Zebra (1946)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Zebra
Autor Walleitner, Hugo (1909-1982)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1946
Titel Zebra
Untertitel Ein Tatsachenbericht aus dem Konzentrationslager Flossenbürg

Erscheinungsort
Erscheinungsjahr 1946

Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Salzburger Druckerei und Verlag
Publiziert von Walleitner, Hugo (1909-1982)
Umschlaggestaltung von Walleitner, Hugo (1909-1982)
Illustriert von Walleitner, Hugo (1909-1982)

Umfang 191 Seiten
Abbildungen 34 Zeichnungen von Hugo Walleitner
Lizenz Verlegt auf Grund Genehmigung Nr. S 20 des Information Service Branch

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Hugo Walleitner schildert in seinem Bericht seine dreijährige Haftzeit im KZ Flossenbürg von Februar 1942 bis zu seiner Flucht aus dem Lager im Mai 1945. Er beschreibt neben den Gewaltexzessen auch den Alltag im Lager, den er als vergleichsweise privilegierter Häftling in der KZ-Malerei erlebt. Zwar ist Walleitners Homosexualität der Grund für seine Haft und er berichtet auch offen von Sexualität zwischen Männern im Lager, er selbst beschreibt sich aber in seinem Buch als politischer Häftling.

Walleitner gewährt keinen Blick in sein Leben vor der Verhaftung in Wien, stattdessen spannt er in seinem Text einen erzählerischen Bogen, indem er mit der Beschreibung der malerischen Landschaft um die Ortschaft Flossenbürg beginnt und nach seiner geglückten Flucht mit seiner Heimat in Österreich endet. Im Zentrum steht seine mehr als dreijährige KZ-Haft: Er schildert die Entrüstung über das Aufnahmeprozedere und die unnötige Gewalt, die Boshaftigkeit und Willkür der SS-Männer bei „Lustmordaktion[en]“ (S. 135) sowie die Zwangsarbeit im Steinbruch. Er thematisiert ebenfalls die Erschießungen von russischen Kriegsgefangenen, den „Massenmord“ (S. 119) im Krematorium, die Verschärfung der Lage nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 sowie die seelische Abstumpfung der Mithäftlinge. Da es ihm gelingt, eine Stelle in der KZ-Malerei zu erhalten, kann er Einblicke in das Lagerleben geben, die anderen Häftlingen verwehrt bleiben. Walleitner hat persönlichen Kontakt zu SS-Männern, für die er Grußkarten malt, und er bemerkt den Reichtum, den manch ein Häftling durch Betrug anhäuft. Auch die für ihn „schöne[n] Stunden“ (S. 141) beschreibt Walleitner, wie etwa die Musikkonzerte im Lager oder die ruhigen Gespräche mit dem befreundeten Häftling Holy.

Bemerkenswert ist die Schilderung einer Geburtstagsfeier eines Capos, der den Spitznamen ‚Salat‘ trägt. Dabei werden große Mengen an Alkohol und Essen konsumiert und es kommt auch zu homosexueller Erotik mit transvestiten Nackttänzern. Walleitner, dessen Homosexualität der Grund für seine Verhaftung ist, distanziert sich davon. Deutlich macht er jedoch, wie häufig sexuelle Handlungen zwischen Häftlingen sind, sogar von „Ehen“ (S. 71) ist die Rede. Walleitner führt diese Form der Beziehungen rein auf die Enge des Lagers und die lange Haftzeit zurück. Die Einrichtung eines Bordells mit zehn Frauen aus dem KZ Ravensbrück schildert er ausführlich, aber unreflektiert, denn er übersieht das Leid der Frauen. Generell thematisiert er in seinem Bericht sexuelle Themen ohne Umschweife.

Im Text finden sich kaum Zeitangaben, was eine Einordnung der Chronologie erschwert. Auffallend ist auch, dass Walleitner nur selten Namen nennt und seinen Bericht nicht nutzt, um an Mithäftlinge zu erinnern oder Täter anzuprangern. Herkunft, Haftgrund oder Funktion sind oft die einzigen Informationen, die er preisgibt – das gilt sowohl für Häftlinge, die ihm helfen oder deren Einzelschicksal er schildert, als auch für SS-Männer, die ihn besonders brutal behandeln. Deutlich grenzt er dabei die politischen Häftlinge positiv von den übrigen ab und fasst sie als kollektives „wir“ (S. 44) zusammen; alle Machtträger – vor allem Kapos – beschreibt er hingegen als gewalttätig, grausam und auf ihren Vorteil bedacht, während die SS-Männer meist als dumm, dreist und brutal dargestellt werden. Walleitner berichtet zudem, wie es den Häftlingen immer wieder gelingt, die SS-Wachmannschaften auszutricksen. Er stilisiert sich selbst als Glückspilz, der mutig, überlegt und mit dem Herzen am rechten Fleck die größten Schwierigkeiten übersteht. Selbst Schläge bringen ihn nicht davon ab, das ‚Richtige‘ zu tun: „Ja, meine Ruhe – wenigstens nach außen hin – hat mir viel, sehr viel geholfen, innerlich hätte ich manchmal mit den Fingernägeln die Wand abkratzen können“ (S. 30). So kann er immer wieder das Lager kurzzeitig verlassen und letztendlich gelingt ihm auch die Flucht während der Lagerauflösung.

Der Text ist grob in Kapitel ohne Überschriften gegliedert, die aber keine thematischen Einheiten bilden. Oft wechselt die Thematik daher innerhalb eines Kapitels, manchmal sogar innerhalb eines Absatzes. Sprachlich bleibt der damals 33-Jährige in seinem Bericht meist ironisch-salopp, selbst dramatische Ereignisse tut er lapidar ab, so heißt es zum Beispiel: „Das ganze war schließlich harmlos, dem einen fehlten bloß zwei Zähne und das rechte Ohrläppchen, für KZ-Verhältnisse eine Lappalie“ (S. 88f.). Teilweise entsteht so der Eindruck eines Abenteuerromans, da das Grauen zwar benannt, aber oftmals nicht emotional geschildert wird. Nur vereinzelt neigt Walleitner zum Pathos, wenn er etwa schreibt: „Flossenbürg – ein Name, von tausenden armer gequälter Menschen verflucht!“ (S. 9) Durch szenische Dialoge, Ausrufezeichen, Leseransprachen, rhetorische Fragen und sogar lautmalerische Comicsprache wie „hatschiii!“ (S. 32) führt Walleitner den Leser näher an die Ereignisse. Er legt in seinem Buch zudem großen Wert auf Lagerstrukturen und Zahlen, so beschreibt er am Anfang seiner Erinnerungen die genauen Maße und den Aufbau des KZ Flossenbürg.

Dem Text vorangestellt ist ein siebenstrophiges Gedicht mit einfachen Paarreimen, das den Buchtitel „Zebra“ erklärt: „Gestreift in Zebra – weiß und blau / viele Jahre verbannt hinter Drahtverhau; / ob schwarz oder grün, violett oder rot / wir lauerten alle auf den gemeinsamen Tod“ (S. 7). Walleitner spielt mit dem Titel zum einen auf die gestreifte Kleidung der Häftlinge an und zum anderen auf die Tatsache, dass die Häftlinge wie Tiere behandelt und in vielen Fällen „geschlachtet“ (ebd.), d.h. ermordet wurden. An dieser Stelle ruft er auch mit drastischen Worten zur Vergeltung der Taten und Bestrafung der Täter auf: „Die Gestaposchergen sie müßten nun jetzt / in Steinbruch und Sümpfen […] an ihren Sünden elendig krepieren“ (ebd.). Als Motivation für sein Schreiben gibt er die „moralische Pflicht“ an, „durch Aufzeichnung dieses Tatsachenberichtes der Mitwelt Kenntnis zu geben von dem Ungeist, der uns beherrschte“ (S. 191). Eine Wiederholung solch einer „Kulturschande“ (ebd.) soll in Zukunft unmöglich sein.

Die 34 Schwarz-Weißen Zeichnungen des Autors werden den beschriebenen Szenen im Text zur Seite gestellt. Sie zeigen die Topographie des Lagers, hauptsächlich aber die Häftlinge und SS-Männer. Das letzte Bild stellt Walleitner nach seiner Befreiung an einem idyllischen See dar. Teilweise wirken die Bilder dabei wie Panel eines Comics.


Biografie

Hugo Walleitner (geb. 16.03.1909 in Österreich, gest. 16.06.1982 in Wien) wurde im März 1941 zu einem Jahr Gefängnis in Wien verurteilt. Nach dem offiziellen Ende seiner Haftzeit wurde er allerdings nicht entlassen, sondern in das Konzentrationslager Flossenbürg überstellt. Dort war er über drei Jahre – vom 9. Februar 1942 bis zum 8. Mai 1945 – inhaftiert und trug die Nummer 1160. Walleitner war in Flossenbürg in seinem erlernten Beruf als Grafiker beziehungsweise Maler in der Schreibstube tätig. Diese Arbeit ermöglichte ihm das Überleben, da er zum einen nicht im Steinbruch des KZs körperliche Schwerstarbeit leisten musste, und zum anderen erhielt er durch Sonderaufträge wie beispielsweise das Zeichnen von Grußkarten für NS-Funktionsträger Sonderrationen. Nach dem Krieg lebte Walleitner in Bad Ischl und gab im Selbstverlag seinen Erinnerungsbericht heraus. Überliefert ist, dass er von Tür zu Tür ging, um sein Buch zu verkaufen; auch in Flossenbürg versuchte er auf diese Weise den Text an die dortigen Bewohner zu bringen. In den folgenden Jahren heiratete Walleitner, zog nach Wien und arbeitete als Schaufensterdekorateur. Die Ehe wurde später geschieden. Dreimal kehrte Walleitner in den folgenden Jahren nach Flossenbürg zurück, unter anderem am 30. Jahrestag der Befreiung 1975. Er setzte sich aktiv mit der Aufarbeitung des Geschehens im Nationalsozialismus auseinander und besuchte weitere Konzentrationslager wie Mauthausen-Ebensee und Dachau. In seinem Erinnerungsbericht charakterisiert sich Walleitner selbst als Teil der politischen Häftlinge. Tatsächlich war jedoch seine Homosexualität der Grund für seine Verhaftung in Wien. Benannt nach dem Gesetzesparagraphen Nr. 175, der gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stellte, wurde Walleitner in den Akten in Flossenbürg mit dem Vermerk ‚Vh 175‘ geführt, wobei ‚Vh‘ für ‚polizeiliche Vorbeugehaft‘ steht. Da Homosexualität bis 1971 in Österreich gesetzlich verboten war, wurden alle von Walleitner gestellten Wiedergutmachungsanträge nach dem Krieg abgelehnt. Die offizielle Anerkennung von Homosexuellen als Opfer des Nationalsozialismus fand in Österreich erst 2005 statt.

Quellen:

  • Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Dokumentennummer 22003 und 23165.
  • Ibel, Johannes: E-Mail vom 25.03.2015 an Christiane Weber.
  • Weingand, Hans-Peter: E-Mail vom 24.03.2015 an Christiane Weber.
  • Weingand, Hans-Peter: „Hugo Walleitner. Ein Einzelschicksal“. In: Pride. Das lesbischschwule Österreichmagazin (2004), Nr. 83, S. 11.


Werkgeschichte

Walleitner publizierte seinen Text 1947 im Selbstverlag und zog von Tür zu Tür, um die Exemplare zu verkaufen; unter anderem auch in Flossenbürg. Ein Schreiben überliefert, dass Walleitner bei einem Besuch in Flossenbürg im Jahr 1975 die „allerletzten Bücher dabei“ gehabt habe und sie 1999 „restlos vergriffen“ gewesen seien (Schreiben Franz Schoettner an Brigitte Bailer-Galanda, 24. Februar 1999, S. 2). Lange Zeit war es der einzige bekannte Bericht eines Flossenbürger Häftlings. Heute werden die Erinnerungen Walleitners vor allem wegen seiner Inhaftierung als Homosexueller in der Forschung und Gedenkstättenarbeit herangezogen, da es kaum Texte dieser Opfergruppe gibt.

Quellen:

  • Schoßig, Bernhard (Hg.): Historisch-politische Bildung und Gedenkstättenarbeit als Aufgabe der Jugendarbeit in Bayern. München 2011, S. 199.
  • „Schreiben Franz Schoettner an Brigitte Bailer-Galanda, 24. Februar 1999“. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Dokumentennummer 23165.
  • Weingand, Hans-Peter: E-Mail vom 21. und 24.03.2015 an Christiane Weber.



Bearbeitet von: Christiane Weber