Theresienstadt (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Theresienstadt
Autor Spies, Gerty (1897-1997)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1947, München
Titel Theresienstadt
Untertitel Gedichte von Gerty Spies

Erscheinungsort München
Erscheinungsjahr 1947

Verlegt von Freitag-Verlag
Gedruckt von Süddeutscher Verlag
Publiziert von Spies, Gerty (1897-1997)

Illustriert von Nückel, O.

Umfang 54 Seiten
Abbildungen 4 Bilder von O. Nückel
Lizenz US-E 148

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

In ihren Gedichten verarbeitet Gerty Spies ihre Erlebnisse in Theresienstadt dichterisch, um sich so „innerlich vom furchtbaren Druck der äußeren Umstände zu befreien“ (o.S.), wie aus dem kurzen Vorwort hervorgeht. Ihre Gabe, das Erlebnis dichterisch umgestalten zu können, sei ihr angesichts des Todes zur Rettung geworden, da sie der Überzeugung ist, „daß sie ohne diese Gnade die Zeit nicht überlebt hätte“ (ebd.).

Die Gedichte, die in Länge und Form variieren, handeln von der traumatischen Erfahrung des Gettos und von den Bemühungen, angesichts des Grauens durch Erinnerungen etwas Heiles in sich zu bewahren: „Vorüber! Geh vorüber an dem Grauen! / Blick in dein Herz, was du gerettet hast. / Vielleicht gelingt’s, wenn du dich selbst erfaßt, / Dir einen neuen Tempel aufzubauen“ (S. 7). Nicht alle Gedichte tragen Überschriften und sie folgen auch thematisch keiner bestimmten Ordnung. In den atmosphärisch dichten und anspruchsvollen Versen werden sowohl seelische Vorgänge, Gedanken und Gefühle, als auch das „Alltags-Einerlei“ (S. 48) geschildert, wie etwa die Situation nachts in den Baracken, die Arbeit als Heizerin bei der Glimmerverarbeitung oder der Hunger, der durch das kärgliche Mittagessen nicht zu stillen ist: „Klein sind die Schalen, doch zu groß. – / Am Wege betteln graue Schemen: / „Sag, wirst Du selbst die Suppe nehmen?“ / Ich geh‘ vorbei und nicke bloß. // Ich nehme sie! Warum denn nicht? – / Sie ist so wasserdünn und erbärmlich / Ist auch das magre Hauptgericht!“ (S. 14)

Der Hunger erscheint in einem weiteren Gedicht als Personifizierung: „Der Hunger war nicht tot zu siegen, / Nein! – Lachend kommt er hochgestiegen / Und triumphiert und bohrt sich fest!“ (S. 15) Auch Krankheiten, denen die geschwächten Häftlinge erliegen, erhalten eine Gestalt: „Nun ließ er [der Hunger] der Seuche den freien Paß, / Die stürzte sich gleich auf die Jungen. / Nach langer Verbannung, wie wohl tat ihr das! / Was gestern noch blühte, lag heute schon blaß. / Der Schachzug war ihm gelungen“ (S. 23).

Ebenso finden sich sehnsüchtige Erinnerungen an die Heimat und Beschreibungen des Lagergeländes. Einige Gedichte sind mit zeitlichen Angaben betitelt, wie etwa das Gedicht „Winter 1943/44“, in dem die Situation im Lager zu diesem Zeitpunkt atmosphärisch beschrieben wird: „Da stöhnen die Kranken, da keifen die Alten, / Da stampfen die Stiefel durch wäss’rigen Kot. / Da läßt sich vor Kälte der Löffel nicht halten, / Da packt uns das Fieber! – Da streift uns – der Tod –“ (S. 29). Im Gedicht „Herbst 1944“ spricht – ebenso wie in einigen anderen Gedichten – ein lyrisches Ich: „Ich schlepp‘ mich zur Arbeit, ich schlepp‘ mich nach Haus / Von einer Baracke zur andern. / Der Krieg, ja, der Krieg ist noch immer nicht aus. / Das Elend zieht mir die Seele aus, / Und die Jahre, sie wandern“ (S. 36). In dem Gedicht „Frühling 1945“ kündigt sich die nahende Befreiung an: „Es duftet die Erde, der Frühling ist da. / Zugvögel verkünden: Der Friede ist nah!“ (S. 50). Doch nach drei Jahren Gefangenschaft ist das Herz des lyrischen Ichs dumpf und ohne Verlangen: „Mein Sehnen, mein Hoffen, nach Freiheit mein Schrei – / Ist alles verklungen, ist alles vorbei“ (ebd.).

Das letzte Gedicht trägt den Titel „Nachruf“ und richtet sich an all die vielen Häftlinge, die nicht zurückgekehrt sind, „[a]us deren stumm-beredten Niemandsgräbern / Statt Blumen ewige Flammen schlagen müßten, / Damit die Welt der Schandtat nicht vergißt, / Die man an euch verübt, ihr alle, alle“ (S. 52). Es ist kein Aufruf zur Rache, sondern dazu, sich anzusehen, was Menschen anderen Menschen angetan haben, und eine Bitte, am Frieden mitzuwirken: „Helft mir vom Aug‘ des Wahnsinns Schleier lösen – / Gebraucht das Wort: Schafft Gutes aus dem Bösen! / Der Brüder Blut ist nicht umsonst geflossen, / Hat es des Völkerfrühlings Feld begossen“ (S. 54).

Den Gedichten sind vier Bilder von O. Nückel beigefügt, die die Gedichte inhaltlich unterstützen, darunter auch eine Karikatur. Die Gedichte sind Spies‘ Mutter Charlotte Gumprich gewidmet.


Biografie

Gerty Spies (geb. 13.01.1897 in Trier, gest. 10.10.1997 in München) wurde unter dem Namen Gertrud Gumprich als Tochter des jüdischen Kaufmanns und Mundartdichters Sigmund Gumprich geboren. Sie besuchte die Köngliche Höhere Mädchenschule in Trier und legte am Fröbelseminar in Frankfurt am Main das Examen als Hortnerin ab. Ihr Bruder fiel 1918 im Ersten Weltkrieg, diese Erfahrung verarbeitete sie in „Bittere Jugend“ literarisch. Ab 1929 lebte sie in München, von wo sie im Sommer 1942 von der Gestapo in das Getto Theresienstadt verschleppt wurde. Hier wurde sie bis zur Befreiung durch die sowjetischen Truppen festgehalten.

1920 heiratet Gerty Spies einen Chemiker christlichen Glaubens. Ein Jahr später wurde die Tochter Ruth geboren. Aus der autobiografischen Erzählung „Selektion“ in ihrem Buch „Drei Jahre Theresienstadt“ geht hervor, dass ein weiteres Kind, der Sohn Wolfgang mit einer Behinderung zur Welt kam. 1927 ließ sie sich scheiden und zog nach München. Nachdem sie zunächst Zwangsarbeit in einem Münchner Verlag leisten musste, wurde sie im Juli 1941 nach Theresienstadt deportiert. Hier muss sie in einer Glimmerspalterei Schwerstarbeit leisten. Nach Kriegsende kehrte Gerty Spies nach München zurück. Hier arbeitete sie im bayrischen Hilfswerk und kümmerte sich um Überlebende. 1947 erschien der Gedichtband „Theresienstadt“. 1984 wurde Spies zur Ehrenvorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in München ernannt. 1986 erhielt sie den Schwabinger Kunstpreis für Literatur und 1987 das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1996 verleiht die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz zweijährlich den mit 5000 Euro dotierten „Gerty-Spies-Literaturpreis“ für literarische Arbeiten zu gesellschaftspolitischen Themen.

Quellen:


Werkgeschichte

In „Welt und Wort“ erschien 1947 eine Besprechung der Gedichte. Herbertt Hupka schreibt darin: „Gerty Spies war keine Dichterin, ihre Begabung bereits gewiß, als sie nach Theresienstadt deportiert wurde, sondern sie entdeckte sich selbst, als sie allein durch die Umgestaltung der teuflischen Wirklichkeit im dichterischen Wort dem täglich drohenden Untergang zu widerstreben vermochte“ (Welt und Wort 1947, S. 270). Das Grausame sei, so fährt er fort, in eine klare und sichere Sprache gefügt, die Form sei weder gekünstelt noch unangemessen. Ob Gerty Spies jedoch auch über die Bewältigung der Gefangenschaft hinaus zukünftig noch dichten werde, könne bezweifelt werden. Hupka kritisiert die „wenig ansprechende Aufmachung“ (ebd.), auch die vier Zeichnungen von Otto Nückel seien enttäuschend.

Quelle:

  • Hupka, Herbert: „o.T.“. In: Welt und Wort (1947), Nr. 2, H. 9, S. 270.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger