Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands (1948)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands
Autor Weinstock, Rolf (1920-1952)
Genre Autobiografischer Bericht

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1948, Singen (Hohentwiel)
Titel Das wahre Gesicht Hitler-Deutschlands

Erscheinungsort Singen (Hohentwiel)
Erscheinungsjahr 1948
Auflage 1

Verlegt von Volksverlag GmbH Singen
Gedruckt von K. Hebel
Publiziert von Weinstock, Rolf (1920-1952)

Umfang 183 Seiten
Abbildungen 4 Fotografien („Häftlingsnummer 59000“, „Champ de Gurs“, „Krematorium“, „Verbrennungsöfen“)
Lizenz G.M.Z.F.O. Visa No. 1241/P de la Direction de l’Education Publique Autorisation Nr. 1080 de la Direction de l’Information

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Rolf Weinstock schildert in seinem Bericht die Zeit seiner Haft in den Konzentrationslagern Dachau, Gurs, Drancy, Auschwitz und Buchenwald. Dabei legt er den Fokus besonders auf die Schilderung der Grausamkeiten der Wachmannschaften und des Häftlingsalltags in den jeweiligen Lagern. Im Vorwort wird die Intention des Berichts dargelegt, welcher dazu beitragen soll, „dem deutschen Volke und der ganzen Welt die Augen darüber zu öffnen, was ‚H i t l e r u n d s e in e G e n o s s e n ‘ waren und was sie bezweckten“ (S. 5, Hervorhebung im Original), damit diese daraus die Lehren ziehen, die sie ziehen müssten.

Rolf Weinstock wird als 18-Jähriger unmittelbar nach den Novemberpogromen 1938 als Jude in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Er beschreibt ausführlich und anhand vieler Beispiele die Willkür der Wachmannschaften, welche selbst den vermeintlich kleinsten Verstoß gegen die Lagerordnung mit brutaler Härte ahnden. Darüber hinaus schildert er die täglichen Schikanen, unter denen vor allem die jüdischen Häftlinge zu leiden haben. So werden sie zum Beispiel gezwungen, nach dem Reinigen der Latrinen immer wieder im Chor zu rufen: „Wir haben die Schuld an der Ermordung des von Rath in Paris, wir sind Devisenschieber, wir sind Rassenschänder, wir sind Banditen“ (S. 19). Er beschreibt – unter Verwendung von spannungsaufbauenden Mitteln wie Gedankenstrichen und kurzen, stakkatoartigen Sätzen – etwa, wie ihm die Flucht in eine Baracke gelingt, nachdem er beim stundenlangen Schneeschaufeln unter Schlägen zusammengebrochen war.

Am 1. Mai 1939 wird Weinstock zusammen mit sechs weiteren Häftlingen aus Dachau entlassen und kehrt in seine Heimat zurück. Die Zeitspanne vom Mai 1939 bis zum Oktober 1940 ist im Bericht ausgespart.

Am 17. Oktober 1940 wird er mit seiner Mutter und Großmutter erneut verhaftet. Über das Ziel werden sie im Unklaren gelassen, doch es stellt sich heraus, dass sie entgegen der Befürchtungen nicht in östliche Richtung, sondern in das unbesetzte Frankreich verbracht werden. Am 20. Oktober kommt der Transport im etwa 80 Kilometer von der spanischen Grenze entfernten Internierungslager Gurs an, wo bereits viele Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs interniert sind.

Weinstock stellt die Lebensbedingungen in Gurs ausführlich dar und setzt sie in Kontrast zu seinen bisherigen Lagererfahrungen in Dachau. In Gurs ist das Verhalten der Wachmannschaften zwar auch oft unangemessen, doch zeichnet es sich überwiegend durch Freundlichkeit und Menschlichkeit aus. Das Lager selbst ist völlig überfüllt und in desolatem Zustand, doch die Häftlinge erhalten die Möglichkeit, sich durch Eigeninitiative die Haftbedingungen erträglicher zu gestalten, etwa durch das Anlegen von Abwassergräben, den Aufbau einer Küche oder die Gründung eines Theaters. Als besonders schlimm empfindet Weinstock die Trennung von seiner Großmutter und Mutter, zu denen er ein inniges Verhältnis hat. Erst nach vier Wochen im Lager gelingt es ihm, sie zu finden und zu besuchen und obwohl beide in einem schlechten Zustand sind, ermuntern sie ihn, den Mut nicht zu verlieren. Durch Reparaturarbeiten und Auftritte im Häftlingstheater erhält Weinstock zusätzliche Essensrationen und kleine Zuwendungen, mit denen er seine Familie unterstützt. Er macht sich im Lager einen Ruf als Lebenskünstler. Im August 1941 stirbt die Großmutter an den Folgen der Entbehrungen der Haft; der Verlust schweißt Mutter und Sohn umso mehr zusammen. Anfang August 1942 bringt man Weinstock und seine Mutter in das Durchgangslager Drancy, von wo aus sie wenig später nach Auschwitz deportiert werden. Dort wird er als Häftling Nummer 59000 registriert und bereits bei der Selektion von seiner Mutter getrennt. Über ihr mögliches Schicksal klärt ihn ein kleiner Junge auf: „‚Das sind die Gaskammern‘, sagte der Kleine, ‚dort hinein führt man die Menschen. Eben gerade jetzt werden wieder viele Menschen hineingeführt, denn wenn die Musik spielt …‘“ (S. 83). Weinstock wird in das Außenlager Jawischowitz gebracht und zur Arbeit in der Kohlengrube Brzeze eingeteilt, wo die Häftlinge zusammen mit polnischen Zivilarbeitern Kohle fördern. Dabei besteht für sie ständig die Gefahr, im Falle von Arbeitsunfähigkeit oder Verstößen gegen die Lagerordnung nach Auschwitz zurückgebracht und ermordet zu werden. Die Wachmannschaften sind brutal, die Schichten lang und das verlangte Arbeitspensum kaum zu bewerkstelligen. Die anfängliche Solidarität zwischen jüdischen und nichtjüdischen Häftlingen verliert sich nach und nach im individuellen Überlebenskampf, den die sich verschlechternden Bedingungen mit sich bringen. Dies zerstört auch die letzten Bemühungen des Widerstands. Im Oktober 1944 wird die Kohlengrube geschlossen und Weinstock zur Zwangsarbeit als Häftlingssteiger in ein anderes Bergwerk geschickt. Weinstock berichtet vom Vormarsch der russischen Armee im Januar 1945 und dem Abbruch der Gaskammern und Krematorien, was die Häftlinge auf ein baldiges Ende des Krieges und das Überleben hoffen lässt. Die Hoffnung, aus Auschwitz befreit zu werden, wird jedoch zerschlagen, der Verfasser zusammen mit anderen Zwangsarbeitern der Kohlengrube, unter ihnen 250 Kinder, am 18. Januar 1945 auf einen Todesmarsch nach Buchenwald geschickt.

Hier fallen ihm die Unterschiede zwischen dem sogenannten Großen Lager und dem Kleinen Lager auf. Er schätzt die Häftlingszahl in letzterem auf etwa 40.000 und bezeichnet es als „Ausrottungsinstitut[...]“ (S. 138). Ihm wird klar, dass er, wenn er überleben will, einen Weg in das Große Lager finden muss. Tatsächlich kommt er in einem der ‚Judenblocks‘ unter, wird jedoch von seinen Freunden getrennt. Er schätzt, dass zu dem Zeitpunkt nur noch etwa 20 der 10.000 aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet Deportierten am Leben sind. Weinstock muss mit der ständigen Gefahr leben, als Jude kurz vor Ende des Krieges noch einmal in ein anderes Lager verlegt zu werden, er kann sich jedoch jedes Mal rechtzeitig in Sicherheit bringen. Das Vorhaben der Kommandantur, das Lager am 11. Mai 1945 noch zu räumen, wird durch wiederholte Luftangriffe der Alliierten verhindert, die SS-Angehörigen schließlich per Lautsprecher zur umgehenden Flucht aufgefordert. Einzelne SS-Männer werden auf der Flucht jedoch von befreiten Angehörigen des Lagerschutzes eingefangen und in eine vorbereitete Baracke gebracht. Die Häftlinge teilen vereinzelt Fausthiebe aus, doch „[m]ehr taten wir ihnen nicht. Wir wollten uns nicht mit diesen vertierten Bestien auf gleiche Stufe stellen lassen“ (S. 170). Sie begrüßen ihre amerikanischen Befreier voller Dankbarkeit: „Wir liefen dem Offizier entgegen. Wir weinten. Wir drückten und küßten ihn“ (S. 171). Am 23. Mai tritt der Verfasser die Heimreise an und trifft am 5. Juni in Emmendingen ein. Die ehemalige Wohnung der Weinstocks wird von einer fremden Familie bewohnt, doch schnell ist er von Bekannten und Nachbarn umringt, die sich nach dem Verbleib seiner Mutter und Großmutter erkundigen. Die Erinnerung ist jedoch zu schmerzvoll: „Ich sollte erzählen und erzählen. Aber ich konnte nicht. Von neuem rannen mir die Tränen über die Wangen“ (S. 183). Weinstock schließt seinen Bericht mit einem Appell an die Deutschen und die Welt: „Aus dem Trümmerhaufen Europa muß ein neues Land der Liebe entstehen. Wenn ich mit meinem Buche und in meiner ‚Besinnung‘ zur Gründung des Landes der Liebe beigetragen haben sollte, dann wäre ich höchst erfreut“ (S. 185).

Rolf Weinstocks Stil ist geprägt durch die Plastizität und den Detailreichtum seiner Schilderungen, die einen stark erklärenden Charakter haben. Der Verfasser spricht den Leser direkt an und legt seinen Ausführungen Alltagskonzepte zugrunde, um den Kontrast zur Lagerwelt zu unterstreichen. So kommentiert er die Schikane des stundenlagen Marschierens mit den Worten: „An anderen Tagen wurde ein vierstündiger Sport mit uns getrieben. – – Fragt ihr, was für ein Sport? Ich weiß, ihr seid sportbegeistert. – – Um unseren Sport aber hättet ihr uns nicht beneidet“ (S. 16). Die anklingende Ironie findet sich auch insofern wieder, als der Autor sich durch Kapitelüberschriften wie „SS.-Glanzleistungen“ (S. 20) und die Titulierung der Täter als „SS.-Helden“ (S. 85) ironisch distanziert.

Des Weiteren wendet Weinstock Strategien der Emotionalisierung an: „Waren wir nicht Menschen, konnten wir nicht reden, denken, fühlen, sehen? – – Waren unsere Sinne nicht menschlich“ (S. 15)? Gestalterische Mittel wie Gedankenrede und rhetorische Fragen schaffen Unmittelbarkeit. Darüber hinaus wird auch das eigene Erinnern thematisiert: „Ich kann jetzt nicht mehr sagen, wie mir in jenem Augenblicke zumute war. War ich erschreckt? ... War es Angst, die mich plötzlich erfaßte? Ich weiß es nicht“ (S. 7).

Es wird deutlich, dass der Autor von seinen Erinnerungen noch immer verfolgt wird: „Erlaßt es mir, liebe Mitmenschen, über die zu schreiben, die weinend und verzweifelnd in unseren Reihen waren, – – erlaßt es mir, die angsterfüllten Augen zu schildern, die unausgesprochen auf den Lippen hängenden Fragen, - - „wo sind meine Kinder, – – wo ist meine Frau, – – mein Mann, – – meine Lieben? – – Ich bitte euch, erlaßt es mir. Noch heute steht mir all das Grauen vor den Augen“ (S. 10, Hervorhebungen im Original). Wie auch bei der Leseransprache nimmt Weinstock wiederholt die möglichen Reaktionen seines Lesepublikums vorweg und erklärt die Art und Weise seiner Niederschrift. Hierdurch wirbt er um Verständnis: „Ich schreibe das so ruhig, und die erschütterten Leser werden meine ruhigen Worte als Roheit bezeichnen, werden sagen, ich sei gefühllos. Ach, liebe Leser, ich habe viel zu viel Gefühl, ich bin von meiner Niederschrift häufig so erschüttert, daß ich mich ‚tot‘ fühle, daß ich mich ekle. Glaubt mir nur, ich bin genau so ein Mensch, wie ihr auch. Aber dennoch, es muß geschrieben werden, die Nachwelt muß vor Wiederholungen solcher Bestien geschützt werden“ (S. 92).


Biografie

Rolf Weinstock (geb. 08.10.1920 in Freiburg/Baden, gest. 1952) besuchte acht Jahre lang die Volksschule und absolvierte in einem Textilgeschäft in Emmendingen eine kaufmännische Lehre. Am 10. November 1938 wurde er für sechs Monate im KZ Dachau interniert. Am 17. Juni 1940 deportierte man ihn zusammen mit seiner Mutter und Großmutter und den letzten Emmendinger Juden in das Lager Gurs in Südfrankreich. Als einziger Emmendinger überlebte Rolf Weinstock das KZ Auschwitz und die letzten Kriegsmonate im KZ Buchenwald. 1945 kehrte er nach Emmendingen zurück und wurde hier Leiter der Betreuungsstelle für die Opfer des Nationalsozialismus sowie Vorsitzender der Ortsgruppe der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Weinstock stirbt im Alter von 32 Jahren an den Spätfolgen der Haft.

Quellen:

  • Barck, Simone: Antifa-Geschichte(n) – eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre. Köln u.a. 2003, S. 48-54.
  • Fischer, Anna: „Nachwort“. In: Weinstock, Rolf: Rolf, Kopf hoch! – Die Geschichte eines jungen Juden. Berlin-Potsdam 1950, S. 147.
  • Heymann, Stefan: „Übertreibung und falsche Darstellung – Rolf Weinstocks 'Rolf, Kopf hoch!'“ In: Die Tat (1950).
  • Jenne, Hans-Jörg und Gerhard A. Auer: Geschichte der Stadt Emmendingen. Bd. 2: Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis 1945. Emmendingen 2011.
  • Monteath, Peter: Erinnerung an Holocaust und Literaturpolitik in der DDR – der Fall Rolf Weinstock. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Frankfurt/Main u.a. 1998, S. 288-306.
  • o.A.: „ ... war mein Schicksal nicht umsonst“. In: BZ am Abend (1950), Nr. 301.
  • Reuter, Elke und Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Berlin 1997.


Werkgeschichte

Weinstock schrieb seinen Bericht bereits unmittelbar nach seiner Befreiung aus Buchenwald im Zeitraum von Juni bis September 1945 nieder. Eine erste Fassung erschien mit Genehmigung der französischen Behörden 1948 im kommunistischen Volks Verlag Singen in einer Auflagenstärke von 5.000 Exemplaren. Der 1947 gegründete Verlag der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) bekundete 1950 Interesse an einer Publikation des Textes von Weinstock. Vor dem Hintergrund ihres Ziels, Bücher „belehrenden und aufklärenden Inhalts“ (Reuter/Hansel 1997, S. 137) herauszubringen, hielten sie den Erinnerungsbericht für besonders geeignet. Hierfür musste die erste Fassung zunächst dem „Kulturellen Beirat für Verlagswesen“, der von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) als Zensurgremium eingesetzt worden war, zur Genehmigung vorgelegt werden. Im Referat Belletristik kamen die drei Gutachter Erich Friedländer, Carola Gärtner-Scholle und Ina Albrecht zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Gärtner-Scholle hatte an der „einfache[n] Art der Darstellung […], [die] den Schreib-Neuling verrät“ (zit. n. Monteath 1998, S. 259f.), nichts zu beanstanden, sondern bescheinigt ihm einen hohen ideologischen Wert: „So war es. Nie wieder“ (ebd.). Friedländer hingegen empfahl eine nochmalige Bearbeitung und kritisierte, dass in dem Buch „auch nicht ein Gedanke des Widerstandes zu finden“ (ebd.) sei, da sich Weinstock zu sehr auf Details seiner eigenen Erlebnisse fixiere, wodurch das eigentliche Thema aus dem Blick gerate. Das letzte Gutachten von Albrecht fällt vernichtend aus: Die Rolle der Widerstandsbewegung, die es in jedem KZ gegeben habe, komme zu kurz, dadurch bliebe der Bericht „ein Aufzählen von Schrecklichkeiten; durch die ständige Wiederholung leider fast abstumpfend anstatt erschütternd“ (ebd.). Darüber hinaus sei die Hymne auf die US-Armee nicht tragbar, weil „inzwischen die Befreier vom Faschismus von 1945 die Förderer der neofaschistischen Bewegung“ (ebd.) geworden seien. Außerdem bemängelte sie den Stil des Berichts als „[u]ndichterisch. Schwach im Ausdruck“ (ebd.). Albrechts Befund wurde nicht mehr berücksichtigt, da die verantwortliche Kommission bereits nach Friedländers Gutachten eine Auflage von 10.000 Exemplaren in Auftrag gab, wobei zunächst nur für 5.000 Exemplare Papier zur Verfügung gestellt wurde. Des Weiteren erfolgte die Einschränkung, dass der Titel des Buchs geändert wird, die Rote Armee bei der Befreiung von Auschwitz stärker betont und die amerikanische Besatzungspolitik in Westdeutschland kritisch beleuchtet wird. Weinstocks Buch wurde von Anna von Fischer, der Ehefrau des kommunistischen Arbeiterfunktionärs Friedrich Schlotterbeck, bearbeitet. Sie kürzte den Text sehr stark von 183 auf 149 Seiten; die drei Kapitel „Sklavinnen und Todeskontrolle – Frauenlager“, „Kinderfabrik“ und „Versuchsinstitut Auschwitz“, in denen Weinstock von Begebenheiten berichtete, welche er nicht selbst erlebt hatte, wurden herausgestrichen. Darüber hinaus wurde der Titel in „Rolf, Kopf hoch! – Die Geschichte eines jungen Juden“ verändert, welches die letzten Abschiedsworte von Weinstocks Mutter nach der Selektion in Auschwitz waren. Die gewünschte politische Relevanz wurde erzeugt, indem eine kurze Notiz eingefügt wurde, welche davon berichtet, dass amerikanische Soldaten den Hinterbliebenen der in Dachau Ermordeten 1950 den Zugang zum Lager verwehrt hätten, was als „gefährliche Wandlung“ (Weinstock 1950, S. 149) der amerikanischen Besatzungspolitik gewertet wurde. Durch das Abdrucken eines Faksimiles einer antisemitischen Postkarte, die Weinstock am 01. Oktober 1949 erhielt und die ihn aufforderte, „sich zwecks Verbrennung[...] umgehend [im Krematorium] einzufinden“ (ebd., S. 148), sollte unterstrichen werden, dass der Antisemitismus in Westdeutschland bereits wieder am Erstarken sei. Den größten inhaltlichen Eingriff stellt der Wegfall von Weinstocks eigenem Vorwort dar. Stattdessen erscheint ein Nachwort Anna von Fischers, das den Verfasser zu einem Helden stilisiert, aber dennoch antisemitischen Stereotypen verhaftet ist: „Nichts an Weinstock erinnert an jenes gezüchtete, aufgeblasene deutsche Heldentum, und doch hatte der kleine Jude als ein wirklicher Held die faschistische Hölle durchwandert. Und wenn sein Heldentum auch keinen anderen Sinn gehabt hätte, als sein Leben zu erhalten, um der Nachwelt zu berichten, so können wir ihm zurufen: ‚Rolf, Du tapferer kleiner Jude, es hat sich gelohnt! Wir danken Dir!“ (ebd., S. 147).

Kurz nach Erscheinen des Buchs wurde es wegen einer vernichtenden Rezension von Stefan Heymann in „Die Tat“ wieder zurückgezogen. Heymann, der selbst als Jude und langjähriges Mitglied der KPD in Dachau, Buchenwald und Auschwitz inhaftiert war, befand, Weinstocks Bericht sei nicht dazu geeignet, „die Menschen zu Abscheu und Haß gegen den Faschismus zu erziehen“ (Heymann 1950, o.S.). Er sei nicht wahrheitsgetreu und enthalte zudem „so viele unmögliche Übertreibungen, daß er sich in seiner Wirkung direkt gegen die Opfer des Faschismus richtet“ (ebd.). In seiner Kritik bezog er sich auf die Darstellung der Befreiung von Buchenwald, den Häftlingswiderstand und die letzten Tage der Häftlinge in Auschwitz. Heymann griff Weinstock direkt an: Er sei ein Einzelgänger gewesen, „ohne Bindung zu irgendeiner Gruppe“, ein „Mülltonnenadler“, der es verstanden habe, „im Lager durch ‚Geschäfte‘ verschiedener Art immer wieder über Wasser zu kommen“ (alle Zitate ebd.). Des Weiteren sei der Stil des Buchs „ziemlich mangelhaft“ (ebd.) und die Überarbeitung habe versagt. Er kann nicht verstehen, dass der VVN-Verlag das Buch verlegt habe, wo es doch seine Aufgabe sei, „[v]or allem Berichte der wirklichen Widerstandskämpfer, die den Menschen auch heute noch in ihrem Kampfe helfen können“ (ebd.), zu veröffentlichen. Unter dem Artikel findet sich ein Hinweis darauf, dass die Verlagsleitung das Buch bereits zurückgezogen habe. In der „BZ am Abend“ erschien am 29. Dezember 1950 allerdings auch eine lobende Rezension. Weinstock, der vom Zurückziehen seines Buchs nur durch die kommentarlose Zustellung eines Exemplars der Rezension Heymanns informiert wurde, wehrte sich entschieden in Form von Stellungnahmen und Briefen. Doch man blieb ihm nicht nur eine Erklärung schuldig, sondern druckte auch seine Proteste nicht in „Die Tat“ ab. Man versuchte, den Fauxpas zu verheimlichen, die Verlagsleitung wurde angehalten, „eine akribische Liste [aufzustellen], in der die ausgelieferten und zurückgeholten Exemplare detailliert aufgeführt waren“ (Monteath 1998, S. 53).

Quellen:

  • Heymann, Stefan: „Übertreibung und falsche Darstellung – Rolf Weinstocks 'Rolf, Kopf hoch!'“ In: Die Tat (1950).
  • Monteath, Peter: Erinnerung an Holocaust und Literaturpolitik in der DDR – der Fall Rolf Weinstock. In: Benz, Wolfgang (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung. Frankfurt/Main u.a. 1998, S. 288-306.
  • o.A.: „ ... war mein Schicksal nicht umsonst“. In: BZ am Abend (1950), Nr. 301.
  • Reuter, Elke und Detlef Hansel: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Berlin 1997.
  • Weinstock, Rolf: Rolf, Kopf hoch! – Die Geschichte eines jungen Juden. Berlin-Potsdam 1950.



Bearbeitet von: Julia Richter