Theresienstädter Bilder (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Theresienstädter Bilder
Autor Dormitzer, Else (1877-1958)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Hilversum
Titel Theresienstädter Bilder

Erscheinungsort Hilversum
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1

Auflagenhöhe Erstauflage 500

Verlegt von De Boekenvriend Verlag
Gedruckt von J.K. Smit & Zonen
Publiziert von Dormitzer, Else (1877-1958)
Umschlaggestaltung von Treumann, Otto (1919-2001)

Umfang 23 Seiten
Abbildungen Exemplare 1-50 mit Handzeichnung der Verfasserin versehen

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Gedichtband enthält zehn Gedichte, die alle die Haft in Theresienstadt thematisieren. Else Dormitzer widmet die bereits im Getto Theresienstadt entstandenen Gedichte den Schicksalsgenossinnen. So ein gemeinschaftliches Erlebnis binde fester als Blutsverwandtschaft oder jahrelange Freundschaft von Jugend an, betont sie in ihrem kurzen Vorwort. Bereits im Getto hatte sie ihren Mithäftlingen die Gedichte immer wieder vorgelesen und diese hatten sie aufgefordert, die Gedichte drucken zu lassen, wenn sie wieder in Freiheit sei.

Die Gedichte bestehen überwiegend aus eher schlichten Paarreimen, vereinzelt findet sich auch ein umarmender Reim oder nichtreimender Vers. Literarische Stilmittel wie Metaphern oder andere rhetorische Figuren nutzt die Autorin kaum. In einigen Gedichten erzeugt Dormitzer durch Begriffe wie Nacht, Dunkelheit, „Eis und Schnee, Sturm und Regen“ (S. 9) atmosphärische Bilder von Kälte, Verzweiflung und Qual.

Thematisch sprechen die Gedichte sowohl von der Hoffnung auf Kraft und Rettung durch Gott („Verzage Nicht!“ und „Verlorene Jahre“), als auch von den Leiden und unmenschlichen Bedingungen in Theresienstadt. Das Gedicht „Transport“ handelt von der Furcht und den Assoziationen, die das unheilversprechende Wort ‚Transport‘ bei den Häftlingen auslöst. In „Nachschub“ wird die Situation der Verteilung der übrig gebliebenen Suppe thematisiert, für die die Häftlinge oft stundenlang anstehen müssen. Ein Gedicht beschreibt die zermürbende zwölfstündige „Volkszählung“ am 11. November 1943. Aus reiner Schikane müssen die Häftlinge ohne Nahrung und Wasser im Freien stehen, viele brechen zusammen:

„So Mancher fühlt sich schwach und schwächer werden / Und sinkt bewusstlos nieder auf die Erden, / Dort liegt er ausgestreckt, als wie entseelt – / Das auserwählt Volk wird heut‘ gezählt!“ (S. 12)

Gegenwärtige Gefangenschaft und ehemalige Freiheit werden in „Einst und Jetzt“ jeweils abwechselnd gegenübergestellt.

„Einst warst Du so rundlich / Jetzt bist Du so schlank / Einst warst kerngesund Du / Jetzt bist Du meist krank“ (S. 14).

Das Gedicht „Wanzennacht“ beschreibt die Leiden durch Wanzen, die in der Nacht die Häftlinge quälen. In „Glimmer“ wird die zermürbende Zwangsarbeit in der Glimmerproduktion beschrieben. Dieses kriegswichtige Material wurde ausschließlich von Frauen bearbeitet. Das vorletzte Gedicht des Bandes trägt den Titel „Tod in Theresienstadt“ und handelt von der zunehmende Schwäche der Häftlinge und dem Tod, der oft als Erlösung wahrgenommen wird, bis hin zum schnellen und pietätlosen Entsorgen der Leichen. „Finale“ schließlich thematisiert die unerwartete Befreiung durch die russische Armeen nachdem die Häftlinge alle Hoffnung bereits aufgegeben haben:

„Am Morgen, ha, ein Wunder ist gescheh’n: / Man kann rings fremde Uniformen seh’n, / Die Russen sind’s, die uns vom Joch befrei’n, / Man höret lachen, weinen, jauchzen, schrei’n,/ Reibt sich die Augen – / ist’s ein schöner Traum, / Der rasch zerrinnen wird wie Seifenschaum? / Nein, es ist Wirklichkeit! Der Spuk ist aus. / O Glück, o Seligkeit – es geht nach Haus!!“ (S. 21)


Biografie

Else Dormitzer (geb. am 17.11.1877 in Nürnberg, gest. am 03.06.1958 in London) lebte vor dem Krieg viele Jahre in Nürnberg. Ihr Mann, der Geheime Justizrat Dr. Sigmund Dormitzer, war dort ein angesehener Rechtsanwalt. Zehn Jahre lang war er Vorsitzender des örtlichen Anwaltsvereins, anschließend Vizepräsident der Anwaltskammer. Else Dormitzer engagierte sich seit 1922 in der jüdischen Nürnberger Kultusverwaltung und war die erste Frau in dieser Funktion im Deutschen Reich. Im Nürnberger Jüdischen Kulturbund gehörte sie dem Vorstand an und hatte auch im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ Funktionen.

Das Ehepaar Dormitzer hatte zwei Töchter. Die Ältere wanderte mit ihrer Familie rechtzeitig nach Großbritannien aus. Die Jüngere konnte als Juristin in Deutschland nicht arbeiten und ging im Oktober 1933 nach Prag. 1937 emigrierte sie in die Niederlande, wo sie mit ihrem Mann in Hilversum die deutsche Besatzung überlebte. Während der Pogrome am 9. November 1938 wurden die Dormitzers in ihrem Haus zweimal überfallen, die Möbel wurden zertrümmert und die Wohnung verwüstet. Sigmund Dormitzer wurde misshandelt und blutend auf die Straße gejagt. Schließlich wurden sie zum Verkauf ihres Hauses gezwungen. Die Töchter besorgten die nötigen Papiere zur Einreise in die Niederlande und nach Großbritannien, Verwandte aus den USA sendeten ein Affidavit, die Voraussetzung für ein Visum und die Aufenthaltserlaubnis in den USA. Am 1. März 1939 reiste das Ehepaar nach Holland ab, lebte dann eine Weile bei ihrer älteren Tochter in Großbritannien und zog schließlich nach Hilversum in Holland. Hier wurde Sigmund Dormitzer beim Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande im Frühjahr 1940 interniert. Dank eines ärztlichen Attests kam er jedoch bald wieder frei. Auf Weisung der deutschen Besatzungsbehörden mussten die Dormitzers nach Amsterdam ziehen. Am 20. April 1943 bekamen sie als Privileg für verdienstvolle deutsche und niederländische Juden bei einer Vorladung von der Gestapo das Angebot, nach Theresienstadt zu gehen. Wer davon keinen Gebrauch mache, käme nach Polen, hieß es. Die Dormitzers reisten am nächsten Tag ab. Am 22. April 1943 traf der Zug mit dem ersten Transport von Holland nach Theresienstadt in Bauschowitz ein. Den restlichen Weg nach Theresienstadt mussten sie zu Fuß zurücklegen. Sigmund Dormitzer erholte sich von den Strapazen und dem Schock der Ankunft nicht mehr und starb im Dezember 1943 an einem Hungerödem. Else Dormitzer erkrankte schwer, fasste jedoch allmählich wieder Lebensmut, als ihre Schwester aus Westerbork in Theresienstadt eintraf. Sie engagierte sich im Kulturprogramm des ‚Orientierungsdienstes‘ und hielt Vorträge in Krankenhäusern, ‚Marodenzimmern‘ und Altersquartieren. Insgesamt 275 Mal sprach sie zu Themen wie „Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen“ und über Reisen, Literatur sowie jüdische Kultur. Außerdem war sie im Hausdienst, bei der Beaufsichtigung der Brotablieferung, als Kartoffelschälerin, Kohlenwagenschieberin, Bibliothekarin, Postzensorin und Postbeamtin tätig. Im Postamt arbeitet sie als eine von 26 ‚Beamten‘ von Oktober 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945. Am 7. Juni 1945 wurde sie von Theresienstadt aus über Karlsbad nach Westböhmen gebracht. Am 18. Juni setzte sie die Reise über Nürnberg nach Bamberg fort, von dort aus gelangte sie über Frankfurt und über Aachen nach Maastricht, wo sie schließlich am 21. Juni 1945 ankam. Die jüdischen Emigranten kamen zunächst in ein Quarantänelager, das vom holländischen Militär bewacht wurde, später in das Internierungslager Kloster Lynbroek. Erst am 11. Juli 1945 konnten Else Dormitzer und ihre Schwester das Lager verlassen, nachdem die Tochter und der Schwiegersohn in London interveniert hatten. Sie lebte bis zu ihrem Tod in Hilversum.

Quellen:

  • Alfers, Sandra: weiter schreiben. Leben und Lyrik der Else Dormitzer. Berlin 2015.
  • Benz, Wolfgang: „Station auf dem Weg zur Vernichtung. Unaufhaltbarer Niedergang: Das Honoratioren-Ehepaar Sigmund und Else Dormitzer“. In: Theresienstadt. Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung. München 2013, S. 96-101.


Werkgeschichte

Die Gedichte wurden in den Jahren 1943 bis 1945 im Getto Theresienstadt geschrieben, nachdem Else Dormitzer von Holland dorthin deportiert worden war. Nach der Befreiung wurden die Gedichte in einer nummerierten Auflage von 500 Exemplaren gedruckt, der annotierte Band trägt die Nummer 463. Die Exemplare 1 bis 50 erschienen als Vorzugsausgabe gebunden und mit Handzeichnung der Verfasserin versehen. 2015 wurden die Gedichte zusammen mit einer ausführlichen Biografie Else Dormitzers sowie einigen weiteren Dokumenten von Sandra Alfers erstmals in Deutschland veröffentlicht.

Quellen:

  • Alfers, Sandra: weiter schreiben. Leben und Lyrik der Else Dormitzer. Berlin 2015.
  • Dormitzer, Else: Theresienstädter Bilder. Amsterdam 1945, S. 23.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger