Die Hölle sieht dich an (1940)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Hölle sieht dich an
Autor Litten, Irmgard (1879-1953)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1940, Paris
Titel Die Hölle sieht dich an
Untertitel Der Fall Litten

Erscheinungsort Paris
Erscheinungsjahr 1940

Verlegt von Editions Nouvelles Internationales

Publiziert von Litten, Irmgard (1879-1953)
Umschlaggestaltung von Trier, Walter (1890-1951)

Umfang 298 Seiten
Abbildungen 1 Zeichnung

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Irmgard Litten beschreibt in ihrem Bericht die Haftzeit ihres Sohnes Hans Litten, der in den Jahren 1928 bis 1933 als linker Strafverteidiger in Berlin bekannt war. Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wird er verhaftet und fünf Jahre lang in den Konzentrationslagern Sonnenburg, Esterwegen, Lichtenburg, Buchenwald und Dachau gefoltert und schikaniert. In ihrem Bericht, den sie in drei chronologische Abschnitte – Sonnenburg bis Esterwegen, Lichtenburg und Buchenwald sowie Dachau – einteilt, thematisiert Litten, was sie über die wechselnden Haftbedingungen und den schwankenden physischen und psychischen Zustand ihres Sohnes bei Besuchen oder aus seinen verschlüsselten Briefen sowie von Dritten erfährt. Sie schildert zudem ihre zahlreichen und verzweifelten Bemühungen, die Entlassung ihres Sohnes zu erwirken oder ihm zumindest die Haft erträglicher zu gestalten. Auch im Ausland führt sie einen in Zeitungen und Öffentlichkeit viel beachteten Kampf um seine Freilassung. Unterstützt wird sie dabei zunächst hauptsächlich von der Sekretärin Hans Littens, Margot Fürst, die sich großen Gefahren aussetzt, um ihm zu helfen. Ihre Bemühungen bleiben jedoch erfolglos und Hans Litten begeht schließlich im Februar 1938 Selbstmord im KZ Dachau.

Irmgard Littens Beschreibungen sind detailliert und kleinschrittig. Immer wieder wechselt sie zwischen Vergangenheitsform und Präsens. Über weite Teile wird der Text über szenenhaft inszenierte Dialoge und wörtliche Rede getragen. Ein wesentlicher inhaltlicher Aspekt ist der Zustand von Hans Litten, dem es in der Haft von Anfang an psychisch sehr schlecht geht und der körperlich durch die zahlreichen und schweren Misshandlungen extrem geschwächt ist. Neben einer schweren Beinverletzung werden ihm Verletzungen an Gehörgang, Kiefer und Auge sowie Knochenbrüche im Gesicht zugefügt und Zähne ausgeschlagen. Zusätzlich leidet er bald an schweren Magenbeschwerden, die es ihm fast unmöglich machen, Nahrung bei sich zu behalten. Bereits zu Anfang seiner Haftzeit unternimmt er mehrere Selbstmordversuche. Mehrmals bittet er die Mutter in seinen durch einen gemeinsam vereinbarten Code verschlüsselten Briefen um Gift, um sich das Leben nehmen zu können. Die Mutter geht viele Risiken ein, um es ihm schließlich zu besorgen.

Immer wieder berichtet Litten von den – oft erfolgreichen – Versuchen, eine Besuchserlaubnis zu erwirken. Sie nennt die Namen derjenigen, die sie in ihrem Kampf für ihren Sohn unterstützen, aber auch derjenigen, die sie behindern oder ignorieren. So versucht sie immer wieder Reichswehrminister Werner von Blomberg für sich einzuspannen, mit dem sie eine alte freundschaftliche Beziehung verbindet. Dieser ist aber nur sehr eingeschränkt zur Unterstützung bereit, da er Angst hat, sich selbst zu gefährden. Auch den Prinzen P., ein Mitglied der Hohenzollernfamilie, bittet sie vergeblich um Hilfe, ebenso wie den Richter Hans Freisler. Dieser macht unmissverständlich klar: „‚Er [Hans Litten] ist in meinen Augen ein gewissenloser Mensch, für den ich unter keinen Umständen etwas tun werde’“ (ebd.). Er legt dann aber doch ein Wort für Hans Litten bei Hitler ein, wie Irmgard Litten erfährt. Er habe danach aber, so hört sie gerüchteweise, zu Freunden bemerkt: „‚Es wird niemand etwas für Litten erreichen. Hitler lief blaurot im Gesicht an, als er den Namen hörte’“ (S. 71, Hervorhebung im Original). Auch der Kronprinz, der sich für Hans Litten bei Hitler verwendet, bekommt angeblich zu hören: „‚Wer für Litten eintritt, fliegt ins Lager, selbst wenn Sie es sind!’“ (S. 72, Hervorhebung im Original) Auch bei der Schauspielerin Emmi Sonnemann, die im April 1935 Görings Ehefrau wird, und die beiden Brüdern Hans Littens vom Theater kennt, sucht sie Unterstützung. Diese reagiert zwar verständnisvoll und verspricht nach ihren Möglichkeiten zu helfen, bleibt aber ebenso erfolglos.

Das Schicksal ihres Ehemanns, der sich überwiegend im Ausland aufhält, sowie der beiden jüngeren Söhne, die Theaterschauspieler sind, streift Litten nur kurz. Ihr Mann bleibt auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Sommer 1935 im Hintergrund, „da wir im Interesse von Hans nicht riskieren konnten, die Pension zu verlieren“ (S. 137, Hervorhebung im Original). Aufgrund der Prominenz Hans Littens wird schließlich der Bruder Heinz am Stadttheater Chemnitz fristlos entlassen und der Bruder Rainer verliert ebenfalls eine vielversprechende und bedeutende Rolle. Er flieht schließlich aus Deutschland. Heinz bleibt in Deutschland und unterstützt die Befreiungsbemühungen um Hans.

Druck auf die führenden Nationalsozialisten erhofft sich Irmgard Litten auch durch Interventionen aus dem Ausland, vor allem aus England. Hier pflegt sie unter anderem intensive Kontakte zu Lord Allen of Hurtwood, der zusammen mit „einer Anzahl der angesehensten Verteidiger in England“ (S. 173) in einem Brief um die Freilassung Hans Littens ersucht und sich in der Folge wiederholt engagiert. Doch auch diese Versuche bleiben erfolglos, ebenso wie die gefährlichen Unternehmungen des Bruders Heinz, der in Holland und Prag um Unterstützung wirbt. Irmgard Litten stellt erst später fest, welches Opfer sie von ihrem Sohn verlangt: „Erst jetzt habe ich erfahren, wie gefahrvoll die Reisen waren, die Heinz unternehmen musste. […] Aber selbst wenn ich es gewusst hätte, hätte ich ihn fahren lassen. Wir standen wie unter einem Zwang: Hans musste geholfen werden, ganz gleich, was aus uns wurde. Und mich beschwerte dabei nicht einmal der Gedanke (was an sich meiner Natur widerstrebte), dass ich alles Gefahrenvoll auf Heinz abwälzte. Denn es war klar, ich hatte in Berlin die wichtigere Arbeit zu leisten, die mir niemand abnehmen konnte. Und für Hans war es schlimmer, wenn ich eingesperrt wurde“ (S. 191, Hervorhebung im Original).

Ein Kapitel widmet Litten auch dem Bestreben der Nationalsozialisten, vermeintliche ‚Gräuellügen‘ über die Konzentrationslager einzudämmen. So erhalten die jüdischen Häftlinge in Dachau im November 1937 eine Postsperre. Am 6. Dezember 1937 muss Hans Litten einen Brief schreiben, in dem er die Zeitungen auflistet, die Gräuellügen über die Konzentrationslager verbreitet haben. Er schreibt: „Diese unverschämten Lügen werden von den Emigranten-Juden erfunden. Die Juden in Dachau stehen wieder im Verdacht, Lügennachrichten hierzu aus dem Konzentrationslager geschmuggelt zu haben. Bis zur Feststellung der Täter werden wir Juden in Isolationshaft genommen. [...] Es liegt an Euch, die Emigranten-Juden in Prag zu beeinflussen, solche blödsinnigen Lügen über die Konzentrationslager künftig zu unterlassen, da die Juden in Dachau als Rassegenossen hierfür verantwortlich gemacht werden“ (S. 246). Später erfährt Irmgard Litten, dass den Häftlingen in Dachau furchtbarste Strafen für ihre Angehörigen in Deutschland angedroht wurden, wenn sie über ihre Hafterlebnisse sprechen.

Die letzte Begegnung zwischen Mutter und Sohn findet im KZ Dachau statt, wo er sehr zur Empörung von Irmgard Litten in der Judenkompanie untergebracht ist. Sie weiß, dass die Juden besonders schlecht behandelt werden. Hans Litten wirkt resigniert und kraftlos: „Als wir uns verabschiedeten, warfen wir uns eine Kusshand zu, und Hans sah mich mit einem unendlich lieben und wehmütigen Lächeln an. Er wusste, dass es sein Abschied war“ (S. 241). Der Bericht endet mit der telefonischen Nachricht vom Tode des Sohnes am 5. Februar 1938. Er hat sich nach einem Verhör selbst das Leben genommen. Irmgard Litten darf – ganz entgegen dem üblichen Verfahren – den Leichnam ihres Sohnes ein letztes Mal sehen: „Man liess mich ruhig stehen, so lange ich wollte. Ich wusste, dass ich mit den Mördern meines Sohnes an seiner Leiche stand. […] Ich rührte mich nicht, obwohl ich von Verzweiflung und wildesten Rachegedanken geschüttelt war“ (S. 265). Man gestattet ihr sogar, die Beerdigung selbst zu organisieren und durchzuführen, auch das bedeutet eine große Ausnahme für einen verstorbenen KZ-Häftling.

Im Anhang des Buches befinden sich Auszüge aus den Briefen Hans Littens an seine Mutter aus den Konzentrationslagern. Darin schreibt er über Musik, Kunst und Literatur; Bach begeistert ihn ebenso wie Shakespeare, Tieck und Gundolf. Auch mit dem Wessobrunner Gedicht befasst er sich und mit der Dichtung des Mittelalters. Einer der Briefe ist handschriftlich abgebildet. Ebenfalls abgedruckt sind Aufzeichnungen eines Vortrags zum Wesen der Kunst, den Hans Litten im KZ Lichtenburg vor Kameraden hält. Das Buch beinhaltet außerdem die Zeichnung eines Schutzhäftlings von Hans Litten, die aus dem KZ Lichtenburg herausgeschmuggelt wurde, sowie den Abdruck einer Postkarte von Hans Litten aus Dachau vom 29. November 1937, in der er die Postsperre als Reaktion auf die Verbreitung von Gräuelnachrichten durch die Juden im Ausland bekannt gibt.

Dem Bericht vorangestellt ist ein ausführliches Vorwort von Rudolf Olden, der in der Weimarer Republik ein bekannter Journalist und Rechtsanwalt war. Olden entgeht nach dem Reichstagsbrand 1933 einer Verhaftung durch Flucht ins Ausland, von wo er Schriften gegen das nationalsozialistische Regime veröffentlicht. 1934 erscheint etwa seine vielbeachtete Dokumentation „Schwarzbuch über die Lage der Juden in Deutschland“. Olden würdigt Hans Litten als einen gründlichen und klugen Rechtsanwalt, „erfüllt von der übermächtigen Sucht, Unrecht zu hindern, Bedrohte zu retten, die Beleidigten und Erniedrigten zu erheben; ein Mensch, der sich gelegentlich ‚revolutionärer Marxist‘ nannte, ‚weit links von der kommunistischen Partei‘, der aber seinem inneren Wesen nach einfach ein Christ war, so unerbittlich in seinem Christentum, dass er buchstäblich nach der Bergpredigt leben wollte, seinen Nächsten lieben, selbst seinem Feind gerecht werden und ihm verzeihen“ (S. 10). Weder mit der kommunistischen noch mit irgendeiner anderen Partei habe Litten jedoch wirklich etwas zu tun gehabt. Olsen geht auch auf das ein, was ab 1933 Littens Verderben wird: 1931 hatte er in einem Prozeß gegen einen ‚SA-Sturm‘, in dem Adolf Hitler als Zeuge vernommen wird, diesem schwer zugesetzt und versucht zu beweisen, dass die Partei selbst Gewalttätigkeiten ihrer Mitglieder dulde oder sogar hervorrufe. Aus diesem Grund wurde auch der Parteiführer Hitler geladen worden. Litten habe, so Olden, diesen einige Male wütend gemacht und ihn zwei Stunden beträchtlich schwitzen lassen: „Ob damals irgend jemand im Saal eine Ahnung hatte, dass er sich selbst das Urteil qualvollen Todes gesprochen hatte?“ (S. 13) Er schließt das Vorwort mit dem Wunsch, dass „die Achtung nicht ganz verschwindet vor dem Volk, das eine solche Mutter und einen solchen Sohn hervorgebracht hat. Mich, wenn ich das noch sagen darf, hat das Lesen dieses Buchs in dem Glauben gestärkt, dass Deutschland doch nicht verloren ist“ (S. 18).


Biografie

Irmgard Litten (geb. 30.08.1879 in Halle/Saale, gest. 30.06.1953 in Ost-Berlin) wurde unter dem Namen Irmgard Wüst als Tochter einer schwäbischen Gelehrtenfamilie geboren. Die Familie brachte einige evangelischen Pastoren und Universitätsprofessoren hervor, auch ihr Vater Albert Wüst war an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Professor für landwirtschaftliche Maschinenkunde und Meliorationswesen. In Halle besuchte sie trotz der strengen Restriktionen für Frauen Vorlesungen an der Universität. Hier lernte sie 1898 auch den sechs Jahre älteren Fritz Litten kennen, den sie im September 1900 heiratete, nachdem er sein Assessor Examen als Jurist abgelegt hatte. Nach Hans wurden 1905 und 1909 noch die Söhne Heinz und Rainer geboren. Fritz Litten, der aus einer assimilierten und konvertierten jüdischen Familie stammte, wurde Professor an der juristischen Fakultät der Universität Königsberg, später Dekan und schließlich sogar Rektor der Universität. Er war konservativ-nationalistisch gesinnt und war stolz auf seine vier Jahre Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg, für den er mit dem Eisernen Kreuz Erster und Zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. Irmgard Littens ältester Sohn Hans war von 1928 bis 1933 in Berlin als linker Strafverteidiger bekannt. 1931 führte er in einer Zeugenvernehmung Adolf Hitler als Führer der NSDAP vor. Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurde Hans Litten verhaftet und fünf Jahre lang in Sonnenburg, Esterwegen, Lichtenburg, Buchenwald und Dachau gefoltert und schikaniert. Irmgard Litten bemühte sich sehr um die Freilassung ihres Sohnes, während ihr Mann bis 1934 in die Tschechoslowakei floh. Weil der Familie jedoch seine Pension nicht ausgezahlt wurde, solange er im Ausland war, kehrte er schließlich zurück. Auch nach seiner Rückkehr lebte das Ehepaar fortan getrennt. Zehn Tage nach dem Selbstmord von Hans Litten am 5. Februar 1938 im KZ Dachau emigrierte sie mit Heinz über die Schweiz und Paris nach Großbritannien. Dort schrieb sie ihren Bericht „Die Hölle sieht Dich an“ über das Schicksal ihres Sohnes und die Zustände in den deutschen Konzentrationslagern. Fritz Litten blieb zunächst in Deutschland, bis er schließlich nach Nordirland floh, wo er 1940 starb. Das Verhältnis zwischen den Ehepartnern scheint in den letzten Jahren angespannt gewesen zu sein.

Ihren Lebensunterhalt verdiente Irmgard Litten hauptsächlich als Mitarbeiterin des Ministry of Information und als Sprecherin der British Broadcasting Corporation (BBC). Regelmäßig sprach sie in einer Serie „For the German Woman“ („Für die deutsche Frau“). Sie wurde außerdem Mitglied im P.E.N. Club in London, ebenso im „Initiativausschuss für die Einheit der deutschen Emigration“ und der „Freien Deutschen Bewegung“ (FDB) im Sommer 1943. Sie trat jedoch Anfang 1944 aus Protest gegen die Deutschlandpolitik der KPD wieder aus. Zum Ende des Krieges kümmerte sie sich vor allem um Kriegsgefangene. 1945 erschien ihre Broschüre „‚All the Germans’ – are they really guilty?“ im Verlag Victor Gollancz. Darin sprach sie sich gegen die These der Kollektivschuld aus und setzte sich für einen antifaschistischen Neuaufbau von Deutschland ein. 1950 kehrte sie nach Deutschland zurück. Sie lebte zunächst in Bayern. Viele Deutsche nahmen ihr jedoch das Exil übel und behandelten sie wie eine Verräterin. Zudem wurde ihr die Pension ihres verstorbenen Mannes verweigert. Enttäuscht und frustriert zog sie nach Ostberlin, wo sie als „Opfer des Faschismus“ anerkannt wurde und auch eine Pension erhielt. Hier lebte sie bis zu ihrem Tod. Auch Heinz Litten kehrte aus Großbritannien nach Ostberlin zurück, wo er schließlich eine Theaterschule leitete. An schweren Depressionen leidend nahm er sich jedoch 1953 das Leben. Rainer Litten, der Deutschland bereits 1934 verlassen hatte, kehrte nicht nach Deutschland zurück. Nach einigen anderen Stationen lebte er sein Leben schließlich in der Schweiz.

Quellen:

  • Hett, Benjamin Carter. Crossing Hitler. The Man Who Put the Nazis on the Witness Stand. Oxford 2008.
  • Homepage zu Hans Litten. Online: https://www.hans-litten.de (Stand: 19.09.2019).


Werkgeschichte

Imgard Litten unternahm viele Bemühungen, um ihren Sohn aus dem Gefängnis freizubekommen. Unter anderem wandte sie sich auch an die ausländische Presse, um so über die Zustände in den Konzentrationslagern und das Schicksal ihres Sohnes aufmerksam zu machen. Aber auch die Lagerleitung des Konzentrationslagers Dachau versuchte durch erzwungene Briefe der prominenten Häftlinge, die in der Ausländischen Presse erscheinenden, vermeintlichen ‚Greuellügen‘ über die Konzentrationslager einzudämmen. So erschien in „Neuer Vorwärts“ am 12. Dezember 1937 ein Brief des prominenten Politikers Kurt Eisner, der Häftling im KZ Dachau war, und der in dem Brief, verschiedene Zeitungen – darunter der „Neue Vorwärts“ – bezichtigt, „Lügennachrichten“ aus dem Lager zu verbreiten. Dies werde nun den Juden in Dachau zur Last gelegt. Diese würden daher bis zur Feststellung der Täter in Isolationshaft bleiben. Einen nahezu identisch lautenden Brief musste auch Hans Litten verfassen. So erschien im „Neuer Vorwärts“ am 19. Dezember 1937 – zusammen mit Auszügen von Briefen der im KZ Dachau inhaftierten Häftlinge Kurt Eisner und Ernst Heilmann – ein Brief Irmgard Littens an die Redaktion, in dem sie den Inhalt einer Postkarte ihres Sohnes wiedergab. Er weist darauf hin, dass die Isolierung der Häftlinge im Konzentrationslager Dachau aufgrund der ‚Lügenberichte’ in den Emigranten-Zeitschriften um eine Woche verlängert worden sei.

Ihren Bericht „Die Hölle sieht Dich an“ über das Schicksal ihres Sohnes Hans Litten und die Zustände in den deutschen Konzentrationslagern schrieb Irmgard Litten in Großbritannien im Exil. Das Buch wurde unter anderem in Auszügen 1940 in der „Sozialistischen Warte“ abgedruckt. In den Vorbemerkungen heißt es, das Buch zeige „die Schande der deutschen Konzentrationslager und der deutschen Rechtspflege in einem neuen Licht und beweise, „dass Hitler und Göring die grauenhaften Misshandlungen kennen und anordnen“ (Sozialistische Warte, 15.02.1940, S. 104.). 1940 wurde er zum ersten Mal auf Deutsch mit einer Einleitung von Rudolf Olden in der Editions Nouvelles Internationales in Paris veröffentlicht. Im gleichen Jahr erschien er unter dem Titel „A mother fights Hitler“ mit einer Einleitung von William Ebor, dem Erzbischof von York und späteren Erzbischof von Canterbury, im Verlag Allen and Unwin in England und kurz darauf unter dem Titel „Beyond tears“ mit einer Einleitung von Eleanor Roosevelt in der Alliance Book Corporation in den USA. 1940 erschien er außerdem in Shanghai in der Kelley and Walsh Edition. Eine Besprechung der englischen Ausgabe „A Mother Fights Hitler“ in „Die Zeitung“ vom 5. Mai 1941 bescheinigt Irmgard Litten klar, einfach und sachlich zu berichten, „und die Sachlichkeit ihres Berichts steigert das Grauen, das einem beim Lesen umklammert, und sie steigert die Wucht der Anklage gegen die unmenschlichen Feinde eines sehr menschlichen Sohnes“ (Die Zeitung, Bd. 1, 05.05.1941, Nr. 46, S. 3.). Viele Frauen in Deutschland hätten ähnlich gefühlt wie Irmgard Litten, aber nicht alle hätten so unerschrocken gehandelt wie sie, heißt es weiter. 1941 wurde er in Spanisch unter dem Titel „Una madre contra Hitler“ in Mexico  in der Edition Minerva veröffentlicht.

In Deutschland wurde der Bericht 1947 auch im Greifenverlag in Rudolfstadt unter dem Titel „Eine Mutter kämpft gegen Hitler“ publiziert und bis 1985 mehrfach aufgelegt. Im Frankfurter Röderberg-Verlag erschien etwa 1984 eine Ausgabe ebenso wie im Bonner Deutschen Anwaltverlag 2000. Die Schauspielerin Patricia Litten, die die Enkelin von Irmgard Litten und Nichte von Hans Litten ist, hat außerdem das Werk ihrer Großmutter in einer Hörbuchfassung eingelesen. Diese ist 2013 unter dem Titel „Trotz der Tränen“ im uccello-Verlag erschienen.

Als Bühnendrama wurde Irmgard Littens Werk von Mark Hayhurst in London unter dem Titel „Taken at Midnight“ 2015 und 2016 in Nürnberg unter dem Titel „Der Prozess des Hans Litten“ aufgeführt. In Nürnberg spielte Patricia Litten die Rolle ihrer Großmutter. Hitching schrieb im britischen „Evening Standard“ am 27. Januar 2015 über die Aufführung in London: „Mark Hayhurts’s play cuts between Litten’s sufferings and the efforts of Wilton’s Irmgard, who becomes a campaigner on his behalf and narrates his story, addressing the audience in a style that’s intimate and intelligent“ (Evening Standard, 27.01.2015, S. 18). Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung besprach das Stück am 28. Januar 2015. In der Besprechung heißt es: „Hans Litten kommt in der bekannteren Literatur zur Hitler-Zeit nicht vor. [...] Die deutsche Bundesrechtsanwaltskammer hat Hans Litten zwar nach der Wende als Verteidiger des Rechts im Unrecht zu ihrer Galionsfigur erkoren. Der bereiteren Öffentlichkeit ist der Name dennoch kein Begriff. Es ist nicht ohne Ironie, dass sein Schicksal jetzt auf einer britischen Bühne größere Bekanntheit erlangt“ (FAZ, 28.01.2015, S. 12).

Quellen:

  • Hitching, Henry: „First Night. Taken at Midnight“. In: Evening Standard, 27.01.2015, S. 18.
  • Jury, Louise: „,We must never forget story of anti-Nazi lawyer’“. In: Evening Standard, 27.01.2015, S. 18.
  • Gina, Thomas: „Er brachte Hitler vor Gericht“. In: FAZ, 28.01.2015, S. 12.
  • Litten, Irmgard: Trotz der Tränen. Gelesen von Patricia Litten. [Hörbuch Verlag uccello] 2013.
  • L.M.: Neue Bücher: Irmgard Litten: A Mother Fights Hitler. In: Die Zeitung, 05.05.1941, Nr. 46, S. 3.
  • o.A: „Jüdische Geiseln in Dachau. Erpresserbrief der Lagerleitung an den „Neuen Vorwärts“. In: Neuer Vorwärts, 12.12.1937, Nr. 235, S. 1f.
  • o.A.: „Die Erpresser von Dachau“. In: Neuer Vorwärts, 19.12.1937, Nr. 236, S. 1f.
  • o.A.: o.T. In: Sozialistische Warte, 15.02.1940, Nr. 4, S. 104.
  • o.A.: „Er brachte Hitler vor Gericht“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.01.2015, S. 12.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger