Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten (1946)
Angaben zum Werk
Titel | Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten |
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Autor | Adler, Hermann (1911-2001) |
Genre | Gedichtsammlung |
Ausgaben des Werks
Ausgabe von 1946, Zürich | |
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Titel | Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten
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Erscheinungsort | Zürich |
Erscheinungsjahr | 1946
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Verlegt von | Verlag Oprecht
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Umfang | 63 Seiten
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Zusammenfassung
Die Gedichtsammlung von Hermann Adler „Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten“ ist in drei Zyklen und einen Ausklang untergliedert. Jedem Zyklus ist ein einleitender Text vorangestellt, der die folgenden Balladen biblisch einrahmt. Allen Balladen liegt die Annahme zugrunde, dass sowohl das Judentum als auch das Christentum versagt haben; vor allem, da das Christentum seinen jüdischen Ursprung vergessen und das Judentum seine Grundüberzeugungen verraten hat. Auffällig ist, dass zahlreiche Seiten leer bleiben oder nur einen überleitenden Vers enthalten.
Der erste Zyklus trägt den Titel „Balladen von den Wagen Gottes“. Eingeleitet wird er durch einen Auszug aus dem Buch Hiob, in dem Hiobs Schuldlosigkeit erwähnt wird. Der Ewige spricht, dass er gereizt wurde, Hiob zu verderben. Das erste Gedicht benennt die Gettobewohner, und vor allem die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, als Söhne und Töchter Hiobs. Sie seien die vor Gott gerechten. Im zweiten Gedicht wird das Leid, das die Menschen ertragen müssen, als Prüfung Gottes dargestellt. Jesus habe für die Sünden der Menschen am Kreuz sterben müssen, dennoch muss das jüdische Volk weitere Strafen über sich ergehen lassen. Der Text ist eine Mischung aus verzweifelter Anklage gegen Gott und der Annahme seiner Prüfung. Das lyrische Ich versucht die Strafe anzunehmen und die Leiden zu ertragen, ohne einen Hass auf die Täter zu entwickeln und spricht dabei stellvertretend für das jüdische Volk. Immer wieder wird Gott um Vergebung gebeten und auch die Bereitschaft sich vor Gott mit den Tätern zu versöhnen, wird thematisiert.
Der nächste Teil des Zyklus beschreibt die Härte der Prüfung und die Situation nach dem Ende des Krieges, in dem das Leid nur durch weiteres Leid ersetzt wurde und die Menschen bereits erneut jede Hoffnung verlieren. Auch jetzt im Frieden ist das eigene Volk noch geschwächt und zerrissen. Es trage das Gift in sich, das aus dem Leid, das sie erdulden mussten, entstand. Das Klagelied findet seinen Höhepunkt in dem Ausdruck, dass das jüdische Volk genug für alle Sünden habe büßen müssen und nun endlich Ruhe finden möchte: „Wir alle büssen längst für aller Sünden, // Gekreuzigt, auferstanden – und verachtet!“ Der Zyklus endet damit, dass alle Opfer als Söhne Hiobs in den Himmel fahren, wo Gott sie segnet und den Hass verflucht.
Der zweite Zyklus mit dem Titel „Balladen von dem alten Zaddik“ beginnt mit einem Bibelzitat aus dem fünften Buch Moses. Dieser Abschnitt wird im Judentum immer am Tag Simchat Tora gelesen. Nach dieser Geschichte, die mit Moses Tod endet, wird die Tora wieder zurückgedreht und es wird der Beginn des ersten Buch Mose vorgelesen. Somit werden Anfang und Ende miteinander verbunden. Gleichzeitig wird die Ewigkeit Gottes und die Vergänglichkeit des Menschen symbolisiert. Dieses Motiv zieht sich durch alle Zyklen. Auch die grausamen Verbrechen, die an den Juden verübt wurden, stehen im Mittelpunkt der Balladen.
Die Gedichte werden damit eingeleitet, dass der Tempel des Zaddiks zerstört wurde. Der Zaddik ist eine jüdische Figur und symbolisiert einen Gerechten bzw. Rechtsschaffenen, der zu den Menschen spricht und sie von ihrem Hass befreien möchte. Der Zyklus beginnt im Wilnaer Getto: „Eng sind die Gassen von Wilna. Und wo sich die Dächer berühren, // Erde nie Sonnenlicht sieht, wächst aus dem Boden ein Kreuz. // Und es ist steinern das Kreuz. Der gekreuzigte Heiland ist steinern. // Aber von Kreuzen aus Holz sickerte Lebender Blut…“ (S. 28) Den Menschen fiele es leicht, zu einer steinernen Figur zu beten, so die Aussage der Ballade, während sie das Leid der im Getto lebenden Menschen ignorieren könnten. Das Motiv der kalten, versteinerten Herzen der Christen in der Zeit des Nationalsozialismus zieht sich als Motiv durch den gesamten Zyklus wie etwa in diesen Versen: „Ihr Steinernen! Wer gab euch Kraft zu gaffen? // Ihr Steinernen! Macht fremder Schmerz euch Vergnügen?“ (S. 37) Der Hass, der die Menschen verdorben hat, äußere sich auch darin, dass das Christentum seine jüdische Grundlage vergessen habe. Jesus sei Jude gewesen und sei als verfolgter Jude gekreuzigt worden.
Der dritte Zyklus behandelt die „Balladen von den wahren Mahnern“ und wird durch die Schilderung des Untergangs von Babel gerahmt. Im Zentrum steht der Ewige Jude, der immer weiterwandert und seine Heimat nicht findet. Auch hier wird immer wieder auf die Rolle des Judentums für das Christentum verwiesen und auf die Abkehr von Werten; es wird nicht mehr nur ein einfaches Kreuz angebetet, sondern ein vierhakiges („Vierhakig war das Kreuz. Dem bösen Triebe // War dieses Kreuz geweiht. Zum Gott ward Lüge.“ (S. 48)). Der Zyklus endet dennoch hoffnungsvoll, da das Leiden zu einem „Stück Geschichte […] verklungen“ (S. 51) ist und die neuen Generationen singen und neue Helden zustande bringen könnten. Die Überreste des Warschauer Gettos würden immer durch die Toten gekennzeichnet sein und immer daran erinnern, was den Menschen dort widerfahren sei. Die Figur des Ewigen Juden wird so zum Hoffnungsträger: Er ist dem Tod entkommen, wird weiterwandern und die christlichen Völker anklagen. So trägt er durch Gottes Hilfe das verstreute jüdische Volk weiter durch die Welt.
Der Ausklang des Werkes behandelt einen Traum, indem das Lyrische Ich ein deutsches Kind tröstet, das am Grab seiner getöteten Brüder steht. Er beweist damit vor Gott, dass er sich auch im wahren Leben so verhalten und sich der Liebe statt dem Hass widmen könne, auch wenn diese Haltung die Toten nicht mehr lebendig machen könne.
In der Einleitung des Bandes wird gemahnt, dass die Erlebnisse der Juden in den Gettos und Konzentrationslagern nicht zu Hass führen dürften. Die Balladen gehen, so Adler, auf eine sozialistische und gläubige Überzeugung zurück und sollen dem erfahrenen Leid Ausdruck verleihen. Adler bezieht sich dabei auch auf den Aufstand im Warschauer Getto, an dem er selbst beteiligt war.
Quelle:
- Perkins, Carl M.: Warum Simchat Tora so fröhlich begangen wird – obwohl es an diesem Tag auch um Moses’ Tod geht. 2006. Online: https://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/6583 (Stand. 08.08.2018).
Biografie
Hermann Adler, geb. am 2. Oktober 1911 in Diószeg, Österreich-Ungarn, gest. am 18. Februar 2001 in Basel, wuchs in Nürnberg auf und lehrte nach seiner Ausbildung zum Lehrer am jüdischen Lehrerseminar in Würzburg und Breslau sowie an einer Schule für Schwererziehbare in Landeshut (Kamienna Gora). 1934 kehrte er in die Tschechoslowakei zurück und diente ab 1939 in der ‚Tschechoslowakischen Legion‘. Während des Zweiten Weltkrieges schloss er sich dem jüdischen Widerstand in Litauen und Polen an und spielte eine wichtige Rolle bei den Getto-Aufständen in Vilnius und Warschau. Er entkam zunächst nach Budapest, wurde aber nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Getto von Wilna inhaftiert. Mit seiner Frau Anita Distler lebte er mehrere Monate lang versteckt in der Wohnung des aus Wien stammenden Feldwebels Anton Schmid. Schmid wurde 1942 wegen seiner Hilfe für Juden hingerichtet. 1943 konnte Adler aus dem Getto von Wilna nach Warschau fliehen, wo er am Aufstand im Warschauer Getto teilnahm. Er wurde jedoch gefangengenommen und in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert, wo er medizinischen Experimenten ausgesetzt war.
Nach dem Krieg zog Adler in die Schweiz. Hier entstanden ab 1945 Werke, in denen er sowohl in berichtender als auch erzählender und fiktionaler Form über das Getto von Vilnius und den jüdischen Widerstand schrieb. 1945 erschien die Gedichtsammlung „Gesänge aus der Stadt des Todes“ und die Erzählung „Ostra Brama ‑ Eine Legende aus der Zeit des großen Untergangs“. 1948 folgten „Fieberworte von Verdammnis und Erlösung und 1950 „Bilder nach dem Buche der Verheissung“. Er schrieb auch Texte für Radio und Fernsehen, ebenso wie Bücher mit psychologischen Themen.
1967 drehte der israelische Filmregisseur Nathan Jariv nach dem Drehbuch von Hermann Adler den ZDF-Fernsehfilm „Feldwebel Schmid“.
Quelle:
- Eintrag zu Adler, Hermann. Online: https://web.archive.org/web/20160325060917/http://www.vilnius-ip.de/index.php?option=com_content&view=article&id=246&Itemid=201&lang=de (Stand: 25.03.2016).
- Walter Habel: Wer ist wer?, Bd. 1 (West), Berlin 1967, S. 7.
- Renate Heuer (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 1, München: Saur 1992, S. 60f.
- Encyclopedia of Judaism. Eintrag zu Hermann Adler. Online: http://judaism_enc.enacademic.com/414/ADLER%2C_HERMANN
Werkgeschichte
Adlers Balladen wurden unterschiedlich wahr- und aufgenommen. Immer wieder wurde betont, dass Adlers Verse sehr ausdrucksstark sind und man ihnen Beachtung schenken müsse. So schreibt etwa G. Isolani in einer Rezension: „Es ist notwendig, daß man dem Ankläger und ernsten Mahner Hermann Adler Gehör schenkt. Dichter sehen oft mit vorurteilsfreien Augen die kommenden Zeiten und Welten, mit einem ungetrübten Instinkt und Ahnungsvermögen, wie sie noch so gut informierten Politikern und anderen Weltverbesserern zuweilen mangeln.“ (Basler Nachrichten, 22.11.1946) „Das Bücherblatt“ betitelt die Balladen als „in Form gepresste Leidenschaft“ (Das Bücherblatt, Zürich, 1.07.1948), die ein sehr aufwühlendes Zeugnis abgeben. „[E]in beklemmendes Gefühl“ (Echo der Woche, 7.2.1947) hinterlassen die Balladen laut „Echo der Woche“. Auch weitere Pressestimmen bezeugen, dass das Werk „leidenschaftlicher und eindringlicher als irgendein anderes dichterisches Zeugnis“ (MACCABI 31.3.1947, S. 8) ist, „das nackte Entsetzen […] darin verdichtet [ist]“ (Der Bund, 16.12.1945) und eine Botschaft in sich trage, „die an den Wurzeln rührt“ (Volksrecht, 13.11.1946). Immer wieder wird auf die Wucht der Worte eingegangen und festgestellt, dass es Adler mehr um den Inhalt als die Form seiner Werke geht. Ein Rezensent des „Demokrat“ schreibt: „Erschütternde Lieder in seiner Ausdruckskraft, Einfachheit und Wahrheit kaum mit anderen neuzeitlichen poetischen Dokumenten vergleichbar […]“ (Demokrat, 28.11.1945).
Andere Rezensionen dagegen stellen fest, dass das neue Werk dem alten nicht gerecht werde. So etwa ein Rezensent der National Zeitung: „Der neue Gedichtband erscheint uns, bei allem Respekt vor der sprachlichen Zucht und der gedanklichen Sauberkeit des Dichters, nicht als Steigerung über seine früheren Gesänge hinaus […]. Möge ihm aus neuem Erleben neuer Klang und neue Form erwachsen!“ (Nationalzeitung, 7.12.1946) Robert Brunner geht verstärkt auf den Inhalt der Balladen ein und bemängelt die harsche Kritik an der Kirche und Synagoge in den Balladen. Er unterstellt, dass sich Adler mit der Realität des Glaubens nicht auskenne. „Wer Adlers Balladen liest, der bekommt den Eindruck als hätte es eine solche Gemeinde nicht gegeben, eine Gemeinde Christi, die dem neuheidnischen Unterdrücker gegenüber auf der Seite der Juden stand. […] [E]r sieht nur den Christus aus Stein und die versteinerten Christen. Etwas anderes paßt nicht in seine Konzeption.“ (Judaica Zürich, 1.7.1948) Brunners Rezension endet mit dem Fazit, dass die Balladen oberflächlich sind und dort, wo sie es nicht sind, sich im Sentimentalen verirren.
Quellen:
- G. Isolani: Gedichte von Hermann Adler. „Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten.“ In: Basler Nachrichten, Basel, 22.11.1946.
- O.A.:Adler, Hermann: Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten. In: Das Bücherblatt, Zürich, 1.07.1948.
- Meyer-Mengede: Hermann Adler: Balladen der Gekreuzigten, der Auferstandenen, Verachteten. In: Echo der Woche, München, 7.2.1947.
- Mawo: ‚Bücher, die uns angehen…‘ In: MACCABI, Basel, 31.3.1947, S. 8.
- V.W. In: Der Bund, 116.12.1945.
- P.K. In: Volksrecht, Zürich, 13.11.1946.
- O. A.: In: Demokrat, 28.11.1945.
- M.b.: In: Nationalzeitung, Basel, 7.12.1946.
- Brunner, Robert. In: Judaica Zürich, 1.7.1948.
Bearbeitet von: Sandra Binnert