Weltreise nach Dachau (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Weltreise nach Dachau
Autor Kunter, Erich (1898-1982), Wittmann, Max
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1946, Stuttgart
Titel Weltreise nach Dachau. Ein Tatsachenroman nach den Erlebnissen des Weltreisenden und ehemaligen politischen Häftlings

Erscheinungsort Stuttgart
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Kulturaufbau-Verlag
Gedruckt von W. Kohlhammer
Publiziert von Kunter, Erich (1898-1982), Wittmann, Max
Umschlaggestaltung von Gramberg, Annemarie

Umfang 264 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Ausgabe von 1947, Bad Wildbad
Titel Weltreise nach Dachau. Ein Tatsachenroman nach den Erlebnissen des Weltreisenden und ehemaligen politischen Häftlings

Erscheinungsort Bad Wildbad
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 2. Auflage

Verlegt von Edition Pan

Publiziert von Kunter, Erich (1898-1982), Wittmann, Max

Umfang 262 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

In Erich Kunters Roman „Weltreise nach Dachau“, der auf den Erlebnissen Max Wittmanns beruht, erzählt ein Ich-Erzähler im Stil eines Abenteuerromans von seinen Reisen seit 1925 durch die halbe Welt. Die Liebe zu einem Mädchen auf Tahiti führt ihn Ende der dreißiger Jahre kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs zurück nach Europa, um die notwendigen Formalitäten für die geplante Heirat zu organisieren. Er wird nach Deutschland abgeschoben, flieht von dort 1940 aber, um der Einberufung zur Wehrmacht zu entgehen. Er wird verhaftet, der Gestapo übergeben und in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert.

Nach der Erzählung seiner Weltreise wendet sich der Erzähler in der zweiten Hälfte des Buches der Schilderung seiner Zeit in deutschen Gefängnissen und Konzentrationslagern ab 1940 zu. Zunächst sitzt er zehn Monate im Polizeigefängnis Graz ein, wo er zahllose Verhöre und Folter über sich ergehen lassen muss. Im August 1941 wird er schließlich in das Konzentrationslager Flossenbürg verbracht, das er als den „schrecklichsten Ort der Erde“ (S. 157) bezeichnet. Gerade die ersten Tage sind durch brutale Gewalt gekennzeichnet, die ihm die fundamental neue Situation drastisch vor Augen führt: „Mein Instinkt sagte mir, daß ich jetzt alle Kräfte zusammennehmen müsse, um zu bestehen. Alles Vergangene mußte ich hinter mir lassen“ (S. 163). Neben der Brutalität der SS hebt der Erzähler die der Funktionshäftlinge, vor allem der ‚Berufsverbrecher‘ und ‚Asozialen‘, die von der SS „zu Bluthunden erzogen“ (S. 161) worden seien, hervor. Die erlebte Gewalt setzt sich während der gesamten Haft fort: Der Erzähler muss Zwangsarbeit im Steinbruch leisten und dabei fortwährend Schikanen und Schläge über sich ergehen lassen.

Mitunter kommen im Buch erzählte Zeit und Erzählzeit fast in Deckung, vor allem wenn der Erzähler von besonders einschneidenden Erlebnissen berichtet wie einem Strafappell, der über eine ganze Nacht und einen Tag hindurch andauert. Die Erzählhaltung wechselt hier häufig von der Ich- in eine kollektive Perspektive: „Wir standen da? Waren wir das? Was war es, was uns hielt? Wir hatten keine Gedanken und Gefühle mehr; wir spürten nicht mehr, daß wir Menschen aus Fleisch und Blut waren“ (S. 168).

Die pausenlose Kette brutaler Gewalt dominiert die Schilderung der Lagerzeit. Die Dimension der brutalen Verbrechen sieht der Erzähler jenseits der Vorstellungskraft. Eindringlich versucht er, diese in direkter Leseransprache dennoch verständlich zu machen: „Stell dir zehn Menschen nebeneinander vor, die so elend umkommen! Versetze dich in ihre Lage: sie hatten einmal ein Heim, ein bescheidenes, normales Leben. Dann eines Nachts Pochen, Lärm. Verhaftung. Hinaus in Nacht und Dunkel. Und dann der endlose Weg der Leiden und das Ende: eine Leiche unter einem Berg von Leichen. Männer, Frauen, Kinder untereinander. Stelle dir so eine Reihe von zweihundert Menschen vor, die auf diese Weise sinn- und erbarmungslos ins Elend kommen und hingemordet werden! Alles Menschen aus Fleisch und Blut, die nichts wollten, als ihr bescheidenes kleines Dasein leben“ (S. 173f.). Was dem unbeteiligten Leser nur schwer zu vermitteln ist, wird für die Häftlinge zum normalen Alltag. „Im Lager nichts Neues, nichts von Bedeutung“ (S. 191), kommentiert der Erzähler den Anblick eines auf der Flucht erschossenen Häftlings lakonisch.

Im Winter 1943 wird der Erzähler von Flossenbürg in das Lager Allach, einem Außenlager Dachaus, verlegt, wo er durch seine Position als stellvertretender Küchenkapo unter deutlich besseren Umständen lebt. Nach weiteren Stationen in kleinen Außenkommandos gerät der Erzähler schließlich ins KZ Dachau, wo er in der Kriegsendphase katastrophale Verhältnisse vorfindet: „In Nacht und Hölle geworfen. Grauen umfing mich. Es roch nach Leichen und Verwesung. Die Luft war geladen mit Giftstoffen und Krankheitskeimen. Man spürte in allen Nerven, daß hier Grauenhaftes vor sich ging. Wie Todeshauch wehte es durchs Lager. Ich schauerte zusammen, als habe mich die Schwinge des Todesengels berührt“ (S. 228). Von der Endphase zeichnet der Erzähler in bildreicher Sprache ein apokalyptisches Bild des Todes. Der Erzählstil unterscheidet sich im zweiten Teil des Buches, insbesondere in der Schilderung des Endes, vom ersten Teil. Der lockere, mitunter trivial-kitschige Ton eines Erzählers eines Abenteuerromans weicht hier einem um Worte ringenden, sehr bildreichem Erzählen grauenhafter Szenerien.

Angehängt ist ein Brief Erich Kunters an Max Wittmann. Hier schildert Kunter kurz eigene Erfahrungen in den Konzentrationslagern Heuberg und Kuhberg.


Biografie

Erich Kunter (geb. 29.01.1898 in Wuppertal-Barmen, gest. 13.02.1982 in Freiburg) war Sohn des Buchdruckers und Steindruckereileiters Hugo Kunter. Durch den häufigen Wohnortswechsel der Familie besuchte er verschiedene Realschulen in Leipzig, Hannover, Magdeburg und zuletzt in Heilbronn. Dort schloss er 1916 die Oberrealschule ab und absolvierte eine Buchhändlerlehre. Danach war er freier Schriftsteller in Heilbronn und von 1924 bis 1933 Verleger und Herausgeber der Zeitschriften „Weg und Wende“ sowie „Die Arche“. Im August 1928 heiratete er Maria Brunner, aus der Ehe gingen vier Kinder hervor.

Kunter trat 1930 der KPD bei und gehörte seit 1929 dem Schutzverband deutscher Schriftsteller an. Von Juni 1933 bis zur Auflösung des Lagers im Dezember war er im wüttembergischen Konzentrationslager Heuberg inhaftiert, anschließend bis Juli 1934 im KZ Oberer Kuhberg. Nach der Haft lebte er ab 1937/1938 in Stuttgart und von 1939 bis 1943 in Geringen bei Stuttgart. Er wurde Mitglied der Reichsschrifttumskammer und schrieb unpolitische Romane und Zeitungsbeiträge, unter anderem für die „Magdeburger Zeitung“ und die „Württembergische Landeszeitung“. Zugleich aber engagierte sich auch im Widerstand; Kunter verhalf unter anderen Juden zur Flucht in die Tschechoslowakei.

Nach der Befreiung wurde Kunter erster kommissarischer Bürgermeister Gerlingens und in Stuttgart Mitglied des Landesausschusses der Antifaschistischen. Ab 1946 war Kunter Kulturreferent des Landrats in Ludwigsburg sowie Leiter des Kreiskulturamts. Er kandidierte für die KPD für den Kreistag. 1961 ging er in den Ruhestand. Die Jahre 1962 bis 1970 verbrachte er in Sulzbach am Kocher, von 1979 bis zu seinem Tod war er in Nürtingen-Roßdorf beheimatet. Am 13. Februar 1982 starb er in Freiburg.

Quellen:

  • „Akte der Reichskulturkammer zu Erich Kunter“. In: BArch Berlin (ehem. BDC), R 9361/V/7457.
  • „Landesamt für die Wiedergutmachung Baden-Württemberg an den Internationalen Suchdienst, betr.: Entschädigungssache Kunter, Erich, 2.7.1969“, 6.3.3.3/82901863/ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • o.A.: „Erich Kunter“. Online: http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Kunter (Stand: 18.09.2019).


Biografie

Werkgeschichte

Laut Vorwort von Max Wittmann wurde das Buch von August bis Oktober 1945 geschrieben. Es schildere Tatsachen, aber er habe seinem Mitautor Erich Kunter die Freiheit gegeben, die Personen und Handlung so zu gestalten und aus seiner eigenen Phantasie auszumalen, wie dieser es für richtig halte. „Dies ist so geschehen“, betont Wittmann aber, „daß es wohl da und dort an der photographischen Genauigkeit mangelt, nie aber an der Wahrhaftigkeit“ (Kunter 1946, S. 5). In einem im Anhang abgedruckten Brief Kunters an Wittmann schreibt er, dass er dessen Erlebnisse um eigene in den Konzentrationslagern Heuberg und Kuhberg ergänzt habe.

Im Klappentext preist der Verlag das Buch als ein Werk an, „das in seiner schlicht erzählenden Sprache zugleich ein anspruchsvoller und doch gehaltvoller, aktueller Entwicklungsroman ist, [der] in seinem zweiten Teil in einen erschütternd spannenden Wahrheitsbericht über die verschiedensten Konzentrationslager und die Zustände und Schicksale in ihnen“ (ebd., o.S.) münde.

Innerhalb kurzer Zeit erlebte das Buch eine zweite Auflage. Ende 1947 bemühte sich Max Wittmann vergeblich, den Rainer Wunderlich Verlag für eine dritte Auflage zu interessieren. Dieser lehnte ab, da er grundsätzlich keine Bücher übernehme, die bereits andernorts erschienen seien (Schreiben des Rainer Wunderlich Verlags an Max Wittmann, 17.11.1947, Stadtarchiv Reutlingen, Nachlass Hermann Lens/Rainer Wunderlich Verlag Nr. 960, Aktenzeichen 486). Wolfgang Borchert verurteilte das Buch 1947 in einer Sammelrezension zu Neuerscheinungen der KZ-Literatur als den „tiefsten und finstersten Punkt der bis jetzt geschriebenen KZ-Literatur“ (zitiert nach Bochert 2013, S. 500) und schreibt weiter: „Und daß er gleich zwei Autoren hat, macht ihn nicht besser. Dieses Buch ist in seiner plump-naiven Geschmacklosigkeit gefährlich für den Leser und gefährlich für den, der sich mit Ehrlichkeit und Anstand bemüht, etwas Entscheidendes über diese Erlebnisse zu sagen“ (ebd.). Besonderes Augenmerk richtet Borchert auch auf die Gestaltung des Buches, mit dessen Cover die „Geschmacklosigkeit und damit die Gefahr für das Publikum“ (ebd.) bereits beginne. Anschließend geht er auf den Inhalt ein und kommt zu einem vernichtenden Urteil: „So wie der Umschlag ist auch der Inhalt. Ein junger Weltenbummler, ausgerechnet aus Thüringen, globetrottet über Land und Meer, bis er endlich nach abenteuerlichen, Karl May-geschwängerten Szenen im Dschungel, in Tahiti landet und hier dem Traum seines Lebens, der Frau Tete, begegnet. Diese Liebesgeschichte, und noch zwei vorangehende Liebeserlebnisse, sind in ihrer Gestaltung derart oberflächlich und primitiv, daß man den Eindruck gewinnt, es handle sich bei diesem ‚Entwicklungsroman‘ um eine billige Schundliteratur für die reifere Jugend“ (ebd., S. 500f.). Die im Konzentrationslager angesiedelte Handlung tut Borchert mit einem Satz ab, ohne darauf näher einzugehen.

Quellen:

  • Borchert, Wolfgang: „Kartoffelpuffer, Gott und Stacheldraht. KZ-Literatur“. In: Ders.: Das Gesamtwerk. Hg. von Michael Töteberg unter Mitarbeit von Irmgard Schindler. Reinbek 2013, S. 497-504.
  • Kunter, Erich: Weltreise nach Dachau. Ein Tatsachenbericht nach den Erlebnissen des Weltreisenden und ehemaligen politischen Häftlings Max Wittmann. Stuttgart 1946.
  • Stadtarchiv Reutlingen, Nachlass Hermann Lens/Rainer Wunderlich Verlag Nr. 960, Aktenzeichen 486.



Bearbeitet von: Markus Roth