Vier Millionen Tote klagen an (1948)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Vier Millionen Tote klagen an
Autor Martini, Emil de (1902-1969)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1948, München
Titel Vier Millionen Tote klagen an

Erscheinungsort München
Erscheinungsjahr 1948
Auflage 1.-5. Tausend

Verlegt von Hans von Weber Verlag
Gedruckt von E.C. Baumann KG
Publiziert von Martini, Emil de (1902-1969)

Umfang 75 Seiten
Abbildungen 1 Karte, 2 Lagerskizzen, 1 Buntdrucktafel, 10 Fotos - Originalaufnahmen aus dem Archiv des KZ - Museums in Oswiecim (Auschwitz)
Lizenz Military Government Information Control License Nr. US-E-150

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Emil de Martini berichtet von seiner dreijährigen Haftzeit von 1940 bis 1943 als politischer Schutzhäftling in Auschwitz. Überwiegend in der Vergangenheitsform und chronologisch schildert der Journalist in zehn Kapiteln seine eigenen Erlebnisse, liefert aber auch allgemeine Daten und Fakten zum Konzentrationslager Auschwitz sowie zum alltäglichen Überlebenskampf der Häftlinge. Er möchte, wie er im Vorwort vom August 1945 betont, der „Dolmetsch[er] aller ehemaligen politischen Häftlinge in den verschiedenen KZ“ (S. 7) sein. Das Geschilderte unterstützt und belegt er durch Fotos und Skizzen.

Der Bericht beginnt mit de Martinis Haftzeit im Krakauer Polizeigefängnis ‚Montelupich‘. Von dort wird er am 19. Juli 1940 als politischer Häftling nach Auschwitz deportiert und erhält die Häftlingsnummer 1402. Das Lager Auschwitz befindet sich 1940 noch im Aufbau, de Martini und seine Mithäftlinge müssen nach und nach das Lager ausbauen, um Platz für die stetig ankommenden neuen Transporte zu schaffen. Schnell etabliert sich eine Lagerhierarchie, die de Martini ausführlich erklärt. Vor allem zwischen den politischen und ‚asozialen‘ Häftlingen stellt er deutliche Unterschiede fest. Die als ‚Asoziale‘ klassifizierten Berufsverbrecher zählen zur Lagerprominenz und füllen häufig Kapofunktionen aus. De Martini schildert ihre Brutalität und Willkür, die nach seiner Einschätzung oft noch die der Lager-SS übertrifft. Die politischen Häftlinge beurteilt er dagegen als besonders aktiv im „Gemeinschaftsgeist“ (S. 21) und in „kameradschaftlicher Zusammenarbeit“ (ebd.).

De Martini ist es wichtig, möglichst genau zu beschreiben, was er sieht und erlebt. Bereits die Kapitelüberschriften enthalten jeweils mehrere kurze, den Inhalt beschreibende Schlagzeilen: „150 Schwerkranke werden vergast - 10 000 russische Kriegsgefangene kommen ins Lager - Frauen-KZ. Birkenau“ (S. 8). Auch vom Aufbau und der Ausstattung der Haftstätten möchte er dem Leser ein möglichst konkretes Bild vermitteln, indem er etwa die Einrichtung seiner Gefängniszelle beschreibt: „Das gesamte Mobiliar der Zelle bestand aus einem an der Wand festgeschraubten Tischchen und zwei, ebenfalls an der Wand befestigten, herabklappbaren Eisenbettstellen mit Strohsackeinlage“ (S. 9). Ausführlich geht der Autor auf die zahlreichen Foltermethoden und medizinischen Experimente im Lager ein, beispielsweise mit Fleckfieber. Appell stehen bei glühender Hitze oder bitterer Kälte kostet zahlreiche Häftlinge das Leben. Besonders gefürchtet bei den Häftlingen sind der Stehbunker und der Pfahl. De Martini muss beides über sich ergehen lassen und trägt als Folge von zehn Tagen Stehbunker Lähmungen in den Beinen davon. Um den Leser nah an das Geschilderte heranzubringen und ein möglichst authentisches Bild der Sprache im Lager zu vermitteln, verwendet er sehr oft die direkte Rede. Auch Ausrufezeichen finden sich sehr gehäuft. Bewusst wechselt er zudem an einigen Stellen in das Präsens, um eine Unmittelbarkeit des Berichteten herzustellen und Spannung zu erzeugen. „Im gleichen Moment rast auch schon der Lagerälteste Leo brüllend durch unseren Block, alle von der Lagerstätte aufjagend und mit Schlägen ins Freie treibend“ (S. 18.).

Ausführlich widmet er sich der Beschreibung der jüdischen Häftlingen, die ab dem Herbst/Winter 1940 in täglich neuen Transporten ankommen. Sie werden noch schlechter verpflegt als die übrigen Häftlinge und ihre Behandlung ist weitaus brutaler. Immer wieder sind sie grausamen Hinrichtungen ausgesetzt; im Juni 1941 beginnen die ersten Tötungen durch Vergasungen. Als besonders perfide empfindet de Martini, dass ihnen mehrfach ein halber Liter Blut entnommen wird, um es für die schwer verletzten deutschen Frontsoldaten verwenden zu können. „Diese einwandfreien Tatsachen müßten heute jedem Antisemiten die Augen öffnen und ihn zu einer Revision seiner Denkungsart veranlassen“ (S. 51). Tief betroffen macht de Martini auch das Eintreffen der Frauen aus Ravensbrück sowie die „Grausamkeit und Herzlosigkeit“ (S. 48) mit der sie behandelt werden, bevor sie zur Vernichtung nach Auschwitz-Birkenau überstellt werden.

Im Januar 1943 wird er unter der Auflage „strengstes Stillschweigen“ (S. 66) über die Organisation, den Aufbau und die Vorgänge im Lager zu bewahren, aus Auschwitz entlassen. Er wird zur Wehrmacht eingezogen, kann jedoch aufgrund seiner körperlichen Gebrechen durch die Haft bis Kriegsende im Heimatgebiet bleiben. Über den Briefwechsel mit ihm verbliebenen Kameraden erhält er dennoch Informationen über die Zerstörungen der zum Lager gehörenden Rüstungsbetriebe und die Todesmärsche beim Nahen der Sowjetischen Armee.

Er schließt seine Erinnerungen mit den Namen der wichtigsten Verantwortlichen innerhalb der SS im Lager Auschwitz sowie einigen Zitaten führender Nationalsozialisten, zum Beweis, dass niemand sich vor den furchtbaren Konsequenzen drücken könne, die diese Todeslager für Deutschland hätten. Denn: „Es gibt heute nichts Beschämenderes für einen Deutschen als immer wieder zu behaupten, von all diesen Greueln nichts geahnt zu haben. [...] Es wußte auch jeder einzelne Deutsche, Jung wie Alt, Mann wie Frau, um die Existenz der Konzentrationslager“ (S. 69).

Dem Text ist ein Geleitwort von Dr. Philipp Auerbach vorangestellt. Er war Staatskommissar im Bayerischen Innenministerium und selbst Häftling in Auschwitz mit der Nr. 188 869.


Biografie

Emil de Martini (geb. 13.03.1902 in Johann-Georgenstadt, gest. 20.04.1969 in Nürnberg) war nach Abschluss seiner Studien an einer Gewerbeschule als Journalist und Redakteur tätig und bis zum Jahre 1933 Mitarbeiter verschiedener Unterhaltungszeitschriften. Er schrieb unter anderem die Romane „Herzensgluten“, „Der alte Fisch“ und „Hochstapler“. Wegen seiner sozialistischen Haltung war er ab 1933 politischen Verfolgungen ausgesetzt und ging ins Ausland. Im Mai 1940 wurde er in Königshütte/Oberschlesien wegen seiner politischen Tätigkeit gegen das Nazi-Regime verhaftet und am 18. Juni 1940 von Krakau nach Auschwitz deportiert. Dort trug er die Häftlingsnummer 1402. Nach schwerster Arbeit in verschiedenen Kommandos kam de Martini im Sommer 1942 als Häftlingsschreiber in den Krankenbau und im selben Jahr gelangte er ins Außenlager Buna Monowitz ZA. Er wurde am 5. Februar 1943 aus Auschwitz nach Oberlohma-Franzensbad entlassen. Nach dem Krieg lebte er ab 1946 als freischaffender Schriftsteller in Nürnberg.

Quellen:

  • De Martini, Emil: Vier Millionen Tote klagen an. München-Obermenzing 1948.
  • „Eintrag zu Emil de Martini“. In: Homepage Der Auschwitz Prozess. Online: http://www.auschwitz-prozess-frankfurt.de/index.php?id=71 (Stand: 19.09.2019).
  • Peitsch, Helmut: Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Edition Sigmar Bohn 1990, S. 466.




Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger