Dormitzer, Else (1877-1958)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Name Dormitzer, Else

Geschlecht weiblich
Geburtsdatum 17. November 1877
Geburtsort Nürnberg
Sterbedatum 3. Juni 1958
Sterbeort London
Tätigkeit Schriftstellerin
Externe Referenzen Deutsche Nationalbibliothek Virtual International Authority File Deutsche Biographie Wikidata

Biografie

Else Dormitzer (geb. am 17.11.1877 in Nürnberg, gest. am 03.06.1958 in London) lebte vor dem Krieg viele Jahre in Nürnberg. Ihr Mann, der Geheime Justizrat Dr. Sigmund Dormitzer, war dort ein angesehener Rechtsanwalt. Zehn Jahre lang war er Vorsitzender des örtlichen Anwaltsvereins, anschließend Vizepräsident der Anwaltskammer. Else Dormitzer engagierte sich seit 1922 in der jüdischen Nürnberger Kultusverwaltung und war die erste Frau in dieser Funktion im Deutschen Reich. Im Nürnberger Jüdischen Kulturbund gehörte sie dem Vorstand an und hatte auch im „Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ Funktionen.

Das Ehepaar Dormitzer hatte zwei Töchter. Die Ältere wanderte mit ihrer Familie rechtzeitig nach Großbritannien aus. Die Jüngere konnte als Juristin in Deutschland nicht arbeiten und ging im Oktober 1933 nach Prag. 1937 emigrierte sie in die Niederlande, wo sie mit ihrem Mann in Hilversum die deutsche Besatzung überlebte. Während der Pogrome am 9. November 1938 wurden die Dormitzers in ihrem Haus zweimal überfallen, die Möbel wurden zertrümmert und die Wohnung verwüstet. Sigmund Dormitzer wurde misshandelt und blutend auf die Straße gejagt. Schließlich wurden sie zum Verkauf ihres Hauses gezwungen. Die Töchter besorgten die nötigen Papiere zur Einreise in die Niederlande und nach Großbritannien, Verwandte aus den USA sendeten ein Affidavit, die Voraussetzung für ein Visum und die Aufenthaltserlaubnis in den USA. Am 1. März 1939 reiste das Ehepaar nach Holland ab, lebte dann eine Weile bei ihrer älteren Tochter in Großbritannien und zog schließlich nach Hilversum in Holland. Hier wurde Sigmund Dormitzer beim Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande im Frühjahr 1940 interniert. Dank eines ärztlichen Attests kam er jedoch bald wieder frei. Auf Weisung der deutschen Besatzungsbehörden mussten die Dormitzers nach Amsterdam ziehen. Am 20. April 1943 bekamen sie als Privileg für verdienstvolle deutsche und niederländische Juden bei einer Vorladung von der Gestapo das Angebot, nach Theresienstadt zu gehen. Wer davon keinen Gebrauch mache, käme nach Polen, hieß es. Die Dormitzers reisten am nächsten Tag ab. Am 22. April 1943 traf der Zug mit dem ersten Transport von Holland nach Theresienstadt in Bauschowitz ein. Den restlichen Weg nach Theresienstadt mussten sie zu Fuß zurücklegen. Sigmund Dormitzer erholte sich von den Strapazen und dem Schock der Ankunft nicht mehr und starb im Dezember 1943 an einem Hungerödem. Else Dormitzer erkrankte schwer, fasste jedoch allmählich wieder Lebensmut, als ihre Schwester aus Westerbork in Theresienstadt eintraf. Sie engagierte sich im Kulturprogramm des ‚Orientierungsdienstes‘ und hielt Vorträge in Krankenhäusern, ‚Marodenzimmern‘ und Altersquartieren. Insgesamt 275 Mal sprach sie zu Themen wie „Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen“ und über Reisen, Literatur sowie jüdische Kultur. Außerdem war sie im Hausdienst, bei der Beaufsichtigung der Brotablieferung, als Kartoffelschälerin, Kohlenwagenschieberin, Bibliothekarin, Postzensorin und Postbeamtin tätig. Im Postamt arbeitet sie als eine von 26 ‚Beamten‘ von Oktober 1944 bis zur Befreiung im Mai 1945. Am 7. Juni 1945 wurde sie von Theresienstadt aus über Karlsbad nach Westböhmen gebracht. Am 18. Juni setzte sie die Reise über Nürnberg nach Bamberg fort, von dort aus gelangte sie über Frankfurt und über Aachen nach Maastricht, wo sie schließlich am 21. Juni 1945 ankam. Die jüdischen Emigranten kamen zunächst in ein Quarantänelager, das vom holländischen Militär bewacht wurde, später in das Internierungslager Kloster Lynbroek. Erst am 11. Juli 1945 konnten Else Dormitzer und ihre Schwester das Lager verlassen, nachdem die Tochter und der Schwiegersohn in London interveniert hatten. Sie lebte bis zu ihrem Tod in Hilversum.

Quellen:

  • Alfers, Sandra: weiter schreiben. Leben und Lyrik der Else Dormitzer. Berlin 2015.
  • Benz, Wolfgang: „Station auf dem Weg zur Vernichtung. Unaufhaltbarer Niedergang: Das Honoratioren-Ehepaar Sigmund und Else Dormitzer“. In: Theresienstadt. Eine Geschichte von Täuschung und Vernichtung. München 2013, S. 96-101.