Doktor Mamlocks Ausweg (1935)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Doktor Mamlocks Ausweg
Autor Wolf, Friedrich (1888-1953)
Genre Drama

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1935, Zürich
Titel Doktor Mamlocks Ausweg
Untertitel Tragödie der westlichen Demokratie

Erscheinungsort Zürich
Erscheinungsjahr 1935

Verlegt von Verlag Oprecht & Helbling
Gedruckt von Iskra Revoluzii
Publiziert von Wolf, Friedrich (1888-1953)

Umfang 81 Seiten

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Das vieraktige Drama, das auf dem Umschlag auch verkürzt mit „Professor Mamlock“ betitelt wird, beschreibt die Veränderungen in der individuellen Haltung und im gesellschaftlichen Alltag kurz vor und nach der ‚Machtergreifung‘ der Nationalsozialisten am Beispiel der jüdischen Arztfamilie Mamlock. Die einzelnen Figuren – neben der vierköpfigen Familie treten vor allem deutsche und jüdische Ärzte und Pflegepersonal sowie ein Journalist auf – stehen dabei exemplarisch für verschiedene Positionen, die Menschen während der Frühphase des nationalsozialistischen Regimes einnehmen konnten.

Die Folgen der sozialen Ausgrenzung und Beschimpfung sowie des Berufsverbots für Juden zeigen sich an den verschiedenen innerfamiliären Reaktionen der Figuren: Die Tochter Ruth gerät in Angst und Verzweiflung, nachdem sie in der Schule Opfer von Schikanen wird; der Sohn Rolf engagiert sich im kommunistischen Widerstand und bringt sich so in Gefahr. Die nicht-jüdische Mutter versucht durch Harmonie und Leugnung der Tatsachen die Geschehnisse von sich fern zu halten. Mamlock selbst weigert sich zu akzeptieren, dass demokratisch-humanistische Werte wie Gerechtigkeit, freie Meinungsäußerung, Achtung vor der Erfahrung Älterer und Pflichtbewusstsein in dieser Zeit für Juden nicht mehr gelten. Die deutschen Kollegen (Ärzte und Schwestern) reagieren ebenfalls sehr unterschiedlich: Neben fanatischen Nationalsozialisten der ersten Stunden stellt Wolf Sympathisanten vor, aber auch jene, die sich durch das NS-Gedankengut überzeugen lassen oder aus Angst vor Übergriffen zu Überläufern werden. Zwei Figuren werden dabei besonders hervorgehoben: Zum einen ist dies die junge Dr. Inge Ruoff, deren Einstellung zwischen einer überzeugten NS-Gesinnung und dem Bedürfnis, der Familie Mamlock zu helfen, hin und her wechselt. Zum anderen ist es Dr. Seidel, ein alter Freund Mamlocks, der sich letztendlich nicht für ihn einsetzt, um die Zeitung nicht zu gefährden, deren Chefredakteur er ist.

Die vier Akte spielen über einen Zeitraum von zwölf Monaten Anfang der 1930er Jahre und machen durch die Konzentration auf zwei Schauplätze (den Operationssaal in der Klinik und das bürgerliche Wohnzimmer der Familie Mamlock) die Verschärfung der Situation der Juden in Deutschland deutlich: Spricht das Krankenhauspersonal noch im Mai 1932 über die Versprechungen der Nationalsozialisten für die Opfer der Wirtschaftskrise und die Chancen der bevorstehenden Wahl – eine politische Diskussion, die der Chefarzt Mamlock noch unterbinden kann –, wird schon im Mai 1933 die Gefahr für jüdische und kommunistische NS-Gegner deutlich. Dr. Ruoff beschreibt die Gefahren für Juden und Kommunisten: „[S]ie werden ihn [Rolf] packen, niedertrampeln, in die Kasernen schleppen, Stahlruten, Knüppel, Koppel, ein Schuß wird fallen“ (S. 38).

Der kommunistische Widerstand wird nicht nur an Rolf Mamlock dargestellt, sondern auch vor allem an zwei jungen Arbeitern. Einer von ihnen erzählt vor einer Notoperation von der zunehmenden Gewalt seitens der SA und Polizei gegenüber der Arbeiterbewegung. Hans, ein anderer Arbeiter, macht im Gespräch mit Frau Mamlock deutlich, wie stark die Arbeiter verfolgt werden: „Und wißt ihr, daß Tausende, nein Zehntausende, nein Hunderttausende deutsche Proleten aus den Betrieben geworfen wurden und werden wegen ihrer Ueberzeugung, daß sie denunziert, gejagt, verhaftet, verprügelt […] werden […] und keine Zeitung des In- und Auslandes schreibt über die eine einzige Zeile“ (S. 52). Solidarisch zeigen sich die bürgerlichen Eheleute Mamlock allerdings nicht, da sie die kommunistische Gesinnung ablehnen. Deutlich wird dies an einigen Aussagen Mamlocks: „Ich habe nicht deshalb vier Jahre vor dem Feind gestanden und für mein Land gekämpft, damit heute mein Sohn mit Brandstiftern und internationalem Gesindel konspiriert“ (S. 31)! Auch Dr. Ruoff bezeichnet die kommunistischen Aktionen nur als „Mückenstiche“ (S. 61), da die NS-Propaganda bereits umfassend sei.

Zudem wird die besondere Stellung der Jugend – im klaren Gegensatz zur älteren Generation – thematisiert. So kann Mamlock vor dem Hintergrund seiner klassischen Erziehung nicht verstehen, dass seine jungen Kollegen ihre Meinungsfreiheit aufgeben möchten, um sich einem Führer zu verschreiben und kommentiert: „Gewiß, es ist der Abstand der Generationen, aber noch nie war die Jugend so brutal, so selbstherrlich durchglüht. Jungens, zum Donnerwetter“ (S. 22)! Auch Rolfs gefährliche Arbeit für den Widerstand führt er auf dessen jugendlichen Überschwang zurück.

Mamlock zerbricht am Ende an der Diskrepanz zwischen seiner eigenen Haltung als Deutscher und Veteran des Ersten Weltkriegs und der plötzlichen Ausgrenzung aus der ‚Volksgemeinschaft‘. Warum die 600.000 deutschen Juden – das ist ein Prozent der Gesellschaft – als solch eine Gefahr für das Volk wahrgenommen werden, kann er nicht verstehen. Er nimmt sich das Leben, nachdem man ihn nicht einmal mehr als Assistent an den Operationen teilhaben lassen will. Dr. Hellpach – mit dem sprechenden Namen – zwingt die übrigen Ärzte zu unterschreiben, dass sie nicht mehr unter einem Juden arbeiten möchten. Selbst alte Freunde wie der Journalist Dr. Seidel wenden sich mit der Beteuerung, es richte "sich ja nicht gegen [ihn] persönlich“ (S. 76), von Mamlock ab. Nur Dr. Ruoff, die anfangs tief überzeugte Nationalsozialistin, weigert sich und wird des Raumes verwiesen.


Biografie

Friedrich Wolf (geb. 23.12.1888 in Neuwied am Rhein, gest. 05.10.1953 in Lehnitz) wuchs als einziger Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in der Nähe von Koblenz auf. Seinem Glauben und den jüdischen Werten fühlte er sich Zeit seines Lebens verbunden, so besuchte er auch die jüdische Schule seiner Heimatstadt. Allerdings war er nicht tief religiös, sondern „mehr auf Vernunft und Wissen orientiert“ (Müller 2009, S. 13) als auf den Glauben an sich. Der studierte Mediziner wurde im Ersten Weltkrieg als Frontarzt verpflichtet. Wolf, der zunächst Mitglied der USPD und später der KPD war, ließ sich danach als Arzt nieder und begann Dramen zu verfassen und hoch gelobte Übersetzungen aus dem Hebräischen durchzuführen. Dabei vertrat er in seinen Texten eine humanistisch-sozialistische Haltung und wurde zu einem viel diskutierten Autor in der Theaterwelt und besonders in linken Kreisen. Zivilcourage, demokratisches Denken und sozialer Einsatz für die Gesellschaft sind Themen vieler seiner Stücke. So thematisiert das Drama „Cyankali (§218)“ von 1929 das gesellschaftliche Problem der illegal vorgenommenen Abtreibungen, an denen viele Frauen starben. Den Nationalsozialisten war er ein Dorn im Auge: Im „Völkischen Beobachter“ vom 27. Februar 1931 wird Wolf als einer „der gemeingefährlichsten Vertreter ostjüdischen Bolschewismus“ (zit. nach Müller 2009, S. 35) beschrieben. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten flohen der ausgebürgerte Wolf und seine Familie zunächst über die Schweiz nach Frankreich und 1934 ins Exil nach Moskau. Von dort kehrte er Ende 1937 zurück nach Frankreich, da Stalin die Verhaftung aller deutschen Emigranten als vermeintliche Spione für das NS-Regime befohlen hatte. Dort wurde er nach Kriegsausbruch als ‚feindlicher Ausländer‘ u.a. im KZ Le Vernet interniert – auch dort schrieb er bis zu seiner Rückkehr in die Sowjetunion weiter. Die Kriegszeit erlebte Wolf, der seit 1941 sowjetischer Staatsbürger war, in Moskau – immer in Gefahr, da die Nationalsozialisten ihn auf ihre Fahndungslisten gesetzt hatten. Wolf arbeitete für die sowjetische Armee als Propagandist und Lehrer für Kriegsgefangene. Eigentlich plante Wolf direkt nach Kriegsende nach Deutschland zurückzukehren, jedoch gab es politische Schwierigkeiten und Walter Ulbricht war es, der „Wolfs Name von der Liste der Heimkehrer gestrichen“ (Slevogt 2011, S. 288) hatte. Erst im September 1945 konnte Wolf nach Deutschland in die sowjetische Besatzungszone zurückkehren, wo er sich im kulturpolitischen Berlin engagierte, u.a. war er Berater der Sowjetischen Militäradministration in Kulturfragen und Mitbegründer des PEN-Zentrums Deutschland. Wie einflussreich Wolf geworden war – obwohl er durchaus die antidemokratische Ausrichtung der DDR und die Vergehen Stalins anprangerte –, zeigt seine Berufung zum ersten Botschafter der DDR in Polen von 1949 bis 1951. Wolf starb 1953 als geachteter Bürger der DDR und Bertolt Brecht hielt die Gedenkrede.

Quellen:

  • Müller, Henning: Friedrich Wolf (1888-1953). Deutscher Jude – Schriftsteller – Sozialist. Berlin 2009.
  • Slevogt, Esther: Den Kommunismus mit der Seele suchen. Wolfgang Langhoff – ein deutsches Künstlerleben im 20. Jahrhundert. Köln 2011.


Werkgeschichte

Vor der Buchausgabe stand am Anfang das Theaterstück Wolfs, das ab 1934 erfolgreich auf vielen Bühnen gespielt wurde. Wolf hatte das Drama 1933 in einer kurzen Zeitspanne im schweizerischen und französischen Exil verfasst. Das ursprüngliche Manuskript, das er am 1. Juli 1933 abgeschlossen und in die USA an die „Theatre Union“ geschickt hatte, ist allerdings verloren gegangen. Immer wieder hatte Wolf – teilweise auch auf Druck verschiedener Instanzen – das Stück in den Anfangsjahren umgearbeitet, Figuren und innerjüdische Problemstellungen gestrichen. Die KPD-Führung in Moskau kritisierte etwa, dass die Rassenfrage im Drama mehr thematisiert würde als der Klassenkampf, und „[d]ie Rolle der Kommunistischen Partei […] nicht genügend gezeigt“ (zit. nach Müller 2009, S. 71) würde.

Die Uraufführung des Dramas fand – auf Jiddisch – unter dem Titel „Der gelbe Fleck. Dr. Mamlocks Ausweg“ im Jüdischen Kaminski-Theater am 19. Januar 1934 in Warschau statt; die deutsche Erstaufführung von „Professor Mannheim. Ein Schauspiel aus dem Deutschland von heute“ wurde am 8. November 1934 unter Regie von Leopold Lindtberg und mit Wolfgang Langhoff in der Rolle des jungen Kommunisten in Zürich gegeben. Im Juli desselben Jahres wurde das Stück unter dem Titel „Professor Mannheim“ in Tel Aviv auf Hebräisch aufgeführt. Das Theaterstück war ein großer, weltweit umjubelter Erfolg: Allein die jiddische Fassung wurde 1934 300 Mal in Osteuropa gezeigt, es folgten Aufführungen in Madrid, Shanghai, Stockholm, New York oder Toronto. Zahlreiche Besucher sahen das Drama, wie eine Auflistung von Aufführungen und Rezensionen im Friedrich-Wolf-Archiv in der Akademie der Künste belegt: In Moskau sei es bei der Premiere im März 1935 erstmals dazu gekommen, „daß das Publikum so mitgeht, daß es Beifall auf offene Szene[n] gibt“ (Brief von E. W., 24.03.1935. In: Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.). Mit seinem international erfolgreichen Drama machte Wolf als einer der Ersten auf die Gefahren für Juden unter der nationalsozialistischen Herrschaft aufmerksam und es gilt heute als „eines der frühesten Exildramen“ (Jakobi 2005, S. 183). Dessen waren sich bereits die Zeitgenossen bewusst. So drückt auch der Schauspieler Benneckendorf, der in Zürich bei der Erstinszenierung mitwirkte, in einem undatierten Brief an Friedrich Wolf die Aufregung aus, die bei der Premiere herrschte: „Da [es] das erste antifaschistische Stück war, das wir gaben, herrschte am Abend der Premiere eine ungeheure Aufregung hinter der Bühne, von der alle – bis zum Garderobier und letzten Bühnenarbeiter – mitgerissen wurden; aber die Aufregung im Zuschauerraum war nicht minder groß; sie entlud sich in immer wiederkehrenden Szenenapplausen, so daß wir Schauspieler minutenlang zuweilen zu tableaux vivants erstarren mußten, bevor wir weiterspielen konnten; damit hatten wir aber überhaupt nicht gerechnet“ (Friedrich Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.). Die Rezensenten der verschiedenen Zeitungen überschlugen sich in ihrer Begeisterung und an den einzelnen Standorten wurde das Stück teilweise mehrere Hundert Mal gespielt. Die Nationalsozialisten hingegen lehnten das Stück selbstverständlich ab, noch 1944 heißt es in der „Deutschen Dramaturgie“: „Friedrich Wolf hat mit seinem Spiel ‚Professor Mamlock‘ einen gewaltigen Erfolg errungen. […] So hat dieser einstmals in Deutschland wirkende Schriftsteller eines der ersten und vor allem durch die Verfilmung nachhaltigsten Hetzwerke verbrochen“ (ebd.). Auch finden sich kritische Stimmen unter den Rezensenten, die vor allem den Zündstoffcharakter des Stückes für die politische Lage anprangern. So heißt es in einem Artikel in der schweizerischen „Die Front“ vom 22. November 1934: „Diese feigen Emigranten aber, die sich drückten, wo Gefahr drohte, sollten im Schutze ausländischer, schweizerischer Polizei weiterhetzen dürfen, um auch noch die Ehre unseres Landes anzutasten und Erbitterung zu schaffen? Nein, und abermals nein! Dem muss ein Ende gesetzt werden, und wir werden nicht ruhen, als bis unser Land von diesen Emigranten gesäubert ist“ (zit. nach Slevogt 2011, S. 202). So wurde gerade die deutschsprachige Erstaufführung in Zürich zu einem Skandal und konnte wegen Protesten vor allem von rechten Gruppen teilweise nur unter Polizeischutz stattfinden.

Bevor das Stück nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf deutschen Bühnen gespielt werden konnte, wurde es zunächst im deutschen Rundfunk übertragen. Friedrich Wolf schreibt seinem Freund Wolfgang Langhoff darüber am 27. Dezember 1945: „Im Funk mit Wegener [als Professor Mamlock] wirkte es, wie man behauptet, sehr überzeugend; es wurde schon sechsmal gesendet und die Leute schreiben an den Funk, daß sie es nochmal hören wollen“ (Friedrich Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.). Die erste Theateraufführung in Nachkriegsdeutschland fand schließlich am 5. Mai 1946 – laut anderen Quellen bereits am 9. Januar 1946 – in Berlin unter der Regie von Wolfgang Langhoff im Hebbel-Theater statt. Zu den Proben vermerkt Wolf in einem Zeitungsartikel von 1946: „Im Januar probierten wir ‚Professor Mamlock‘ bei zehn Grad Kälte im Kulissenabstellraum des völlig zerschossenen Schillertheaters. In Mäntel und dicke Wollschals gehüllt, zog es uns mit einem unwiderstehlichen Drang zu einem kleinen Kanonenöfchen, das in der Mitte des monumentalen Raumes eine mehr symbolische Wärme ausstrahlte“ (Wolf 1946, S. 17). Das Theaterstück feiert im amerikanischen Sektor Berlins große Erfolge, ein Rezensent der „Berliner Zeitung“ bezeichnet es als den „eindrucksvollsten und stärksten Theaterabend seit Ende des Krieges“ (Friedrich Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.). Die Erstaufführung in der britischen Besatzungszone fand am 5. Mai 1946 in Düsseldorf statt und auch die Stuttgarter Inszenierung im selben Jahr „startete mit großem Erfolg“ (Der Standpunkt 1946, Nr. 7, S. 22). Theodor Heuss bezeichnet Wolfs „mit Geschick und Takt geschriebene[s]“ (Der Standpunkt 1946, Nr. 5, S. 3) Stück in einem Artikel über die kulturpolitische Lage im Nachkriegsdeutschland als „die Probe aufs Exempel“ (ebd.), wenn es um die Wirkung eines Dramas auf die Zuschauer geht: Man „zuckt zusammen, wenn man den Kerl in seiner Uniform sieht. Doch weiß man: so war es. Und es bleibt unsicher, wie viele noch in den Zuschauerreihen sitzen mit dem Gefühl: eigentlich war es in Ordnung“ (ebd.)! Ein weiterer Rezensent schließt sich dieser Wirkung im Theaterraum ebenfalls an, wenn er schreibt: „In ‚Professor Mamlock‘, das sich die Bühnen erobert hat, sollen ruhig recht viele Deutsche ihr einstiges eigenes Abbild erkennen als ein Zerrbild, das sie aus sich gemacht haben. Freilich bleibt Wolfs theatralische Kunst im Ereignishaften stecken“ (Die Besinnung 1947, Nr. 3/4, S. 189). In ganz Deutschland wird das Stück gezeigt, 1947 heißt es in der „Rheinischen Post“, „Mamlock“ sei das „meist diskutierte und zugleich meist besuchtes Stück“ (Friedrich Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.) der Bonner Spielzeit und es werde in ganz Deutschland vor ausverkauften Häusern gegeben. Doch es lassen sich auch andere Stimmen finden, so hinterfragt die Hamburger Allgemeine Zeitung bereits am 7. März 1947 die Aktualität des Stücks: „In der Tat man fragt sich, welchen Sinn eine nachträgliche Aufführung haben kann“ (ebd.); in Straubingen wurde gar die Vergnügungssteuer für das Stück erhoben statt erlassen, da „ein solches Thema ja wohl keineswegs als besonders kulturell wertvoll aufzufassen sei“ (ebd., Neue Zeitung vom 2. Mai 1942). Alles in allem waren die Aufführungen des „Professor Mamlock“ allerdings große Erfolge an fast allen Theatern in Deutschland, Europa, der Sowjetunion und in Übersee, selbst Laienspielgruppen führten das Stück auf. Während der Zeit des Kalten Kriegs wurde das Stück schließlich in Westdeutschland nicht mehr aufgeführt, Wolf galt vielen als „Parteigänger des SED-Regimes“ (Müller 2009, S. 78).

Im Frühjahr 1935 erschien die Buchausgabe unter dem Titel des Manuskripts „Doktor Mamlocks Ausweg. Tragödie der westlichen Demokratie“. Zeitgleich wurde eine identische Ausgabe in der Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR herausgegeben. Die Buchfassung traf wie das Theaterstück auf große Begeisterung beim Lesepublikum und viele weitere Ausgaben folgten unter anderem auf Spanisch, Russisch, Norwegisch, Japanisch und Tatarisch. In den 1950er Jahren publizierten vor allem der Verlag Volk und Wissen (allein 120.000 Stück von 1952 bis 1954) und auch der Aufbau Taschenbuch Verlag sowie Reclam in Leipzig das Drama. Bereits 1946 erschien das Drama im Aufbau-Verlag unter dem Titel „Besinnung“ in einer Gesamtausgabe mit drei weiteren Dramen aus der Kriegszeit („Patrioten“ von 1942/43, „Doktor Wanner“ von 1943/44 und „Was der Mensch saet“ von 1944/45). In der DDR wurde Wolfs Theaterstück streng sozialistisch interpretiert und zur Pflichtlektüre in den Schulen. Dabei kam dem kommunistischen Widerstand in der Figur des Kommunisten Wolf eine größere Rolle zu als dem jüdischen Konflikt. Die aktuellste Ausgabe stammt aus dem Jahr 2009 und stellt die 29. Auflage des Stücks bei Reclam dar. Fest steht, dass Wolf sich mit dem Drama um die Familie Mamlock „in die internationale Theater- und Literaturgeschichte ein[geschrieben]“ (Müller 2009, S. 62) hat.

Neben dem Theaterstück und dem Buch verfilmten die sowjetischen Regisseure Minkin und Rappoport 1938 Wolfs Geschichte über die jüdische Familie Mamlock. Dieser Film wurde ebenfalls – in synchronisierter Fassung – in vielen Ländern gezeigt und sehr positiv besprochen. In der „Pariser Tageszeitung“ vom 9. Februar 1939 heißt es darüber: „In seiner ausgezeichneten Darstellung, seiner energischen und exakten Regie […] geben die packenden Bilder der klug aufgebauten Handlung auch dem Nichtdeutschen wenigstens einmal eine unmittelbar plastische Vorstellung von dem, was er bisher immer nur vom Lesen und Hörensagen kannte“(Pariser Tageszeitung“ vom 9. Februar 1939, o.S.). Der Film wurde zudem den gegen Hitlerdeutschland kämpfenden Soldaten gezeigt; selbstverständlich war er in Deutschland verboten. 1961 verfilmte schließlich Friedrich Wolfs Sohn Konrad das Stück erneut, nahm jedoch Veränderungen an der Handlung vor. Beide Verfilmungen trugen den Namen „Professor Mamlock“.

Quellen:

  • Dexter, Charles E.: „Why does the Federal Theatre Limit Run of Anti-Nazi Play?". In: Daily Worker, New York vom 08.04.1937.
  • Heuss, Theodor: „Randbemerkungen zur kulturpolitischen Entwicklung“. In: Der Standpunkt (1946), Nr. 5, S. 3f.
  • Jakobi, Carsten: „Friedrich Wolf: Professor Mamlock“. In: Ders.: Der kleine Sieg über den Antisemitismus. Darstellung und Deutung der nationalsozialistischen Judenverfolgung im deutschsprachigen Zeitstück des Exils 1933-1945 (=Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 106). Tübingen 2005, S. 183-197.
  • Labroisse, Gerd: „Rezeption von Exilliteratur im Horizontenwandel: Ferdinand Bruckners 'Die Rassen' und Friedrich Wolfs 'Professor Mamlock' in Zürich (1933 bzw. 1934) und Berlin (1948 bzw. 1946)". In: Sevin, Dieter (Hg.): Die Resonanz des Exils. Gelungene und mißlungene Rezeption deutschsprachiger Exilautoren (=Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 99). Amsterdam/Atlanta 1992, S. 154-163.
  • o.A.: „Programmzettel für die Erstaufführung“. In: Archiv der Akademie der Künste, Wolfgang Langhoff Archiv 290, o.S.
  • o.A.: „Kulturnachrichten“. In: Die Welt vom 03.05.1946, S. 3.
  • o.A.: „Prof. Mamlock“. In: Der Standpunkt (1946), Nr. 7, S. 22f.
  • o.A.: „‚Professor Mannheim‘ ist als Buch erschienen“. In: Das Volksrecht, Zürich vom 21.03.1935.
  • o.A.:„‚Professor Mamlock‘ in Paris. Eine Ehrung für Friedrich Wolf“. In: Deutsche Volkszeitung Paris vom 12.02.1939.
  • o.A.:„Neue Sowjetfilme“. In: Deutsche Volkszeitung Paris vom 19.02.1939.
  • o.A.: „‚Professor Mamlock‘. Ein Film im Dienst der Wahrheit“. In: Pariser Tages Zeitung vom 09.02.1939.
  • Prill, Meinhard: „Professor Mamlock“. In: Jens, Walter (Hg.): Kindlers Neues Literatur Lexikon. Bd. 17. München 1992, S. 782f.
  • „Professor Mamlock“ (zahlreiche Ausschnitte aus Briefen und Zeitungsrezensionen zu Inszenierungen der 1930er bis 1950er Jahre). In: Archiv der Akademie der Künste Berlin, Friedrich Wolf-Archiv 16, Mappe 2, o.S.
  • Slevogt, Esther: Den Kommunismus mit der Seele suchen. Wolfgang Langhoff – ein deutsches Künstlerleben im 20. Jahrhundert. Köln 2011.
  • Wolf, Dr. Friedrich: „Theater des Überganges“. In: Der Standpunkt (1946), Nr. 9, S. 16-19.
  • W.: „Von Dante bis zur Dorfgeschichte/Buchbesprechungen“. In: Die Besinnung (1947), Nr. 3/4, S. 186-190.



Bearbeitet von: Christiane Weber