Angeklagter Hitler (1933)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Angeklagter Hitler. Protokolle, Augenzeugen- und Tatsachenberichte aus den faschistischen Folterlagern Deutschlands
Autor Anonym
Genre Sonstige

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1933, Paris / Zürich
Titel Angeklagter Hitler. Protokolle, Augenzeugen- und Tatsachenberichte aus den faschistischen Folterlagern Deutschlands

Erscheinungsort Paris, Zürich
Erscheinungsjahr 1933

Verlegt von MOPR-Verlag
Gedruckt von Universitätsdruckerei Zürich
Publiziert von Anonym
Umschlaggestaltung von Fuck

Umfang 16 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)

Zusammenfassung

In direkter Reaktion auf die gewaltsame Verfolgung politischer Gegner nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zwischen Januar und März 1933 stellt die schmale, anonym herausgegebene Broschüre Berichte vor allem von kommunistischen Arbeitern aus Berlin zusammen. Diese thematisieren die Foltermethoden in den SA-Kasernen und beschreiben konkret die Schikanen und die Gewalt, denen die Menschen dort ausgeliefert sind.

Die Broschüre zitiert Augenzeugenberichte von verfolgten kommunistischen und sozialistischen Arbeitern und Intellektuellen. Die „Schilderungen unerhörten grauenvollen Terrors“ (S. 13) beschreiben sehr detailliert die Örtlichkeiten und Folterwerkzeuge sowie -methoden. Dabei wird deutlich, dass neben den offiziellen Räumlichkeiten der Berliner SA-Kasernen immer wieder auch in privaten Wohnungen oder in NS-Gaststätten gefoltert wurde. Betont wird in allen Berichten die grundlose und äußerst brutale Gewalt von Seiten der SA-Männer, welche die Menschen bis hin zum Tod quälen, ihnen Spiritus auf offene Wunden träufeln, sie Salzsäure trinken lassen oder ihnen Hakenkreuze in die Haut brennen. Der Leser wird dabei nicht geschont: „Einige waren so zerschlagen, daß das ganze Gesicht zerhackt war. Bei dem einen schien das eine Auge ausgelaufen, das andere war so angeschwollen, daß es zu war. Ein anderer Mißhandelter lag auf dem Boden. Ich bezweifle, ob er wieder aufkommen kann, trotzdem stand ein mit einem Revolver bewaffneter SA-Mann neben ihm“ (S. 8). Ein Bericht konzentriert sich speziell auf das Schicksal der Juden am Tag des Boykotts in Berlin. Damit nicht der Eindruck entsteht, dass es nur in Berlin zu diesen Ausschreitungen gekommen ist, werden auch Ereignisse geschildert, die in Dörfern in Sachsen und in anderen Städten wie zum Beispiel Königsberg stattfinden.

Der letzte Bericht endet mit einem Appell, sich für die noch 30.000 in Haft befindlichen Arbeiter und Intellektuellen einzusetzen: „Die Sonne der internationalen Solidarität ist es, die in diesen Tagen bis in die dunkelsten Kerker des faschistischen Deutschland leuchtet. Schließ auch Du Dich nicht aus! […] Tue Deine Pflicht!“ (S. 14)

Sprachlich unterscheiden sich die einzelnen, aneinandergereihten Berichte. Einige sind sehr ausführlich, die meisten umfassen jedoch nur einen kurzen Absatz. Inhaltlich beschreiben manche lediglich einen Aspekt der Haft, andere schildern den Verlauf von der Verhaftung bis zur Entlassung. Auffallend ist, dass besondere Grausamkeiten grafisch im Text hervorgehoben sind. Einigen der Augenzeugenberichte sind Zusammenfassungen des weiteren Schicksals oder der Ausgangssituation beigefügt. Die Autoren der Berichte werden allerdings nur selten mit vollem Namen genannt, meist heißt es „[e]in Reichsbannermann“ (S. 3) oder der „parteilose Arbeiter Hans S.“ (S. 5). Namen und Adresse werden lediglich dann genannt, wenn die Personen nicht überlebt haben. Die circa zwei Dutzend Augenzeugen stufen sich dabei selbst als „‚leichtere‘ Fälle“ (S. 2) ein, da sie von den Nationalsozialisten wieder freigelassen wurden.

Während die Berichte weitgehend sachlich und ohne Pathos verfasst sind, spricht das Vorwort den Leser emotional an, um ihn aufzurütteln und zu einer Reaktion zu bewegen. Deutschland sei der „braune[n] Pest“ (S. 1) verfallen und in „den Konzentrationslagern sind Zehntausende zusammengepfercht, der Willkür und Mordgier der SA-Banden wehrlos ausgeliefert“ (ebd.). Es ist das Ziel der Broschüre, dies in der Welt bekannt zu machen, da diese lediglich einen „kleine[n] Bruchteil der Grausamkeiten des faschistischen Mordregimes“ (S. 2) kenne und dies oft als „Greuelpropaganda“ (ebd.) abtue: „Wir werden nicht aufhören, das wahre Gesicht des Faschismus zu entlarven. Wir werden nicht aufhören, ihre Schandtaten und Verbrechen vor der Welt-Oeffentlichkeit anzuprangern! Wir werden nicht aufhören, den Kampf gegen dieses Mordregime zu führen! Wir werden die Nerven nicht verlieren! Der Tag der Abrechnung wird kommen!“ (ebd.) In gleicher Weise ruft Clara Zetkin die „Gegner des Faschismus in allen Ländern“ (S. 16) am Ende der Broschüre zur materiellen und ideellen Unterstützung der gegen den Nationalsozialismus kämpfenden Arbeiter während der Hilfswoche der Internationalen Roten Hilfe (IRH) im Juni 1933 auf: Die IRH bittet „nicht um Almosen, sie wirbt um Verständnis. Sie fordert nicht Mitgefühl, sie ruft zum Kampfe. Unsere Hilfsaktion geht Hand in Hand mit dem großen Kampfe gegen den Urheber des Leidens, gegen das faschistische Regime“ (S. 15). So sei man zwar enttäuscht von der sozialdemokratischen Führung – ein Vorwurf, der sich auch im Vorwort findet –, aber nichtsdestotrotz ruft sie Frauen auf, für ihre Emanzipation, Intellektuelle für die Freiheit der Kultur und alle zusammen gegen die „unsagbare Schande der Judenpogrome“ (S. 16) zu kämpfen.

Autorbiografie

Die Broschüre wurde zwar anonym herausgegeben, jedoch lässt sich durch den Hinweis auf den Verlag der Rückschluss ziehen, dass die Rote Hilfe Deutschland (RHD) die Veröffentlichung verantwortete. Diese stand in enger Verbindung zur kommunistischen Internationalen Roten Hilfe (IRH oder russisch MOPR). Ziel der IRH sowie der RHD war es, inhaftierten Kommunisten und ihren Familien zu helfen.

Da die internationale Solidarität mit verfolgten Arbeitern bekundet werden sollte, wurden in verschiedenen Ländern – unter Aufsicht eines von Moskau ausgewählten Zentralkomitees – nationale Abteilungen gegründet. Insgesamt gab es in 70 Ländern eine Sektion der IRH, beispielsweise in Österreich, Polen, den Niederlanden, aber auch den USA oder Mexiko. Weltweit waren auf diese Weise über 13 Millionen Mitglieder organsiert, die finanziell von der IRH unterstützt wurden. Die nationalen Organisationen sammelten zudem Geld durch Mitgliedsbeiträge, Spenden oder durch den Verkauf von Publikationen, zum Beispiel der Zeitung „Der Rote Helfer“, dem Zentralorgan der RHD.

In Deutschland wurde die RHD nach einer Verhaftungswelle gegen Kommunisten im Jahr 1921 als Selbsthilfeorganisation und Unterabteilung der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) gegründet. Die RHD wuchs rasch zur zweitgrößten Sektion innerhalb der IRH: In Deutschland hatte die Selbsthilfeorganisation 1929/1930 mehr als eine halbe Million Mitglieder und wurde von der Gestapo auch noch 1935 als Massenorganisation wahrgenommen. Die RHD kooperierte dabei über den kommunistischen Kreis hinaus mit anderen linken Gruppierungen; sie war allerdings nicht nur auf das Arbeitermilieu begrenzt, sondern es engagierten sich durchaus auch zahlreiche Personen aus dem bürgerlichen Spektrum sowie Künstler oder Schriftsteller, wie etwa Kurt Tucholsky, Thomas Mann und Albert Einstein. Die Zahl der Personen, denen die IRH sowie die RHD helfen musste, stieg mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erheblich an. Zunächst bemühte sich die Rote Hilfe noch darum, weiterhin illegal zu agieren und Mitglieder zu werben. Praktisch bedeutete dies, dass die Mitglieder der RHD versuchten, die Gefangenen zu besuchen oder Sammelfahrten von Ehefrauen der Inhaftierten in die Lager zu organisieren – ein Ereignis, das in vielen frühen Erinnerungsberichten thematisiert wird. Sie klärten die Häftlinge und Gefährdeten über ihre Rechte auf, organisierten Rechtsanwälte für die Prozesse und planten die Ausreise aus Deutschland. Sie halfen aber auch zum Beispiel den Kindern der Verhafteten medizinisch in speziell eingerichteten Kinderheimen, unterrichteten sie in Kursen und versuchten die Familien durch Sachspenden zu unterstützen. Die praktische Hilfe in Deutschland wurde durch die Verfolgung der RHD-Mitglieder immer mehr erschwert, bis sie schließlich Mitte der 1930er Jahre ganz aufhörte. Viele Mitglieder waren selbst zu Inhaftierten der Konzentrationslager geworden oder hatten Deutschland verlassen müssen. Daher trat die Propaganda gegen die nationalsozialistische Regierung immer mehr in den Vordergrund der Arbeit derjenigen IRH-Mitglieder, die aus Deutschland geflohen waren: Auf vielfältige Weise – vor allem durch Publikationen im eigenen MOPR-Verlag – sollten die Menschen auf die in Deutschland begangenen Gräuel aufmerksam gemacht werden.

Quellen:

  • Brauns, Nikolaus: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938). Bonn 2003.
  • Hering, Sabine und Kurt Schilde (Hg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941). Opladen 2003.
  • Schilde, Kurt: „‚Es lebe die Internationale Rote Hilfe!‘ Die weltweite ‚Wohlfahrtsorganisation‘ der kommunistischen Parteien“. In: Hering, Sabine und Kurt Schilde (Hg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941). Opladen 2003, S. 57-71.

Werkgeschichte

Die anonym herausgegebene Broschüre wurde nur einmal im Jahr 1933 verlegt und erschien in direkter Reaktion auf die Gewaltausschreitungen der Nationalsozialisten in Deutschland im Frühjahr desselben Jahres. Hinter der Veröffentlichung steht die Rote Hilfe Deutschland (RHD), welche die Berichte über die Verfolgung (kommunistischer) Arbeiter im eigenen MOPR-Verlag publizierte. Der bereits im Dezember 1926 aus zwei Vorgängerverlagen gegründete MOPR-Verlag gab bis 1932 insgesamt 61 Titel heraus, die über die Arbeit der RHD, den weltweiten Klassenkampf und die Verfolgung politisch Andersdenkender informieren sollte. Die Zielsetzung war es – gemäß einer Resolution von 1927 –, „politisch nicht bewusste, stark gefühlsmäßig eingestellte Arbeiter, Bauern und kleinbürgerliche Elemente“ (zitiert nach Brauns 2003 [Schafft Rote Hilfe!], S. 94) gezielt zu informieren. Bis 1933 konnte der MOPR-Verlag noch von Berlin aus alle deutschsprachigen Gebiete beliefern. Dann wurde Bruno Apitz, der letzte Leiter des MOPR-Verlags und Autor des späteren Bestsellers „Nackt unter Wölfen“, 1933 verhaftet und der Verlag zog nach Zürich um, wo bis 1934 weitere Broschüren und Zeitschriften verlegt wurden.

Die Berichte in der Broschüre wurden von der Redaktion des Verlages auf ihre Richtigkeit hin überprüft, wie im Vorwort betont wird, und teilweise von politischen Organisationen wie „einer SPD-Abteilung“ (S. 4) gesammelt.

Quellen:

  • Anonym: „Die braune Pest über Deutschland“ (Vorwort). In: Anonym (Hg.): Angeklagter Hitler. Protokolle, Augenzeugen- und Tatsachenberichte aus den faschistischen Folterlagern Deutschlands. Zürich/Paris 1933, S. 1f.
  • Brauns, Nikolaus: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938). Bonn 2003.
  • Brauns, Nikolaus: „‚Trotz alledem‘. Presse- und Verlagstätigkeit der Roten Hilfe“. In: Hering, Sabine und Kurt Schilde (Hg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941). Opladen 2003, S. 95-102.



Bearbeitet von: Christiane Weber