrerinnen. Mitglied der NSDAP wurde sie jedoch auch dann nicht, als sie ihre erste feste Anstellung als Lehrerin erhielt. Weitere Dokumente bezeugen eine (teilweise) kritischere Haltung zum Nationalsozialismus in den späteren Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft.

1939 verließ sie freiwillig den Schuldienst. Im selben Jahr heiratete sie im Mai ihren Verlobten Horst-Günther Schnell, einen jungen Pianisten und Dirigenten, der eine Anstellung als Kapellmeister an der Oper Braunschweig erhielt, wo das Paar hinzog. Am 27. Februar 1940 wurde der erste Sohn Christoph geboren, ein Jahr später zog die Familie nach Rostock, wo im Oktober 1941 der zweite Sohn Stephan zur Welt kam – vermutlich aus einer außerehelichen Beziehung, wie der Biograph José Sánchez de Murillo von Luise Rinser persönlich erfahren haben soll. Im Mai 1941 erschien ihre Erzählung „Die gläsernen Ringe“, die die begeisterte Zustimmung Hermann Hesses fand, mit dem sie über viele Jahre in Kontakt stand. Auch mit Ernst Jünger entwickelte sich in diesen Jahren ein intensiver Briefwechsel. Für die UFA arbeitete sie 1942 an einem Drehbuch über den weiblichen Arbeitsdienst.

Im Juni 1942 wurde die Ehe mit Horst-Günther Schnell geschieden. Schnell begann bereits vor der Geburt von Rinsers zweitem Sohn eine Beziehung zur Schriftstellerin Hedwig Rohde. Noch im selben Jahr wurde er zur Wehrmacht einberufen und nach Russland abkommandiert, wo er 1943 fiel. Luise Rinser zog in das bayerische Dorf Kirchanschöring bei Freilassing, wo sie mit ihren beiden Kindern in ärmlichen Verhältnissen lebte. Zeitweise war der Sohn Stephan in einem Kinderheim untergebracht. 1943 schrieb sie für den NS-Propagandafilm-Regisseur Karl Ritter das Drehbuch für den geplanten Film „Schule der Mädchen“ über den Reichsarbeitsdienst. Der Film wurde jedoch nie realisiert.

Im Januar 1944 heiratete sie den Schriftsteller und Kommunisten Klaus Herrmann, die Ehe wurde 1952 geschieden. In ihrer Biografie „Den Wolf umarmen“ stellt Luise Rinser diese Ehe als humanitäre Scheinehe zwischen zwei Antifaschisten dar, die sie eingeht, um den politisch und zusätzlich als Homosexuellen gefährdeten Mann vor dem KZ zu retten.

Am 12. Oktober 1944 wurde sie nach einer Denunziation durch die ehemalige Mitschülerin Lisl Grünfelder wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und im Frauen-Untersuchungsgefängnis Traunstein inhaftiert. Grünfelder war verzweifelt, da ihr Mann an der Front in Ostpreußen stationiert war und sie um sein Leben fürchtete. Luise Rinser versuchte, ihr Mut zu machen und riet ihr, ihrem Mann eine Flucht vorzuschlagen, da der Krieg ohnehin bald vorbei sei. Diesen Rat beherzigte die Frau, der Mann jedoch zeigte Rinser umgehend an.

Nach der Verhaftung kam der ältere Sohn Christoph zu den Großeltern nach Rosenheim, Stephan blieb im Kinderheim. Ein Prozess scheint nicht stattgefunden zu haben. Am 21. Dezember 1944 erhielt Rinser Hafturlaub zu Weihnachten. Ob sie danach, wie sie in der 1981 veröffentlichten Autobiografie „Den Wolf umarmen“ schrieb, bis zum Einmarsch der Amerikaner im Gefängnis war, ist unklar. Dokumente, die dies nahelegen oder bezeugen, scheint es nicht zu geben, wie Michael Kleeberg feststellt.

Nach dem Krieg arbeitete Luise Rinser von 1945 bis 1953 als freie Mitarbeiterin bei der „Neuen Zeitung“, wo sie Bücher rezensierte und Artikel zu kulturellen Themen schrieb. Auch in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) engagierte sie sich. 1946 erschien außerdem Rinsers „Gefängnistagebuch“ sowie 1947 eine Arbeit zu Johann Heinrich Pestalozzi mit dem Titel „Pestalozzi und wir“, danach 1948 der Roman „Erste Liebe“.

Als ‚politisch Verfolgte‘ des Hitler-Regimes bekam Rinser Anfang 1948 eine Wohnung in München zugeteilt, die sie ohne ihren Mann bezog. Sie setzte ihre schriftstellerische Tätigkeit fort und veröffentlichte 1949 unter anderem das Kinderbuch „Martins Reise“ und 1950 den Roman „Mitte des Lebens“, der große Anerkennung fand und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. In den folgenden Jahren veröffentlichte sie viele weitere Romane sowie unzählige Rezensionen, Feuilletons und Essays. Auch als Rednerin trat sie auf, etwa zu Entnazifizierungs- oder gesellschaftspolitischen Themen. Sie verkehrte mit den führenden Kulturschaffenden der Zeit, wie etwa Erich Kästner, Wolfgang Koeppen, Fritz Arnold oder Ernst Petzold.

Von 1954 bis 1959 war Rinser mit dem Komponisten Carl Orff verheiratet. 1957 studierte sie im Spätsommer an der Ausländeruniversität Perugia und erhielt ein Stipendium der Villa Massimo in Rom. Hier entstand 1959 „Geh fort wenn du kannst“. Seit 1959 lebte sie bei und in Rom, hielt sich jedoch bis zu ihrem Lebensende auch oft in München auf. Drei Jahre schrieb sie regelmäßige Kolumnen für die Frauen-Zeitschrift „Für Sie“, die zwischen 1966 und 1968 in drei Bänden als Buch veröffentlicht wurden. Auch mit kirchlichen Fragen setzte sie sich immer wieder in ihren Schriften auseinander.

1981 veröffentlichte Rinser den ersten Teil ihrer inzwischen umstrittenen Autobiografie „Den Wolf umarmen“, die bis zum Jahre 1950 reicht und die häufig als Grundlage für Biografien über Luise Rinser herangezogen wurde. Wie de Murillo ausführt, besteht jedoch an vielen Stellen eine Diskrepanz zwischen den Berichten Rinsers und den historischen Fakten: „Das gängige Bild von Luise Rinser stellt also in entscheidenden Punkten, die sowohl ihr Leben als auch ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus betreffen, geradezu eine Fälschung dar“ (De Murillo 2011, S. 214.). 1994 folgte der zweiten Teil der Autobiografie unter dem Titel „Saturn auf der Sonne“. Im Herbst desselben Jahres reiste Rinser nach Dharamsla, wo sie mehrere Gespräche mit dem Dalai Lama führte, die 1995 unter dem Titel „Mitgefühl als Weg zum Frieden. Meine Gespräche mit dem Dalai Lama“ veröffentlicht wurden.

Luise Rinser mischte sich immer wieder aktiv in politische und gesellschaftliche Diskussionen in der Bundesrepublik Deutschland ein. Sie galt als „Linkskatholikin“ (Kleeberg 2011, S. 101) und wurde zu einer scharfen Kritikerin der katholischen Kirche, aus der sie jedoch nicht austrat. In den 1970er Jahren engagierte sie sich für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen §218 und kritisierte 1968 in einem offenen Brief das Urteil gegen die späteren RAF-Terroristen Andreas Baader und Gudrun Ensslin. 1972 unterstützte sie Willy Brandt im Wahlkampf.

In den Jahren ab 1972 unternahm sie zahlreiche Auslandsreisen, unter anderem nach Süd- und Nordkorea sowie in den Iran, wo sie den Revolutionsführer Ajatollah Chomeini als Vorbild für die Länder der Dritten Welt lobte. Rinser war eine Bewunderin des nordkoreanischen Diktators Kim Il-sung. Anfang der 1980er Jahre demonstrierte sie zusammen mit den Schriftstellern Heinrich Böll und Günter Grass gegen den NATO-Doppelbeschluss, und wurde 1984 von den Grünen als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen.

Als Schriftstellerin war Rinser äußerst produktiv und erfolgreich. Sie veröffentlichte dreizehn Romane, neun Erzählbände, dreizehn autobiografische Bücher, dazu Jugendbücher und mehr als dreißig Reiseberichte, Gesprächs- und Essaysammlungen. Ihre Bücher wurden Schullektüre und verkauften sich millionenfach. Rinser erhielt auch zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen, so erhielt sie unter anderem 1977 das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der BRD und 1987 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR. 1986 verlieh ihr die Universität Pjöngjang in Nordkorea die Ehrendoktorwürde. 1987 wurde sie Autor des Jahres in Palestrina in Italien.

Rinsers Positionierung im Dritten Reich ist umstritten und ambivalent. Ihr wird vorgeworfen, dass sie nach dem Krieg und insbesondere in ihrer Autobiografie ihre anfängliche Begeisterung für den Nationalsozialismus heruntergespielt und ihre Rolle im Widerstand übertrieben habe. Luise Rinser soll nicht nur ihre politischen Überzeugungen, sondern auch viele ihrer Lebensdaten für die Nachwelt gezielt verschleiert und verfälscht haben. Michael Kleeberg konstatierte beispielsweise: „Luise Rinser hat ihre Erfahrungen mit Diktaturen und Diktatoren gemacht und darüber auf unterschiedlichste Art und Weise geredet und geschwiegen“ (Kleeberg 2011, S. 101). Sie habe offenbar genau darauf geachtet, welche Version ihres Lebens an die Öffentlichkeit gekommen sei. Ihre Selbstdarstellung als Widerständlerin halte keiner Nachprüfung stand. An vielen Beispielen belegt er, wie Luise Rinsers Selbstzeugnisse oft durch andere Informationen widerlegt werden können.

Ausführlich widmet sich auch José Sánchez de Murillo den widersprüchlichen Selbstzeugnissen Rinsers in seiner Biografie, die im April 2011 in Deutschland unter dem Titel „ Luise Rinser – Ein Leben in Widersprüchen“ erschien, und an der auch Rinsers Sohn Christoph mitarbeitete. Darin nimmt dieser wesentliche Richtigstellungen an Rinsers eigener Lebensdarstellung in der Nazi-Zeit vor. So soll Rinser zum Beispiel ab Sommer 1933 als engagierte Nazi-Pädagogin gegolten und ihren jüdischen Schuldirektor Karl Würzburger beim Schulrat denunziert und damit ihre eigene Karriere befördert haben. De Murillo schreibt zu Rinsers Umdeutung ihrer Rolle im frühen Nationalsozialismus: „Die Umdeutung ist verständlich. Luise Rinser hat Generationen von deutschen und nichtdeutschen Frauen als weibliches Ideal gegolten. Der Gedanke, dass eines Tages die Wahrheit ans Licht treten könnte, versetzte sie in Panik“ (De Murillo 2011, S. 106). Zu Rinsers Biografie und Leben gehört diese Widersprüchlichkeit: Sie schrieb vom Nationalsozialismus begeisterte Gedichte und Texte, verfasste sogar ein Drehbuch für die UFA, war BDM-Führerin. „Dann aber saß sie als Feindin des Dritten Reichs im Gefängnis, hatte nach 1945 am geistigen Aufbau der Bundesrepublik maßgeblich mitgewirkt und war als führende Schriftstellerin im demokratischen Deutschland zum Vorbild für Generationen von Frauen und auch Männern geworden“ (ebd., S. 418).

Quellen: