Soll ich meines Bruders Hüter sein? (1944)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Soll ich meines Bruders Hüter sein?

Genre Sammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1944, Zürich
Titel Soll ich meines Bruders Hüter sein?
Untertitel Weitere Dokumente zur Juden- und Flüchtlingsnot unserer Tage

Erscheinungsort Zürich
Erscheinungsjahr 1944

Auflagenhöhe Erstauflage 3.000

Verlegt von Evangelischer Verlag AG
Gedruckt von Buchdruckerei Effingerhof AG
Publiziert von Schweizerisches evangelisches Hilfswerk für die bekennende Kirche in Deutschland mit Flüchtlingsdienst

Umfang 108 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Das 1944 vom Schweizerischen evangelischen Hilfswerk für die bekennende Kirche in Deutschland herausgegebene Werk betrachtet aus christlicher Perspektive den Judenhass allgemein sowie die Verfolgung von Juden in Deutschland seit 1933. In seinem Vorwort betont Pfarrer Paul Vogt, dass die Broschüre nur einen kleinen Ausschnitt „aus dem furchtbaren Vernichtungswerk“ (S. 5) abbilde. Die Verfolgung der Juden sieht er als eine „Rebellion der Menschen gegen den lebendigen Gott, dessen unerforschlichem Ratschluß es gefallen hat, gerade die Juden zu seinem Volk und zum Vermittler seines Heils in Gesetz und Evangelium zu machen“ (ebd.).

Der erste Teil besteht aus einer Predigt über Kain und Abel, die Vogt am 27. Juni 1944 in der Leonhardskirche in Basel gehalten hat. Vogt klagt vor allem die Haltung der Menschen angesichts des Leids der Juden an und vergleicht diese mit dem Schicksal Kains. Dabei benennt er die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten deutlich und erwähnt unter anderem die Vergasungen in Auschwitz explizit.

Im zweiten Teil ist der Vortrag „Was schulden wir Christen den Juden unserer Tage?“ von Pfarrer Maurer aus Beggingen abgedruckt, den er am 27. Juni 1944 beim Verein der Freunde Israels in Basel gehalten hat. Hierin geht Maurer der Frage nach, warum die Juden gehasst und verfolgt werden. In der offenen Manifestation des Judenhasses sieht er etwas Anti-Religiöses und deutet diesen um zu einem anti-christlichen Phänomen: „Die Juden schlägt man, Jesum Christum meint man. Das ist der Sinn alles Antisemitismus“ (S. 18). Den Juden schreibt er letztlich eine Mitschuld zu, denn sie litten auch wegen ihrer Schuld der Verleugnung Christi.

Nach den theologisch motivierten Umdeutungen von Judenhass und Verfolgung wendet sich die Broschüre im dritten Teil der Verfolgung und Ermordung der Juden im deutschen Herrschaftsbereich zu. Gestützt auf anonymisierte Berichte wird der Ablauf einer Deportation eines jüdischen Mannes aus Frankfurt am Main geschildert, dessen geplantes Untertauchen daran scheitert, dass die Helfer im letzten Moment einen Rückzieher machen. Gemeinsam mit seiner Familie wird er über Hanau und Kassel nach Lublin deportiert. In einem weiteren Kapitel berichtet ein unbekannter Mann über die Verfolgung der Juden im Warschauer Getto und den dortigen Widerstand.

Im vierten Teil richtet sich der Blick auf die 1944 aktuelle Situation der Verfolgung und Deportation der ungarischen Juden. Es wird ein Brief eines unbekannten Verfassers von Mitte Juni 1944 aus Budapest abgedruckt, in dem dieser von der laufenden Deportation der Juden aus Ungarn berichtet und dabei die aktive Beteiligung von Ungarn hervorhebt. Er endet mit einem eindringlichen Hilferuf: „Es gibt nur 2 Möglichkeiten: Selbstmord oder sich dem Schicksal überlassen. … Helfet! Helfet! Helfet!“ (S. 72, Hervorhebung im Original) Daran schließen sich Berichte aus den einzelnen Regionen an, in denen jeweils die Konzentration der Juden in Gettos, ihre Ausplünderung, Misshandlungen und schließlich ihre Deportation in kurzer Form geschildert werden. Ergänzt wird dies durch genaue Zahlenangaben und Statistiken. Das Ziel der Transporte sei Auschwitz, dessen Aufbau und Betrieb anhand des Berichts zweier slowakischer Flüchtlinge dargestellt werden soll.

Am Ende verbinden die Verfasser das Schicksal der Juden mit aktuellen allgemeinen Forderungen zur Flüchtlingspolitik der Schweiz, indem sie fordern, diese frei von Diskriminierungen aufgrund der Rasse zu gestalten, keine übereilten Rückführungen vorzunehmen, den Flüchtlingen die Wahl ihres gewünschten Ziellandes zu ermöglichen sowie ihnen baldmöglichst die Erlaubnis zum Arbeiten zu erteilen. Abgeschlossen wird das Buch mit einer Fürbitte vom 1. Juli 1944 von Hans Schaffert für die Flüchtlinge der Welt, insbesondere für die Juden in Ungarn.



Bearbeitet von: Markus Roth