Die Judenausrottung in Polen. Serie 4 (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Judenausrottung in Polen. Serie 4 (Warschau. Die Vernichtung der Jüdischen Gemeinde bis zur grossen Revolte)
Autor Felix (1912-?)
Genre Erinnerungsbericht, Augenzeugenbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, Genf
Titel Die Judenausrottung in Polen. Serie 4 (Warschau. Die Vernichtung der Jüdischen Gemeinde bis zur grossen Revolte)

Erscheinungsort Genf
Erscheinungsjahr 1945
Auflage Erstauflage

Publiziert von Felix (1912-?)

Herausgegeben von Silberschein, Abraham (1881-1951)
Umfang 69 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)

Zusammenfassung

Der Augenzeugenbericht eines jungen jüdischen Mediziners und Offiziers der polnischen Armee beschreibt das Leben im Warschauer Getto. Der Autor gliedert seine Darstellung in drei Phasen, in denen der Leidensweg der jüdischen Bevölkerung geschildert wird. Die erste Phase umfasst die Zeit vom Einmarsch der deutschen Truppen bis zur Errichtung des Gettos. Die zweite Phase enthält detaillierte Schilderungen zum Leben im Getto bis zum 21. Juli 1942. Mit der Beschreibung der schrittweisen Liquidation des Gettos beginnt die letzte Phase. Im Anschluss wird die Organisation und Durchführung des Widerstandes dargestellt. Nach dem Vorwort, dessen Verfasser unbekannt bleibt, erklärt der Augenzeuge in der Einleitung, dass er seine Erlebnisse darstellen und einen Überblick über die wichtigsten Ereignisse geben möchte.

Der Bericht wird durch zahlreiche Zwischenüberschriften in zeitliche und thematische Abschnitte gegliedert. Zunächst werden die Zustände des belagerten Warschaus beschrieben. Durch zahlreiche Verordnungen und Vorschriften verschlechtert sich die Situation der jüdischen Bevölkerung, bis sie schließlich in das Getto umgesiedelt wird. Die Nahrungsknappheit stellt das größte Problem im Getto dar. Dennoch schaffen es die Bewohner, sich zu organisieren, eine Gemeinschaft zu bilden und etwas Essbares ins Getto zu bringen. Auch Krankenhäuser, Schulen und Theater, um nur ein paar Institutionen zu nennen, werden im Getto eingerichtet, ebenso wie Werkstätten, die vieles für die ‚arische‘ Seite der Stadt produzieren. „Es entstanden eine Unmenge von Werkstätten, die einfach alles produzierten, was die arische Seite brauchte. Das Ghetto wurde zur Produktionsstätte für die arische Bevölkerung“ (S. 7).

Der Augenzeuge berichtet von einer Gewöhnung an die Umstände im Getto und dass die meisten Menschen die Gegebenheiten akzeptierten. Die Bartholomäus-Nacht am 18. April 1942 markiert für den Verfasser einen Einschnitt im Getto-Leben. Es werden 54 Männer erschossen und ihre Leichen liegen am Morgen auf den Straßen. Der Grund für ihre Erschießung bleibt jedoch unklar. Dieses Vorgehen wiederholt die Gestapo jede Freitagnacht und die Bevölkerungsdichte nimmt immer mehr ab. Um die Verunsicherung der Bevölkerung zu verstärken, werden immer wieder neue Stempel und Ausweise eingeführt, die vor der Deportation bewahren sollen. So rennen täglich hunderte Menschen zu den Fabriken, um entsprechende Papiere zu besorgen, nur um am nächsten Tag festzustellen, dass sie wertlos sind. Zusätzlich fahren abends Männer in Lastautos durch die Straßen und erschießen wahllos Menschen. Am 15. Juli 1942 tritt eine neue Verordnung in Kraft. Sie enthält den Befehl zur Auflösung des Gettos, was das Todesurteil für 450.000 Menschen bedeutet. Mit dieser Verordnung beginnt die schrittweise Liquidierung des Gettos.

Nach dieser Bekanntgabe lässt sich der Augenzeuge in einer Fabrik einstellen, die für die Wehrmacht arbeitet und für diese Zelte näht und repariert. Obwohl es untersagt ist, hilft er im Büro aus und ist von nun an auch für die Vergabe der Papiere mitverantwortlich. Der Leiter der Firma ist ein Parteimitglied der NSDAP, der nach 30 Jahren Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt war und diese Entscheidung bereute. Seine Freundlichkeit den Juden gegenüber führt zehn Monate später zu seiner Verhaftung als „Judenfreund“ (S.13).

Bei der ‚Umsiedlung‘ der Gettobewohner schießt die SS in Häuser und auf die Fenster, um versteckte Menschen aufzuspüren. Erneut können sich diejenigen retten, die nachweisen können, dass sie in einer Fabrik arbeiten. Dieses Mal schützen die Papiere auch die Frauen und Kinder der Arbeiter. Auffällig ist, dass der Zeuge den exakten Wortlaut der Papiere wiedergeben kann, was daran liegt, dass er bei der Verteilung und Ausstellung der 250 Dokumente beteiligt war.

Ein weiteres Ereignis, das der Autor beschreibt, ist der Selbstmord des Vorsitzenden des Judenrates Adam Czerniaków, der eine Verordnung zur Umsiedlung des Judenrates unterzeichnen sollte. Die Bevölkerung des Gettos weiß, dass diese Tat nur bedeuten kann, dass sie in Gefahr sind und eine große Aktion vorbereitet werden soll. Der Augenzeuge betont, dass Czerniaków sich geweigert hatte, die Verordnung zu unterschreiben, um zu verhindern, selbst Teil der Vernichtungsaktion zu werden. Umgesiedelt wird der ‚arbeitsunfähige‘ Teil der Bevölkerung, also die Alten, Kranken und Arbeitsunfähigen. 15.000 Menschen werden in Züge gedrängt und sollen abtransportiert werden. Darunter viele Freunde und Verwandte des Augenzeugen. Er selbst ist zu diesem Zeitpunkt im Büro, um bei seinen Freunden Alarm zu schlagen. Diejenigen, die Papiere haben, können noch im letzten Moment gerettet werden. Auf dem Umschlagplatz versucht der Augenzeuge, zumindest den letzten Teil der Belegschaft zu retten und schafft es mit der Hilfe eines Freundes auch. Am 18. August 1942 treibt die SS alle Menschen auf den Umschlagsplatz. Von den 2.000 Menschen, die noch im Getto leben, wurden 600 an diesem Tag erschossen.

Nach diesen Aktionen macht sich eine erste Widerstandsstimmung im Getto breit. Auf den Schmuggelwegen, auf denen bisher Nahrung ins Getto gebracht wurde, gelangen jetzt auch Gewehre und Munition hinein. Die Selektionen und Erschießungen häufen sich immer mehr, können jedoch die Vorbereitungen des Widerstandes nicht stoppen. Ernüchterung hat sich bei den Überlebenden breitgemacht, da auch die Kinder, die Alten und Schwachen täglich weniger werden. Die Mittel der SS, die jüdische Bevölkerung zu schikanieren, kennen nahezu keine Grenzen. Der Zeuge erzählt etwa von dem jüdischen Feiertag Yom Kipur, an dem die Warschauer Juden selbst 4.000 Menschen für die Gaskammern in Treblinka stellen müssen.

Der Widerstand formiert sich immer weiter und als ein SS-Mann erschossen wird, wird dieser von der SS gerächt, indem sie den gesamten Straßenzug, in dem sie den Toten gefunden hatten, mit Handgranaten eindecken und jeden, der vorbeikommt erschießen. Dennoch bauen die Widerständler ihre Bunker aus und planen weitere Aktionen. Die „Jüdische Widerstandspartei“ (S. 46) übernimmt ab jetzt das Kommando im Getto.

Vom 18. bis 22. Januar 1943 umstellt die SS das Getto und stößt auf aktiven Widerstand. Aus jedem Haus schießen Getto-Bewohner auf die SS. Einen Großteil der Fabrikarbeiter holt die SS während dieser Tage heraus und verfrachtet sie nackt in Waggons. Der Zeuge berichtet, dass die Waggons drei Tage zugesperrt am Danziger Bahnhof in Warschau stehen und die Menschen darin in den kalten Wintertagen sterben. Er erzählt im Anschluss von seiner Einführung in die Widerstandsarbeit und dem Organisieren eines Tunnelsystems, um von der Fabrik in den Hauptbunker zu gelangen. In diesen Tunneln werden Maschinengewehre eingelagert, die auf der arischen Seite gekauft wurden.

Schließlich wird der Autor am 19. März 1943 benachrichtigt, dass er in das Gefängnis, den gefürchteten Pawiak, gehen soll. Er wurde für den Austausch gegen deutsche Zivilinternierte bestimmt. Zwei Monate verbringt er dort. Währenddessen organisiert sich außerhalb der Gefängnismauern der Widerstand weiter, bis der Termin des Aufstandes feststand.

Am 18. April um 6 Uhr morgens marschiert die SS in das Getto und zerstört einige Stützpunkte der Widerstandskämpfer. Mit Granaten und Flammenwerfern geht die SS gegen die Gettobevölkerung vor. Am 10. Mai 1943 ist das Getto zwar ausgebrannt, trotzdem leben noch einige Bewohner in den Bunkern unterhalb der Erde. Am 16. Mai wird der Zeuge aus gesundheitlichen Gründen aus dem Pawiak befreit, um nach Lissabon für einen Austausch gegen deutsche Zivilinternierte geschickt zu werden. Noch einmal muss er um sein Leben fürchten, da er mit drei weiteren Menschen in einem Café von SS-Leuten festgenommen und wieder ins Getto zurückgeführt wird. Oberscharführer Mende deckt den Irrtum auf und lässt die beiden Gefangenen gehen. Am 19. Mai 1943 verlässt der Verfasser mit 98 weiteren Überlebenden Warschau.

Der Text zeichnet sich durch eine nüchterne Sprache mit häufig kurzen Sätzen aus. Wörtliche Rede kommt nur an wenigen Stellen vor, etwa bei handlungswichtigen Unterhaltungen zwischen dem Vorgesetzten, Freunden, die helfen wollen, Offizieren der SS oder Gendarmen und dem Autor. Außerdem ist ein Wechsel zwischen dem Präsens und Vergangenheitsformen zu erkennen. Das Präsens tritt häufig im Zusammenhang mit der wörtlichen Rede auf. Widersprüchlich ist das Datum, an dem der Augenzeuge das Getto verlassen haben soll. Im Vorwort ist der Juni 1943 angegeben, während im Textkorpus Mai 1943 angegeben wird.

Des Weiteren ist auffällig, dass die Situation der Kinder im Getto häufig thematisiert und detailliert beschrieben wird. Auch einzelne Schicksale werden, nachdem bereits von der Person gesprochen wurde, nachträglich noch hinzugefügt, wie etwa, dass die Bekannte, die auf der ‚arischen‘ Seite einen Unterschlupf für die Frauen bieten soll, an dem Tag aber nicht anwesend sein kann, da sie in Haft ist. Der Autor fügt dann hinzu, dass sie an jenem Tag erschossen wurde. Insgesamt bietet der Text viele Details, die den Alltag im Getto nachvollziehbarer machen.   Eine kurze Biografie des Augenzeugen Felix findet man im Vorwort des Berichts. Die Biographie soll dazu dienen, dem Leser die Vertrauenswürdigkeit des Augenzeugen zu versichern.

Biografie

Felix, geb. 1912 in Slonim, dessen vollständiger Name nicht genannt wird, war Sohn eines Waldbesitzers und Industriellen, der insgesamt acht Kinder hatte. Auf die Ausbildung der Kinder wurde sehr viel Wert gelegt.

Bis 1930 besuchte Felix ein Gymnasium in Deutschland. Danach studierte er in Berlin Medizin und in Charlottenburg Leibesübungen. 1933 kehrte er dann zu seiner Familie nach Polen zurück. Er leistete in Warschau Militärdienst und kämpfte dann 1939 als Unteroffizier im 30. polnischen Infanterieregiment im Krieg gegen Deutschland.

Zunächst wollte er nach der Niederlage Polens nach Palästina auswandern. Vorübergehend lebte er daher einige Zeit in verschiedenen litauischen Städten. Da jedoch seine Schwester an den Folgen einer Verletzung durch einen Bombensplitter verstarb, machte er sich auf den Weg nach Warschau, um seine Eltern noch einmal wiederzusehen. Seine Mutter wurde im Krieg ebenfalls schwer verletzt und verstarb kurz nach seiner Ankunft. Nachdem er sowohl die Schwester, als auch die Mutter beerdigt hatte, wollte er zurück nach Litauen. Er wurde jedoch auf dem Weg festgenommen und am 12. Februar 1940 nach Warschau zurückgebracht. Dort lebte er bis zum 19. Juni 1943 im Getto.


Quellen:



Bearbeitet von: Sandra Binnert