Auschwitzer Erzählungen (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Auschwitzer Erzählungen
Autor Zarębińska-Broniewska, Maria (1904-1947)
Genre Erzählungen

Ausgaben des Werks

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Ausgabe von 1949, Berlin
Titel Auschwitzer Erzählungen

Erscheinungsort Berlin
Erscheinungsjahr 1949
Auflage Erstauflage

Verlegt von VVN-Verlag
Gedruckt von Thüringer Volksverlag
Publiziert von Zarębińska-Broniewska, Maria (1904-1947)
Umschlaggestaltung von McKing, Georg
Illustriert von McKing, Georg

Umfang 93 Seiten
Abbildungen 11 Zeichnungen, die den Erzählungen als Titelbilder vorangestellt sind

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

In zehn kurzen Episoden entwirft die polnische Schauspielerin und Schriftstellerin Maria Zarębińska-Broniewska in ihrem Band „Auschwitzer Erzählungen“ ein facettenreiches Panorama des Lageralltages. Literarisch verdichtet schildert sie einzelne Begebenheiten und Begegnungen, die das tägliche Grauen im größten Arbeits- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten einfangen. Die autobiografisch geprägten Erzählungen sind nicht chronologisch geordnet, wie die zeitlichen Verortungen innerhalb und unter einigen Geschichten indizieren. Auch sonst sind die in sich geschlossenen Episoden weitestgehend thematisch unabhängig, jedoch über den Handlungsort und vereinzelt durch Figuren und Motive miteinander verbunden. Die Kurzgeschichten beginnen in medias res und konfrontieren den Rezipienten unvermittelt mit den Schilderungen. Jedes Kapitel wird mit einer abstrakten Tusche-Illustration von Georg McKing eröffnet, die eine Schlüsselszene der darauffolgenden Geschichte abbildet.

Den Erzählungen vorangestellt ist die „Erinnerung eines Freundes“, eine siebenseitige Eloge von Zarębińska-Broniewskas Theaterkollegen Henryk Szletyński vom Mai 1948, in der er in positiven Erinnerungen an die gemeinsame Zeit mit „Marysia“ (S. 5) schwelgt. Den Inhalt des Werkes oder auch die Lagererfahrungen der Schauspielerin lässt er dabei bewusst außer Acht und konzentriert sich ausschließlich auf ihr Wesen und ihren Lebensweg als erfolgreiche Absolventin des Reduta-Instituts in Wilna, einer renommierten Schauspielschule. Immer wieder referiert er auf ihre Anmut sowie ihr „feines“ (ebd.) und „gütiges, wohlwollendes Lächeln“ (S. 9), das die Grundlage für ihren Bühnencharme gewesen sei und das sie selbst nach den Torturen der Besatzungszeit auch in ihrem Privatleben nicht abzulegen vermochte. Er lobt ihre restlose Hingabe, mit der sie sich dem Theater verschrieb, und hebt die Sensibilität der begabten Schauspielerin in Umgang mit ihren Mitmenschen besonders hervor. Der Nachruf hat überdies eine weitere Funktion: Szletyński bedient eine Darstellungskonvention der frühen Holocaust- und Lagerliteratur, indem er die Authentizität der Geschichten beteuert und damit für die Glaubwürdigkeit des Geschilderten bürgt. Er akzentuiert, dass „[a]lle […], die sie gekannt haben, wissen, daß das von ihr Aufgezeichnete auf Wahrheit beruht“ und gemeinsam mit denjenigen, die sie nicht kannten, „unter dem erschütternden Eindruck der erlebten Wahrheit“ stehen (beide Zitate S. 11).

Der eigentliche Erzählzyklus beginnt mit der apokalyptischen Kurzgeschichte „Sintflut“. Sie berichtet von tagelangen Regenfällen, die in der zweiten Julihälfte 1943 über das Lager hereinbrechen und die Arbeit erheblich erschweren. Zarębińska beschreibt, wie die Häftlinge während des täglichen Morgenappells sehnsüchtig zum Himmel blicken, auf der Suche nach einem „Hoffnungsstrahl“, der sie von dem „Grauen“ befreien würde, das begonnen hatte, „sich [ihrer] zu bemächtigen“ (alle Zitate S. 15). Es scheint, als wollen sie in dem strömenden Regen eine Offenbarung des gerechten Gottes gegen das sündige Menschengeschlecht erkennen. So ist eine Inhaftierte überzeugt, dass der Starkregen die „zweite biblische Sintflut“ (S. 16) ankündigt. Einen ersten Hoffnungsschimmer sehen die Häftlinge in der Einstellung der Feldarbeit am nächsten Tag, welcher rasch in Enttäuschung umschlägt, als Arbeitsdienst- und Blockführer Tauber sie trotz der misslichen Witterungsverhältnisse dennoch zur Arbeit zwingt, die gerade den Älteren und Geschwächten unter ihnen die Kraft raubt. In eine „Stimmung grenzenloser Mutlosigkeit und Verzweiflung“ (S. 17) versetzt, kommentiert eine Insassin: „Es ist wahr, der Herrgott kann solches Unrecht und diese menschliche Qual nicht länger dulden“ (ebd.). Die Erzählung schließt mit einer Szene, die das Ausmaß der Willkür und Grausamkeit zum Ausdruck bringt: Tauber zwingt einen weiblichen Neuankömmling aus purer Schikane, in mit Fäkalien vermischten Schlamm zu baden. Nur durch das mutige Ablenkungsmanöver einer Mitinhaftierten gelingt es dem Opfer, sich aus den Fängen des SS-Mannes zu befreien. Unter dem Eindruck dieses sadistischen Aktes sinniert nun auch die Erzählstimme: „Sollte es doch sein? Ist es doch wahr, daß die Sintflut kommt?“ (S. 19)

Über ihre erste „Entlausung“ schreibt Zarębińska in der gleichnamigen Erzählung, die auf die zweite Augusthälfte datiert ist. Noch in Unkenntnis darüber, was sie erwartet, entspinnen die Frauen am Vorabend Gerüchte über den Ablauf der Prozedur. Die Äußerungen der Häftlinge changieren zwischen tiefer Hoffnungslosigkeit und strotzendem Optimismus. Minutiös beschreibt die Erzählerin den kilometerlangen und für die Häftlinge zutiefst entwürdigenden Nacktmarsch durch die Lagerstraße. Wie in kaum einer anderen Geschichte des Bandes gewährt die Ich-Erzählerin dem Leser dabei Einblick in ihre Gefühlswelt und gibt ihre Gedanken wieder. Nach der „Dusche“ in der „Badeanstalt“ (beide Zitate S. 27) schlägt die Erzählung sodann in ein albtraumhaftes Narrativ über: Die weibliche Kapo Muskele nimmt eine Rekrutierung für das Lagerbordell vor, für das sich „achtzehn asoziale Deutsche mit Freudengeheul“ (S. 28) melden. Die Wachmannschaften lachen höhnisch, ein Lied wird angestimmt und die Freiwilligen „führen einen zynischen, unanständigen Tanz auf“ (S. 29). Schließlich kulminiert diese Zurschaustellung in der grotesken Tanzvorführung einer skeletthaft dargestellten „alte[n] polnische[n] Zigeunerin“, die nur wenige Tage nach dem „Hexensabbat“ (beide Zitate S. 30), wie die Erzählinstanz jene Darbietung benennt, verstirbt.

Die kürzeste Episode des Bandes trägt den Titel „Ratten“ und erzählt von einem Vorfall, der sich an einem ungewöhnlich ruhigen Morgen eines „schöne[n], sonnendurchglühte[n] Mai“ (S. 33) im Lager im Jahr 1943 zugetragen hat. Als die Erzählerin zu einem scheinbar günstigen Moment ihren Arbeitsplatz verlässt, um Erkundungen im Lager anzustellen, beobachtet sie, wie zwei Häftlinge des Pflegepersonals den von Ratten zerfressenen Leichnam einer weiblichen Gefangenen beseitigen. Mit „unbeschreiblichem Entsetzen“ und unter „panischer Angst“ (beide Zitate S. 34) nimmt sie ihre Arbeit wieder auf und stößt beim Schaufeln von Kehricht auf ein Rattennest. Getrieben von dem Gedanken, „Rache […] für diesen entsetzlich verstümmelten menschlichen Körper“ (S. 35) zu nehmen, tötet die Erzählerin die Nagetiere – und wird von Aufseherin Käti für diese Tat gelobt. Besonders auffällig ist der rahmende Kontrast zwischen der idyllischen, friedlich anmutenden Außenwelt, die Zarębińska mit einer expressiven Bildsprache beschreibt, und der Brutalität im Inneren des Lagers, wodurch einmal mehr dessen Obszönität verdeutlicht wird.

In „Kinder hinter Stacheldraht“ nimmt sich Zarębińska der klein(st)en Insassen des Lagers an. Schlaglichtartig berichtet sie über die Schicksale eines „slowakische[n] Judenmädchen[s]“ (S. 40) und eines „Zigeunerjungen“ (S. 41), eines Kindertransportes aus Russland, über die Liquidierung des Theresienstädter Familienlagers und die Zwillingsexperimente des Lagerarztes Josef Mengele. An besonders einprägsamen Stellen durchbricht Zarębińska dabei die Chronologie ihrer Erzählung, indem sie das Tempus wechselt und das Geschilderte aus der Erzählgegenwart heraus kommentiert: Sie fragt sich, wie sie beim „erschütternden Anblick“ unzähliger „kleiner Kinderleichen“ (beide Zitate S. 42) „als Mutter, die nicht nur ihr eigenes Kind, sondern alle Kinder auf der Welt liebt, damals – nicht irrsinnig geworden“ ist (S. 44). Ihren dramatischen Höhepunkt findet die Geschichte in der Beschreibung eines „nicht enden wollenden Zuges“ (S. 45) von leeren Kinderwagen, die von weiblichen Häftlingen zum Bahnhof gefahren, um von dort in Heime für „Kinder der auserwählten Rasse‘“ (S. 46) gebracht zu werden. Auch für die Lagerevakuierung, die für viele Kinder tödlich endete und die die Autorin während ihrer Inhaftierung „in einem Konzentrationslager in Thüringen Ende Januar 1945 zufällig“ (S. 47) erlebte, findet sie nur noch Worte von bitterer Ironie: „‚Das auserwählte Kulturvolk‘ rettete die Kinderseelen vor ‚der barbarischen Vernichtung des Ostens‘“ (S. 47).

Die fünfte Erzählung gleicht einer Fallstudie zu der Titelfigur „Pelagia“, einer 19-jährigen Polin, die trotz der Entbehrungen, die sie im Lager erleben muss, „gesund“ und „fröhlich“ (beide Zitate S. 49) ist. Ihr Wohlbefinden führt sie auf die Tatsache zurück, dass sie „zu leben gelernt habe“ (ebd.). Denn aufgrund ihrer Bemühungen, dem Lagerpersonal zu imponieren, gelingt es ihr, eine Anstellung als „Putzfrau“ (S. 50) im Häftlingskrankenbau zu erhalten, wo ihr die Patientenversorgung obliegt. Diese „ungeheure Verantwortung“ (ebd.) nutzt Pelagia zu ihrem Vorteil: Mit ihrer vertierten egoistischen Einstellung, dass „[d]as Allerwichtigste [sei], das Lager zu überstehen“, und dass „keiner […] sich um den anderen scheren [sollte]“ (beide Zitate S. 51), um sich selbst zu helfen, beutet sie ihre Patienten aus, indem sie ihnen Wasserrationen vorenthält oder ihre von Angehörigen zugesendeten Pakete entwendet. Mehrmals versuchen ihre Mitgefangenen, sie zum Umdenken zu bewegen; sie erinnern sie an das Gleichnis vom barmherzigen Samariter oder an die Säulen des christlichen Glaubens. Obgleich ihre Versuche vergeblich sind, offenbaren sie doch Pelagias Zweifel an Gott: „Wenn es wirklich einen Gott gäbe, dann würde es auf Erden keine solche Hölle geben, wie diese hier. Dann dürfte es Gott nicht zulassen, daß die Menschen so unschuldig leiden. […] Wie viele Mütter kommen hier schuldlos um, irgendwo bleiben ihre Kinder verlassen zurück und Gott sieht es und wendet es nicht ab“ (S. 54). Diese Aussage wird sich im weiteren Verlauf als tragische Prophezeiung erweisen, denn als Pelagia sich erneut weigert, einer Patientin Wasser zu reichen, weil sie nicht ihrer Stube zugehörig ist, und diese daraufhin verstirbt, weiß sie nicht, dass es sich um ihr „einziges Mütterchen“ (S. 56) handelt. Die Kurzgeschichte erhält durch diese Peripetie ihre literarische Wucht und zeigt auf, welche Konsequenzen das von den Umständen aufgezwungene egoistische Verhalten im Überlebenskampf haben kann.

Um die physische und psychische Erzwingung einer stolzen 23-jährigen und „ungewöhnlich hübsch[en]“ (S. 59) Russin geht es in „Zina“, die an einem Juliabend in die Strafkolonne versetzt wird. Durch ihre Schweigsamkeit zieht sie das Interesse der ‚Alteingesessenen‘ auf sich und fasziniert durch ihre „stolze[], aufrechte[] Haltung“ (S. 61), wie die Erzählerin wiederholt betont. Doch nachdem Zina von dem deutschen Wachpersonal verprügelt wird, verschlechtert sich ihr mentaler wie körperlicher Zustand: Sie wird zunehmend apathischer, bis sie eine absolut passive Haltung einnimmt und das Essen sowie die Arbeit verweigert. Den besorgten Worten ihrer Leidensgenossinnen begegnet sie mit der verzweifelten Gegenfrage, warum sie geschlagen werde, sie sei „doch ein Mensch ...“ (S. 64). Ihr geistiger Zerfall gipfelt in ihrem Versuch, sich selbst ein Grab auszuheben. Nüchtern bemerkt die Erzählerin abschließend, sie habe Zina zuletzt an Heiligabend „in der Zelle für Irrsinnige [gesehen], wo sie ruhig auf ihr Ende wartete“ (S. 65).

Die siebte Episode „Tauben“ hebt sich deutlich von dem Erzählfluss der anderen Erzählungen ab. Ihre Besonderheit liegt nicht nur in der formalen und stilistischen Umsetzung als tragisch-lyrischer Brief an Zarebińskas Partner Broniewski, sondern auch darin, dass sie als einzige Geschichte des Bandes nicht primär in Auschwitz angesiedelt ist. Vielmehr kehrt Zarębińska in ihre frühe Kindheit zurück und erzählt ihrem Geliebten in Ermangelung jeglicher Hoffnung auf ein Wiedersehen von einem traumatischen Erlebnis, das sie ihm bislang verschwiegen habe. Mit vier Jahren habe ihr ein Bauernjunge namens Georg ein Taubenpaar aus seiner Zucht geschenkt. Ihre Familie wollte diese Geste jedoch nicht annehmen, da sie vermutet, dass der Bauer nur eigennützig handelte. Als Marias Mutter ihn bittet, die Tauben zurückzunehmen, schlägt Georg den Tieren vor den Augen der Kleinen die Köpfe ab und kontert zynisch, er wolle sich mit dem Geschenk nicht aufdrängen, wenn es nicht erwünscht sei. Der Blick aus einem schmalen Fenster des Krankenreviers auf die Beine der ankommenden Häftlinge, die bald den Weg zum Krematorium beschreiten würden, lässt das Bild der toten Tauben wieder aufleben, das sich in Zarębińska Gedächtnis eingebrannt hat. Sie fühlt sich „genau so hilflos und ohnmächtig wie damals“ und kann die „Grausamkeiten, die Menschen ihren Mitmenschen zufügen“ (beide Zitate S. 77), nicht verstehen. Obwohl sie weiß, dass der Brief ihren Geliebten womöglich niemals erreichen wird, wie sie in einer autothematischen Bemerkung über die Gefahr des Briefeschreibens im Lager konstatiert, entschuldigt sie sich für dessen traurigen Tenor; zugleich aber hinterfragt sie, ob ein Brief jemals „in diesem Dasein anders klingen“ (ebd.) könnte.

Wie der Titel „Konzert“ schon erahnen lässt, dreht sich die achte Erzählung um das Mädchenorchester des Lagers, das u.a. von der „schaurigschöne[n]“ (S. 82) Aufseherin „Mandel“ (gemeint ist SS-Oberaufseherin und Lagerführerin Maria Mandl) und der Aufseherin „Dreschler“ (gemeint ist vermutlich Elsa Margot Drechsler) beaufsichtigt wird. Der Klang der Trommeln des Ensembles erinnert Zarębińska an „die Ankündigung besonders aufregender Attraktionen im Zirkus, vor dem Salto mortale eines Seiltänzers oder sonst einer mit Spannung zu erwartenden Zirkusvorführung“ (S. 79). In einer mächtigen Analogie beschreibt sie im Folgenden das Lager als eine solche „riesenhafte Zirkusarena“ (ebd.), in der die marschierenden Frauenkolonnen täglich ihren eigenen „kollektive[n] Salto mortale“ (S. 80) aufführen und dabei stets durch die Klänge des Orchesters begleitet werden, ganz gleich, was innerhalb der Kommandoreihe geschieht. Bald finden auch Platzkonzerte zur angeblichen „Unterhaltung der Kranken“ (S. 83) statt, die sich jedoch als musikalische Rahmungen für die Hinrichtungen neu eintreffender Häftlinge entpuppen. „Vielleicht bedeutet es ein Glück für sie, unter Orchesterklängen in den Tod zu gehen, nichts ahnend, welch grauenvolles Ende ihrer harrt …?“ (S. 85), räsoniert die Erzählerin.

Der Band schließt mit der Erzählung „Abschied von Zofia Prauß“, in deren Mittelpunkt eine Begegnung zwischen Zarębińska und der titelgebenden politischen Aktivistin und Frauenrechtlerin Zofia Praussowa steht, die im April 1944 mit einem Häftlingstransport aus Majdanek in Auschwitz eintrifft. Es ist eine Geschichte, die einerseits das Martyrium polnischer politischer Aktivisten verhandelt und andererseits deren solidarisches Gedächtnis bekundet: Die unbeugsame Zofia Prauß repräsentiert all jene Menschen, die ihren Idealen verhaftet blieben und sich auf diese Weise gegen deren Verfall wehrten. „Halte dich stark, Kind“, fordert sie Zarębińska auf, „[w]ir werden diese Schurken überdauern. Ihre Herrschaft ist bald zu Ende!“ (S. 91). Ihr ansteckender Optimismus und ihre ungebrochene Zuversicht lassen die Erzählerin sogar für einen kurzen Moment die Lagerrealität vergessen und an eine baldige Befreiung glauben: „Ich sehe weder Stacheldraht, noch das flammende Feuer des Krematoriums – ich höre über mir das Rauschen der roten Standarten […]. Ich sehe um mich herum keine gestreifte Sträflingskleidung mehr, ich sehe einen Zug freier, glücklicher Menschen“ (ebd.). Doch der hoffnungsvollen Stimmung setzt Zarębińska ein jähes, melancholisches Ende. Sie berichtet, dass Zofia Prauß am Tag der Befreiung des Konzentrationslagers durch sowjetische Truppen verstarb. Die ersehnte Freiheit durfte sie nicht mehr erleben, wäre sie doch ohnehin „zuviel des Glückes für ihr müdes Herz“ gewesen (ebd.).

In all ihren Beschreibungen nimmt die Autorin stets eine beobachtende Erzählperspektive ein und ist darauf bedacht, dem sadistischen Vergnügen des Lagerpersonals, das sie oft karikiert und bewusst namentlich erwähnt, bemerkenswerte Wogen der Solidarität seitens der Gefangenen entgegenzusetzen. Hier zeigt sich möglicherweise das Bedürfnis, nicht über das zu sprechen, was ihr persönlich widerfahren war – nicht, weil es „ihr schwerfiel, von diesen Erlebnissen zu reden“, sondern weil sie eine Überlebensschuld gegenüber den „unendlich vielen anderen Leidensgenossen [empfand, die] ums Leben gekommen waren“ (beide Zitate S. 8), wie Szletyński in seinem Vorwort formuliert. Mit ihren Geschichten setzt sie jenen von ihnen, die nicht mehr Zeugnis ablegen können, ein schriftliches Denkmal. Dennoch hält sie sich nicht mit reflexiven Kommentaren zurück, die ihre eigenen Überzeugungen zum Ausdruck bringen. Dass ihre Erzählungen nicht nur von ihrer Solidarität, sondern auch von ihrer künstlerischen Wahrnehmung geprägt sind, zeigt sich nicht zuletzt in ihrer feinen Beobachtungsgabe und der bühnengerechten Einteilung der Handlung in Szenen. Auf diese Weise wird deutlich, dass „sich die Kunst von dem Organismus des Künstlers“ (S. 6) in der Tat nicht trennen lässt.

Biografie

Maria Zarębińska (geb. 22. April 1904 in Oleśnica, gest. 5. Juli 1947 in Zürich) wuchs in wohlhabenden Verhältnissen in einer Kleinstadt der Woiwodschaft Kielce auf. Nach dem Abschluss des Gymnasiums absolvierte sie ein zweijähriges Schauspielstudium (1924 – 1926) am renommierten Reduta-Institut von Juliusz Osterwa in Wilna, wo sie von 1926 bis 1929 auch am Theater auftrat. Im Jahr 1928 lernte sie dort ihren Schauspielkollegen Henryk Szletyński, der später bekannter Theaterpädagoge werden sollte, und dessen Ehefrau Zofia Tymowska (ebenfalls Schauspielerin) kennen. In der Spielzeit 1929 bis 1931 schloss sie sich dem Ensemble des polnischen Theaters in Kattowitz an und von 1932 bis 1939 war sie auch an verschiedenen Schauspielhäusern in Radom, Stettin und Warschau engagiert. Diesen beruflichen Erfolg nennt Szletyński in seinem Vorwort eine „ungeheuer anerkennenswerte Pionierleistung“ (S. 7). Überdies sammelte sie in der Vorkriegszeit auch Filmerfahrung und besetzte kleinere Nebenrollen in erfolgreichen polnischen Spielfilmen: Zu ihren bekanntesten gehören unter anderem „Czarna perła“ (Schwarze Perle) (1934) sowie die Romanadaption „Granica“ (Die Grenze) (1938) des namhaften avantgardistischen Regisseurs Józef Lejtes. Weitere Filmprojekte waren „Młody Las“ (Junger Staat) (1934), „O czym marzą kobiety“ (Wovon Frauen träumen)  (1937) und „Sygnały“ (Signale) (1938).

Beruflich war sie ausgesprochen erfolgreich, ihr Privatleben jedoch von Abschieden und Schicksalsschlägen geprägt: Fünf Jahre nach ihrer Hochzeit verstarb im Jahre 1933 ihr erster Ehemann Zbigniew Kornacki und hinterließ ihr die gemeinsame Tochter Maria (auch Majka genannt, geb. am 8. Oktober 1931 in Warschau). Es vergingen weitere fünf Jahre, bis die Witwe im Mai 1938 bei einer Jubiläumsfeier in der Residenz des polnischen Malers Jan Nepomucen (1802-1847) mit dem angesehenen polnischen Dichter Władysław Broniewski (1897-1962) Bekanntschaft schloss und bald eine informelle Beziehung mit ihm einging. Der Lyriker, der zu diesem Zeitpunkt mit der Journalistin Janina Broniewska verheiratet war und es aus finanziellen Gründen bis 1946 blieb, brachte ebenfalls eine Tochter namens Joanna (Anka) in die Beziehung ein. Da die Beteiligten freundschaftliche Verhältnisse zueinander pflegten, beschlossen sie, ihren Kindern zuliebe mit ihren neuen Partnern in dasselbe Haus in Żoliborz zu ziehen. Sie lebten dort allerdings nur wenige Monate zusammen. Mit Ausbruch des Krieges wurden sie für sechs lange Jahre getrennt: Broniewski meldete sich im September 1939 freiwillig zur polnischen Armee, wurde in das sowjetisch besetzte Lemberg versetzt und verschwand im Januar 1940 für über ein Jahr als NKWD-Gefangener. Er kehrte erst in der zweiten Novemberhälfte 1945 aus dem Exil nach Polen zurück. Janina Broniewska und Tochter Anka flohen ebenfalls in die von der Roten Armee okkupierte Zone. Durch ihre Unterstützung sowie mithilfe einer Freundin der Familie, der Politikerin und Schriftstellerin Wanda Wasilewska, gelang auch Maria Zarębińska und ihrer Tochter im November 1939 die Flucht nach Lemberg. Dort fand Zarębińska eine Anstellung am polnischen Theater, an dem sie bis 1941 weilte. Nach dem Einmarsch der Deutschen im Juni kehrt sie mit ihrer Tochter zu ihrem Vater Pawel Zarębiński und ihrem Bruder Zdzisław in das besetzte Warschau zurück, weigerte sich aber, in den von Deutschen betriebenen Theatern zu arbeiten und verdiente ihren Lebensunterhalt als Kellnerin im Künstlercafé U Aktorek.

Am Morgen des 12. April 1943 fand die Gestapo bei einer Haussuchung Dokumente, die Untergrundaktivitäten ihres Bruders belegten. Außerdem stellte sie weiteres belastendes Material sicher, etwa einen Personal- und einen Dienstausweis Marias, der von sowjetischen Behörden in Lemberg ausgestellt worden war. Zarębińska und ihr Bruder wurden wegen des Verdachts auf konspirative politische Aktivitäten verhaftet und im Pawiak-Gefängnis inhaftiert. Nach Angaben von Marias Tochter wurde Zdzisław Zarębiński bereits während oder unmittelbar nach dem Verhör ermordet (o. A. 2016, S. 51). Maria Zarębińska aber überlebte und wurde nach einem einmonatigen Gefängnisaufenthalt am 13. Mai 1943 mit einer Gruppe von 23 weiblichen politischen Häftlingen nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie unter den Namen Maria Kornacka-Zarębińska mit der Häftlingsnummer 44739 registriert und der Strafkompanie (SK) im Block 25 des zweiten Außenlagers, dem sogenannten Todesblock des Frauenlagers, zugeteilt wurde. Hier musste sie körperliche Schwerstarbeit verrichten und massive Misshandlungen erdulden. So wurde sie etwa ein halbes Jahr später, im November 1943, von einem SS-Schergen brutal zusammengeschlagen und erlitt dabei einen Nierenschaden, der zur völligen Arbeitsunfähigkeit führte. Dank der Bemühungen ihrer Mithäftlinge konnte sie für vier Monate auf das Krankenrevier verlegt werden und sich dort von den unmittelbaren Folgen der Schläge erholen. Jedoch begünstigten ihre extreme Erschöpfung sowie die katastrophalen hygienischen Bedingungen weitere lebensbedrohliche Infektionen: Sie erkrankte an eitriger Krätze, der bakteriellen Ruhr und schließlich an Typhus.

Im Zuge der stufenweisen Räumung des Lagers wurde sie im Sommer 1944 zusammen mit Tausenden weiblichen Gefangenen zur Zwangsarbeit in deutschen Produktionsstätten ausgewählt. Sie wurde am 24. Juli 1944 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück (Häftlingsnummer 46295) verbracht und unter Quarantäne gestellt. Am 1. September 1944 wird sie in das Konzentrationslager Buchenwald (Häftlingsnummer 27162) überführt, bis sie wegen ihrer guten Deutsch- und Schreibmaschinenkenntnisse mit einer Stelle in der Verwaltung der HASAG-Munitionsfabrik betraut und am 7. September 1944 in das Buchenwalder Frauen-Außenlager Altenburg überstellt wurde. Zarębińska blieb dort bis zur Auflösung des Lagers am 12. April 1945 – auf den Tag genau 2 Jahre nach ihrer Verhaftung. Sie gehörte zu den ersten Häftlingen, die im Mai nach Polen zurückkehren durften. Nach einer etwa zweiwöchigen Rückreise ließ sie sich im Juni 1945 in Lodz nieder. Dort traf sie ihre ehemaligen Theaterkollegen sowie ihre mittlerweile 13-jährige Tochter wieder, die nach ihrem Aufenthalt in einem Heim für Kriegswaisen in Stoczek von Janina, der ersten Frau von Broniewski, betreut wurde. Janina arbeitete als Chefredakteurin und Kriegsberichterstatterin für die auflagenreiche Tageszeitung „Polska Zbrojna“ und ermöglichte, dass die ersten Erzählungen Zarębińskas noch im selben Monat an die Öffentlichkeit gelangten (vgl. Werkgeschichte). Zarębińskas bedeutendster publizistischer Erfolg aber war ihr unvollendeter Roman „Dzieci Warszawy“ (Kinder von Warschau), der zunächst zwischen 1945 und 1946 in Fortsetzungen in der Kinderzeitschrift „Przyjaciielu“ veröffentlicht wurde und im Jahr 1958 posthum in Buchform erschien. Wegen seines hohen ästhetischen und pädagogischen Wertes wurde der fragmentarische Kinderroman während der kommunistischen Ära zur Pflichtlektüre an polnischen Grundschulen und bereitete damit den Boden für ihre literarische Karriere, die allerdings bis heute im Schatten des dichterischen Schaffens ihres Lebensgefährten steht.

Neben ihren schriftstellerischen Ambitionen widmete sich Zarębińska nach dem Krieg wieder ihrer Leidenschaft und spielte am polnischen Armeetheater in Lodz. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich jedoch zusehends. Nach der Uraufführung der Erfolgskomödie „Zemsta“ (Rache) nahm sie nur noch an wenigen Aufführungen teil. Es stellte sich heraus, dass sie schwer an einer Blutkrankheit erkrankt war – möglicherweise eine Begleiterscheinung der Kachexie (Auszehrung), die sie sich während ihrer Haft im Lager zugezogen hatte. Da die Behandlungsmethoden der heimischen Medizin begrenzt waren, begab sie sich im August 1946 in die Schweiz für eine experimentelle Therapie mit Schockdosen von Penicillin, die Broniewski für sie organisierte und finanzierte. Ihren Lebensabend verbrachte die Schauspielerin dann in dem Züricher Sanatorium Hirslanden, wo sie kurz vor ihrem Tod mit ihrem Geliebten eine symbolische Hochzeit feierte. Trotz intensiver Behandlung erlag Maria Zarębińska-Broniewska am 5. Juli 1947 im Alter von 43 Jahren den gesundheitlichen Spätfolgen ihres Lageraufenthalts.

Quellen:

  • „Altenburg Labour Camp“, 1.1.5.4/129640860/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Broniewski miał mieszkać w Londynie. Do Polski wrócił dla żony”. Online: https://polskieradio24.pl/39/156/artykul/2407012,broniewski-mial-mieszkac-w-londynie-do-polski-wrocil-dla-zony (Stand: 19.09.2022).
  • „Konzentrationslager Weimar-Buchenwald, Häftlings-Personal-Karte Maria Kornacka“, 1.1.5.4/7622445/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • „Maria Zarębińska“. In: Encyklopedia Teatru Polskiego. Online: https://encyklopediateatru.pl/osoby/15815/maria-zarebinska (Stand: 20.08.2022).
  • „New Arrivals Subcamp Altenburg“, 1.1.5.4/129641858/ ITS Digital Archive, Arolsen Archive.
  • Lichodziejewska, Feliksa: „Korespondencja Broniewskiego z córką: 1941-1945.” In: Pamiętnik Literacki: czasopismo kwartalne poświęcone historii i krytyce literatury polskiej (1994), Nr. 85.3, S. 147-174.
  • „Kornacka-Zarębińska, Maria“. In: Memorial and Museum Auschwitz-Birkenau. Online: https://www.auschwitz.org/en/museum/auschwitz-prisoners/ (Stand: 19.08.2022)
  • Shore, Marci: Caviar and Ashes. A Warsaw Generation’s Life and Death in Marxism, 1918-1968. New Haven 2008.
  • Tramer, Maciej: „Jedenaście z dwudziestu czterech. O zapomnianych Opowiadaniach oświęcimskich Marii Zarębińskiej-Broniewskiej“. In: Narracje o Zagładzie (2020), Nr. 6, S. 332-340.
  • Tramer, Maciej: „‚Tęsknota, która każe myśleć i czuć inaczej‘. O listach Marii Zarębińskiej-Broniewskiej i Władysława Broniewskiego”. In: Bibliotekarz Podlaski Ogólnopolskie Naukowe Pismo Bibliotekoznawcze i Bibliologiczne (2021), Nr. 49.4, S. 195-226.
  • Uljasz, Adrian: „Maria Zarębińska-Broniewska (1904-1947). Aktorka, pisarka, więzień Oświęcimia”. In: Przeglad Nauk Historycznych (2014), Nr. 13, S. 101-125.
  • o. A.: 44739. Wspomnienie o Marii Zarębińskiej – aktorce. Toruń 2016.


Werkgeschichte

Aufgrund der konkreten Datums- und Ortsangaben unter drei der gedruckten Titel („Sintflut“, „Ratten“ und „Zina“) sowie der kurzen Zeitspanne zwischen der Rückkehr Zarębińskas und der Veröffentlichung ihrer ersten Memoiren wird angenommen, dass die Autorin einige Geschichten noch im Lager verfasste, versteckt vor Mitgefangenen und den SS-Mannschaften (vgl. Tramer 2018, S. 89; Uljasz 2014, S. 120). Damit gehören die „Auschwitzer Erzählungen“ zu den wohl ersten in Polen gedruckten literarischen Zeugenberichten, die von einer (ehemaligen) Insassin des NS-Frauenlagers verfasst wurden und das Schicksal der weiblichen KZ-Häftlinge thematisieren (vgl. Tramer 2020, S. 335).

Die ersten Erzählungen, die unmittelbar nach ihrer Heimkehr im Juni 1945 in der auflagenstarken nationalen Tageszeitschrift „Polska Zbrojna“ (Nr. 110-112) in einer Sonderrubrik mit dem Titel „Opowiadania oświęcimskie“ (Auschwitzer Erzählungen) veröffentlicht wurden, waren die Episoden „Entlausung – odwszenie“ und „Szczury“ (Ratten). Im Folgemonat wurde in derselben Zeitschrift „Dzieci za drutami“ (Kinder hinter Stacheldraht) (Nr. 148 und 150) abgedruckt. Die Kurzgeschichte „Zina“ erschien gleich in zwei Zeitungen, einmal 1945 in „Nowe Widnokręgi“ (Nr. 11/12) und 1946 in „Kuźnicy (zusammen mit „Entlausung – odwszenie“ in Nr. 23). Im März 1946 gelangte die Erzählung „Koncert“ (Konzert) durch die Krakauer Zeitschrift „Przekrój“ erstmals an die Öffentlichkeit. Neben diesen Geschichten wurden zwei weitere Episoden publiziert, die in keine der späteren Sammlungen Eingang fanden und heute weitgehend in Vergessenheit geraten sind: Im November 1945 wurde in der „Polska Zbrojna“ (Nr. 236) die Kurzgeschichte „Pamięci tych, co grobów nie mają“ (Zum Gedenken an diejenigen, die kein Grab haben) veröffentlicht. Die letzte zu ihren Lebzeiten erschienene Erzählung trägt den Titel „Dziękuję …“ (Danke …) und handelt von ihrem Aufenthalt auf dem Krankenrevier (vgl. Tramer 2018, S. 78f.). Somit wurden sieben der insgesamt elf überlieferten Erzählungen vor dem Tod der Schauspielerin in der Presse verlegt. Erst posthum wurde die Episode „Potop“ (Sintflut) 1963 noch einmal separat in die von Jan Zygmunt Jakubowski herausgegebene Kurzgeschichtenanthologie „Za drutami. Antologia pamięci 1939-1945“ (Hinter dem Draht. Eine Anthologie der Erinnerung 1939-1945) aufgenommen.

Als Sammelband wurden die Erzählungen zum ersten Mal 1948 von der Verlagsgemeinschaft Książka i Wiedza mit einem Coverdesign von Zbigniew Rychlicki herausgegeben. (Die Coverskizze wird in deutscher Übersetzung auf dem Vorderdeckel abgebildet.) Die Gesamtauflage betrug 5370 Exemplare. Der Titel des Buches „Opowiadania oświęcimskie“ ist der Kolumne aus der Zeitschrift „Polska Zbrojna“ entlehnt. Zusätzlich zu den fünf bereits erschienenen Episoden enthält diese Fassung die vier übrigen, bis dahin unveröffentlichten Geschichten „Potop“ (Sintflut), „Pelasia“ (Pelagia), „Gołębie“ (Tauben) und „Wspomnienie o Zofii Praussowej“ (Abschied von Zofia Prauß). Allerdings blieb diese nicht sehr sorgfältig redigierte Fassung von der damaligen Kritik fast unbemerkt. Auch zeitgenössische Literaturhistoriker scheinen sie übergangen zu haben und behandelten die zweite Ausgabe, die 1960 mit einer erhöhten Auflage von 10.000 Exemplaren erschien, als die erste (vgl. Tramer 2018, S. 75). Inhaltlich und kompositorisch handelt es sich dabei um eine exakte Vervielfältigung der Erstausgabe, die allerdings einem gründlichen Lektorat unterzogen wurde und einen neuen Einband von Barbara Kusak erhielt.

1947 nahm der in Potsdam und Berlin lizenzierte VVN-Verlag das Buch an und veröffentlichte die deutsche Übersetzung von Christa Werner im Jahr 1949 mit einer Erstauflagenhöhe von 10.000 Exemplaren. Es lässt sich konstatieren, dass sich auch in diese Ausgabe Redaktionsfehler eingeschlichen haben. Um ein paar Beispiele zu nennen: In der „Erinnerung eines Freundes“ heißt es, Szletyński habe Maria im „Herbst des Jahres 1908“ (S. 5) und nicht 1928 kennengelernt. Auch die Namen wurden nicht immer aus dem polnischen Original korrekt übertragen. Aus „Mengele“ (1948, S. 35) wurde etwa „Mendele“ (S. 46).

Das mit Illustrationen von Georg McKing versehene Werk wurde von der deutschen Presse zwar positiv, aber insgesamt äußerst zurückhaltend aufgenommen. Aufbau-Rezensent Erich G. Günter betont 1950 etwa die exemplarische Bedeutung der drei Erzählungen „Sintflut“, „Entlausung“ und „Konzert“ und fühlt sich durch die „schlichten, leisen Berichte“ an „die Szenerie der ‚letzten Etappe‘“ des polnischen Spielfilms von Wanda Jakubowska erinnert (zitiert nach Peitsch 2021, S. 84). Albert Kroh hingegen nennt das Werk in seinem 1963 erschienenen Literaturauswahlverzeichnis „Faschismus und Widerstand“ pointiert „ein erschütterndes Zeugnis nazistischer Unmenschlichkeit“ (zitiert nach Peitsch 2021, S. 375). Im Jahr 1965 erwähnt Ernst Schumacher (1965/2021: 212) in seiner Nachbemerkung zum Theaterstück „Die Ermittlung“ von Peter Weiss die „Auschwitzer Erzählungen“ in einem Atemzug mit den „beklemmende[n] Erzählungen“ der bedeutenden Schriftsteller:innen Luise Einser („Jan Lobel aus Warschau“), Arnošt Lustig („Demanten der Nacht“) und Tadeusz Borowski („Die steinerne Welt“), in denen jeweils „eigene Erlebnisse […] in allgemeine[], typische[] Schicksale von Häftlingen und bewachenden Mördern“ aufgehoben würden.

Ein drittes Mal wurden die Kurzgeschichten 1971 nach dem Tod Broniewskis unter dem Titel „Ręka umarłej“ (Die Hand der Toten) in einer Anthologie von Halina Ruszkiewicz erneut im Verlag Ksiazka i Wiedza herausgegeben. Die Auflage stieg auf 20.000 Exemplare und es wurden weitreichende Änderungen der Komposition vorgenommen. Neben Nachdrucken der „Auschwitzer Erzählungen“ sind darin einige Gedichte aus Broniewskis Bänden „Drzeworozpaczajace“ (Baum der Verzweiflung) und „Nadzieja“ (Hoffnung) enthalten, die der Dichter seiner Frau widmete, sowie ein Brief Marias an ihre Schwester. Auch diese Auflage ist mit aufwendigen Schwarz-Weiß-Zeichnungen und Skizzen versehen, die Olga Siemaszko, eine Freundin von Zarębińska, die sie in Lemberg kennenlernte, anfertigte. Auf das Vorwort von Henryk Szletyński wurde in diesem Gemeinschaftswerk verzichtet; stattdessen findet sich eine Einleitung mit Titel „Wołanie wiatru“ (Der Ruf des Windes), die von der polnischen Schriftstellerin und Holocaust-Überlebenden Seweryna Szmaglewska verfasst wurde. Zudem wurde die Anordnung der Erzählungen verändert, so dass sie mit den eingefügten Gedichten und Grafiken besser korrespondieren.

2016 erschien im Adam Marszałek Verlag aus Toruń das Buch „44739. Wspomnienie o Marii Zarębińskiej – aktorce” (44739. Zum Gedenken an Maria Zarębińska – Schauspielerin), das im ersten Teil die Abschrift eines ausführlichen Gesprächs der polnischen Autorin Aneta Kolańczyk mit der Tochter Marias, heute Maria Broniewska-Pijanowska, umfasst und im zweiten Teil die „Auschwitzer Erzählungen“ enthält. Mit Fotografien und Auszügen aus Gedichten und Briefen von Broniewski angereichert, zeichnet das Interview einen Abriss beginnend bei den frühesten Erinnerungen an ihre Mutter bis hin zu den Kriegsereignissen. Eine Rezension von Izabela Fietkiewicz-Paszek beschließt das Werk. Darin resümiert sie, dass es sich bei den „Auschwitzer Erzählungen“ um ein persönliches und wertvolles Zeitdokument handle, das zweifelsohne eine sorgfältige Lektüre verdiene und einen Platz neben den kanonischen Werken der Kriegsliteratur finden sollte (vgl. Fietkiewicz-Paszek 2016, S. 4).

Aus dem Nachlass der polnischen Schauspielerin ist überdies ein etwa 150-seitiges, handschriftliches Manuskript erhalten geblieben, das neben Auszügen ihres Romans „Dzieci Warszawy“ auch die Rohentwürfe der Geschichten „Gołębie“, „Pelasia“, „Koncert“ und „Wspomnienie o Zofii Praussowej“ enthält. Auf der letzten Seite findet sich zudem eine vorläufige Skizze des künftigen Buches, aus der nicht nur eine gänzlich andere Anordnung der Episoden als in den bisher erschienenen Ausgaben hervorgeht, sondern auch, dass Zarębińskas Projekt ursprünglich auf etwa vierzig Geschichten angelegt war. Die neun bzw. elf erhaltenen Erzählungen machen also nicht einmal die Hälfte des geplanten Zyklus aus. Zudem sollten die Geschichten lediglich einer nüchternen Chronologie unterliegen und den 24 Monaten, die sie in verschiedenen Lagern in Gefangenschaft verbrachte, zugeordnet werden (vgl. Tramer 2018, S. 74). Dieser Chronikcharakter lässt vermuten, dass auch Erinnerung aus den Lagern Ravensbrück und Altenburg in den Zyklus einbezogen werden sollten. Da sämtliche Ausgaben somit wenig Ähnlichkeit mit der beabsichtigten inhaltlichen Konzeption des Buches von Zarębińska-Broniewska haben, stellt Tramer (vgl. 2018, S. 73) die provokante These auf, dass sie einer Veröffentlichung in diesen Formen womöglich nicht zugestimmt hätte. Ferner verwische die ausdrucksstärkere redaktionelle Form zunehmend die Spuren des fragmentarischen Charakters der Kurzgeschichten (vgl. ebd., S. 89). Es gelte deshalb, den Sammelband nicht als ein vollendetes Ganzes zu verstehen, sondern die neun Geschichten als zusammengesetzte, unabhängige Fragmente zu begreifen.

Quellen:

  • Fietkiewicz-Paszek, Izabela: „Postanowiłam dzień dzisiejszy spędzić na pisaniu listu do Ciebie. Listu, który nigdy nie dojdzie...” O Opowiadaniach oświęcimskich Marii Zarębińskiej-Broniewskiej. Online: http://alternet.poezja-art.eu/wp-content/uploads/2014/05/Maria-Zarębińska-Opowiadania-oświęcimskie-posłowie.pdf (Stand: 11.08.2022).
  • Jung, Thomas: Aus den Schatten der Vergangenheit treten: Das Schreiben jüdischer Autoren aus der DDR vor und nach der Wende. In: Roswitha Skare und Rainer B. Hoppe (Hg.): Wendezeichen? Neue Sichtweisen auf die Literatur der DDR. Amsterdam: Rodopi. S. 65-82.
  • Schumacher, Ernst (1965/2021): „Die Ermittlung” von Peter Weiss. Über die szenische Darstellbarkeit der Hölle auf Erden. In: Peter Weiss: Die Ermittlung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. S. 211-233.
  • Tramer, Maciej: „Jedenaście z dwudziestu czterech. O zapomnianych Opowiadaniach oświęcimskich Marii Zarębińskiej-Broniewskiej“. In: Narracje o Zagładzie (2020), Nr. 6, S. 332-340.
  • Uljasz, Adrian: „Maria Zarębińska-Broniewska (1904-1947). Aktorka, pisarka, więzień Oświęcimia”. In: Przeglad Nauk Historycznych (2014), Nr. 13, S. 101-125.
  • Peitsch, Helmut: Reisen nach Auschwitz und Anthologien Letzter Briefe, 1945-1975. Eine literarische Beziehungsgeschichte von Antifaschismus in BRD und DDR. Berlin 2021.
  • Polska Akademia Nauk Instytut Badan Literackich (Hg.): Polska Bibliografia Literacka. Za Lata 1944-1945. Warschau 1957. Online: http://rcin.org.pl/Content/59348/WA248_79354_P-II-387_pbl-1944-45_o.pdf (Stand: 09.08.2022).
  • Zarębińska-Broniewska, Maria: Opowiadania oświęcimskie. Warschau 1948.



Bearbeitet von: Jennifer Ehrhardt