Gestapo Häftling 52478 (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Gestapo Häftling 52478
Autor Utsch, Bert (1907-?)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Digitalisat in DIGISAM öffnen
Ausgabe von 1945, Ottobeuren
Titel Gestapo Häftling 52478
Untertitel Aus den KZ Oranienburg-Sachsenhausen

Erscheinungsort Ottobeuren
Erscheinungsjahr 1945

Verlegt von Selbstverlag
Gedruckt von Jos. Feine & Co. GmbH
Publiziert von Utsch, Bert (1907-?)
Umschlaggestaltung von Pöppel, Max (1909-1989)
Illustriert von Pöppel, Max (1909-1989)

Umfang 154 Seiten
Abbildungen 3 Abbildungen (1 Zeichnung „Der Häftling“, 2 Fotografien „Bert Irving“, „Der Verfasser mit Frau“)

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der Verfasser schildert in seinem Bericht seine vierzehnmonatige Haftzeit als politischer Gefangener in verschiedenen Haftstätten und dem Konzentrationslager Sachsenhausen sowie die Zeit nach seiner unerwarteten Freilassung im Dezember 1943. Der Autor berichtet in 42 teilweise sehr kurzen Kapiteln von der Zeit vor, während und nach seiner Haft, wobei er zwar eine chronologische Abfolge einhält, doch immer wieder im Geschehen vor und zurück springt. Datumsangaben macht Utsch dabei nur selten. Der Autor erklärt, dass „diese kleine Schrift nur ein Streiflicht über ein Teilgeschehen bieten kann“ (S. 96f.) und es nicht an ihm sei, „hier prozentuale Berechnungen und statistische Hinweise und Abrechnungen zu geben“, da irgendwann „all diese Dinge durch objektiv arbeitende Kommissionen geklärt und festgelegt werden“ (alle Zitate S. 96f.). Es solle vielmehr „von einem, der es erlebte und verhältnismäßig genauen Einblick hatte, ein Bruchteil dessen veranschaulicht werden, was geschehen ist“ (ebd.).

Der Bericht beginnt unmittelbar mit der Ankunft im Quarantäneblock des Konzentrationslagers Sachsenhausen. Utsch gerät schnell in den Fokus der Aufmerksamkeit, da er auf Nachfrage den Grund für seine Verhaftung nicht anzugeben vermag und daher erklärt, „[i]ch habe des öfteren abfällig über die SS gesprochen“ (S. 16). Diese Angabe hat eine noch härtere Behandlung zur Folge und so wird er zum sogenannten Schuhläuferkommando eingeteilt. Dort werden die Häftlinge der Strafkompanie gezwungen, stundenlang mit schwerem Gepäck auf dem Rücken eine Prüfstrecke entlang zu marschieren, um Schuhfertigungsmaterial zu testen.

Ausführlich beschreibt er die Entmenschlichung nach der Aufnahme und die Schikanen durch Kapos und Lagerpersonal bei der erkennungsdienstlichen Erfassung: „Nicht zu übertünchen aber ist die Art und Gesinnung der Menschen, die hier an den Häftlingen ihr satanisches Handwerk ausüben; für jeden der Neuzugänge haben sie nur hohnlächelnde Grimassen und Fratzen und teuflische Schimpfworte, bis der Häftling endlich selbst dieses entstellte Gesicht zur Schau trägt, das gerade recht ist für die fotografische Aufnahme, die seitlich und frontal erfolgt“ (S. 25f.).

Da das Lager viele Neuzugänge verzeichnet, werden Bert Utsch und die anderen Häftlinge, die mit ihm angekommen sind, früher als geplant vom Quarantäneblock in das kleine Lager verlegt, wo ihm „sofort auf[fällt], wieviel skelettartig abgemagerte, dürre, ausgemergelte Menschen uns in diesen Blocks begegneten“ (S. 31). Bei der Einteilung in Arbeitskommandos wird Utsch zunächst der für die Unterkunftsverwaltung arbeitenden Großtischlerei zugewiesen. Trotz des Einsatzes eines Blockältesten kann nicht verhindert werden, dass er nach kurzer Zeit in das berüchtigte Klinkerkommando verlegt wird. Hier werden für die Bauvorhaben der SS Ziegelsteine hergestellt und die Häftlinge zu harter körperlicher Arbeit gezwungen. Arbeitsschutz existiert nicht: „Oft stoßen im Ungeschick des Beginnens, der Nervosität und Hastigkeit, die Krankette oder der Kran, der kantige Rollwagen oder sonstige Eisenteile an den Körper und mit schweren Kopfbeulen und Quetschwunden beginnt das Tagewerk, beginnt der Prozeß, in dem man verschlungen wird, in dem es kein Anlernen, kein weisendes Wort, nur tobsüchtiges Schimpfen und Schlagen gibt“ (S. 38). Utsch ist erschüttert von den Zuständen im Konzentrationslager. Schnell durchschaut er – auch bedingt durch die Einsicht, die ihm später sein Posten in der Häftlingskasse ermöglicht –, wie „raffiniert […] auch hier wieder die Methode des Geldeinstreichens [war.]. Daß hier ein geregelter, bis auf den letzten Heller genau durchgeführter Plan verfolgt wurde, braucht eigentlich keine Erwähnung zu finden“ (S. 92). Er bezieht sich auf den sogenannten Kantinenverkauf, den die Lagerführung immer dann veranstaltet, wenn Geld eingetrieben werden soll. Diejenigen Häftlinge, die über ein Konto verfügen, können bei diesen Verkäufen zu hohen Preisen oft minderwertige Lebensmittel und auch Raubgut der SS erwerben.

Da Utsch viele Fremdsprachen spricht und ihm der Zufall behilflich ist, gelingt es ihm, einem begehrten Posten in der Effektenkammer des Konzentrationslagers Sachsenhausen zugeordnet zu werden, wo er keine schwere körperliche Arbeit mehr im Freien leisten muss. Es quälen ihn jedoch die Sorgen um seine Ehefrau, da der briefliche Kontakt zu ihr nur äußerst spärlich möglich ist. Der Autor, der sich nicht einer bestimmten Häftlingsgruppe zugehörig fühlt, findet Kraft in der innigen Freundschaft zu einem Mithäftling und er ist überzeugt, „daß meine Waffen im Kampf die Liebe und der Glaube seien und daß diese schließlich auch den Sieg davontragen müssen“ (S. 90).

Nach drei Monaten im Lager lässt man Bert Utsch zusammen mit anderen Häftlingen in die Politische Abteilung kommen, wo sie unter Androhung von Strafen durch eine Unterschrift die angeblich begangenen Verbrechen bestätigen sollen. Da dem Autor bisher noch immer kein Prozess gemacht wurde und sich dieser keiner Schuld bewusst ist, weigert er sich zu unterschreiben: „Sie können mit mir machen, was Sie wollen, Sie können mich auf der Stelle umlegen, aber diese Unterschrift werde ich nicht leisten!“ (S. 56) Aus unbekannten Gründen verbringt man ihn im Februar 1943 erneut in das Reichssicherheitshauptamt Berlin, wo ein Treffen mit seiner Frau arrangiert ist und er die Gelegenheit erhält, mit einem Gestapobeamten zu sprechen. Erneut stellt sich auf Nachfrage heraus, dass die Gründe für Bert Utschs Verhaftung im Dunkeln liegen: „Ich stellte ihn vor die Frage, warum ich eigentlich im KZ-Lager sein müßte. ‚Wir haben das so beschlossen‘, war die naive Antwort“ (S. 68).

Am 5. Dezember 1943 wird der Verfasser aus Sachsenhausen entlassen, nicht ohne eine Verschwiegenheitserklärung über die Erlebnisse im Lager zu unterschreiben und die Auflage, unverzüglich in Krakau bei der Sicherheitspolizei vorstellig zu werden. Während der Zugfahrt über Berlin nach Breslau fühlt er sich trotz der Freude über die Entlassung und das bevorstehende Wiedersehen mit seiner Frau den anderen Zugfahrenden nicht zugehörig. Die Zeit im Lager stellt für ihn einen Einschnitt dar, gerade weil er die Meinung der Bevölkerung über Häftlinge zu glauben kennt: „Man bedenke nur, welche Schmach es in dem damaligen Deutschland bedeutete, in einem KZ-Lager zu sein! Man war das verworfenste Subjekt, man war ausgeschieden aus der Nation und ihren Rechten, man hatte aufgehört zu existieren“ (S. 99). Nach einem Tag Verzögerung wegen falscher Dokumente erreicht er Krakau, wo ihn seine Frau und eine ihrer Freundinnen erwarten. Als der Verfasser sich bei der Sicherheitspolizei meldet, macht ihm der Gestapobeamte Transfeld, welcher auch seine Überführung in das Konzentrationslager veranlasst hatte, Vorwürfe, da Utsch sich erst mit einer Zeitverzögerung von acht Tagen meldet. Nachdem er seine Verspätung erklärt hat, verlangt man von ihm, eine Erklärung zu unterschreiben, in der er Abstand davon nimmt, irgendwelche Ansprüche aufgrund seiner Zeit im Lager zu stellen. Den Einwand, dass er unschuldig inhaftiert sei und ihm nach seiner Verhaftung kein ordentlicher Prozess gemacht wurde, kommentiert Transfeld mit den Worten: „Sie sind nun mal in das KZ-Lager gekommen. Irgendwie waren sie [sic!] verdächtigt und nun steht Ihnen der Weg zur Wehrmacht offen. […] Es ist, wie Ihnen ja schon gesagt wurde, über das Vorgefallene nicht viel zu debattieren“ (S. 136). Darüber hinaus verpflichtet man ihn, sich bis auf weiteres jeden Tag auf der Behörde zu melden, bis alles geklärt sei. Das Ehepaar Utsch nimmt Quartier in Krakau und schickt die Freundin nach Lemberg, um in ihrer Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Es zeigt sich, dass der Verfasser weiterhin von der Gestapo schikaniert wird, denn er erfährt aus Lemberg, dass dort bereits ein Gestellungsbefehl zur sofortigen Einberufung für ihn vorliegt. Als er am Tag der Meldung erkrankt, wird beim Amtsarzt festgestellt: „Einen solchen Mann kann die Wehrmacht nicht brauchen! Sie sind vollständig heruntergekommen“ (S. 150f.), weshalb er für ein Vierteljahr zurückgestellt wird. Auch nach dieser Frist wird er vom Amtsarzt für militäruntauglich befunden, dennoch zwingt man ihn zur Wehrmacht zu gehen, wo er auf Geheiß „an vorderster Front zu verwenden“ (S. 153) ist. Bei den Kämpfen wird er verwundet und erlebt das Kriegsende in einem Lazarett in Tirol. Bert Utsch schließt seinen Bericht mit den Worten: „Und wenn noch einer lebt, dem wir, meine Frau, ich […], in unverschuldeter Not und grausamer Verfolgung zu helfen versucht haben, dann war nichts umsonst“ (S. 154).

Dem Bericht ist ein Vorwort von Bert Irving, einem befreundeten Regisseur und „KZ-Kumpel“ (S. 8) Utschs, vorangestellt. Er skizziert die Umstände, unter denen beide sich kennenlernten sowie seine eigene Verfolgungsgeschichte. Irving äußert sich über seinen Freund: „[g]erade Du hast durch Deinen tiefen Einblick in das ganze Zeitgeschehen die Verpflichtung, aufklärend zu wirken und mitzuhelfen, den Augiasstall zu säubern, der noch in den Hirnen vieler Deutscher steckt“ (ebd.). Vor dem Haupttext findet sich ebenfalls ein auf den 25. Juli 1945 datiertes Gedicht mit dem Titel „Der Galgen“ von Bert Utsch, welches die Hinrichtung eines Häftlings vor den Augen seiner Mithäftlinge zum Thema hat.


Biografie

Adalbert Utsch (geb. 01.05.1907) kam im November 1943 in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Gründe für seine Verhaftung waren unklar, ihm wurde nicht der Prozess gemacht. Der gebürtig aus München stammende Verfasser hatte sich mit seiner zweiten Ehefrau in Lemberg niedergelassen, wo sie gemeinsam eine Druckerei leiteten. Utsch mutmaßt, dass die Motive für seine Verfolgung sich in seiner zweiten, interkonfessionellen Hochzeit nach der Scheidung von seiner psychisch kranken ersten Ehefrau sowie seiner tiefen Religiosität begründet haben könnten. Über das Gefängnis Montelupich in Krakau, die dortige Gestapo-Behörde, das Breslauer Untersuchungsgefängnis und das Reichsicherheitshauptamt in Berlin, verbrachte man ihn schließlich nach Sachsenhausen. Am 6. Februar 1943 wurde er in das Hausgefängnis des Reichssicherheitshauptamtes Berlin überführt, wo er Besuch von seiner Ehefrau erhielt. Am 5. Dezember 1943 wurde Adalbert Utsch aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen und kehrte nach Lemberg in seine Heimat zurück. Er wurde sofort zum Dienst in der Wehrmacht einberufen, zunächst jedoch wegen seines angegriffenen Gesundheitszustands für ein Vierteljahr zurückgestellt. Obwohl sich sein Zustand nicht änderte, schickte man ihn, nachdem seine Inhaftierung im Konzentrationslager bekannt geworden war, zum Dienst an die vorderste Front unter anderem nach Ungarn. Er wurde bei einem Gefecht verletzt, das Lazarett, in dem er lag, bombardiert. Das Kriegsende erlebte er auf einer militärischen Krankenstation in Tirol.

Quellen

  • „Konzentrationslager Sachsenhausen, Veränderungsmeldung“ – Auszug, 08.02.1943. In: Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, NL 6/84, Bl. 030, 031.
  • Utsch, Bert: Gestapo Häftling 52478. Aus den KZ Oranienburg-Sachsenhausen. Ottobeuren 1945.




Bearbeitet von: Julia Richter