Schutzhäftling 409 (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Schutzhäftling 409
Autor Schulz, Arnold (1898-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1947, Essen
Titel Schutzhäftling 409

Erscheinungsort Essen
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1

Verlegt von Verlag Willi Webels
Gedruckt von W. Th. Webels
Publiziert von Schulz, Arnold (1898-?)

Umfang 37 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Schlaglichtartig beleuchtet Arnold Schulz einzelne Episoden seiner mehr als fünfjährigen Haftzeit in verschiedenen Gefängnissen sowie den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen. Im Vordergrund steht die schonungslose Schilderung von Terror, Gewalt und Folter, denen er und seine Mithäftlinge fortwährend ausgesetzt waren. Schulz möchte mit seinem Bericht den Leser aufrütteln und aufklären, wie er im Vorwort schreibt: „In diesem Sinne schreibe ich meine Erlebnisse nieder und übergebe sie der Oeffentlichkeit mit dem Wunsche, daß sie weit und breit gelesen werden. Den ehemaligen Anhängern der NSDAP zum Nachdenken und den Antifaschisten zum glühenden und nie erlahmenden Kampfeswillen gegen Faschismus und Reaktion, für Freiheit und Demokratie des werktätigen deutschen Volkes!“ (S. 6) Mit seiner Verhaftung am 29. Juni 1933 beginnt für Schulz „eine Zeit grausamer und viehischer Behandlung und Einkerkerung“ (ebd.). Er bietet keine zusammenhängende Erzählung, sondern beschreibt aus nahezu jeder Station seiner Haftzeit eine Episode. In der Regel sind dies Szenen von Gewalt und Misshandlung. Die Gefängnisse und Lager, die er durchläuft, kontrastiert Schulz häufig mit Naturbeschreibungen und unterstreicht so zusätzlich den ‚dunklen‘ Charakter dieser Stätten.

Nach Aufenthalten in verschiedenen Gefängnissen kommt Schulz schließlich ins Konzentrationslager Esterwegen. Dies ist trotz der bereits erlittenen Qualen ein tiefer Einschnitt: „Hatte der von der Gestapo ins Konzentrationslager abgeschobene Schutzhäftling die Schwelle des Konzentrationslagers überschritten, so hatte er aufgehört ein Mensch zu sein. Fortan war er nur noch ein Wesen ohne Namen, ein numeriertes Arbeitstier der Konzentrationslagerbürokratie“ (S. 15). Schulz schildert die entmenschlichende und entwürdigende Aufnahmeprozedur im Lager, die permanente Ungewissheit über die Haftdauer sowie die Willkür der SS-Wachmannschaften: „Jeder Tag und jede Nacht konnte uns den Tod bringen. Jeden Morgen standen wir auf mit dem Bewusstsein, wer weiß, ob du heute abend noch am leben bist. Wir politischen Gefangenen waren im wahrsten Sinne des Wortes nur Tote auf Urlaub“ (ebd.). Wiederum bietet er dem Leser keine geschlossene Erzählung seiner Lagerzeit, sondern eine ausdrucksstarke Beschreibung von Szenen, die sich vor allem durch die Brutalität der SS-Männer den Häftlingen gegenüber auszeichnen: ein Strafappell nach einer gelungenen Flucht, damit verbundene Folter, die Arbeit eines Strafkommandos, die schwere und demütigende Tätigkeit des Jauchekommandos und anderes mehr. Mit seiner Verlegung in das Konzentrationslager Sachsenhausen ändert sich an der Situation der Häftlinge nichts Grundsätzliches. Auch dort ist die Haft vor allem durch willkürliche Gewalt und Ungewissheit über die eigene Zukunft geprägt.

Am 3. Oktober 1938 schließlich wird Schulz mit sechs anderen Kameraden entlassen: „Zehntausende von Kameraden mußten wir zurücklassen, und wir gingen einer Zukunft entgegen, die grau und düster vor uns lag“ (S. 35). Hier trifft Schulz auf eine vollkommen veränderte Situation, was er schon zu Beginn des Berichts vorwegnimmt: „Nach fünf Jahren und drei Monaten Kerkerhaft wurde ich entlassen und kehrte in die ‚Freiheit‘ zurück. Deutschland hatte sein Gesicht vollständig verändert. Haß und Lüge regierten im Lande. Der größte Teil des deutschen Volkes war der Naziseuche vollständig verfallen. Spitzel und Denunzianten trieben ihr schmutziges Handwerk und hatten Hochkonjunktur. Die antifaschistische Freiheitsbewegung war gelähmt infolge des starken Naziterrors“ (S. 7).

Schulz erzählt im Präsens und gebraucht häufiger wörtliche Rede. Er bemüht sich um einen anschaulichen und auch spannenden Erzählstil: „Da höre ich die näherkommenden Schritte eines Wachtmeisters. Vor meiner Zellentür bleibt er stehen. Schon öffnet sich die Zellentür, innerlich verwünsche ich die unerwünschte Störung“ (S. 14). Er gliedert seine episodenhaftige Erzählung in kurze Kapitel mit zum Teil sehr sprechenden Kapitelüberschriften („Laßt doch das Schwein versaufen!“, „Lebendig eingegraben“, „Mit dem Schemel in der Zelle erschlagen“ usw.), die zusätzlich den Terrorcharakter und die Gewalt hervorheben. Schulz versteht seinen Erinnerungsbericht nicht nur als Beitrag zur Aufklärung des Volkes über die NS-Verbrechen, sondern auch als Teil eines weiterhin notwendigen antifaschistischen Kampfs, denn, wie er im Vorwort schreibt, überall „sitzen verborgene und offene Feinde demokratischer Gesinnung und wühlen heimlich und versteckt weiter“ (S. 5).


Biografie

Arnold Schulz (geb. 30.07.1898 in Stendal) hatte dreizehn Geschwister und wuchs als Sohn eines einfachen Bahnbeamten in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit dreizehn Jahren begann er eine Lehre als Schneider, die er nach einem Jahr abbrach. Schulz ging anschließend auf Wanderschaft, in der Absicht in Amerika ein neues Leben anzufangen. Er wurde jedoch von der Polizei aufgegriffen und nach Hause zurückgebracht, wo er seine Lehre fortsetzen musste. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs arbeitete er in Berlin als Laufbursche, Hausdiener, Kellner und Fabrikarbeiter. 1917 verließ er die Hauptstadt und ging nach Westdeutschland, wo er in Köln, Essen und Leverkusen Anschluss an die Arbeiterbewegung fand, für die er sich in den folgenden Jahren engagierte. Kurz nach Regierungsantritt der Nationalsozialisten wurde Schulz im Juni 1933 verhaftet. Er war in zahlreichen Gefängnissen sowie in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen inhaftiert, bis er am 3. Oktober 1938 entlassen wurde. Anschließend arbeitete Schulz wieder als Fabrikarbeiter am Niederrhein. Im September wurde er kurzzeitig erneut verhaftet. In der Kriegsendphase begann Schulz bereits mit seinen Aufzeichnungen über seine Haftzeit im NS-Regime.

Quelle:

  • Schulz, Arnold: Schutzhäftling 409. Essen 1947, S. 36f.


Werkgeschichte

Arnold Schulz begann seine Schilderung der Haftzeit in mehreren Gefängnissen sowie in den Konzentrationslagern Esterwegen und Sachsenhausen bereits in der Kriegsendphase 1944/45.

Quelle:

  • Schulz, Arnold: Schutzhäftling 409. Essen 1947, S. 36f.



Bearbeitet von: Markus Roth