Zwei Deutsche (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Zwei Deutsche
Autor Baum, Oskar (1883-1941)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Antwerpen
Titel Zwei Deutsche

Erscheinungsort Antwerpen
Erscheinungsjahr 1934

Verlegt von La Bibliothèque
Gedruckt von Delplace, Kock & Co
Publiziert von Baum, Oskar (1883-1941)

Umfang 301 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Im Zentrum des Romans stehen die beiden politisch und charakterlich sehr verschiedenen Freunde aus Kindertagen Rolf und Erhard. An diesen, wie der Titel „Zwei Deutsche“ andeutet, zeigt Oskar Baum die dominanten politischen Strömungen in der von einer allgemein spürbaren Endzeit- und Aufbruchsstimmung geprägten späten Weimarer Republik. Chronologisch und in Vergangenheitsform vermittelt der auktoriale Erzähler die Ereignisse im Leben der beiden Freunde von Mitte 1932 bis Januar 1933. Diese Erzählweise wird jedoch durch die sehr häufige Verwendung der direkten Rede unterbrochen und stellt so an vielen Stellen eine Unmittelbarkeit des Erzählten her. In einer Nachbemerkung zum Roman schreibt Baum in Prag 1934, er habe „[…] vor allem die Stimmung des Jahres 1932, ungetrübt von Parteilichkeit“ (S. 301) betrachten wollen.

Rolf und Erhard stammen beide aus dem ländlichen und abgelegenen fiktiven Ort Hannbruck und studieren nun in Berlin. Während Rolf in wohlhabenden und behüteten Verhältnissen lebt, kommt Erhard aus einer ärmlichen Arbeiterfamilie. Die Freundschaft zu Erhard hat Rolf trotz der Missbilligung seiner Eltern in den Kinderjahren aufrechterhalten. In Berlin gehen die Wege der beiden jedoch auseinander. Erhard schließt sich marxistischen Kreisen an und denkt an eine Auswanderung nach Russland. Er ist der Rationale von beiden und, so beschwert sich Rolf, „leugnet alles, was nicht mit dem kalten Verstand ganz und gar zu begreifen ist“ (S. 28). Rolf dagegen fühlt sich von der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung angezogen und mitgerissen. Das Heil einer deutschen Zukunft könne nur aus dem ureigenen Wesen des deutschen Menschen erwachsen, so seine Überzeugung. Erhard lehnt jedoch die nationalsozialistische Vereinnahmung des Deutschen ab: „Was ist das: Der deutsche Mensch? […] ‚Bin ich das oder bist du es?‘“ (S. 73)

Die Differenzen zwischen den beiden Freunden werden zusehends unüberbrückbarer, die gegensätzlichen politischen Überzeugungen verschärfen sich immer weiter. Für Rolf gibt es keine Zwischentöne, „kein ‚immerhin‘, ‚Am Ende doch‘, ‚Einerseits-andererseits‘“ (S. 32). Das Gefühl entscheidet. Für ihn ist klar: „Wer nicht an sein Volk glaubt, der ist gezeichnet. Darum ist der Führer einzig der, der dem deutschen Volke den Glauben an sich selbst zurückgegeben hat. Der Augenblick ist nah, da es ihn erkennt“ (S. 71). Erhard dagegen macht sich keine Illusionen über diese „neue Menschenkategorie voll Hass und Rache und ähnlichen schönen Eigenschaften. Eine Rasse, mit der es nur Kampf geben kann; sie wird immer stärker, sie rückt heran und man spürt: sie wird kein Erbarmen kennen“ (S. 250f.).

Eine zentrale Rolle spielen auch die beiden weiblichen Figuren Hilde und Inge. Hier prallen ebenfalls zwei Gegensätze aufeinander: Hilde ist Rolfs Schwester, ein naives, unbedarftes Mädchen, mit einer großen Fähigkeit zur Empathie und zum Vertrauen in andere. Inge ist ein Arbeiterkind ohne Illusionen und mit einem starken Überlebensinstinkt. In Berlin schlägt sie sich dank der Unterstützung wechselnder Männer mehr schlecht als recht durch. Durch Erhard lernt sie Rolf kennen, der sie für ein Mädchen aus gutem Hause hält, das unverschuldet in Not geraten ist, und sich in sie verliebt. In seinen Vorstellungen ist sie ein „reines Herz voll Treue und zarter Empfindungen“ (S. 61). Als er durch Erhard über Inges eigentliche Herkunft und ihren Lebenswandel aufgeklärt wird, wendet er sich enttäuscht von ihr ab.

Trotz zunehmender Streitigkeiten und Entfremdung unternehmen Rolf und Erhard in den Semesterferien eine gemeinsame Wanderung durch Thüringen. Sie wollen „mit eigenen Augen sehen und am eigenen Leib erfahren, wie es heute wirklich im Volk und im Lande aussieht“. Denn, so Rolf: „Wir wissen es ja doch nur aus Zeitungen und Versammlungsreden, wenn wir unseren geringen Umkreis nicht als Masstab für alle Gegenden und Schichten gelten lassen wollen“ (S. 98). Rolf verletzt sich während der Wanderung schwer am Fuß und kann nicht weiterlaufen. In Freudenstadt muss er sich im Haus einer Krankenpflegerin mehrere Tage schonen. Ihm begegnen einige seiner Gesinnungsgenossen, die hier möglichst unbeachtet ihre Umsturzpläne besprechen wollen. Sie werden jedoch verraten. Rolf verdächtigt Erhard und der Vermieter August Strappe, der zu diesem Kreis gehört, verdächtigt seinerseits Rolf. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem Strappe stürzt und sich den Kopf anschlägt. Rolf wird verhaftet.

Erhard beschließt trotz allem seinem ehemaligen Freund zu helfen, besorgt ihm einen Anwalt und sucht vergeblich Hilfe bei Rolfs Familie. Dessen Onkel will ihm nicht helfen, die Eltern sind ins Ausland geflohen und werden wegen „Kapitalverschleppung“ (S. 237) gesucht. Rolf ist, so findet Erhard heraus, Opfer eines Komplotts geworden: „Die Herren, zu denen Du als zu Deinem Ideal aufblickst, Eure Herren Führer in Berlin, haben im letzten Augenblick von den geheimen Beratungen in Freudenstadt Wind bekommen und kein anderes Mittel gewusst, diese Verschwörung gegen ihre legalen Pläne zu vereiteln, als die Behörden anzurufen“ (S. 243). Schließich gelingt es jedoch, Rolf zu entlasten.

Inzwischen ziehen Hilde und Inge in Berlin zusammen: Hilde will Inge ‚retten‘, will ihr den Weg ins bürgerliche Leben ebnen. Inge dagegen möchte Rache an Rolf nehmen, indem sie sein „behütetes kleines Schwesterlein“ (S. 152) in das Berliner Nachtleben einführt. Während Hilde jedoch das Geld für beide verdient und die Wohnung sauber hält, feiert Inge nächtelang. Schließlich verlässt sie Hilde, um mit Rolfs Anwalt Dr. Essmann fortzugehen.

Der Roman endet am 29. Januar 1933. Erhard wird als Marxist verfolgt. Rolf beschließt ihn zu retten, denn „ich tu‘ kein Unrecht, wenn ich ihn rette; er wird von den neuen Tatsachen bekehrt werden“ (S. 291). Er nutzt seine politischen Kontakte, um Erhard zu finden und zu befreien. Anschließend nimmt er Hilde und Erhard mit auf das Gut von Herrn Dingle, bei dem er als Hauslehrer für dessen beide Söhne untergekommen ist. Mit seiner Entscheidung, die er ganz aus dem Gefühl heraus getroffen hat, ist er im Reinen: „[…] vielleicht ist es ein Verbrechen, dass ich mich von meinem widerstrebenden Gefühl verwirren lasse und mich nicht blind in Reih und Glied stelle. Vielleicht aber ist dies Gefühl richtig, und es wäre ein viel grösseres Verbrechen gegen mein Volk, diesem Gefühl nicht zu folgen“ (S. 299).

Im Roman geht es in erster Linie um die Darstellung der beiden sich gegenüberstehenden politischen Extreme kurz vor der Machtübernahme Hitlers. Die menschenverachtenden Ziele der Nationalsozialisten und die Judenverfolgung werden jedoch nicht näher thematisiert. Lediglich am Ende des Romans bemerkt Erhard: „Wenn du jetzt nicht mit den Mordbrennern auf die Judenjagd gehst, mit langen Messern, Armeepistolen und gestohlenen Autos hinter den Bolschewikenschweinen her bist, dann bist du doch ein Verräter!“ (S. 294)

Der einzige Jude, der Rolf und Erhard auf ihrer Wanderung durch Deutschland begegnet, ist ein „ängstliches, blasses Männlein, dem immerwährend das eine Auge zuckte“ (S. 123). Dem Stereotyp entsprechend war er bis vor kurzem als Kaufmann und Geldverleiher tätig, muss aber nun, da die Geschäfte immer schlechter gehen, seinen Lebensunterhalt als fahrender Händler für allerlei billiges, tönernes und hölzernes Kochgeschirr und Hausgerät verdienen.


Biografie

Oskar Baum (geb. 21.01.1883 in Plzeň, gest. 01.03.1941 in Prag) war der Sohn eines jüdischen Tuchwarenhändlers. Er litt von Geburt an unter einer Augenkrankheit. Mit acht Jahren erblindete er auf einem Auge, als Elfjähriger verlor er sein Sehvermögen komplett. Er wurde nach Wien an das Israelische Blindeninstitut Hohe Warte geschickt und machte dort eine Ausbildung zum Musikreferenten. Dabei erlernte er das Orgel- und Klavierspielen. 1902 legte er die Lehramtsprüfung ab und kehrte nach Prag zurück. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Baum als Organist und Kantor einer Synagoge. Später wurde er Klavierlehrer.

1904 wurde Baum durch Max Brod mit Franz Kafka und Felix Weltsch bekannt und es entstand eine Freundschaft. Nach Baums Heirat mit Margarete Schnabel wurde die Wohnung des Ehepaars zum Treffpunkt des Prager Kreises. In dieser Zeit begann auch ein reger Briefwechsel zwischen Kafka und Baum.

1908 debütierte Baum mit seinem autobiografischen Novellenband „Uferdasein, Abenteuer und Alltägliches aus dem Blindenleben von heute“, der ihn schnell berühmt machte. Der Band enthielt ein Geleitwort seines Freundes Max Brod. Die Erfahrung des Blindseins war eines der großen Themen seiner Literatur. Sein Hauptwerk, der Roman „Die Tür ins Unmögliche“ von 1920, behandelt dagegen ein biblisches Motiv: Die Erlösung aller Menschen durch einen Einzelnen, der die Schuld der Welt auf sich nimmt. Ein weiteres wichtiges Thema für den gläubigen Juden Baum war das Verhältnis zwischen Juden und Andersgläubigen in der neu entstandenen Tschechoslowakei und die stärker werdenden Nationalismen.

Ab 1922 gewann ihn der Schriftsteller und Politiker Tomáš Garrigue Masaryk für die Mitarbeit seiner Tageszeitung „Prager Presse“. Ein Schwerpunkt in Baums journalistischer Arbeit waren Musik- und Theaterkritiken, er verfasste jedoch auch Essays und Glossen zu sozialen Themen. Nach und nach interessierten sich auch andere Zeitungen und Zeitschriften für die Arbeiten Baums, wie etwa „Die Weltbühne“, „Die Aktion“ oder „Der Sturm“.

1929 veröffentlichte Baum seine Erzählung „Nacht ist umher“, zu der Stefan Zweig ein Nachwort verfasste. Von 1934 bis 1938 war Baum Vorsitzender des „Schutzverbandes deutscher Schriftsteller“ in der Tschechoslowakei. Kurz vor der deutschen Okkupation wurde er von diesem Amt samt seiner journalistischen Tätigkeit entbunden.

Der Machtergreifung der Nationalsozialisten widmete sich Baum literarisch in den Romanen „Zwei Deutsche“ von 1934 und „Das Volk des harten Schlafs“ von 1937. Eine Ausreise nach Palästina scheiterte. Ende Februar 1941 unterzog sich Baum einer Darmoperation im Jüdischen Krankenhaus, an deren Folgen er später starb. Seine Frau wurde kurz danach ins Getto Theresienstadt deportiert und kam dort ums Leben. Der einzige Sohn des Paares, Leo Baum (geb. 1909), kam am 22. Juli 1946 bei einem jüdischen Anschlag auf das King David Hotel in Jerusalem ums Leben.

Quellen:

  • Dominik, Sabine: Oskar Baum. Ein Schriftsteller des Prager Kreises. Diss. Univ. Würzburg 1988.
  • Sternfeld, Wilhelm und Eva Tiedemann: Deutsche Exilliteratur 1933-1945. Eine Bio-Bibliographie. Heidelberg/Darmstadt 1962.





Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger