Gesänge aus der Stadt des Todes (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Gesänge aus der Stadt des Todes
Autor Adler, Hermann (1911-2001)
Genre Gedichtsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945, New York / Zürich
Titel Gesänge aus der Stadt des Todes

Erscheinungsort New York, Zürich
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Basler Berichtshaus AG
Gedruckt von Verlag Oprecht
Publiziert von Adler, Hermann (1911-2001)

Umfang 70 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

Der Band „Gesänge des Todes“ enthält Balladen in sieben Zyklen, die zu einem großen Teil noch im Getto von Wilna entstanden sind, wie es in der Einleitung heißt. Diese aus der jüdischen Tradition stammenden Gedichte sollen besonders der christlichen Welt die Leiden des jüdischen Volkes zeigen. Sie dienen dem Gedenken der Toten und der wenigen Überlebenden, „die in Wilna, Warschau, Krakau und Bergen-Belsen kämpften oder litten“ (o. S.). Explizit namentlich benannt werden Hermanns Frau Anita Distler-Adler, die Kampfgenossen aus der Sozialistischen Jugendbewegung „Dror-Habonim“, Mordechai Tennenbaum, der Wiener Feldwebel Anton Schmid, der zahlreiche Juden im Getto Wilna versteckte und rettete und dafür zum Tode verurteilt wurde, sowie der polnische Pfarrer Andreas Gdowski aus dem Kloster Ostra Brama in Wilna, der gefährdete Juden im Kloster versteckte.

Die Gedichte und Balladen sind vor allem Klagegesänge angesichts der Vernichtung des jüdischen Volkes. Sie thematisieren aber auch häufig die Notwendigkeit zu sprechen und Zeugnis abzulegen. So heißt es etwa in „...Tröste doch, tröste mein Volk“: „Sammelt, ihr Brüder, das Blut in den Gassen des Todes in Ghetto, schreibt mit dem Blute das Lied unserer unendlichen Qual“ (S. 8). Und in „...Blut schreit auf zum Himmel“ bittet das lyrische Ich Gott um Hilfe für die Kraft zu sprechen. Auch das Kloster Ostra Brama wird thematisiert, in dem die Mönche für die Juden beten und der Pfarrer in christlicher Nächstenliebe Verfolgte versteckt, da die Rabbiner alle erschossen seien und die Thora-Rolle im Schmutz liege.

Das elende Überleben und Leiden, aber vor allem das Sterben und der Tod sind wiederkehrende Themen der Dichtungen. Immer wieder geht es dabei auch um konkrete Einzelschicksale, die dichterisch erzählt werden. Es wird sowohl der Selbstmord als „ein Mittel, das Leben geschickt zu verbessern“ (S. 18) bedichtet, als auch die verzweifelte Tötung eines Kindes durch die eigene Mutter, da das Kind durch sein Weinen das Versteck zahlreicher Menschen zu verraten droht. Aber auch die Erschießungen der Juden im Wald durch die Deutschen werden thematisiert. Hoffnung auf ein Überleben des Volkes klingt hin und wieder an, wird jedoch immer wieder durch die brutale Realität zerstört: „Glaubt ihr, man findet im Vorraum des Todes nicht Hoffnung und Freude? Herrliche Lügen entstehn mit der Verzweiflung sogleich“ (S. 30).

In einigen Gedichten wird das verzweifelte Leid der Mütter thematisiert, die ihre Kinder nicht schützen können. Das Gedicht „... Heilige Mütter; Trägerinnen des Lebens!“ richtet sich direkt an die „Mütter der Erde“ (S. 38) und fordert diese auf, sich im Bemühen um Frieden zu vereinen: „Werdet wie Löwinnen wachsam, um mutig die Jungen zu schützen; und wenn der Moloch euch droht, opfert ihm die Kinder nicht! Lehret die Söhne, die Liebe zu lieben: den Hass lehrt sie hassen, feige nicht leben und nicht mutig zu sterben – aus Furcht!“ (S. 38)

In „Leicht sei Dir der Tod“ wird die Qual einer Mutter geschildert, die dabei zusehen muss, wie ihr Kind zu Tode geschlagen wird. Sein Schicksal zu teilen, ist die einzige Möglichkeit, ihrem Kind beizustehen. „Schlaf, mein Kind, und klage voller Leid nicht mehr, und wenn ich dich trage, stirbst du dann nicht schwer ... Tief und ungeheuer schmerzvoll lieb ich dich; und das gleiche Feuer, das dich trifft, trifft mich!“ (S. 47)

Die letzten Gedichte des Bandes thematisieren eine kommende Zeit nach dem Krieg und prognostizieren, dass keiner sich für den Tod von Millionen schuldig bekennen wird. „Keiner in Deutschland wird morgen sich schuldig bekennen, die Mörder schieben schon feige die Schuld anderen Mördern rasch zu“ (S. 48). Auch der Aufstand im Warschauer Getto wird bedichtet, ebenso wie die „Züge des Grauens“ (S. 55), die nach Treblinka fahren. Der letzte Zyklus thematisiert die Zeit unmittelbar nach Kriegsende und die Strafe, die Deutschland nun auf sich nehmen soll: „Deutschland, erst musst du die Hölle durchleben, millionenfach sterben, dass du zum Leben erwachst, Liebe zu lieben verstehst [...]. Ihr die Verfolger, ihr werdet nun selbst zu Verfolgten. Ihr ranntet siegend voraus und nun hört – todnah – das Rennen nicht auf!“ (S. 62) Der letzte Apell des lyrischen Ichs gilt Gott, der Frieden und Versöhnung bringen soll: „Gott, lehr uns lieben; bring nicht Henkersknechte, die morgen zittern, feiger Rache dar! Gotte lasse gelten wieder Menschenrechte! Und wer auch dieser Taten Zeuge war, so schütz ihn doch am Ende der Gefahr, dass er sich nicht am Feinde rächen möchte, der bald schon todesschwach am Boden liegt!“ (S. 69)

Biografie

Hermann Adler, geb. am 2. Oktober 1911 in Diószeg, Österreich-Ungarn, gest. am 18. Februar 2001 in Basel, wuchs in Nürnberg auf und lehrte nach seiner Ausbildung zum Lehrer am jüdischen Lehrerseminar in Würzburg und Breslau sowie an einer Schule für Schwererziehbare in Landeshut (Kamienna Gora). 1934 kehrte er in die Tschechoslowakei zurück und diente ab 1939 in der ‚Tschechoslowakischen Legion‘. Während des Zweiten Weltkrieges schloss er sich dem jüdischen Widerstand in Litauen und Polen an und spielte eine wichtige Rolle bei den Getto-Aufständen in Vilnius und Warschau. Er entkam zunächst nach Budapest, wurde aber nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Getto von Wilna inhaftiert. Mit seiner Frau Anita Distler lebte er mehrere Monate lang versteckt in der Wohnung des aus Wien stammenden Feldwebels Anton Schmid. Schmid wurde 1942 wegen seiner Hilfe für Juden hingerichtet. 1943 konnte Adler aus dem Getto von Wilna nach Warschau fliehen, wo er am Aufstand im Warschauer Getto teilnahm. Er wurde jedoch gefangengenommen und in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert, wo er medizinischen Experimenten ausgesetzt war.

Nach dem Krieg zog Adler in die Schweiz. Hier entstanden ab 1945 Werke, in denen er sowohl in berichtender als auch erzählender und fiktionaler Form über das Getto von Vilnius und den jüdischen Widerstand schrieb. 1945 erschien die Gedichtsammlung „Gesänge aus der Stadt des Todes“ und die Erzählung „Ostra Brama ‑ Eine Legende aus der Zeit des großen Untergangs“. 1948 folgten „Fieberworte von Verdammnis und Erlösung und 1950 „Bilder nach dem Buche der Verheissung“. Er schrieb auch Texte für Radio und Fernsehen, ebenso wie Bücher mit psychologischen Themen.

1967 drehte der israelische Filmregisseur Nathan Jariv nach dem Drehbuch von Hermann Adler den ZDF-Fernsehfilm „Feldwebel Schmid“.

Quelle:

  • Walter Habel: Wer ist wer?, Bd. 1 (West), Berlin 1967, S. 7.



Bearbeitet von: Charlotte Kitzinger