Eine Handvoll Staub (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Eine Handvoll Staub
Autor Haag, Lina (1907-2012)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Nürnberg
Titel Eine Handvoll Staub

Erscheinungsort Nürnberg
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1

Verlegt von Nest-Verlag
Gedruckt von Werkdruckerei Ansbach
Publiziert von Haag, Lina (1907-2012)

Umfang 166 Seiten

Lizenz Published under Military Government Information Control License No. US-E-149

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Lina Haag erzählt in Form eines einzigen langen Briefes an ihren Mann die Geschichte ihrer Verfolgung von 1933 bis Mai 1944 und der insgesamt fünfjährigen Gefängnis- und Konzentrationslagerhaft als politische Gefangene unter anderem im KZ Dachau. Sie berichtet in der Gegenwartsform und stellt so eine große Unmittelbarkeit des Erlebens und vor allem des Empfindens her. Ihre Aufmerksamkeit richtet sie einerseits auf die Schilderung der äußeren Begebenheiten und auf das Schicksal ihrer Mithäftlinge, jedoch andererseits vor allem auf eigene seelische Vorgänge, Gedanken, Gefühle sowie Reflexionen über die zerstörerischen Konsequenzen von Verfolgung und Haft.

Den Brief an ihren Mann schreibt sie im Mai 1944 in Garmisch im Hotel Riessersee, wo sie als Heilgymnastin tätig ist. Das Schreiben bietet eine Möglichkeit, ihre tiefe Verzweiflung nach Jahren der Haft und der Trennung von Mann und Tochter auszudrücken: „Ich muß das niederschreiben, sonst platze ich. Sonst schreie ich doch noch einmal alles hemmungslos heraus. So weit bin ich jetzt. Völlig fertig“ (S. 3). Ihr Mann, der als Abgeordneter der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1933 verhaftet und sieben Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert wird, befindet sich zu diesem Zeitpunkt an der Ostfront. Nachricht hat sie seit Monaten keine von ihm. Dennoch macht sich auch jetzt ein großer Überlebenswille bemerkbar: „Nein. Ich will nicht schlappmachen. Ich darf nicht schlappmachen. Ich habe einen Mann und ein Kind. Die brauchen mich nachher, wenn dieser Wahnsinn zu Ende ist. Ich will nicht umsonst durch zwanzig Gefängnisse gegangen sein. Ich war nicht umsonst elf Jahre lang tapfer“ (S. 4). Diese elf ‚tapferen‘ Jahre rekapituliert sie nun in ihrem Brief.

Nach der Verhaftung ihres Mannes am 31. Januar 1933 wird auch Lina Haag im Februar 1933 nach dem Reichstagsbrand als KPD-Mitglied festgenommen. Sie wird in das Landesgefängnis Gotteszell eingeliefert und bis Weihnachten dort festgehalten. Den Verhören, in denen sie durch Schikanen und Erpressung gezwungen werden soll, Genossen zu verraten, widersteht sie. Nach ihrer Entlassung erfährt sie, dass sich ihr Mann in den sogenannten Kuhbergkasematten befindet und dort gefoltert wird. Sie setzt beim Innen- und Justizminister Dr. Schmidt durch, dass er entlassen wird, wenn sie unverzüglich mit Mann und Kind nach Buenos Aires zu ihrem Onkel ausreist. Beim Wiedersehen am Bahnhof wird ihr Mann jedoch vor den Augen der Familie erneut verhaftet, da er kurz vor der Entlassung im Lager verkündet hatte, er werde sich im Ausland für die inhaftierten Kameraden einsetzen.

Nach der gescheiterten Ausreise verfällt Haag in tiefe Apathie und Kraftlosigkeit; sie unternimmt einen Selbstmordversuch, der jedoch misslingt. Ihr Mann wird in das KZ Dachau überstellt, hin und wieder erhält sie knappe Lebenszeichen von dort. Notdürftig versucht Haag, sich und die Tochter über Wasser zu halten; Arbeit bekommt sie als Ehefrau eines im KZ Inhaftierten keine. Immer wieder wird sie zu Verhören geholt, da sie im Verdacht steht, illegale Funktionäre zu beherbergen. Sie soll ‚helfen’, einen untergetauchten Genossen an die Gestapo auszuliefern. Sie widersteht der Verlockung, so ihre Familie zu retten, und warnt den Gesuchten, was ihre erneute Verhaftung im Mai 1936 zur Folge hat. Nach dem Verhör, das sie tapfer übersteht, erleidet sie in der Zelle des Stuttgarter Gestapogefängnissen einen Nervenzusammenbruch: „Man zittert an allen Gliedern, man hat keine Macht mehr über die fliegenden Nerven, man muß sich am Tisch festhalten oder auf den Boden legen, bis sich die Nerven langsam wieder beruhigen und man abgrundtief in einen todähnlichen Schlaf sinkt“ (S. 38).

Schließlich wird sie in das Frauenuntersuchungsgefängnis überstellt. Hier verbringt sie vierzehn Monate in Einzelhaft. Einzig durch Klopfzeichen verständigt sie sich mit Mithäftlingen. So erfährt sie auch vom Schicksal ihrer Mitgefangenen Lilo Hermann, die wegen ihrer politischen Widerstandstätigkeit zum Tode verurteilt wird. Haag begreift nun endgültig die Gefährlichkeit der Nationalsozialisten. Die Angstzustände und Panikattacken verschlimmern sich daraufhin und sie erleidet bald täglich auftretende Ohnmachten. Dennoch behält sie auch jetzt einen Rest Hoffnung, noch einmal „glimpflich davonzukommen“ (S. 56).

Immer wieder rekapituliert sie Stationen und Phasen ihrer siebzehnjährigen Ehe, etwa die lange Zeit des Alleinseins und die Bitterkeit über die missglückte gemeinsame Auswanderung nach Buenos Aires vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Familie hatte entschieden, dass sie 1929 zunächst allein nach Buenos Aires vorausfahren solle, um dort die Schiffskarten für ihren Mann und die Tochter zu verdienen. Zweieinhalb Jahre blieb sie dort allein und arbeitete als Dienstmädchen in einer Familie. Ihr Mann entschied sich jedoch plötzlich dagegen, ihr nachzureisen und ihr das Kind zu bringen, da ihm die Parteiarbeit so wichtig war: „Aber mich konntest du im Stich lassen. Ich muß sagen, die Bitterkeit ist, auch heute noch, zu groß“ (S. 64). Trotz aller Enttäuschung und auch der Versuchung, das leichtere Leben dort zu wählen, kehrt sie zu ihrem Mann und Kind zurück: „Ich habe lange geschwankt. Aber meine Liebe zu dir war größer als die größere und schönere Welt. [...] Ich habe es auch nie bereut, bei dir geblieben zu sein, keinen Augenblick“ (S. 85).

Bei ihrer Gerichtsverhandlung, die nach fast 20 Monaten in Untersuchungshaft erfolgt, wird Haag zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Untersuchungshaft wird angerechnet. Für die verbleibende Haftzeit wird sie in das Zuchthaus Gotteszell-Gmünd überstellt, wo sie wieder in Einzelhaft sitzt. Hier werden die Frauen in nationalsozialistischem Denken und Gehorsam unterrichtet. Ihre Hoffnungen, nach ihrer Haftzeit tatsächlich entlassen zu werden, erfüllt sich nicht, denn sie wird in das KZ Torgau überstellt: „Jetzt bin ich vollends in diese verfluchte Mühle hineingeraten. Im KZ gibt es auch den Schein eines Rechts nicht mehr, auf das man pochen könnte“ (S. 99). Inzwischen ist sie – ebenso wie die anderen Frauen, die mit ihr auf den Transport ins KZ gehen – äußerlich völlig verwahrlost. Auf der alten Festung Lichtenburg in Torgau begegnet sie zum ersten Mal SS-Aufseherinnen: „Sind es Frauen? Ich zweifle daran. Es können nur Wesen sein, Wesen mit grauen Hunden und mit allen Instinkten, Tücken und aller Wildheit ihrer Hunde. Unwesen“ (S. 111).

Haag beschreibt die seelische Abstumpfung und weitere Zermürbung durch die mitleidlose Behandlung der Häftlinge: „Haben diese Teufel, fragen wir uns, kein Gewissen, wenn sie schon kein menschliches Gefühl mehr haben? […] Das hier sind keine Menschen“ (S. 125). Immer wieder thematisiert Haag auch ihre weiblichen Mithäftlinge und deren Schicksal: „Das fremde Schicksal lenkt vom eigenen ab. Es belastet zwar, aber es weckt auch Kräfte“ (S. 69). Sie fragt sich auch, warum draußen keine Stimme laut wird gegen all das. „Es müsste doch allmählich durchsickern, was hier los ist“ (S. 120).

Lagerkommandant Max Kögel setzt schließlich in einem Machtkampf mit der Stuttgarter Gestapo Haags Entlassung am 4. April 1939 aus dem KZ durch. Haag erfährt außerdem, dass ihr Mann in das KZ Mauthausen überstellt wurde. Nach drei Jahren Gefangenschaft sitzt sie im Zug nach Hause „voller Menschen, die mir fremd und festtäglich erscheinen und auf eine betont laute und ungenierte Weise munter und sorglos sind. […] Sie plaudern und rauchen, sie lachen oder lesen oder schauen gelangweilt aus dem Fenster und tun so, als gäbe es auf der ganzen Welt keine Not und keine Wunder“ (S. 129). Sie fragt sich, wo diese Menschen leben, dass sie so sorglos und unbekümmert sein können, ob sie nicht sehen, dass ganz in ihrer Nähe „Frauen totgepeitscht werden, daß graue Bestien in wehenden Capes ihre Bluthunde auf verzweifelte Menschen hetzen?“ (S. 130)

Haag gönnt sich nur einige Tage Ruhe bei ihren Eltern und der Tochter Kätle, bis sie gegen die Anordnung der Gestapo nach Berlin fährt, wo sie entschlossen ist, um die Freilassung ihres Mannes zu kämpfen. Auch hier fühlt sie sich fremd und nicht zugehörig unter den vermeintlich sorglosen und unbekümmerten Menschen, die achtlos an ihr vorbeigehen, „elegante Leute, vergnügungssüchtige, sensationshungrige Leute, die in die Kinos, in die Theater, in die Vergnügungslokale eilen“ (S. 140). Sie findet Arbeit in einer Metallfabrik und erhält durch Hartnäckigkeit und Glück die Möglichkeit, mit dem Reichsführer SS Heinrich Himmler persönlich über ihren Mann zu sprechen. Obwohl sie mutig und standhaft ihre politischen Überzeugungen vertritt und sich nicht anbiedert, so stellt sie es in ihrem Brief dar, stellt ihr Himmler die Entlassung ihres Mannes in Aussicht. Haag holt Kätle nach Berlin und richtet ein notdürftiges Heim für die Familie ein. Ihre Befürchtung, dass der Kriegsausbruch die Entlassung ihres Mannes verhindern könne, bewahrheitet sich nicht. Das beinahe absolute und umfassende Glück ihrer Wiedervereinigung, die jedoch nur etwa anderthalb Jahre dauert, fasst Haag in nur wenigen Zeilen zusammen: „Als ahnten wir, daß es nicht von Dauer ist, nützen wir den Augenblick, vergessen die Vergangenheit und denken nicht an die Zukunft, stehlen dem Schlaf die Stunden und geizen mit den Minuten, um die wunderbare Gegenwart nicht zu versäumen“ (S. 149). Haag macht in dieser Zeit eine Ausbildung und ihr Staatsexamen als Krankengymnastin, auch ihr Mann findet Arbeit: „Es ist kein Kinoglück und kein Happy End mit Musik, es ist das reife, stille Glück der Erfüllung“ (S. 149). Diese Zeit endet jedoch mit dem Gestellungsbefehl zur Wehrmacht für ihren Mann. Nachdem sie in Berlin ausgebombt wurde, kann Haag sich in ein süddeutsches Lazarett in Garmisch versetzen lassen. Das Werk endet mit dem Geburtstag ihres Mannes 1944. Trotz aller Angst, Ungewissheit und Sehnsucht hofft sie durchzuhalten und auf ein glückliches Ende für ihre Familie: „Ich werde auf dich warten, warten, warten. Bis zum letzten Atemzug meines Lebens. Das ist es, was ich dir sagen wollte, Liebster“ (S. 165).


Biografie

Lina Haag (geb. 18.01.1907 in Hagkling, gest. 18.06.2012 in München) wurde als uneheliches Kind in die Arbeiterfamilie Jäger hineingeboren. Sie hatte vier Brüder, die Mutter arbeitete als Magd, der Vater war Arbeiter. Sie besuchte die Volksschule und war anschließend Hilfsarbeiterin in verschiedenen Fabriken. Der Vater gehörte der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an. Haag trat dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) bei, ab 1929 gehörte sie der KPD an. Hier lernte sie um 1920 ihren zukünftigen Mann Alfred Haag kennen, der ebenfalls aus einfachen Verhältnissen stammte. Das Paar heiratete 1927, im gleichen Jahr wurde die Tochter Kätle geboren. Alfred Haag war arbeitslos und die finanzielle Situation der Familie prekär. Daher entschloss sich Lina Haag, 1929 zu ihrem Onkel nach Buenos Aires zu gehen, wo sie als Haushälterin und Kindermädchen arbeitete. Mann und Kind sollten nachkommen, sobald sie das Geld für die Tickets verdient hatte. Alfred Haag entschied jedoch, dass er den politischen Kampf in Deutschland weiterführen wollte und so kehrte auch Lina Haag 1931 nach Deutschland zurück. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr ging Alfred Haag für neun Monate zu Ausbildungszwecken in die Sowjetunion. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Herausgeber für die „Süddeutsche Arbeiterzeitung“ und wurde 1932 jüngster Abgeordneter der KPD im württembergischen Landtag. Lina Haag wurde seine Mitarbeiterin. Am 10. Februar 1933 wurde Alfred Haag verhaftet und in das KZ Oberer Kuhberg gebracht; im Juli 1935 wurde er nach einem missglückten Auswanderungsversuch nach Buenos Aires in das KZ Dachau überstellt.

Am 28. Februar 1933 wurde auch Lina Haag das erste Mal verhaftet, jedoch schon kurz darauf wieder freigelassen. Vom 10. April 1933 bis zum 21. Dezember 1933 wurde sie erneut festgenommen und zehn Monate im Frauenstrafgefängnis Gotteszell festgehalten. Nach einer erneuten Verhaftung im Mai 1936 verbrachte sie mehr als eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft in den Stuttgarter Gefängnissen in der Büchsenstraße und Weimarstraße und wurde am 24. Januar 1938 zu zwei Jahren Haft wegen ‚Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens‘ verurteilt. Die verbliebene Reststrafe bis zum 24. Mai 1938 musste sie im Frauenstrafgefängnis Gotteszell absitzen. Im Anschluss daran wurde sie direkt in das Frauen-Konzentrationslager Lichtenburg bei Torgau überstellt.

Nach ihrer Freilassung im April 1939 ging sie nach Berlin, um dort für die Freilassung ihres Mannes aus dem KZ zu kämpfen. Es gelang ihr, persönlich bei Heinrich Himmler vorsprechen zu können, um die Entlassung ihres Mannes zu erbitten. Sie war erfolgreich und Alfred Haag, der inzwischen im KZ Mauthausen inhaftiert war, wurde kurz nach Kriegsbeginn aus der Haft entlassen. In den folgenden eineinhalb Jahren lebte und arbeitete das Ehepaar mit der Tochter in Berlin. Haag legte ihr Staatsexamen als Krankengymnastin an der Berliner Charité ab und arbeitete anschließend in verschiedenen Lazaretten. Alfred Haag erhielt schließlich seinen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht und wurde schon bald an die Ostfront geschickt, wo er 1944 in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. 1944 verfasste Haag ihr autobiografisches Werk „Eine Handvoll Staub“ im Lazarett im Hotel Riessersee in Garmisch, wo sie als Krankenschwester tätig war.

Nach dem Krieg zog Lina Haag mit ihrer Tochter nach München, wo sie als Physiotherapeutin arbeitete. 1948 kehrte auch Alfred Haag aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Lina Haag eröffnete einen sozialistischen Buchladen, der jedoch bald wieder geschlossen werden musste und Alfred Haag arbeitete als Schreiner. Beide waren in der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) aktiv. Anlässlich ihres 100. Geburtstags ehrte die Stadt Dachau Lina Haag 2007 für ihren beispiellosen Mut mit dem Dachauer Preis für Zivilcourage.

Quellen:


Werkgeschichte

Lina Haag verfasste ihr autobiografisches Werk „Eine Handvoll Staub“ ab Mai 1944 im Lazarett im Hotel Riessersee in Garmisch, wo sie als Krankenschwester tätig war. Ihr Mann galt seit 1944 als an der Ostfront vermisst, sie lebte in großer Sorge um ihn. In dieser Situation begann sie trotz der damit verbundenen Gefahren, einen Brief an ihn zu formulieren, in dem sie ihre Erinnerungen an die KZ-Haft und ihren jahrelangen Kampf um seine Freilassung niederschrieb. In den Vorbemerkungen des Verlags im Werk heißt es, es sei zu dieser Zeit vermessen gewesen zu glauben, dass die Aufzeichnungen je veröffentlicht werden könnten. Der Drang, sich dem Papier anzuvertrauen, habe die Furcht vor einer Entdeckung jedoch überwogen. Betont wird die Wahrhaftigkeit und Authentizität des Werks: „Jedes Wort kommt aus dem unmittelbaren Erleben. Jeder Satz atmet tiefstes menschlich-frauliches Empfinden. Es ist das zertretene Herz einer liebenden Frau und tapferen, oft verzweifelten Kämpferin, das sich Luft zu machen versucht. […] Und wenn das Buch keinen weiteren Wert hätte, als nachdenklich zu stimmen, so wäre seine Herausgabe heute mehr als gerechtfertigt“ (o.S.).

Nach der Befreiung Garmischs durch die amerikanischen Streitkräfte diente das Hotel Riessersee als Quartier für amerikanische Offiziere. Haag traf einen deutschsprachigen Offizier, der für kulturelle Aktivitäten zuständig war. Sie gab ihm ihre Aufzeichnungen und er ermutigte sie, die Publikation in Angriff zu nehmen und versprach ihr seine Unterstützung. 1947 konnte das Werk erstmals publiziert werden. Weitere Ausgaben erschienen 1948 und 1949 im Berliner VVN-Verlag, ebenso wie 1948 in der Mitteldeutschen Verlagsgesellschaft in Halle. Eine englische Übersetzung unter dem Titel „How long the night“ erschien ebenfalls 1948 im Londoner Gollancz Verlag. Ab 1977 wurde das Buch in der DDR, in der Sowjetunion sowie in Ungarn in hohen Auflagen publiziert. Insgesamt sind etwa 350.000 Exemplare des Buches gedruckt worden, wie Barbara Distel 2004 feststellt. Die Erinnerungen erfuhren seither großen Zuspruch und wurden in viele Sprachen übersetzt. Das Werk gehörte vor allem in der DDR zu den bedeutsamsten Zeugnissen über den deutschen Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur. Die bislang letzte Ausgabe erschien im Jahr 2005 im Münchner Deutschen Taschenbuch Verlag.

In „Das Sozialistische Jahrhundert“ erschien 1947 unter der Rubrik „Rundschau der Literatur“ eine Besprechung des Werks von Hildegard Wegscheider. Darin heißt es, das Buch sei ein „Dokument der Treue, der weiblichen Widerstandskraft, aber ein trauriges Dokument, wie schon der furchtbare Titel zeigt: Eine Handvoll Staub“ (S. 375f.).

Im „Aufbau“ wurde das Werk am 22. April 1949 von Oskar Maria Graf besprochen, der dem Buch bescheinigte „ganz zeitverhaftet, aber ebenso elementar“ (S. 7) zu wirken: „Das steht sie nun nach ihrem schauerlich erlittenen Passionsweg, innerlich zitternd und kaum noch mächtig, das unwahrscheinliche Ereignis zu begreifen. […] Aber die rein faktischen Geschehnisse und ganz besonders die Begegnung mit Himmler sind sozusagen nur das Sensationelle dieser Aufzeichnungen, denn Lina Haag war die einzige Antifaschistin, die auf solche Art bis zum Oberhenker vordrang!“ (ebd.) Viel dichter und ergreifender wirkten die „einsamen Zwiesprachen mit dem verlorenen Geliebten, die alles enthalten und über alles aussagen, was ein leidendes, unsagbar zärtliches Frauenherz erfüllen“ (ebd.), schließt Graf.

Quellen:



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger