Das Vaterland (1933)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Das Vaterland
Autor Liepmann, Heinz (1905-1966)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1933, Amsterdam
Titel Das Vaterland
Untertitel Ein Tatsachen-Roman aus dem heutigen Deutschland

Erscheinungsort Amsterdam
Erscheinungsjahr 1933

Auflagenhöhe insgesamt 4 auf Deutsch
Verlegt von P. N. van Kampen & Zoon N. V.

Publiziert von Liepmann, Heinz (1905-1966)

Umfang 295 Seiten
Abbildungen Keine

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Roman erzählt die Geschichte der Besatzung des Dampfers „Kulm“, welche nach dreimonatigem Aufenthalt auf See Ende März 1933 in ihren Heimathafen Hamburg zurückkehrt. Abgeschnitten von allen Informationen haben die Männer an Bord nichts von den Veränderungen in Deutschland seit Regierungsantritt der Nationalsozialisten im Januar erfahren. Anhand der Mitglieder der Mannschaft zeigt Liepmann in seinem Roman die vielfältigen Reaktionen der Männer zwischen Unglauben über die herrschende Gewalt, Auflehnung gegen und Sympathie für die NS-Bewegung.

Noch bevor die Mannschaft in den Hamburger Hafen einfährt, trifft sie bereits auf das erste Opfer der Nationalsozialisten. Der Mann ist ein Sekretär der pazifistischen „Liga für Menschenrechte“, der mit heftigen Foltermalen aus einem Konzentrationslager geflohen ist, um sich in der Elbe zu ertränken. Als die Männer versuchen ihn zu retten, kann der Gefolterte nicht fassen, dass diese über seinen Zustand schockiert sind: „‚Ich‘ – sagte der Mann, – ‚ich war nur im Konzentrationslager. Vielleicht wissen Sie nicht, was das ist. Ich rate Ihnen gut: Fragen Sie auch niemals danach. […] S i e wollen mir helfen? Retten Sie sich erst selber, Sie Dummkopf! Wenn man mich auf Ihrem Schiff findet, dann – – ach, sind Sie komisch! Sie sind aber komisch!‘“ (S. 47f., Sperrung im Original) Die Mannschaft kann kaum glauben, dass ein Unschuldiger so gequält wird. Der fremde KZ-Flüchtling springt schließlich in die Elbe und stirbt.

Liepmann beschreibt am Anfang des Romans ausführlich den plötzlichen Wandel an Bord, wie persönliche Animositäten politisch überlagert werden und die ideologische Ausrichtung nach dem Selbstmord des KZ-Häftlings zum bestimmenden Faktor wird: „Kapitän Schirmer ist deutschnational, der erste Offizier, Herr Petersen, früher Sozialdemokrat und stets regierungstreu, somit heute nicht mehr Sozialdemokrat; Herr Kankuleit, der Zweite, Kuckim, der Moses, und Arthur, der Smuttje, sind die Einzigen, die nicht politisch organisiert sind […]. Der Nationalsozialist an Bord, Herr Fretwurst, unser Maschinist, der sich selbst Ingenieur nennt, ist Nazi geworden, weil seine geschiedene Frau, eine Jüdin, nicht zu ihm zurückkehren wollte[.] Der Bootsmann Leopold und die Heizer Jonny Sudden und Hinnerk Koch gelten als Sozialdemokraten, weil sie Gewerkschaftler sind, – der Berliner Hannes Bull ist katholisch und also Zentrumsmann, von Karl Baumann behauptet man, daß er Kommunist sei […]. Und so waren sie alle etwas geworden, für das sie sich früher nicht interessiert hatten; Parteimitglieder. Sie machten Politik, wurden heftig und mißtrauisch, schrieen sich an und machten Krach“ (S. 31f.). Der Nationalsozialismus gruppiert die Menschen an Bord neu: Alltägliche zwischenmenschliche Probleme werden auf der einen Seite nun als Grund für politische Anfeindungen genutzt. Auf der anderen Seite halten nun andere Mannschaftsmitglieder aus politischen Gründen zusammen, die zuvor ein distanziertes Verhältnis zueinander hatten.

Die Mannschaft geht voller Freude auf die Rückkehr in Hamburg an Land. Im Folgenden wird geschildert, wie die einzelnen Mitglieder der Mannschaft das ‚neue Deutschland‘ wahrnehmen und wie sie Zeugen der öffentlichen Gewaltexzesse der Nationalsozialisten, von der um sich greifenden Angst in der Bevölkerung vor Denunziationen sowie der Veränderungen im Alltag werden. Der Wandel ist drastisch, so betont ein Gruppenführer: „Ach so […] drei Monate weggewesen? – Na, müssen sich erst einleben, was? Erst gewöhnen an die neue Ordnung, wie? Ja, Mann, weht ein scharfer Wind im dritten Reich“ (S. 61f.).

Anhand der Schicksale der Figuren werden nun die verschiedenen Positionen der Nationalsozialisten, Kommunisten bzw. Sozialdemokraten, Juden und Schriftstellern, aber auch der Unpolitischen innerhalb der deutschen Gesellschaft dargestellt. So ist Kapitän Schirmer schockiert über die Behandlung einer wehrlosen Frau und versucht, sich bei den höheren nationalsozialistischen Stellen über das Verhalten der „Straßenräuber“ (S. 58), wie er die Nationalsozialisten bezeichnet, zu beschweren. Er wird verspottet und aus der Wache gestoßen. Dennoch glaubt er weiterhin, dass die „Führung […] ganz anders“ (S. 108) sei und sucht immer weitere NS-Repräsentanten auf. In Gesprächen mit Parteifunktionären wird die Haltung der Nationalsozialisten gespiegelt, man müsse die Deutschen durch Angst umerziehen. Schließlich wirft man ihm ‚Gräuelpropaganda‘ vor; er wird festgenommen und gefoltert.

Der Erste Offizier Hans Petersen, dessen Familie eine lange sozialdemokratische Tradition hat, schließt sich in Hamburg schnell der NS-Bewegung an und steigt innerhalb kurzer Zeit in der Hierarchie auf. Er nutzt die neuen Strukturen, um Macht zu erlangen: „Ich will mir nicht immer kommandieren lassen, Vater, das weißt Du doch. Ich will selber kommandieren. Großvater ist sein Lebtag ein Nichts gewesen, Du bist ein Nichts gewesen, ich will kein Nichts mehr sein“ (S. 84). Er geht gänzlich in der neuen Position auf, und selbst die Gewalt der SA stößt ihn nicht ab. Diese erlebt der Bootsmann Willi Leopold: Er wird als zufälliges Opfer bei einer SA-Razzia brutal zusammengeschlagen und inhaftiert.

Der Jude Arthur, eine der zentralen Figuren des Romans, trifft nach seiner Rückkehr seine alte Jugendliebe, die Jüdin Margrit, wieder. Ihr geht es finanziell und psychisch schlecht, da sich ihr Mann von ihr getrennt hat, weil er als Nationalsozialist nicht mit einer jüdischen Frau verheiratet sein könne. Arthur versucht zu helfen, aber im Laufe des Romans verschlechtert sich Margrits Situation so sehr, dass sie Selbstmord begeht. Durch Arthur wird auch die Familie seines Vetters Alfred Kohn in den Roman eingeführt. Bei einem Essen erfährt Arthur, wie sich der Alltag der Juden in Deutschland verändert hat: Alfred erhält brutale Drohbriefe von einem wirtschaftlichen Konkurrenten; sein Sohn wird in der Schule durch NS-Lehrer und Mitschüler malträtiert, was ausführlich beschrieben wird.

Am Beispiel einer Sitzung des „Schutzverbands Deutscher Schriftsteller“, die jedoch keinen Bezug zur Bootsmannschaft hat, beschreibt Liepmann die Ausschaltung politisch unliebsamer Autoren aus dem Verband. Nationalsozialisten haben den Verband unterwandert und ersetzen den Vorstand durch parteitreue Autoren.

Der Widerstand der Kommunisten wird an der positiv dargestellten Figur des Matrosen Karl Baumann gezeigt, der sich aktiv mit seinem Freund Otto im Kampf gegen die Nationalsozialisten engagiert, bis er – verraten durch seinen eigenen Bruder – untertauchen muss. Als Grundmotivation seines Handelns nennt er die Verantwortung für die zukünftigen Generationen. Ausführlich werden Methoden, mit denen im Widerstand gearbeitet wird, und der Mut sowie der Humor der Arbeiter beschrieben.

Am Ende der Romanhandlung wird Arthur festgenommen und nach einem Verhör und detailliert geschilderter Folter unschuldig im Konzentrationslager Wittmoor bei Hamburg inhaftiert. Er hat auf der Straße zufällig den sozialdemokratischen Heizer Jonny Sudde getroffen und steht nun unter Verdacht, im Widerstand aktiv zu sein. Der Schluss des Romans konzentriert sich ausschließlich auf Arthurs Zeit im KZ: Das Lager, die Allgegenwärtigkeit des Todes, die Zwangsarbeit und der Alltag werden genauso beschrieben wie die Ängste und Gedanken von Arthur und den anderen Häftlingen sowie deren Solidarität untereinander. Der Roman endet mit dem geglückten Fluchtversuch Arthurs nach Antwerpen. Was mit den anderen Figuren geschieht, bleibt unklar.

Auffällig ist, dass Liepmann alle Figuren zunächst glauben lässt, dass die nationalsozialistische Politik sie nicht betreffe, dass sie – weil sie zum Beispiel „unbescholten[e]“ (S. 68) Kämpfer im Ersten Weltkrieg waren – nicht zu den Opfern gehören werden. Liepmann erteilt dieser Einstellung eine klare Absage.

Zunächst wissen die Männer auch noch nichts mit Begriffen wie S.S., P.G. für Parteigenosse oder dem Namen des Konzentrationslagers Wittmoor anzufangen, aber innerhalb weniger Momente fallen ihnen die radikalen Veränderungen in Deutschland auf: „Sobald er eintrat, merkte er, daß sich etwas verändert hatte, aber er konnte nicht darauf kommen, was es war“ (S. 78). Zunächst diskutieren einige Mannschaftsmitglieder noch mit Deutschen, auf die sie treffen, zum Beispiel darüber, dass jüdische Weltkriegsveteranen nicht verfolgt werden dürften. Schließlich werden jedoch fast alle Männer der „Kulm“ zu Opfern.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Schilderung der Gleichzeitigkeit von Gewalt an Einzelnen und ruhigem Alltag der Anderen: „Der Straßenlärm schallte herauf. Es hat sich nichts verändert. Straßenbahnen fahren, der Schaffner zählt das Geld, Kinder spielen auf den Straßen, Lehrer berichten ernsthaft, daß die Wurzel aus 64 8 ist. Und währenddessen sitzt Mutter in Schutzhaft. Ihre Hände, ihre guten alten Hände, sie sind dick, rot, aufgesprungen, voll trockenem Blut, von den Schlägen auf die Finger […]. Und was sagt die Welt dazu? Was sagt die Welt dazu, daß man weißhaarige Frauen … Ach, die Welt spielt Golf. Die Welt will Unangenehmes nicht wissen“ (S. 94).

Liepmanns Stil ist geprägt von dichten, atmosphärischen Beschreibungen der Szenerie, die teilweise rhythmisch komponiert wirken: „Fern wird leise gesprochen, wohl auf der Brücke; jemand glast, automatisch zählen wir mit, ein–zwei, drei–vier, fünf; fünf Glasen. Und die Augen durchdringen den nächtlichen weichen Wind und die Wellen der See. Fünf Glasen. Halb drei Uhr nachts“ (S. 18). Dabei wechselt die Erzählinstanz im Laufe des Romans häufig und vor allem unvermittelt ohne semantische Kennzeichnungen von einem allwissenden Erzähler zu einem Ich-Erzähler. An vielen Stellen spricht zum Beispiel ein Ich-Erzähler, von dem nicht klar ist, welcher der Figuren er entspricht. Auch werden ganze Gedankenströme ohne nähere Erläuterungen wiedergegeben. Dennoch erfährt der Leser viel über die Methoden der Nationalsozialisten, wie das Anprangern in der Presse von ‚Arierinnen‘, die einen jüdischen Partner haben, oder die Foltertechniken. In Dialogen, etwa zwischen dem Kommunisten Karl und seinem Bruder Hellmuth, der ein überzeugter Nationalsozialist ist, wird seine kommunistische Position ausführlich und positiv beschrieben.

An einigen Stellen tritt der Erzähler jedoch bewusst und wertend auf. So zum Beispiel, als er eindringlich seine Meinung vertritt, statt sie einer der Figuren in den Mund zu legen: „Du, mein Deutschland, hast meine Bücher verbrannt, meine Freunde ermordet, und mich unter fremden Namen, damit es die Presse nicht erfährt, verschleppt und gemartert. […] Deutschland schläft. Es ist sehr, sehr krank. Es schläft einen wilden Fiebertraum. Es träumt. […] Deutschland erwache! Erwache, Deutschland!“ (S. 144f.). Der Roman wirkt daher passagenweise von der Handlung abgetrennt und gleicht somit mehr einer Reflexion über die Situation in Deutschland.

Dass die Schilderungen authentisch sind, belegt der Autor mit Zeitungsartikeln, die er in Fußnoten kommentiert, durch das Rekurrieren auf reale Personen wie Fritz Rosenfelder oder durch den Originalwortlaut von Reden Goebbelsʼ. Besonders interessant ist dabei, dass Liepmann Selbsterlebtes in den Roman einbaut. Liepmann wurde in der NS-Presse vorgeführt, nachdem er einen Artikel publiziert hatte, in dem er den Rauswurf eines Juden aus dem Altonaer Stadttheater kritisiert. Die nationalsozialistische Replik wird in dem Roman abgedruckt und durch die Figur des Kapitäns kommentiert.

Geschickt verwebt Liepmann die verschiedenen Handlungsstränge, lässt die Wege der Figuren sich kreuzen, mal nimmt eine Gruppe der Mannschaft den Leser praktisch mit zu einer Hausdurchsuchung, bevor der Fokus wieder auf andere Mitglieder der Mannschaft gelegt wird. So stellt der Autor eine große Bandbreite an Schicksalen und Einzelfällen vor. Es wird zum Beispiel auch die Motivation der Menschen beschrieben, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen: „Milchhändler und Barbiere, Strichmädchen und Studenten. Sie alle erhofften bessere Zeiten und wollten schrecklich gerne an jemanden glauben, der ihnen alles versprach“ (S. 192).

Dem Text ist ein Vorwort Heinz Liepmanns vorangestellt, das dieser im September 1933 in Paris verfasste. Darin verbürgt er sich für die Authentizität der Schilderung der Ereignisse in Deutschland: Es sei „kein Roman, sondern e[i]n Pamphlet“ (S. 7), in dem er Geschehnisse schildert, deren Zeuge er oder „langjährige Kameraden“ (ebd.) geworden sind. Das Buch soll informieren: „Die Menschen der Länder, in denen dies Buch erscheint[,] sollen wissen, wie der äußerlich so bestechende Nationalsozialismus in der alltäglichen Wirklichkeit aussieht“ (S. 8). Liepmann ist besonders schockiert über den Umgang der Nationalsozialisten mit unpolitischen Juden: „Die Juden waren keine Gegner. Daß man sie foltert und mordet, noch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, während die Sonne scheint, Kinder spielen, Menschen atmen, Blumen wachsen, – jetzt, in diesem und in jedem Moment, – das ist das, was mich nicht schlafen läßt“ (S. 9). Er widmet daher den Roman den „in Hitler-Deutschland ermordeten Juden“ (S. 13).


Biografie

Das Leben Heinz Liepmanns (geb. 27.08.1905 in Osnabrück als Heinz Max Liepmann, gest. 06.06.1966 in Agarone/Schweiz; ab ca. 1940 verkürzt zu Liepman) gleicht einem Roman, viele Gerüchte ranken sich um ihn und einzelne Jahre seines Lebens lassen sich nicht gänzlich rekonstruieren oder wurden von Liepmann selbst zu Legenden umgestaltet.

Liepmann wuchs als Sohn assimilierter jüdischer Kaufleute in Hamburg auf, verlor seine Eltern jedoch bereits früh: Sein Vater fiel 1917 im Krieg und seine Mutter starb im darauffolgenden Jahr. Es ist unsicher, was mit Heinz nach dem Tod der Eltern geschah, es ist von einem Ausreißen aus dem Haus des Onkels, bei dem er in Bielefeld leben sollte, und von einem Aufenthalt in den USA bis 1922 die Rede. Fest steht, dass er ab 1923 an der Universität Frankfurt Veranstaltungen zu den Themen Literatur, Philosophie, Medizin und Psychologie besuchte, aber nicht als Student eingeschrieben war. Mit 20 Jahren begann er seine journalistische Karriere bei der „Frankfurter Zeitung“. Zeit seines Lebens schrieb er Kritiken, politische Essays unter anderem für die „Weltbühne“ und vermutlich 14 weitere deutsche sowie verschiedene ausländische Zeitungen. Ab 1924 wandte er sich zunächst der Arbeit am Theater als Dramaturgie- und Regieassistent an den Städtischen Bühnen Frankfurt und ab 1927 als Dramaturg bei den renommierten Kammerspielen in Hamburg zu, bevor er durch seine Romane, Dramen, Zeitungsartikel und Kritiken als freier Schriftsteller leben konnte. Sein Theaterstück „Drei Apfelbäume“ erschien unter seinem Pseudonym Jens C. Nielsen. Sein zweiter Roman „Die Hilflosen“ von 1930 wurde bereits 1931 ins Englische, Französische und Niederländische übersetzt und mit dem renommierten Harperpreis geehrt – laut seiner Ehefrau Ruth Liepmann gab es zudem Übersetzungen ins Jugoslawische und Schwedische. Themen seiner Romane waren bereits damals tagesaktuelle Phänomene wie die Inflation. Liepmann hatte sich bis 1933 einen „beachtlichen Ruf“ (Müller-Salget 1985, S. 295) als Schriftsteller erarbeitet. Auch als Journalist war er gefragt und schrieb unter anderem für „Die Tribüne“, das „Berliner Tageblatt“, die „Frankfurter Zeitung“ und die „Weltbühne“. In seinen Artikeln schrieb er offen gegen die nationalsozialistische Politik an.

Sowohl in seinem Roman „Das Vaterland“ (1933) als auch in „… wird mit dem Tode bestraft“ von 1935 beschreibt Liepmann den Eklat, der sein weiteres Leben bestimmen sollte: Im März 1933 wurde der jüdische Journalist Justin Steinfeld aus dem Altonaer Stadttheater geworfen, was Liepmann in einem Artikel publik machte. Damit trat er als Jude und Journalist in offene Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten und wurde in deren Zeitungen diskreditiert; seine Werke standen auf der ersten Verbotsliste vom April 1933 – die auch unter anderem die Werke von Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Kurt Tucholsky aufführte – und wurden bei öffentlichen Bücherverbrennungen verbrannt.

Obwohl er untertauchte, wurde er laut eigenen Angaben gefasst und im KZ Wittmoor inhaftiert. Ihm gelang die Flucht aus dem Lager nach Amsterdam, wo er seinen Roman „Das Vaterland“ verfasste. Allerdings sind der KZ-Aufenthalt und die Flucht in keinen Dokumenten – auch nicht beim International Tracing Service Bad Arolsen – nachgewiesen und werden daher oft als Legende gehandelt. Auch will Liepmann noch zweimal inkognito nach Deutschland gereist sein, u.a. zur Eröffnung des Leipziger Reichstagsbrandprozesses am 21. September 1933 – dies konnte bisher in der Forschung jedoch nicht belegt werden.

In Amsterdam erschien 1933 sein Roman „Das Vaterland“, wegen dem er im Februar 1934 wegen ‚Beleidigung des Staatsoberhaupts einer befreundeten Macht‘ für einen Monat verhaftet und nach Belgien abgeschoben wurde. In „Das Vaterland“ wird Reichspräsident Hindenburg von Liepmann als Wegbereiter der Nationalsozialisten dargestellt, der sich durch persönliche Bereicherung auf eine Zusammenarbeit mit ihnen einließ und ihren Erfolg erst möglich gemacht habe; gleichzeitig kritisiert eine Figur im Roman das fehlende Vorgehen Hindenburgs gegen die Gewalt- und Verfolgungsexzesse gegen politische Gegner. Liepmanns Auslieferung an das Deutsche Reich wurde nur durch heftige Proteste internationaler Schriftsteller verhindert. Selbst Albert Einstein solidarisierte sich öffentlich mit ihm. Im Juni 1935 wurde Liepmann offiziell ausgebürgert; mit ihm auf derselben Liste standen unter anderem Bertolt Brecht, Erika Mann und Friedrich Wolf. Als Grund heißt es: „Heinz Liepmann, jüdischer Schriftsteller, treibt in aller Welt üble Greuelhetze durch seine Schriften und in öffentlichen Vorträgen“ (zitiert nach Pohl, o.S.).

Liepmann reiste 1935 von Belgien nach Paris und verfasste dort „… wird mit dem Tode bestraft“ sowie zahlreiche Artikel für die „Neue Weltbühne“, das „Pariser Tageblatt“ und weitere Exilzeitungen. Über seine Position als öffentlicher Gegner der Nationalsozialisten heißt es'"`UNIQ--nowiki-000009C0-QINU`"'lt;nowiki'"`UNIQ--nowiki-000009C1-QINU`"'gt; im Vorwort zum Roman „Vaterland“: „Ich habe mein Vaterland – für das mein Vater 1914 freiwillig in den Weltkrieg ging und 1917 mit einem Bauchschuß starb – Ende Juni verlassen; im Juli und September habe ich es – inkognito – noch zweimal besucht. Daß man mich – seit Februar – ununterbrochen verfolgte (und im Juni zu finden wußte), das erstaunt mich nicht, und darüber beschwere ich mich nicht. Auch daß man meine Bücher verbrannt und verfemt, ist mir nicht unverständlich […]. Ich beklage mich nicht darüber. Ich war ein Gegner“ (S. 8).'"`UNIQ--nowiki-000009C2-QINU`"'lt;/nowiki'"`UNIQ--nowiki-000009C3-QINU`"'gt; Silke Pohl spricht in dieser „Stilisierung zum Widerstandskämpfer“ von einer „Alternativ-Biographie“ beziehungsweise von einem „Wunsch-Lebenslauf“ (alle Zitate Pohl, o.S.), den sich Liepmann in seinen Büchern selbst schrieb.

1934 ging Liepmann auf eine Lese- und Vortragsreise durch die USA und Kanada. 1935/1936 siedelte er nach London und 1937 nach New York über, von wo aus er jeweils für das „Pariser Tageblatt“, „Die neue Weltbühne“, „Neue deutsche Blätter“ und andere Exilzeitschriften sowie amerikanische und britische Zeitungen wie die „Saturday Evening Post“ oder „New York Times Book Review“ und andere berichtete. Liepmann trat ebenfalls als Redner gegen das nationalsozialistische Deutschland, unter anderem bei durch das Jewish Center Lecture and Concert Bureau organisierten Vortragsreisen, auf. Auch gibt es ungesicherte Informationen, die meist auf Aussagen Liepmanns beruhen, dass er in den ersten Jahren in den USA in der Gastronomie und auf einer Pferderanch arbeiten musste, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen bis sein Englisch gut genug war für das Verfassen englischsprachiger Publikationen. Seine Zeit im Ausland war auch durch seine langjährige Morphiumsucht und daraus resultierende mehrmalige Verhaftungen, Geldstrafen und Entziehungskuren bestimmt.

Nach zehn Jahren in den USA kehrte er 1947 als Journalist nach Hamburg zurück. Er wurde wegen mehrfachen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen im Zusammenhang mit seiner Drogensucht aus den USA ausgewiesen. Sein Weg in Deutschland war, so Schneider, „der eines vergessenen Autors zurück an die Öffentlichkeit, ein Zurückgewinnen schriftstellerischer öffentlicher Kompetenz“ (Schneider 2004, S. 68). Neben den journalistischen Artikeln für die „Hamburger Freie Presse“ oder das „Hamburger Echo“ schrieb er unter anderem auch unpolitische Biografien über Grigori Jefimowitsch Rasputin (1956), Romane wie „Verbrechen im Zwielicht“ (1959; 1961 auf Niederländisch) sowie Hörspiele, Übersetzungen für den Rundfunk und Theaterkritiken. Er engagierte sich zudem auch als „Literarischer Agent für hauptsächlich amerikanischer Verlage“, weshalb er bereits Ende der 1940er Jahre in die Schweiz reiste, um mit dortigen Publikationshäusern wie dem Oprecht Verlag verhandelte. 1961 zog Liepmann, der seit 1934 Mitglied des deutschen (Exil-)P.E.N. war, zum letzten Mal weiter: Er wurde Kulturkorrespondent der „Welt“ sowie des Norddeutschen Rundfunks in Zürich und gründete mit seiner Ehefrau Dr. Ruth Liepmann-Lilienstein eine Literaturagentur. Bereits in Hamburg hatte das Ehepaar eine wichtige Rolle im dortigen Kulturleben gespielt, kannten sie doch viele seiner Akteure persönlich. Der Umzug in die Schweiz wird von Liepmann als ‚zweite Emigration‘ angesehen, da er enttäuscht über das Ausbleiben einer Aufarbeitung der Geschehnisse auf diese Weise eine Distanz zu Deutschland schuf. Seine Artikel über das Leben als Jude im Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte und über die Ausgrenzung sowie das Vergessen der deutschen Mehrheitsgesellschaft publizierte er gesammelt 1961 unter dem Titel „Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“. 1964 wurden seine Tagebücher, die er als Beobachter der Frankfurter Auschwitzprozesse verfasste, für den NDR und das Schweizer Radio bearbeitet und gesendet. Bis zu seinem Tod schrieb der überzeugte Pazifist für verschiedene Zeitungen weltweit und verfasste weitere, auch im Ausland verlegte Romane sowie streitbare Essays über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen wie die viel diskutierte Kriegsdienstverweigerung, den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit ihrer nahen Vergangenheit und seine eigenen Exilerfahrungen.

Quellen:

  • „Dossier: Liepmann, Heinz Max, 1905“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand: E4320B, Aktenzeichen: C.19.1205 P.
  • Hans, Jan: „‚Lieber Gott mach mich stumm, daß ich nicht nach Wittmoor kumm!‘ Heinz Liepmanns Dokumentarromane aus Nazi-Hamburg“. In: Stephan, Inge und Hans-Gerd Winter (Hg.): „Liebe, die im Abgrund Anker wirft“. Autoren und literarisches Feld im Hamburg des 20. Jahrhunderts. Hamburg 1989, S. 161-174.
  • Institut für Zeitgeschichte: „Liepmann, Heinz“. In: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 2: The Arts, Sciences, and Literature. München [u.a.] 1983, S. 729.
  • Liepmann, Heinz: „Vorwort“. In: ders.: Vaterland. Ein Tatsachen-Roman aus dem heutigen Deutschland. Amsterdam 1933, S. 7-11.
  • Liepmann, Ruth: „Heinz Liepmann. Ein biographischer Abriß“. In: Liepmann, Heinz: … wird mit dem Tode bestraft. Hg. von Walter, Hans-Albert und Werner Berthold. Hildesheim 1986, S. V-VIII.
  • „Liepman, Heinz“. In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Dokument-ID:  DBE-4975. Online: '"`UNIQ--nowiki-000009C4-QINU`"' (Stand: 19.09.2019).
  • Müller-Salget, Klaus: „Zum Beispiel: Heinz Liepmann“. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (1985), Nr. 3, S. 286-312.
  • Müller-Salget, Klaus: „Liepmann, Heinz“. In: Neue Deutsche Biographie (1985), Nr. 14, S. 533f. Online: '"`UNIQ--nowiki-000009C5-QINU`"' (Stand: 16.09.2019).
  • Schneider, Thomas F.: „‚Müssen wir wieder emigrieren?‘ Heinz Liepmann (1905-1966) und die Emigration als Chiffre politisch-moralischen Handelns“. In: Siebenpfeiffer, Jania und Ute Wölfel (Hg.): Krieg und Nachkrieg. Konfiguration der deutschsprachigen Literatur (1940-1965). Berlin 2004, S. 65-79.
  • Walter, Hans-Albert: „Heinz Liepmanns Reportage-Roman als Dokument eines Konflikts“. In: Liepmann, Heinz: … wird mit dem Tode bestraft. Hg. von Walter, Hans-Albert  und Werner Berthold. Hildesheim 1986, S. 1*-16*.
  • Weinke, Wilfried: „‚Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen …‘ Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepmann (1905-1966)“. In: Erich-Maria-Remarque Jahrbuch XVI (2006), S. 7-24.


Werkgeschichte

Der Roman „Vaterland“ gilt als einer der ersten Exilromane über die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Im Klappentext seines nächsten Buches „… wird mit dem Tode bestraft“ heißt es über den Roman, dass es „das in allen Ländern der Erde weitverbreitetste literarische Dokument gegen die Barbarei im neuen Deutschland“ (Liepmann 1936, o.S.) sei. Schneider bezeichnet ihn als den „erste[n] deutsche[n] Roman, in dem ein Konzentrationslager eine wesentliche Rolle spielt“ (Schneider 2004, S. 66).

Liepmann hatte den Text nach seiner Ankunft in Frankreich im September 1933 in Paris fertiggestellt. Einen teilweisen Vorabdruck des Romans gab es am 2. September in der Amsterdamer Zeitung „Freie Presse“. Die Geschichte um die Mannschaft der „Kulm“ wurde daraufhin im Dezember 1933 – also nur wenige Monate nach den Ereignissen – im Amsterdamer Verlag Van Kampen auf Deutsch veröffentlicht. Im selben Jahr schon folgte eine polnische Übersetzung unter dem Titel „Śmierć made in Germany“ (‚Tod made in Germay‘) im Lemberger Verlag Sigma. Im folgenden Jahr erschienen weitere Übersetzungen auf Englisch, Niederländisch und Norwegisch. In Großbritannien und den Vereinigten Staaten wurde das Buch unter dem Titel „Murder – Made in Germany. A true story of present-day Germany“ im Harper Verlag New York/London und bei Hamilton London mit dem leicht veränderten Untertitel „A story of present-day Germany“ verlegt. Beide Ausgaben folgten der dem Original sehr nahen Übersetzung von Emile Burns. Nur das Vorwort ist stark gekürzt und konzentriert sich speziell auf das Schicksal von Juden in Nazideutschland. Allein innerhalb des Jahres 1934 erfuhr das Buch drei Auflagen bei Harper.

Die niederländische Fassung erschien im Verlag Arbeiderspers in Amsterdam unter dem Titel „Et vaderland. Een documentatieroman uit het Duitschland van nu“, übersetzt von Piet Voogd. Haakon Evang übersetzte die Geschichte der Besatzung der „Kulm“ ins Norwegische und sie wurde ebenfalls 1934 als „Fedrelandet“ im Verlag Fram Forlag in Oslo verlegt. In Liepmanns zweitem Roman „… wird mit dem Tode bestraft“ heißt es, dass „Vaterland“ in Übersetzung in „Amerika, England, Holland, Spanien, Südamerika, Paris (italienische Ausgabe), Rumänien, Rußland, Polen, Jugoslavien, Portugal, Schweden, Norwegen, Dänemark, Lettland, Bulgarien und [in der] Tschechoslowakei“ (Liepmann 1935, Anhang) erschienen sei. Laut Jan Hans wurde der Roman in insgesamt 16 Sprachen übersetzt und „avancierte so zu einem der erfolgreichsten Deutschlandromane des Exils“ (Hans 1989, S. 167). Liepmann selbst schreibt in seinem zweiten Roman „… wird mit dem Tode bestraft“ (1935) von 260 Presseberichten deutscher und ausländischer Zeitungen über das Buch „Vaterland“ (Liepmann 1935, S. 185, Fußnote 1). Die Artikel in deutscher Sprache behaupten, so Liepmann, dass er die Verhältnisse „übertreibe“ (ebd.); dabei würden sie seinen Text jedoch immer falsch zitieren.

Im Februar 1934 wurde der Roman wegen ‚Beleidigung des Staatsoberhaupts einer befreundeten Macht‘ in den Niederlanden verboten und Liepmann inhaftiert. Nach Streichung der Passagen, in denen Liepmann Reichspräsident Hindenburg kritisierte, wurde der Roman im Folgemonat neu herausgegeben.

In Deutschland erinnerte man sich erst Jahrzehnte später wieder an den Roman: 1979 gab der Hamburger Konkret Literatur Verlag Liepmanns „Tatsachenroman“ – ergänzt um ein Vorwort von Heinrich Böll – in der Reihe „Bibliothek der verbrannten Bücher“ neu heraus. Böll kritisiert in seinem Vorwort mehrmals scharf die Politik Hindenburgs, welche die Nationalsozialisten erst an die Macht gebracht habe. Die folgende Ausgabe des Romans samt Bölls Vorwort im Fischer Verlag von 1981 erlebte 1983 eine weitere Auflage und umfasste insgesamt 13.000 Exemplare. Wilfried Weinke weist darauf hin, dass Liepmanns Romane „Das Vaterland“ und „… wird mit dem Tode bestraft“ in den 1980er und 1990er Jahren „vornehmlich unter dem Aspekt der Darstellung von Nazi-Terror und Widerstand“ (Weinke 2006. S. 8) rezipiert wurden und fortan als dokumentarische Schilderung der Vorgänge in Hamburg nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten gelten.

Quellen:

  • Böll, Heinrich: „Was menschenmöglich ist“. In: Liepmann, Heinz: Das Vaterland. Ein Tatsachenroman aus Deutschland. Hamburg 1979, S. 7-11.
  • Hans, Jan: „‚Lieber Gott mach mich stumm, daß ich nicht nach Wittmoor kumm!‘ Heinz Liepmanns Dokumentarromane aus Nazi-Hamburg“, In: Stephan, Inge und Hans-Gerd Winter: „Liebe, die im Abgrund Anker wirft“. Autoren und literarisches Feld im Hamburg des 20. Jahrhunderts. Hamburg 1989, S. 161-174.
  • Liepmann, Heinz: … wird mit dem Tode bestraft. Zürich 1935.
  • Müller-Salget, Klaus: „Zum Beispiel: Heinz Liepmann“. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (1985), Nr. 3, S. 286-312.
  • Weinke, Wilfried: „‚Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen …‘ Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepmann (1905-1966)“. In: Erich-Maria-Remarque Jahrbuch XVI (2006), S. 7-24.



Bearbeitet von: Christiane Weber