Im Frühwind der Freiheit (1949): Unterschied zwischen den Versionen
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Im allerletzten Kapitel des Romans kehrt der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung zurück. Er hat Martins Niederschrift inzwischen gelesen, als eines Tages in den letzten Apriltagen 1945 die Leiche Martins zu ihm gebracht wird. Er hat nun die Aufgabe, den Kameraden und Freund würdig zu begraben und nimmt sich vor, das Manuskript irgendwo zu deponieren, damit es ihn nicht gefährden kann.      | Im allerletzten Kapitel des Romans kehrt der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung zurück. Er hat Martins Niederschrift inzwischen gelesen, als eines Tages in den letzten Apriltagen 1945 die Leiche Martins zu ihm gebracht wird. Er hat nun die Aufgabe, den Kameraden und Freund würdig zu begraben und nimmt sich vor, das Manuskript irgendwo zu deponieren, damit es ihn nicht gefährden kann.      | ||
Siehe [[So_war_es_(1946)#Autorbiographie|Heinrich Christian Meier]]  | Siehe [[So_war_es_(1946)#Autorbiographie|Heinrich Christian Meier]]  | ||
==Werkgeschichte==  | ==Werkgeschichte==  | ||
Heinrich Christian Meiers Roman wurde 1949 erstmals im Robert Mölich Verlag veröffentlicht und 1954 im Progress-Verlag wiederaufgelegt. Er basiert auf Meiers Bericht über das Konzentrationslager Neuengamme, den er 1946  unter dem Titel „So war es“ im Phoenix-Verlag herausbrachte.  | Heinrich Christian Meiers Roman wurde 1949 erstmals im Robert Mölich Verlag veröffentlicht und 1954 im Progress-Verlag wiederaufgelegt. Er basiert auf Meiers Bericht über das Konzentrationslager Neuengamme, den er 1946  unter dem Titel „So war es“ im Phoenix-Verlag herausbrachte.  | ||
Version vom 5. April 2022, 21:48 Uhr
Angaben zum Werk
| Titel | Im Frühwind der Freiheit
 
  | 
|---|---|
| Genre | Roman | 
Ausgaben des Werks
| Ausgabe von 1949, Hamburg | |
|---|---|
| Titel | Im Frühwind der Freiheit
 
  | 
| Erscheinungsort | Hamburg | 
| Erscheinungsjahr | 1949
 
  | 
| Verlegt von | Robert Mölich Verlag | 
| Gedruckt von | Stader Zeitungs- und Verlags-Druckerei GmbH | 
| Publiziert von | Meier, Heinrich Christian (1905-1987)
 
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| Umfang | 469 Seiten
 
  | 
| Bibliotheksnachweise | 
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Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger
Zusammenfassung
Basierend auf seinen Aufzeichnungen über das Konzentrationslager Neuengamme, die Meier 1946 unter dem Titel „So war es“ veröffentlichte, entstand drei Jahre später der sehr viel ausführlichere Roman. Meier widmet ihn denen, „welche das unsägliche Leid mit mir durchlitten, aber unsere Befreiungsstunde nicht mehr erlebten“ (o.S.).
Die eigentliche Handlung ist eingebettet in eine Rahmenhandlung. In der „Vorgeschichte“ (S. 7) erhält der Ich-Erzähler, der Angehöriger eines Bewährungsregiments ist, von seinem Kameraden, dem Sanitäter Martin, ein Manuskript zur Aufbewahrung. Darin hat dieser trotz ausdrücklichen Verbots nachts Erlebnisse seiner mehrjährigen Haftzeit in Neuengamme niedergeschrieben. Diese Aufzeichnungen bilden die Binnenhandlung des Romans, die aus drei Teilen besteht. Hauptfigur ist der junge Flensburger Maler Joachim, dessen Erlebnisse im KZ Neuengamme bis zu seiner Übernahme in ein SS-Bewährungsregiment erzählt werden. Der Fokus liegt auf den seelischen Vorgängen Joachims, auf seinem ganz subjektiven und persönlichen Erleben. Ein zwischen auktorialer und personaler Erzählsituation wechselnder Stil sowie viele Dialoge, innere Monologe und erlebte Rede prägen die erzählerische Vermittlung. Auf der äußeren Handlungsebene ist vor allem der dargestellte „Stellungskampf“ (S. 258) zwischen den „Grünen und Roten“ (ebd.) – den politischen Häftlingen, zu denen auch Joachim gehört, und den ‚Berufsverbrechern‘ im Lager – von Bedeutung sowie der Versuch, eine politische Widerstandsgruppe im Lager zu etablieren. Schon früh erklärt ein Mithäftling Joachim: „Hier im Lager gibt es zwei Parteien, […] wer nicht mit den Roten hält, ist grün!“ (S. 165) Ein zentrales Thema ist auch das Schicksal der homosexuellen Häftlinge im Lager und Joachims reifende Erkenntnis, selbst zu diesen zu gehören.
Im ersten Teil gelangt Joachim 1941 als ‚Rassenschänder‘ – seine Verlobte Isabell ist Jüdin –ins Konzentrationslager. Jüdische Häftlinge spielen jedoch ansonsten nur eine untergeordnete Rolle im Roman. Joachim setzt sich mit diesen gedanklich nur sehr selten auseinander. Als er eines Tages einige jüdische Häftlinge beobachtet, wie sie bei der Arbeit schikaniert werden, muss er für einige Sekunden daran denken, dass Isabell dieser „Rasse“ (S. 32) angehört: „Und schon überlief ihn eine Welle der Scham; denn er hatte sich geschworen, niemals, niemals auch nur daran zu denken, daß ein Jude ein anderer Mensch sein könnte als er selbst“ (ebd.).
Obwohl Joachim ‚Rückfallverbrecher‘ und bis Ende 1939 bereits im Moorlager Neusustrum inhaftiert gewesen ist, versetzt ihn die Ankunft im Lager beinahe in einen Schockzustand. „Zugangspsychose“ (S. 28) nennt das der Mithäftling Karl. Nach einem gewalttätigen Übergriff eines Kapos, bleibt er mehrere Tage ohne Bewusstsein und Erinnerung; danach stürzt er in tiefe Lethargie und Verwirrung.
Im Dezember 1941 befindet sich Joachim wegen einer leichten Ruhr auf dem Isolierblock und erholt sich seelisch etwas. Er denkt über Selbstachtung und Gut und Böse nach – Gedanken, die ihn im Lager immer wieder beschäftigen werden. Er fragt sich, wer von den Häftlingen im Lager noch ein Mensch ist und was diesen ausmacht: „Hier im Lager enthüllte sich ihm, daß auch der beste Mensch nur ein Apparat aus zuckenden Nervensträngen, Muskeln und Adern, aus Elektrizität, Wärme, Blut, Luft, Kohlehydraten und Eiweißstoffen ist. Es zeigte sich jeder als ein Gehäuse von Egoistereien, Leiden, Krankheiten und Teufeleien, als eine dumpfe Grabkammer voller stinkender Gewohnheiten“ (S. 201). Bald verfällt er erneut in Apathie: „Unabwendbar näherte er sich einem Zustande dumpfer moralischer Apathie, ihm war nur noch eines heilig: Das Essen“ (S. 90). Vom Ruhrblock gelangt er direkt in die Typhusbaracke. Erst nach seiner Rekonvaleszenz wird er im April 1942 wieder in den normalen Lagerbetrieb entlassen. Er, der wiederholt imaginäre Ansprachen an Isabelle, kurz Isa, hält und daraus Kraft schöpft, erfährt nun aus einem Brief seiner Eltern, dass seine Verlobte inzwischen verheiratet und mit ihrem Mann auf dem Weg nach Südafrika ist. Trotz aller Bestürzung, macht er ihr keine Vorwürfe: „Nun, wollte er ihr deshalb Vorwürfe machen!? Hatten sie eine Ehe geführt? War sie nicht durch die Rassengesetze von Nürnberg ganz und ein für allemal von ihm getrennt?“ (S. 114)
Im zweiten Teil, der den Titel „Grün und Rot“ (S. 123) trägt, findet sich Joachim langsam mit der Realität des Lagers ab. Ihm erscheint es zunehmend, als habe das Leben im Lager doch einen Sinn. Im Text gibt es nun immer wieder Referenzen auf astrologische und religiöse Einflüsse: So ist etwa vom Auge Gottes die Rede, das den Erdball überblicke und alles durchschaue und durchleuchte. Gott habe bestimmt, dass er als Gefangener hinter dem Draht sein Leben beschließe, so Joachim: „Die Vorsehung, das Schicksal, oder – wenn die ganz Schlauen es so wollen – die Politik oder mein Horoskop will es, daß dies hier meine Welt, daß dieser Tag hier meine Wirklichkeit sein soll“ (S. 125f.).
Joachim steigt jedoch – gegen seinen Willen – in der Hierarchie des Lagers auf: „Jetzt war er ohne sein Zutun doch ein illegaler Vorarbeiter, war ‚Unterschieber‘ geworden. Erhielt er doch sogar seinen ‚Vorarbeiter-Nachschlag‘ bei den Mahlzeiten“ (S. 153). Etwas später wird er sogar Kapo eines Außenkommandos, obwohl er sich selbst geschworen hatte, niemals Kapo zu werden. Das bedeutet für ihn trotz der Vorteile und gestiegener Überlebenschancen ein moralisches Dilemma: „Muselmänner, die gehen zugrunde, die Prominenten aber, die werden die Überlebenden sein! Sie werden später der Welt ihr ‚J’accuse!‘ entgegenschleudern, ausgerechnet sie werden ihre guten Freunde unter der Wachmannschaft später dem Gericht zutreiben – ist das denn nicht paradox?!“ (S. 168)
Die Verbindungen zu seinen Kameraden sind für Joachim von großer Bedeutung. Häufig reflektiert er über seine sich wandelnden, sich vertiefenden oder abkühlenden Empfindungen für seine Mithäftlinge. Zunehmend setzt er sich auch mit dem Thema Homosexualität im Lager auseinander. Eine wichtige Rolle nimmt hier die Figur des Berliner Rechtsanwalts Alfred Bingel ein, der im Lager allgemein als Homosexueller bekannt ist. Er ist Kapo der Kartoffelschälküche und lebt seine sexuellen Neigungen relativ offen aus: „Bingel machte nie einen Hehl aus seiner Veranlagung. […] Er nahm es als erwiesen, daß jeder Mensch zwei Geschlechter in sich hat. Homosexualität sei das Natürlichste und Gesündeste auf der Welt, und zu bedauern sei nur der Krüppel, der eingeschlechtig sei!“ (S. 191f.)
Ab dem Frühsommer 1943 wird Joachim zunehmend von sexuellen Fantasien heimgesucht. Bei einer Aufführung im Lager fühlt er sich von einem jungen Mann angezogen, der sehr weibliche Verhaltensweisen zeigt. Joachim interpretiert dies zunächst als Sehnsucht nach einer Frau, fühlt sich aber zunehmend verwirrt und traut den eigenen Empfindungen nicht mehr: „Er kam sich vor, als sei er verhext; er mußte immer nur auf den Sinnentrug der unechten Frau starren, die dort Reize zeigt, die sie in Wahrheit gar nicht hatte, und Erregungen hervorrief, die nicht ihr gelten konnten“ (S. 232). Schließlich gesteht er sich selbst ein, dass er sich in den jungen Polen Grisha verliebt hat, der diese Liebe jedoch offenbar nicht erwidert und den Kontakt zu Joachim instinktiv eher meidet.
Aus Scham und Verzweiflung beschließt Joachim, sich das Leben zu nehmen. Er plant eine Postenkette zu durchbrechen, in der Erwartung, dabei von den Bewachern der SS erschossen zu werden. Der Plan misslingt jedoch, weil jeder der fünf Posten, die er auf dem Weg aus dem Lager passieren muss, annimmt, dass er berechtigte Gründe habe, zu passieren. Nahezu in Echtzeit lässt der Erzähler an dieser Stelle den Leser daran teilhaben, wie Joachim mit zunehmender Nervosität einen Posten nach dem anderen hinter sich lässt, ohne aufgehalten zu werden, bis er schließlich unversehrt – und erleichtert – ins Lager zurückkehrt.
Der dritte Teil mit dem Titel „Wir“ (S. 313) beginnt Anfang 1944 und rückt besonders die Figur des Häftlings Marcel in den Mittelpunkt. Marcel ist ein politischer Häftling, den Joachim sehr bewundert. Joachim wird von ihm beauftragt, die Häftlingskartei des Lagers zu vervollständigen. Er ist glücklich, in Marcels Nähe sein zu dürfen. Als Marcel im Juni 1944 zu einer Strafkompanie versetzt werden soll, ist Joachim bereit, diese Strafe für ihn zu übernehmen. Allerdings wird sie nie vollzogen. Gleichzeitig überprüft Joachim an Marcel auch immer wieder seinen eigenen Standpunkt und seine Werte, die denen Marcels oft diametral entgegenstehen. Denn Marcel stellt seine Aufgabe über die eigene Person, dem eigenen Überleben misst er wenig Bedeutung bei. Joachim beobachtet das mit Sorge: „Sollte dies wirklich ein gutes Zeichen sein, daß ein Mensch sich so wenig liebte, ja daß er sich selbst so wenig beachtete wie Marcel?“ (S. 335) Auch den Wert des Überlebens einzelner Häftlinge beurteilt er nach dem, was sie nach dem Krieg für den Aufbau Deutschlands beizutragen haben. Für Priester etwa hat er nichts übrig, an ihrem Überleben ist er schlicht nicht interessiert. Auch von Joachim erwartet er lediglich Stillschweigen über Marcels politische Aktivität. Wiederholt macht er deutlich, dass er ihn ansonsten nicht braucht. Zunehmend verschlechtert sich das Verhältnis zwischen den beiden, es kommt zu Missverständnissen und zur Entfremdung. Als Marcel im Oktober 1944 auf Transport geschickt wird, trennen er und Joachim sich jedoch versöhnt. Im Juli 1944 beginnt Joachim, eine „Häftlingspolizei“ (S. 413) im Lager zu etablieren, die im Notfall aktionsbereit sein und die Befreiung der Häftlinge unterstützen soll. Im August wird die Existenz der roten Hilfe im Lager jedoch verraten und „die politischen Zirkel, die überall in den Konzentrationslägern eine große Rolle spielen, werden vollständig atomisiert“ (S. 434).
Im letzten Kapitel der Binnenhandlung tritt der Sanitäter Martin und Autor des Manuskripts kurzzeitig als Ich-Erzähler auf. Er sitzt in einem slowakischen Dorf und hat die Chronik über Joachim zu Ende geführt: „Ich habe die letzten Seiten hier in dem verschneiten, slovakischen Dörfchen in aller Ruhe zu Papier bringen können“ (S. 454). Das Regiment soll nach Deutschland reisen, die deutschen Armeen sind zerschlagen. Martin ist unsicher, was ihn erwartet: „Ich möchte voraussehen können, ob wir nicht auf diesem Heimwege vieles verlieren werden!“ (ebd.)
Für seine Figur Joachim ist die Zeit im KZ im November 1944 vorbei. Dieser wird SS-Grenadier und für seinen Einsatz an der Front ausgerüstet: „Wie sie sich betrachten, finden sie, daß sie eigentlich gar nicht wie Konzentrationäre aussehen. Nein, sind sie auch nicht mehr. Eine Epoche ist weggewischt. Sie stehen ratlos vor dieser neuen Erscheinung“ (S. 461). Joachim fühlt sich um den Moment der Befreiung betrogen: „Ist es nicht schauerlich, daß dieser Rock des SS-Grenadiers so Unheimliches und Grausiges zudeckt? (S. 463)
Im allerletzten Kapitel des Romans kehrt der Ich-Erzähler der Rahmenhandlung zurück. Er hat Martins Niederschrift inzwischen gelesen, als eines Tages in den letzten Apriltagen 1945 die Leiche Martins zu ihm gebracht wird. Er hat nun die Aufgabe, den Kameraden und Freund würdig zu begraben und nimmt sich vor, das Manuskript irgendwo zu deponieren, damit es ihn nicht gefährden kann.
Siehe Heinrich Christian Meier
Werkgeschichte
Heinrich Christian Meiers Roman wurde 1949 erstmals im Robert Mölich Verlag veröffentlicht und 1954 im Progress-Verlag wiederaufgelegt. Er basiert auf Meiers Bericht über das Konzentrationslager Neuengamme, den er 1946 unter dem Titel „So war es“ im Phoenix-Verlag herausbrachte.