Liepmann, Heinz (1905-1966)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Name Liepmann, Heinz

Geschlecht männlich
Geburtsdatum 27. August 1905
Geburtsort Osnabrück
Sterbedatum 6. Juni 1966
Sterbeort Cugnasco-Gerra
Tätigkeit Publizist, Dramaturg, Schriftsteller, Übersetzer, Journalist
Externe Referenzen Deutsche Nationalbibliothek Virtual International Authority File Deutsche Biographie Wikidata

Biografie

Das Leben Heinz Liepmanns (geb. 27.08.1905 in Osnabrück als Heinz Max Liepmann, gest. 06.06.1966 in Agarone/Schweiz; ab ca. 1940 verkürzt zu Liepman) gleicht einem Roman, viele Gerüchte ranken sich um ihn und einzelne Jahre seines Lebens lassen sich nicht gänzlich rekonstruieren oder wurden von Liepmann selbst zu Legenden umgestaltet.

Liepmann wuchs als Sohn assimilierter jüdischer Kaufleute in Hamburg auf, verlor seine Eltern jedoch bereits früh: Sein Vater fiel 1917 im Krieg und seine Mutter starb im darauffolgenden Jahr. Es ist unsicher, was mit Heinz nach dem Tod der Eltern geschah, es ist von einem Ausreißen aus dem Haus des Onkels, bei dem er in Bielefeld leben sollte, und von einem Aufenthalt in den USA bis 1922 die Rede. Fest steht, dass er ab 1923 an der Universität Frankfurt Veranstaltungen zu den Themen Literatur, Philosophie, Medizin und Psychologie besuchte, aber nicht als Student eingeschrieben war. Mit 20 Jahren begann er seine journalistische Karriere bei der „Frankfurter Zeitung“. Zeit seines Lebens schrieb er Kritiken, politische Essays unter anderem für die „Weltbühne“ und vermutlich 14 weitere deutsche sowie verschiedene ausländische Zeitungen. Ab 1924 wandte er sich zunächst der Arbeit am Theater als Dramaturgie- und Regieassistent an den Städtischen Bühnen Frankfurt und ab 1927 als Dramaturg bei den renommierten Kammerspielen in Hamburg zu, bevor er durch seine Romane, Dramen, Zeitungsartikel und Kritiken als freier Schriftsteller leben konnte. Sein Theaterstück „Drei Apfelbäume“ erschien unter seinem Pseudonym Jens C. Nielsen. Sein zweiter Roman „Die Hilflosen“ von 1930 wurde bereits 1931 ins Englische, Französische und Niederländische übersetzt und mit dem renommierten Harperpreis geehrt – laut seiner Ehefrau Ruth Liepmann gab es zudem Übersetzungen ins Jugoslawische und Schwedische. Themen seiner Romane waren bereits damals tagesaktuelle Phänomene wie die Inflation. Liepmann hatte sich bis 1933 einen „beachtlichen Ruf“ (Müller-Salget 1985, S. 295) als Schriftsteller erarbeitet. Auch als Journalist war er gefragt und schrieb unter anderem für „Die Tribüne“, das „Berliner Tageblatt“, die „Frankfurter Zeitung“ und die „Weltbühne“. In seinen Artikeln schrieb er offen gegen die nationalsozialistische Politik an.

Sowohl in seinem Roman „Das Vaterland“ (1933) als auch in „… wird mit dem Tode bestraft“ von 1935 beschreibt Liepmann den Eklat, der sein weiteres Leben bestimmen sollte: Im März 1933 wurde der jüdische Journalist Justin Steinfeld aus dem Altonaer Stadttheater geworfen, was Liepmann in einem Artikel publik machte. Damit trat er als Jude und Journalist in offene Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten und wurde in deren Zeitungen diskreditiert; seine Werke standen auf der ersten Verbotsliste vom April 1933 – die auch unter anderem die Werke von Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger und Kurt Tucholsky aufführte – und wurden bei öffentlichen Bücherverbrennungen verbrannt.

Obwohl er untertauchte, wurde er laut eigenen Angaben gefasst und im KZ Wittmoor inhaftiert. Ihm gelang die Flucht aus dem Lager nach Amsterdam, wo er seinen Roman „Das Vaterland“ verfasste. Allerdings sind der KZ-Aufenthalt und die Flucht in keinen Dokumenten – auch nicht beim International Tracing Service Bad Arolsen – nachgewiesen und werden daher oft als Legende gehandelt. Auch will Liepmann noch zweimal inkognito nach Deutschland gereist sein, u.a. zur Eröffnung des Leipziger Reichstagsbrandprozesses am 21. September 1933 – dies konnte bisher in der Forschung jedoch nicht belegt werden.

In Amsterdam erschien 1933 sein Roman „Das Vaterland“, wegen dem er im Februar 1934 wegen ‚Beleidigung des Staatsoberhaupts einer befreundeten Macht‘ für einen Monat verhaftet und nach Belgien abgeschoben wurde. In „Das Vaterland“ wird Reichspräsident Hindenburg von Liepmann als Wegbereiter der Nationalsozialisten dargestellt, der sich durch persönliche Bereicherung auf eine Zusammenarbeit mit ihnen einließ und ihren Erfolg erst möglich gemacht habe; gleichzeitig kritisiert eine Figur im Roman das fehlende Vorgehen Hindenburgs gegen die Gewalt- und Verfolgungsexzesse gegen politische Gegner. Liepmanns Auslieferung an das Deutsche Reich wurde nur durch heftige Proteste internationaler Schriftsteller verhindert. Selbst Albert Einstein solidarisierte sich öffentlich mit ihm. Im Juni 1935 wurde Liepmann offiziell ausgebürgert; mit ihm auf derselben Liste standen unter anderem Bertolt Brecht, Erika Mann und Friedrich Wolf. Als Grund heißt es: „Heinz Liepmann, jüdischer Schriftsteller, treibt in aller Welt üble Greuelhetze durch seine Schriften und in öffentlichen Vorträgen“ (zitiert nach Pohl, o.S.).

Liepmann reiste 1935 von Belgien nach Paris und verfasste dort „… wird mit dem Tode bestraft“ sowie zahlreiche Artikel für die „Neue Weltbühne“, das „Pariser Tageblatt“ und weitere Exilzeitungen. Über seine Position als öffentlicher Gegner der Nationalsozialisten heißt es<nowiki> im Vorwort zum Roman „Vaterland“: „Ich habe mein Vaterland – für das mein Vater 1914 freiwillig in den Weltkrieg ging und 1917 mit einem Bauchschuß starb – Ende Juni verlassen; im Juli und September habe ich es – inkognito – noch zweimal besucht. Daß man mich – seit Februar – ununterbrochen verfolgte (und im Juni zu finden wußte), das erstaunt mich nicht, und darüber beschwere ich mich nicht. Auch daß man meine Bücher verbrannt und verfemt, ist mir nicht unverständlich […]. Ich beklage mich nicht darüber. Ich war ein Gegner“ (S. 8).</nowiki> Silke Pohl spricht in dieser „Stilisierung zum Widerstandskämpfer“ von einer „Alternativ-Biographie“ beziehungsweise von einem „Wunsch-Lebenslauf“ (alle Zitate Pohl, o.S.), den sich Liepmann in seinen Büchern selbst schrieb.

1934 ging Liepmann auf eine Lese- und Vortragsreise durch die USA und Kanada. 1935/1936 siedelte er nach London und 1937 nach New York über, von wo aus er jeweils für das „Pariser Tageblatt“, „Die neue Weltbühne“, „Neue deutsche Blätter“ und andere Exilzeitschriften sowie amerikanische und britische Zeitungen wie die „Saturday Evening Post“ oder „New York Times Book Review“ und andere berichtete. Liepmann trat ebenfalls als Redner gegen das nationalsozialistische Deutschland, unter anderem bei durch das Jewish Center Lecture and Concert Bureau organisierten Vortragsreisen, auf. Auch gibt es ungesicherte Informationen, die meist auf Aussagen Liepmanns beruhen, dass er in den ersten Jahren in den USA in der Gastronomie und auf einer Pferderanch arbeiten musste, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen bis sein Englisch gut genug war für das Verfassen englischsprachiger Publikationen. Seine Zeit im Ausland war auch durch seine langjährige Morphiumsucht und daraus resultierende mehrmalige Verhaftungen, Geldstrafen und Entziehungskuren bestimmt.

Nach zehn Jahren in den USA kehrte er 1947 als Journalist nach Hamburg zurück. Er wurde wegen mehrfachen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen im Zusammenhang mit seiner Drogensucht aus den USA ausgewiesen. Sein Weg in Deutschland war, so Schneider, „der eines vergessenen Autors zurück an die Öffentlichkeit, ein Zurückgewinnen schriftstellerischer öffentlicher Kompetenz“ (Schneider 2004, S. 68). Neben den journalistischen Artikeln für die „Hamburger Freie Presse“ oder das „Hamburger Echo“ schrieb er unter anderem auch unpolitische Biografien über Grigori Jefimowitsch Rasputin (1956), Romane wie „Verbrechen im Zwielicht“ (1959; 1961 auf Niederländisch) sowie Hörspiele, Übersetzungen für den Rundfunk und Theaterkritiken. Er engagierte sich zudem auch als „Literarischer Agent für hauptsächlich amerikanischer Verlage“, weshalb er bereits Ende der 1940er Jahre in die Schweiz reiste, um mit dortigen Publikationshäusern wie dem Oprecht Verlag verhandelte. 1961 zog Liepmann, der seit 1934 Mitglied des deutschen (Exil-)P.E.N. war, zum letzten Mal weiter: Er wurde Kulturkorrespondent der „Welt“ sowie des Norddeutschen Rundfunks in Zürich und gründete mit seiner Ehefrau Dr. Ruth Liepmann-Lilienstein eine Literaturagentur. Bereits in Hamburg hatte das Ehepaar eine wichtige Rolle im dortigen Kulturleben gespielt, kannten sie doch viele seiner Akteure persönlich. Der Umzug in die Schweiz wird von Liepmann als ‚zweite Emigration‘ angesehen, da er enttäuscht über das Ausbleiben einer Aufarbeitung der Geschehnisse auf diese Weise eine Distanz zu Deutschland schuf. Seine Artikel über das Leben als Jude im Deutschland der Nachkriegsjahrzehnte und über die Ausgrenzung sowie das Vergessen der deutschen Mehrheitsgesellschaft publizierte er gesammelt 1961 unter dem Titel „Ein deutscher Jude denkt über Deutschland nach“. 1964 wurden seine Tagebücher, die er als Beobachter der Frankfurter Auschwitzprozesse verfasste, für den NDR und das Schweizer Radio bearbeitet und gesendet. Bis zu seinem Tod schrieb der überzeugte Pazifist für verschiedene Zeitungen weltweit und verfasste weitere, auch im Ausland verlegte Romane sowie streitbare Essays über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen wie die viel diskutierte Kriegsdienstverweigerung, den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit ihrer nahen Vergangenheit und seine eigenen Exilerfahrungen.

Quellen:

  • „Dossier: Liepmann, Heinz Max, 1905“. In: Schweizerisches Bundesarchiv BAR, Bestand: E4320B, Aktenzeichen: C.19.1205 P.
  • Hans, Jan: „‚Lieber Gott mach mich stumm, daß ich nicht nach Wittmoor kumm!‘ Heinz Liepmanns Dokumentarromane aus Nazi-Hamburg“. In: Stephan, Inge und Hans-Gerd Winter (Hg.): „Liebe, die im Abgrund Anker wirft“. Autoren und literarisches Feld im Hamburg des 20. Jahrhunderts. Hamburg 1989, S. 161-174.
  • Institut für Zeitgeschichte: „Liepmann, Heinz“. In: Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Band 2: The Arts, Sciences, and Literature. München [u.a.] 1983, S. 729.
  • Liepmann, Heinz: „Vorwort“. In: ders.: Vaterland. Ein Tatsachen-Roman aus dem heutigen Deutschland. Amsterdam 1933, S. 7-11.
  • Liepmann, Ruth: „Heinz Liepmann. Ein biographischer Abriß“. In: Liepmann, Heinz: … wird mit dem Tode bestraft. Hg. von Walter, Hans-Albert und Werner Berthold. Hildesheim 1986, S. V-VIII.
  • „Liepman, Heinz“. In: Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945. Online-Datenbank. De Gruyter. Dokument-ID:  DBE-4975. Online: http://db.saur.de.ezproxy.uni-giessen.de/DGO/basicFullCitationView.jsf?documentId=DBE-4975 (Stand: 19.09.2019).
  • Müller-Salget, Klaus: „Zum Beispiel: Heinz Liepmann“. In: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch (1985), Nr. 3, S. 286-312.
  • Müller-Salget, Klaus: „Liepmann, Heinz“. In: Neue Deutsche Biographie (1985), Nr. 14, S. 533f. Online: https://www.deutsche-biographie.de/sfz51326.html (Stand: 16.09.2019).
  • Schneider, Thomas F.: „‚Müssen wir wieder emigrieren?‘ Heinz Liepmann (1905-1966) und die Emigration als Chiffre politisch-moralischen Handelns“. In: Siebenpfeiffer, Jania und Ute Wölfel (Hg.): Krieg und Nachkrieg. Konfiguration der deutschsprachigen Literatur (1940-1965). Berlin 2004, S. 65-79.
  • Walter, Hans-Albert: „Heinz Liepmanns Reportage-Roman als Dokument eines Konflikts“. In: Liepmann, Heinz: … wird mit dem Tode bestraft. Hg. von Walter, Hans-Albert  und Werner Berthold. Hildesheim 1986, S. 1*-16*.
  • Weinke, Wilfried: „‚Ich werde vielleicht später einmal Einfluß zu gewinnen suchen …‘ Der Schriftsteller und Journalist Heinz Liepmann (1905-1966)“. In: Erich-Maria-Remarque Jahrbuch XVI (2006), S. 7-24.