Die letzten Tage des Warschauer Gettos (1949)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Die letzten Tage des Warschauer Gettos
Autor Lubetkin, Zivia (1914-1978)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1949, Berlin,Potsdam
Titel Die letzten Tage des Warschauer Gettos

Erscheinungsort Berlin,Potsdam
Erscheinungsjahr 1949

Verlegt von VVN-Verlag
Gedruckt von Berliner Druckhaus GmbH
Publiziert von Lubetkin, Zivia (1914-1978)

Illustriert von McKing, Georg

Umfang 47 Seiten
Abbildungen 5 Illustrationen
Lizenz Lizenz-Nr. 497-4663/49-6185/49

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Bericht von Zivia Lubetkin über die letzten Tage des jüdischen Aufstands im Warschauer Getto im Mai 1943, ist – so geht es aus dem kurzen Vorspann zum Text hervor – so weit bekannt die „einzige aus erster Hand stammende Darstellung der tatsächlichen Vorgänge und des Nachspiels“ (S. 5) der Geschehnisse. Die Autorin ist zum Zeitpunkt des insgesamt sechswöchigen Aufstands eine junge Frau in ihren Zwanzigern. Sie gehört der zionistischen ‚Hechalutz‘-Organisation in Polen an und ist aktiv am Widerstand des Warschauer Gettos beteiligt.

Ihre Schilderungen beginnt die Autorin, die abwechselnd in der Ich- und Wir-Form erzählt, mit dem brennenden Getto: „Das Getto stand in Flammen. Tage- und nächtelang brannte es, und das Feuer fraß Haus für Haus ganze Straßen auf. Dicht daneben, auf der anderen Seite der Mauer, spazierten und unterhielten sich Bewohner der Hauptstadt. Sie wußten, daß die ‚Juden verbrannten‘ (S. 5). In einer Mischung aus Erzählung und Bericht und mit bilderreichen, sehr konkreten Beschreibungen führt sie den Leser immer wieder nah an das Geschehen heran. Besonders wichtig ist ihr, die Verzweiflung und Hilflosigkeit der eingeschlossenen Menschen, aber auch den Kampfesmut und die Entschlossenheit des jüdischen Widerstands aufzuzeigen: „Kinder weinten, die Schwachen stöhnten, und man konnte sehen, wie die Flammen näherrückten. [...] Hier saßen wir nun, unsere nutzlosen Waffen neben uns, umringt von den Tausenden, die voller Spannung auf ein Wort der Hoffnung warteten, von uns, den letzten verzweifelten jüdischen Kämpfern“ (S. 9).

Die Deutschen hatten im April 1943 beschlossen, das Getto aufzulösen und die dort verbliebenen Juden in Vernichtungslager wie Auschwitz-Birkenau oder Bergen-Belsen zu deportieren, so berichtet die Autorin. Hunderttausende Menschen waren schon im Jahr zuvor ohne Gegenwehr aus dem Getto gebracht worden. Nun jedoch setzen sich Einheiten des Jüdischen Kampfbundes zur Wehr und liefern sich mit den Deutschen einen Kampf. Als schließlich die Deutschen nicht mehr wagen, in das Getto einzudringen, verlegen sie sich darauf, dieses mittels Brandbomben anzuzünden und die Bevölkerung, wo immer möglich, zu erschießen. Die Menschen suchen Schutz in ausgebrannten Ruinen und hinter Mauern. Ohne Lebensmittel, Wasser und Löschgerät werden sie nicht lange überleben können. Die Hoffnung der Widerstandskämpfer, durch unterirdische Abzugskanäle viele Menschen in den nichtjüdischen Teil der Stadt führen zu können, zerschlägt sich.

Drei Wochen nach dem Beginn des Aufstands hungert die Bevölkerung, überall liegen Tote. Die Gettobewohner, wie auch die Mitglieder des Jüdischen Kampfbundes – Lubetkin nennt auch einige Namen ihrer Mitkämpfer, wie etwa Chaim P. Marek Edelstein und Tovyah Buschikowskij oder Berl Broide – verschanzen sich in verschiedenen Bunkern. Die Kommunikation untereinander, für die unter anderem auch Lubetkin sorgt, ist nur unter Lebensgefahr möglich.

Nun beginnen die Deutschen, Gas in die Bunker einzuleiten: „Sie ließen eine kleine Menge Gas hineinströmen und hörten dann damit auf, in dem Versuch, den Kampfgeist der Besatzung durch einen langsamen Erstickungstod zu brechen“ (S. 19). Um diesem qualvollen Tod zu entgehen, begehen die Menschen reihenweise Selbstmord: „Ayreh Wilner war der erste, der rief: ‚Kommt, wir wollen uns selbst umbringen! Wir wollen nicht lebendig in ihre Hände fallen!’“ (S. 19) Insgesamt sterben so 120 Kämpfer.

Ein weiterer Versuch, einen Weg aus dem Getto durch die Abzugskanäle zu finden, wird geplant. Eine neue Gruppe, der auch die Autorin angehört, soll den Versuch wagen und sich außerhalb des Gettos in den Ruinen verlassener Häuser verstecken. Es fällt ihnen schwer, das Getto, die Kämpfereinheiten und die Toten zu verlassen: „Jeder von uns dachte: Welche Botschaft soll ich den Lieben, der Welt, den kommenden Geschlechtern, den Kameraden in dem ersehnten Land senden? Erzählt von unserem Kampf, von unserer Einsamkeit, von unserem letzten Standhalten! Erzählt! Erzählt!“ (S. 21)

Durch den Tunnel gelangen sie aus dem Getto, sitzen aber zunächst im Kanal fest und warten darauf, von den wenigen Kameraden, die die Flucht von außen organisiert haben, abgeholt zu werden. Sie beschließen, zwei Leute zurück ins Getto zu schicken, um weitere Menschen herauszubringen. Schlamek Schuster, ein etwa siebzehnjähriger Junge, und Yorek Blons, ein älterer Kamerad, nehmen die Aufgabe auf sich. Sie kehren jedoch unverrichteter Dinge zurück, da alle in das Getto führenden Kanalausgänge inzwischen verrammelt sind.

Gegen Mitternacht kommen die Kameraden und reichen den im Tunnel festsitzenden Menschen Wasser und Essen hinunter. Sie versprechen, sie am nächsten Morgen zu holen. Das Warten ist eine Zerreißprobe: „Über uns ging das Leben auf der Straße wie gewohnt weiter. Wir lauschten auf den Lärm der Straße und hörten die fröhlichen Laute polnischer Kinder, die auf der Straße spielten“ (S. 28). Gegen zehn Uhr morgens kommen die Kameraden und befreien sie aus dem Kanal. Es ist der 12. Mai 1943, sie haben 2 Tage unter der Erde knietief im Wasser gesessen. Sie werden in einen Lastwagen verladen und dieser fährt „voll bewaffneter jüdischer Kämpfer [...] mitten durch das von den Nazis besetzte Warschau“ (S. 30). Sie erreichen den Wald von Mlochini, sieben Kilometer von Warschau entfernt. Weitere Kameraden sind jedoch zunächst im Kanal verblieben, da die Zeit nicht reichte, alle auf einmal herauszuholen. Diese halten das Warten nicht länger aus und verlassen eigenmächtig den Tunnel. Sofort werden sie von einer Schar Deutscher umstellt und es kommt zu einem Kampf, bei dem alle jüdischen Kämpfer getötet werden.

Inzwischen wird die gerettete Gruppe, der auch die Autorin angehört, im Wald von der Toebbens-Schultz Gruppe, die das Getto bereits vorher verlassen hatte, versorgt. Nach der Gefahr und Anspannung der letzten Wochen, nehmen sie nun die neue Umgebung wahr: „Alles war so seltsam. Um uns der grüne Wald und ein schöner Frühlingstag. Es war lange her, daß wir einen Wald, den Frühling und die Sonne gekannt hatten. Alles, was jahrelang in unseren vereisten Herzen begraben und zurückgedrängt war, regte sich jetzt. Ich brach in Tränen aus“ (S. 33). Allen ist deutlich bewusst, dass sie die letzten Überlebenden des Warschauer Gettos sind, „das man ausgerottet hatte“ (S. 33). Sie fühlen sich wie Überbleibsel, „rauchende und verglimmende Aschenreste“ (S. 33). Die Zukunft erscheint ungewiss und dunkel, sie fühlen sich „überflüssig und vereinsamt, verlassen von Gott und den Menschen“ (S. 33f).

Den Aufzeichnungen Lubetkins ist der Bericht des SS- und Polizeiführers des Distrikts Warschau, Jürgen Stroop, über die Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Getto vom 16. Mai 1943 angefügt. Darin heißt es unter anderem, er habe beschlossen „nunmehr die totale Vernichtung des jüdischen Wohnbezirks durch Abbrennen sämtlicher Wohnblocks [...] vorzunehmen“ (S. 36). Der Bericht legt weiterhin dar, dass an einem Tag 183 Kanaleinstiegslöcher geöffnet und die darin sitzenden Menschen mit Nebelkerzen herausgetrieben oder durch Sprengungen getötet wurden. Den beteiligten Männern der Waffen-SS sei ihr gezeigter „Schneid, Mut und die Eisatzfreudigkeit“ (S. 38) besonders anzuerkennen. Nur durch deren ununterbrochenen und unermüdlichen Einsatz sei es gelungen, in diesen Wochen insgesamt 56.065 Juden nachweislich zu erfassen und zu vernichten. Zusätzlich sei noch eine nicht bestimmbare Anzahl von Juden durch Sprengungen und Brände umgekommen. Die Großaktion sei am 16. Mai 1943 mit der Sprengung der Warschauer Synagoge um 20.15 Uhr beendet worden.

Ein Nachwort von Friedrich Wolf schließt den gesamten Text ab. Er war einer der Teilnehmer am Internationalen Friedenskongress in Breslau. In seinem Aufsatz spricht er unter anderem davon, dass es 60 bewaffneten Kämpfern und einem Mädchen – hier handelt es sich wohl um Zivia Lubetkin – gelungen sei, sich zu den Partisanen im Wald von Mlochini durchzuschlagen. Der Aufstand des Warschauer Gettos nehme in der Kette der Widerstandskämpfer aller Länder gegen die Hitler-Tyrannei einen besonderen Platz ein und sei in mancher Hinsicht einzigartig, schreibt er weiter. Die Kämpfer seien an einem engbegrenzt und eisern umklammerten Ort gewesen, umgeben von einer ungeheuren Übermacht, „die vom Bomber, Geschütz und Flammenwerfer bis zum Giftgas Cyklon über alle modernen Kampfmittel verfügte“ (S. 43). Die jüdischen Kämpfer hätten dem lediglich Gewehre, Handgranaten und einige MGs entgegensetzen können. Ohne richtige Kommunikationsmöglichkeit, mit schwindenden Nahrungs- und Trinkwasservorräten, Verbandmaterial und Arznei sei der Kampf nahezu aussichtslos gewesen: „Und dennoch beschlossen alle einmütig, lieber unter der Erde gemeinsam für die Freiheit zu sterben – wenn möglich mit der Waffe in der Hand – als sich den Nazihenkern wie willenloses Schlachtvieh selbst auszuliefern“ (S. 43f).

Der Text enthält fünf Zeichnungen von Georg McKing, die das brennende Getto und die fliehenden und in den Bunkern und Kanälen Schutz suchenden Menschen zeigen. Eine Zeichnung stellt den Aufstieg aus dem Kanal dar.


Biografie

Zivia Lubetkin, auch Cywia Lubetkin und Zivia Lubetkin-Zuckerman, (geb. 09.11.1914 in Byten bei Slonin, gest. 11.07.1978 im Kibbuz Lochamej haGeta’ot) wurde als eines von sieben Kindern in eine wohlhabende jüdische Familie hineingeboren. Sie wurde an einer polnischen staatlichen Schule unterrichtet und erhielt zusätzlich Hebräischunterricht von privaten Lehrern. Früh schloss sie sich der zionistischen Jugendorganisation ‚Freiheit’ in Polen an und arbeitete in Warschau als Funktionärin für die Organisationen ‚Hechaluz‘ und ‚Habnim Dor‘. 1939 war sie Delegierte beim 21. Zionistenkongress in Genf.

Nach der Besetzung Polens 1939 half sie vom sowjetisch besetzten Kowel aus polnischen Juden bei der Emigration in das besetzte litauische Wilna. Im Januar 1940 ging sie in das deutsch besetzte Warschau. Unter dem Pseudonym Celina war sie nach der Bildung des Gettos im Oktober 1940 dort für die Organisation der Untergrundbewegung und die Kommunikation nach außen zuständig. Als sich die Situation im Getto Lodz/Litzmannstadt zuspitzte, verlangte sie, dass die weiblichen Mitglieder der Untergrundbewegung von dort evakuiert werden sollten. Sie beteiligte sich auch an der Kulturarbeit des Judenrats. Sie beendete 1941 jedoch die Zusammenarbeit, als das Ausmaß der Vernichtungsaktionen im Getto Wilna und im Vernichtungslager Kulmhof bekannt wurden.

Im Juli 1942 begründete Lubetkin die jüdische Kampforganisation (ŻOB) mit, die im Januar 1943 unter der Leitung von Mordechaj Anielewicz eine bewaffnete Widerstandsaktion gegen die Deportationen durchführte. Daran beteiligt war auch der Untergrundführer und ihr späterer Ehemann Jitzhak Zuckermann. Im April 1943 war sie eine Organisatorin beim Aufstand im Warschauer Getto und sorgte für die Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen von Kämpfern, die sich in verschiedenen Bunkern eingegraben hatten.

Am 10. Mai 1943 konnte sie mit einigen der letzten Kämpfer das Getto durch die Kanalisation verlassen. Nach einer 48-stündigen Flucht erreichten sie einen Stadtteil Warschaus außerhalb des Gettos und gehörten damit zu den wenigen Überlebenden. Lubetkin blieb bis zum Ende des Krieges versteckt in Warschau und nahm im August 1944 in den Reihen der Armia Ludowa am Warschauer Aufstand der Polen gegen die deutsche Besatzung teil. Nach Kriegsende gehörte sie der jüdischen Organisation ‚Bricha‘ an, die die Auswanderung der überlebenden Juden aus Osteuropa nach Westeuropa und deren Immigration nach Palästina organisierte. Sie selbst konnte erst im Juni 1946 nach Palästina auswandern. 1946 war sie Delegierte beim 22. Zionistenkongress in Basel.

Viele Familienmitglieder Lubetkins kamen im Holocaust um. So wurden ihr Vater sowie ihre Mutter, die im Untergrund gelebt hatten, 1942 entdeckt und auf der Stelle erschossen. Zwei ihrer Schwestern überlebten den Holocaust ebenfalls nicht, der einzige Bruder sowie eine Schwester übersiedelten nach Palästina.

In Israel halfen Lubetkin und ihr Mann später beim Aufbau des Kibbuz Lochamej haGeta’o mit. 1947 wurde hier ihr Sohn Simon und 1949 die Tochter Yael geboren. Lubetkin arbeitete außerdem bei der israelischen Einwanderungsorganisation Jewish Agency und leitete die Abteilung für Integration. Außerdem war sie eine der Mitbegründerinnen des ‚Itzhak Katzenelson House of Testimony and Rebellion‘ und half das ‚Ghetto Fighters’ Kibbutz‘ sowie das ‚Ghetto Fighter’s Museum‘ zu gründen. 1954 studierte sie am ersten Seminar in Ramat Efal, dem Studienzentrum der Vereinigten Kibbuzbewegung.

1961 wurde Lubetkin als Zeugin im Eichmann-Prozess gehört. Nach dem Sechstagekrieg 1967 trat sie der Bewegung für ein Großisrael bei, die die im Krieg eroberten Gebiete annektieren wollte und die später eine Fraktion des sich gründenden Likud wurde.

Ihr Buch „In the Days of Destruction and Revolt“ wurde 1979 posthum publiziert. Ihre Rede auf der Tagung im Kibbuz Yagur 1980 ist in mehreren Auflagen auf Hebräisch und anderen Sprachen erschienen. Im Jahr 2001 wurde sie im Film „Uprising“ über den Aufstand im Warschauer Ghetto von Sadie Frost dargestellt.

Quellen:

  • Dror, Zvika: The dream, the revolt, and the vow: the biography of Zivia Lubetkin-Zuckerman (1914–1978). Israel 1983.
  • Gutman, Israel: „Lubetkin, Zivia“. In: Encyclopedia of the Holocaust. Band III. New York 1990, S. 914f.
  • Käppner, Joachim: „Die Anführerin. Der Kampf um das Warschauer Ghetto vor 70 Jahren. Zivia Lubetkin war die einzige Frau in den Führungskadern des jüdischen Aufstands“. In: Süddeutsche Zeitung vom 20.04.2013, S. V2/9.
  • „Lubetkin, Zivia“. In: Shoah Resource Center. Online: http://www.yadvashem.org/odot_pdf/Microsoft%20Word%20-%206447.pdf (Stand: 17.09.2019).
  • „Zivia Lubetkin“. In: Jewish Women's Archive. Online: https://jwa.org/encyclopedia/article/lubetkin-zivia (Stand: 17.09.2019).




Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger