Die Stärkeren (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die Stärkeren
Autor Langbein, Hermann (1912-1995)
Genre Bericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1949, Wien
Titel Die Stärkeren
Untertitel Ein Bericht

Erscheinungsort Wien
Erscheinungsjahr 1949

Verlegt von Stern-Verlag

Publiziert von Langbein, Hermann (1912-1995)
Umschlaggestaltung von Paar, Ernst (1906-1986)

Umfang 215 Seiten
Abbildungen 14 Abbildungen: 13 Fotos, 1 Zeichnung

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Mit Hermann Langbeins Bericht „Die Stärkeren“ lag wenige Jahre nach Kriegsende eine ebenso detaillierte wie fesselnde Schilderung des politischen Widerstands sowie der Lager-SS im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor. Als einer der Ersten bietet er Einblick in ein bald wieder weithin vergessenes beziehungsweise verdrängtes Kapitel der Häftlingsgesellschaft in Auschwitz.

Langbein lässt seinen Bericht bereits Anfang 1939, dreieinhalb Jahre vor seiner Deportation nach Auschwitz, mit seiner Verhaftung durch die französischen Behörden an der Grenze zu Spanien beginnen. Als österreichischer Kommunist kämpft er während des Spanischen Bürgerkriegs in den Internationalen Brigaden, die sich geschlagen Richtung Frankreich zurückziehen wollen. Über zwei Jahre sind Langbein und seine Kameraden in den französischen Internierungslagern St. Cyprien, Gurs und Le Vernet inhaftiert, bevor viele von ihnen im April 1941 ins Konzentrationslager Dachau kommen.

In Dachau, einem der ersten deutschen Konzentrationslager, arbeitet Langbein bald nach seiner Ankunft als Stationsschreiber im sogenannten Krankenrevier. Seine Position ermöglicht es ihm, Hilfe für andere Spanienkämpfer zu organisieren und verschafft ihm überdies einen guten Einblick in das Lagerleben und in die Verbrechen der SS in Dachau. Insbesondere über die dort durchgeführten pseudomedizinischen Experimente an Häftlingen berichtet er ausführlich. Gemeinsam mit anderen Häftlingen aus dem „Krankenrevier“ wird Langbein im August 1942 nach Auschwitz verbracht, wo er wiederum als Schreiber im „Häftlingskrankenbau“ eingesetzt wird.

In Auschwitz angekommen wird Langbein bald schon zu einer zentralen Person des Lagerwiderstands, vor allem durch seine guten Kontakte zu anderen politischen Gefangenen und durch das Vertrauensverhältnis, das er mit der Zeit zu dem SS-Standortarzt Eduard Wirths entwickelt. Diesen kennt er bereits aus Dachau; in Auschwitz wird Langbein dessen Schreiber. Ausführlich schildert Langbein den Aufbau des Lagers, die Verbrechen der SS und die Organisation, die Mitglieder und die Ziele des politischen, vornehmlich kommunistischen Widerstands im Lager, zu dessen Führung neben Langbein unter anderen der spätere polnische Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz gehört. Insbesondere schreibt Langbein über die organisierte Hilfe für Kameraden, über die Verhinderung der massenhaften Tötung von erkrankten Häftlingen im Krankenrevier des Stammlagers sowie über das Bemühen um eine Besserung der allgemeinen Lebensbedingungen für die Häftlinge. Eine große Rolle spielt hierbei Langbeins Vertrauensverhältnis zu Wirths, den er häufig für diese Zwecke geschickt manipulieren kann. Nach immer wieder verschobenen Fluchtplänen wird Langbein schließlich im Frühjahr 1944 ins Konzentrationslager Neuengamme deportiert und verbringt die letzten Kriegsmonate in diversen Außenlagern. Langbein beendet den Bericht seiner Verfolgungszeit mit der Schilderung seines langen Heimwegs von Hannover nach Wien.

In einem Nachwort berichtet Langbein vom Schicksal seiner Mithäftlinge und den Lebensläufen einiger SS-Leute nach Kriegsende. Einleitend betont er erneut die Authentizität seiner Darstellung: „Das war ein Bericht, kein Roman. Alles das hat sich wirklich ereignet, alle Personen leben tatsächlich – oder haben gelebt“ (S. 205). Neben dem Andenken an umgekommene Kameraden ist Langbein in seinem Nachwort vor allem an einer politischen Botschaft, einer Lehre aus der unmittelbar hinter ihm liegenden Vergangenheit gelegen. So schreibt er über Cyrankiewicz: „Und Józek – Józef Cyrankiewicz? Er hat die große Lehre von Auschwitz verstanden. Als Generalsekretär der PPS – der Polnischen Sozialistischen Partei – und als Ministerpräsident Polens hat er unseren Kampf weitergeführt: den Kampf gegen jeden Faschismus und gegen jede Kraft, die den Faschismus wiedergebären kann“ (S. 207). Seinen Bericht beendet er mit dem Credo: „Wir Österreicher, die wir die Schlachten des spanischen Krieges und das Schlachten der deutschen Konzentrationslager überlebt haben, sind weiter, was wir waren, Antifaschisten. Manchmal denken wir zurück an die schlimmen Zeiten, die Vergangenheit sind. Froh denken wir an die Zukunft. Wir wissen: Wir sind die Stärkeren“ (S. 207).

Am Ende des Buches sind in einem Anhang Fotos der Lagers Gurs und Auschwitz sowie seiner Kameraden abgedruckt. Auszüge aus einer Vernehmung von Rudolf Höss, in der dieser vor allem zur Entscheidung zum systematischen Massenmord an den europäischen Juden und dessen Vorbereitung und Durchführung in Auschwitz aussagt, sind ebenfalls angefügt.


Biografie

Hermann Langbein (geb. 18.05.1912 in Wien, gest. 24.10.1995 in Wien) war vor dem Krieg Schauspieler am Deutschen Volkstheater. Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 floh er und kämpfte in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Truppen Francos. Anfang 1939 verließen er und viele Mitkämpfer nach der Niederlage Spanien. In Frankreich wurde Langbein gemeinsam mit den anderen Spanienkämpfern in den Lagern St. Cyprien, Gurs und Le Vernet interniert. 1941 wurde er an Deutschland ausgeliefert; er kam am 2. Mai 1941 als Häftling in das Konzentrationslager Dachau, wo er als Häftlingsschreiber im Krankenrevier arbeitete und den SS-Arzt Eduard Wirths kennenlernte. Im August 1942 wurde er von Dachau nach Auschwitz verlegt, wo er erneut auf den dorthin versetzten Wirths traf, für den er als Häftlingsschreiber arbeitete und zu diesem ein besonderes Vertrauensverhältnis entwickelte. Langbein gehörte in Auschwitz der Leitung des organisierten Widerstands an und konnte sich durch seine Verbindung zu Wirths für einzelne Häftlinge einsetzen. Im August 1944 wurde Langbein nach Neuengamme verlegt, von wo er kurz darauf in das Außenlager Lerbeck kam. Im April 1945 floh er von einem Transport und schlug sich mit dem Fahrrad nach Wien durch. Nach dem Krieg engagierte sich Langbein erneut politisch. Er wurde Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) und stieg ins Zentralkomitee auf. Anfang der fünfziger Jahre schickte ihn die Partei nach Budapest. Dort arbeitete er beim deutschsprachigen Programm des Rundfunks. 1954 kehrte er nach Österreich zurück. Langbein war im gleichen Jahr Mitbegründer des Internationalen Auschwitzkomitees und wurde dessen Generalsekretär. Zudem war er von 1955 bis Anfang der sechziger Jahre Sekretär der österreichischen Lagergemeinschaft Auschwitz. 1958 wurde er aus der KPÖ ausgeschlossen, 1960 verlor er seinen Posten als Generalsekretär des Internationalen Auschwitzkomitees. 1963 wurde er Sekretär des Comité International des Camps. Langbein engagierte sich stark für eine Bestrafung der Täter, die Wiedergutmachung für die Opfer sowie in der Bekämpfung der Leugnung des Holocaust. Überdies veröffentlichte er zahlreiche Bücher und Beiträge über Auschwitz, den Auschwitz-Prozess, Widerstand in Konzentrationslagern und vieles mehr.

Quelle:

  • Frei, Norbert: „Hermann Langbein und der Kampf gegen die ‚Auschwitz-Lüge‘. Eine Erinnerung“. In: Einsicht 10. Bulletin des Fritz Bauer Instituts. Herbst 2013, S. 25-28.
  • „Geldverwaltungskarte“, 1.1.6.2/10167757/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
  • Halbmayr, Brigitte: Zeitlebens konsequent. Hermann Langbein 1912-1995. Eine politische Biographie. Wien 2012.
  • Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau.
  • Langbein, Kurt: „Ein Held als Vater. Erinnerungen eines Sohnes“. In: Einsicht 10. Bulletin des Fritz Bauer Instituts. Herbst 2013, S. 29-33.
  • „Schreiben“, 6.3.3.2/101620876/ITS Digital Archive, Arolsen Archives.
  • Steinbacher, Sybille: „‚Menschen in Auschwitz‘ und die Auschwitz-Forschung. Eine Analyse“. In: Einsicht 10. Bulletin des Fritz Bauer Instituts. Herbst 2013, S. 19-24.
  • Stengel, Katharina: Hermann Langbein. Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit. Frankfurt a.M./New York 2012.


Werkgeschichte

Hermann Langbein begann mit der Niederschrift seines Berichts 1947, nachdem er als Leiter der Parteischule der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) abgesetzt worden war. Eine Motivation seines Schreibens war seine Verärgerung darüber, dass er nie nach seiner Zeit in Auschwitz gefragt worden war. Die Partei zahlte ihm zum Verfassen seine Bezüge weiter und stellte ihm eine Sekretärin zur Verfügung, der er den Text von Herbst 1947 bis Anfang 1948 diktierte. Der Stern Verlag, in dem das Werk publiziert werden sollte, verlangte umfangreiche Kürzungen am Manuskript, die Langbein 1948 vornahm. Dadurch verlagerte sich der Schwerpunkt des Buches auf Auschwitz.

Das Buch erschien 1982 in Köln in einer überarbeiteten Neuausgabe, die Heinz Abosch in der „Neuen Zürcher Zeitung“ zum Anlass einer scharfen Kritik nahm: „Langbein bezeugt Hochmut gegenüber den vergasten Juden und Zigeunern. Er war besser dran, nicht wegen seines Heroismus, sondern dank Himmlers Auswahlprinzipien“ (zitiert nach Stengel, S. 101, Hervorhebung im Original).

Quelle:

  • Stengel, Katharina: Hermann Langbein. Ein Auschwitz-Überlebender in den erinnerungspolitischen Konflikten der Nachkriegszeit. Frankfurt a.M./New York 2012.



Bearbeitet von: Markus Roth