Schulung (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Schulung. Ein Tatsachenbericht aus den Konzentrationslagern Natzweiler – Dachau - Alach
Autor Porzig, Max (1879-1948)
Genre Tatsachenbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Singen (Hohentwiel)
Titel Schulung. Ein Tatsachenbericht aus den Konzentrationslagern Natzweiler – Dachau - Alach

Erscheinungsort Singen (Hohentwiel)
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1. Auflage

Verlegt von Oberbadische Druckerei und Verlagsanstalt GmbH
Gedruckt von Oberbadische Druckerei und Verlagsanstalt GmbH

Umfang 24 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Max Porzig beschreibt seine Erfahrungen als Gefangener in den Konzentrationslagern Natzweiler, Dachau und im Dachauer Außenlager Allach, im Text irrtümlich „Alach“ geschrieben, während der letzten Monate des Zweiten Weltkriegs. Der in acht Kapitel gegliederte Text ist in einem nüchternen, sachlichen Stil verfasst, lässt jedoch keinen Zweifel an der Empörung des Autors über das erlittene Unrecht und die NS-Diktatur insgesamt aufkommen. An wenigen Stellen ist eine gewisse Ironie und sogar Sarkasmus erkennbar, zum Beispiel in der Formulierung, dass „der Häftling mit seinen beiden rührend um ihn Besorgten“ (S. 7) Bewachern von der Gestapo zur Polizeiwache geht.

Am 22. August 1944 wird der Berichtende in Singen (Hohentwiel) verhaftet und in das Konzentrationslager Natzweiler verschleppt. Der Verfasser ist zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt. Nach der Deportation mit dem Zug, einem längeren Aufenthalt auf dem Bahnhof in Straßburg und 12 km langem Fußmarsch vom Bahnhof Rothau kommen die Häftlinge im Konzentrationslager Natzweiler an. Der Autor berichtet von der Aufnahme im Lager: Entfernung jeglicher Körperbehaarung, erzwungene Abgabe mitgebrachten Eigentums an die Lagerleitung, Ausgabe der weiß-blau gestreiften Häftlingskleidung und Holzpantoffeln.

Porzig beschreibt, wie täglich zahlreiche Elsässer und Franzosen eingeliefert werden, deren einzige ‚Schuld‘ darin besteht, dass ein Familienangehöriger, der zum Dienst in der Wehrmacht gezwungen worden war, sich durch Flucht entzogen hat. Viele der französischen Häftlinge werden später in das KZ Mauthausen deportiert, was „für nur allzuviele den sicheren Tod“ (S. 13) bedeutet.

Porzig schildert den Sadismus der SS, deren völlige Respektlosigkeit gerade auch ältere Häftlinge zu spüren bekommen: „Selbst 70jährige wurden wie kleine Buben geohrfeigt“ (S. 12). Die von einem Kapo durchgeführte Prügelstrafe ist einem SS-Kommandanten und dessen Adjutanten zu milde: „Die beiden übernahmen nun selber das Henkeramt und zeigten, wie ein vollgefressener Rohling zuzuschlagen vermag, wenn er sadistischen Trieben unterliegt und moralische oder sonstige Hemmungen nicht kennt“ (S. 19). Der Verfasser äußert sich gegenüber einem holländischen Häftling über die Grausamkeit der SS: „Ich – ich schäme mich, Deutscher zu sein“ (ebd.). Ganz anders fällt das Urteil über einen, von den Häftlingen ‚Heinrich‘ genannten, elsässischen Kapo aus: „als Capo eine rühmliche Ausnahme – ein besonders intelligenter und auch gütiger Mensch“ (S. 12). Eine Beibehaltung humaner Verhaltensweise selbst unter KZ-Bedingungen bemerkt der Autor außerdem bei dem Mithäftling Toni Reigl, der sich zwar zur ‚Blockpolizei‘ gemeldet, seinen Posten jedoch nach wenigen Tagen mit der Begründung „Ich kann nicht prügeln!“ (S. 18) wieder aufgegeben hatte. Als unerträglich erlebt der Verfasser die Schlafbedingungen und Nahrungsversorgung. Hier wird besonders die schlechte Qualität des Trinkwassers hervorgehoben, das zudem immer knapp und häufig über eine Dauer von mehreren Tagen nicht verfügbar sei.

Aufgrund der durch den Kriegsverlauf erforderlichen Räumung des KZ Natzweiler werden die Häftlinge um die Jahreswende 1944/45 in Güterwaggons nach Dachau deportiert. Unter den Häftlingen sind Franzosen, Russen, Engländer, Polen, Italiener, Norweger, Niederländer und Belgier. Jüdische Häftlinge werden unter anderem dadurch gedemütigt, dass sie eine von der SS zu ihrer eigenen Versorgung eingerichtete Schweinemästerei betreuen müssen.

Letztlich erfährt Porzig zu keinem Zeitpunkt den Grund seiner Verhaftung. Dass das Verhaftungsdatum 22. August 1944 mit dem Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 zu tun haben könnte, weist der Autor vehement zurück: „Daß wir, die aus Baden Verschickten, nichts mit dem Versuch des Generals Witzleben zu tun hatten, die Welt von der Scheußlichkeit der Hitlerei zu befreien, dürfte selbst den Ignoranten um Hitler oder Himmler klar gewesen sein“ (S. 23). Unbeantwortet bleibt die Frage, warum der Verfasser sich so entschieden vom Attentat distanziert.

Abschließend steht ein – im Druckbild abgehobener – Appell: „Deutsche daheim und im Ausland! Begreift endlich restlos, daß mit der Hitlerei das gemeinste Verbrechen der Weltgeschichte gestützt und gefördert wurde! Begreift, daß gutzumachen ist, was namenloser Leichtsinn, was politische Kurzsichtig- und Einsichtslosigkeit an Unglück über die Menschheit brachten“ (S. 24).

Biografie

Max Porzig wurde 1879 in Döbeln/Sachsen geboren. Er wuchs nach dem frühen Tod seiner Eltern in einem christlichen Waisenhaus auf. Hier erlebte er u. a. Kinderarbeit und tägliche Prügelstrafen. Porzig absolvierte eine Lehre als Schriftsetzer. Politisch interessiert, war er bereits vor dem 1. Weltkrieg als Sozialdemokrat in Mannheim und Heidelberg aktiv, ließ sich dann in Singen (Hohentwiel) nieder und wurde 1920 Schriftleiter der Lokalredaktion der damals neu gegründeten Singener Zeitung ‚Volkswille‘. Des Weiteren begann er, sich bei den sog. Naturfreunden zu engagieren. In Singen gründete er die ‚Sozialistische Arbeiterjugend‘ für den Hegau- und Bodenseekreis. 1932 erfolgte die Entlassung als Schriftleiter und die Veröffentlichung des Buches ‚Höhen und Tiefen – Erlebtes, Erlauschtes, Erdachtes‘ im Eigenverlag. Außerdem erschien ‚Der falsche Sohn. Der Fall Hummel-Daubmann. Ein dramatisches Zeitgeschehen in sieben Bildern‘. Diese Geschichte thematisierte damalige lokalpolitische Ereignisse. Die Uraufführung fand in der Kunsthalle in Singen statt. In einer regionalen Tageszeitung soll danach zu lesen gewesen sein: „Das ausverkaufte Haus nahm das Stück mit herzlichem Beifall auf und rief den Autor am Schluss auf die Bühne.“ Bei seiner Verhaftung am 22. August 1944 hatte Max Porzig einem Hilfsschutzmann heimlich mitteilen können, dass er seine Arbeitskollegen beauftragen solle, seine gelbe Arbeitsmappe zu verstecken und seiner Frau zu übergeben. Diese Mappe soll Gedichte enthalten haben, die für Porzig möglicherweise problematische Folgen gehabt hätten. Max Porzig starb am 16. November 1948 an den Spätfolgen der KZ-Haft. 1995 hat der Sohn Porzigs den Nachlass mit seinen Schriften und Artikeln der Singener Geschichtswerkstatt übergeben.

Quellen:

  • Besnecker, Fritz (Bearb.): Wort-Welten in der Arbeiterprovinz. Erzählungen und Gedichte des Arbeiterschriftstellers Max Porzig 1879 – 1948. In: Schriftenreihe des Arbeitskreises für Regionalgeschichte Bodensee, Nr. 13 (1997/98). Hrsg. von der Geschichtswerkstatt Singen im Arbeitskreis Regionalgeschichte Bodensee, Stadler, Konstanz 1998.



Bearbeitet von: David Lambrecht