K.Z. Dachau (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel K.Z. Dachau
Autor Theek, Bruno (1891-1990)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945
Titel K.Z. Dachau
Untertitel Erlebnisbericht von Bruno Theek

Erscheinungsort
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Gedruckt von Buchdruckerei Paul Niemann
Publiziert von Theek, Bruno (1891-1990)
Umschlaggestaltung von Karbow, Günther
Illustriert von Karbow, Günther

Umfang 24 Seiten
Abbildungen 4 Bleischnitte

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

Der ostdeutsche Pfarrer Bruno Theek hält nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager in seiner Heimatgemeinde einen Vortrag über die Erlebnisse seiner dreieinhalbjährigen Haft in Dachau. In dem auf diesem Vortrag basierenden gedruckten Bericht nennt er zahlreiche Beispiele extremer Brutalität im Lager, spricht über pseudomedizinische Versuche sowie die Rolle der Kapos und Strafen wie das ‚Baumhängen‘. Einen besonderen Nachdruck legt er auf die „deutsche Schande“ (S. 9) und die Notwendigkeit, SS-Männer zu bestrafen und sie aus der Gesellschaft auszuschließen.

Aus der Ich-Perspektive beginnt Theeks chronologischer Bericht mit den früh einsetzenden Einschüchterungsversuchen durch lokale NS-Vertreter, seiner Verhaftung aufgrund einer Denunziation durch seinen kirchlichen Vorgesetzten und dem zwanzigtägigen Transport ohne Verpflegung und warme Kleidung nach Dachau. Bereits zu Beginn nennt er Namen von Verantwortlichen und Tätern, auch aus seiner Gemeinde; auch die SS-Männer und Ärzte in Dachau sowie deren Vergehen nennt er mit der Absicht anzuklagen und zu dokumentieren. Teilweise verfällt Theek in einen saloppen Stil, wenn er etwa schreibt, dass er aufgrund seiner kritischen Äußerungen zum Ausgang des Krieges „eben reif für D a c h a u “ (S. 4, Hervorhebung im Original) gewesen sei, oder festhält, dass die Häftlinge „natürlich […] wie das Vieh [verreckten]“ (S. 6). Auch Ironie nutzt er als Stilmittel, wenn er beispielsweise von der „große[n] Wohltat“ (S. 10) spricht, im Lager nicht mit ‚Heil Hitler‘ grüßen zu müssen, dem „Zeichen der völligen Verblödung des deutschen Volkes“ (ebd.).

Zwar betont Theek zu Anfang, dass er seine Zuhörer respektive Leser „nicht allzuviel mit solchen widerlichen Szenen, die wir nun täglich erlebten, belästigen“ (S. 5) wolle, jedoch führt er dann brutalste Übergriffe der SS auf die Gefangenen in Dachau auf. Beginnend mit der wiederkehrenden Formulierung „Ich war dabei, als …“ (ebd.) zählt er auf, wie er zum Augenzeugen wird von Amputationen, die von Laien ohne Narkose an Dachauer Häftlingen durchgeführt werden, von Appellen, bei denen in Kälte und Regen die Häftlinge reihenweise sterben, von Kannibalismus aufgrund des extremen Hungers, und von Erschießungen. Die Strafe des ‚Baumhängens‘ ist in dem Bericht nicht nur als Zeichnung dargestellt, sondern Theek beschreibt auch die körperlichen Schmerzen beim ‚Bockschlagen‘ drastisch: „Was übrig blieb, war nichts als Fetzen, nichts als blutendes, rohes Fleisch“ (S. 16). Dabei geht es ihm um die gravierendste Darstellung der Grausamkeit, um den Menschen die Augen zu öffnen. Er betont daher auch, dass dies keine Einzelfälle seien, sondern in den Lagern millionenfach geschah und jeder zum Häftling werden konnte. Dabei wird die Wut deutlich, die Theek über den Tod seiner Mithäftlinge, die er teilweise auch namentlich nennt, verspürt. Er setzt Dachau in den größeren Kontext der Vernichtungslager und berichtet auch von der Vergasung von Kindern in Auschwitz.

Theek schildert seine Erlebnisse in einer emotionalen Weise und stellt seine eigenen Gefühle vielfach als Ausgangspunkt dar, wenn er etwa schreibt, dass Erinnerungen „immer wieder [in ihm] das Blut in Wallung“ (S. 5) bringen. Er bezieht die Leser grundsätzlich an allen Stellen mit ein, nennt Lager, die in der Nähe der Gemeinde existierten, nutzt eine bodenständige, einfache Sprache, um das Verständnis zu sichern und verleiht seinen Aussagen und der Empörung über die Geschehnisse mit zahlreichen Ausrufezeichen Ausdruck. Er bindet seine Leser auch mit Fragen wie „Wissen Sie, was das bedeutet?“ (S. 14) mit ein und appelliert bei der Beschreibung des Stehbunkers an ihre Vorstellungskraft: „Vielleicht malen Sie sich einmal aus, was es bedeutet, bloß 24 Stunden lang so zu stehen, und nun erst fünf Tage!“ (S. 16)

Theek ist in seinem Bericht nie versöhnend, sondern fordert von den Lesern eine klare Distanzierung von den Geschehnissen während des Nationalsozialismus und ruft zu einer sozialen Ausgrenzung von SS-Männern aus der Gesellschaft auf: „Ich kann nur wiederholen: Wer einen SS.-Mann in seiner Familie nicht ächtet, beweist damit, daß er sich mitschuldig macht an dem ungeheuerlichsten Verbrechen, das die Weltgeschichte kennt, das gilt auch für Familien in unserer Stadt!“ (S. 19) Die Ehefrau eines SS-Manns sei auch schuldig, denn „wenn sie […] einen SS.-Mann heiratete, so ist das dasselbe Verbrechen, als selbst SS.-Mann zu sein“ (ebd.). Theek spricht hier sogar von einer ‚Austilgung‘ dieser „Verbrecher ausgesuchter Art“ (ebd.). Abschließend gibt er klare Anweisungen, wie eine Erneuerung der Gesellschaft erzielt werden könne. Hierbei steht für ihn die Umerziehung der Jugend an erster Stelle: „Ich rufe Sie alle auf als Eltern, Erzieher, als vernünftige Menschen: werden Sie nicht müde in diesem Bestreben, mit aller Energie, Tag für Tag ihren Kindern darzustellen, daß Hitler der größte Verbrecher der Weltgeschichte gewesen ist“ (S. 22). Dabei müsse jeder bei sich selbst mit einer „restlos[en] Inventur“ (S. 24) beginnen, denn würden die Deutschen „noch stolz sein können [auf die Soldatenzeit], dann muß ich sagen, dann muß diese Generation erst restlos zugrunde gehen“ (ebd.).

Dem Bericht ist ein Vorwort des Landesbischofs Walter Schultz vorangestellt, in dem dieser betont, dass die „Abkehr vom Urgrund aller Humanität und allen Fortschritts der christlichen Religion“ (o.S.) der Grund für die Brutalitäten der SS-Leute in den Konzentrationslagern war. Die „Abgründe seelischer Verkommenheit“ lassen die „kühnsten Fantasien […] von Schauerromanen weit hinter sich“ (beide Zitate ebd.). Daher sei es die Aufgabe von Theeks Buch, „dem armen betrogenen deutschen Volk die Augen dafür zu öffnen“ (ebd.), dass der Glaube das Gegenstück zur erlebten Barbarei des NS-Systems sei.


Biografie

Bruno Carl Albert Georg Theek (geb. 20.05.1891 in Berlin, gest. 22.03.1990 in Ludwigslust) wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Berlin im Arbeitermilieu nahe Wedding auf. Wegen seiner guten schulischen Leistungen erhielt er ein Stipendium für ein Berliner Gymnasium, das er mit Abitur als Jahrgangsbester abschloss. Schon während der Schulzeit verdiente er Geld mit Nachhilfestunden hinzu und konnte so seine Familie finanziell unterstützen. Dennoch machte Theek Ausgrenzungserfahrungen als Arbeiterkind im bürgerlichen Milieu. Geldknappheit zwang ihn auch dazu, nicht wie geplant Medizin zu studieren, sondern evangelische Theologie. Er trat während seines Studiums in Berlin 1911 der SPD bei; bald wurde er bis zu deren Auflösung Mitglied der USPD. Immer wieder arbeitete er in den Semesterferien auch in Betrieben wie Blohm und Voß in Hamburg, um das Arbeitermilieu kennenzulernen.

Im Ersten Weltkrieg wurde Theek zwar einberufen, aufgrund gesundheitlicher Probleme blieb ihm der Fronteinsatz jedoch erspart. Stattdessen setzte er aus den Heilanstalten seine Prüfungen fort und begann Gottesdienste zu halten, Beerdigungen für andere Pfarrer zu übernehmen sowie als Lehrer in einem Erziehungsheim für höhere Söhne zu arbeiten. Von 1918 bis 1920 wirkte er erstmals als Pfarrer in Sauen, wo er bald den Spitznamen ‚Roter Pfarrer‘ erhielt.

Die Inflation verringerte allerdings das Einkommen als Pfarrer so sehr, dass Theek die Stelle aufgab und sozialpolitisch als Dezernent für soziale Fragen im Wohlfahrts- und Jugendamt des Berliner Magistrats aktiv wurde. Er war auch Reichsvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Kommunalbeamter. 1929 veröffentlichte er aus der Arbeit als Sozialarbeiter heraus seine Schrift „SOS – Jugend am Kreuz“ über soziale Probleme der Großstadtjugend.

In den 1930er Jahren arbeitete Theek wieder als Pfarrer in verschiedenen Gemeinden in Brandenburg und Mecklenburg. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er zunächst mehrfach verhaftet, aber immer wieder entlassen. Theek wurde auch Opfer körperlicher Übergriffe durch die SA und Gestapo des Ortes Satow. Im Oktober 1941 wurde Theek in seiner neuen Gemeinde Ludwigslust wegen ‚Kanzelmissbrauchs‘ und staatsfeindlicher Aussagen festgenommen und von der SS in Schwerin und später in Halle inhaftiert. Am 2. Januar 1942 wurde er in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert und erhielt die Gefangenennummer 28981. Zunächst war er in Block 26/III untergebracht. Am 21. Juli 1942 wurde er mit anderen Geistlichen für wenige Tage auf die Dachauer Plantagen zum Kommando Trockenboden-Gerätehaus überstellt. Theek wurde später wieder, bis zu seiner Entlassung am 3. April 1945, in den sogenannten Pfarrerblock gebracht. Er kehrte Ende April – also noch vor Kriegsende und der Eroberung des Ortes durch amerikanische Truppen – nach Ludwigslust an seine ehemalige Pfarrstelle zurück und wurde von den sowjetischen Besatzern im Juli 1945 zum Bürgermeister des Ortes ernannt; dieses Amt hatte er bis zum 15. September 1947 inne. Da seine erste Frau bereits 1938 verstorben war, hatte sich seine Haushälterin um die drei Kinder gekümmert. Als Pastor wirkte er von 1947 bis 1965 in Ludwigslust. Theek war mit anderen Holocaustüberlebenden vernetzt und engagierte sich mit dem ehemaligen politischen Häftling Willi Bredel beim Aufbau des Kulturbunds in Mecklenburg. Er erhielt verschiedene staatliche Auszeichnungen der DDR, wie die Ehrenspange zum Vaterländischen Verdienstorden in Gold.

Quellen:

  • Häftlingsdatenbank der KZ-Gedenkstätte Dachau.
  • o.A.: „[Lebenslauf]“. In: Theek, Bruno: SOS – Jugend am Kreuz. Rostock 2003, S. 59.
  • o.A.: „Theek, Bruno (1891-1990)“. Online: http://library.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00205/00205k11.htm (Stand: 18.09.2019).
  • Theek, Bruno: Keller, Kanzel und Kaschott. Lebensbericht eines Zeitgenossen. Berlin 1961.
  • Theek, Bruno: „Keller, Kanzel und Kaschott. Lebensbericht eines Zeitgenossen“. In: Spantig, Siegfried (Hg.): Drei Heimatschreiber. Schwerin 2009, S. 109-143.
  • Wendel-Gilliar, Manfred: Das Reich des Todes hat keine Macht auf Erden. Priester und Ordensleute 1933-1945. KZ Dachau. Band II. Roma 2002, S. 70f.


Werkgeschichte

Bruno Theek kehrte nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Dachau im April 1945 in seine Heimatgemeinde zurück, wo er in Anwesenheit mehrerer anderer Überlebender öffentlich von seinen Erlebnissen berichtete. In seinem Buch ist dazu vermerkt: „Die vorliegende Schrift ist ein Vortrag, den der Pastor Bruno Theek aus Ludwigslust am 13. Mai 1945 in einer überfüllten Versammlung über seine persönlichen Erfahrungen 1941–1945 im Konzentrationslager gehalten hat“ (Theek 1945, o.S.). Der Bericht wurde 1945 verlegt und war – wie Theek in seiner Autobiografie 1961 schrieb – „trotz der großen Auflage schon gleich nach Erscheinen restlos vergriffen“ (Theek 1961, S. 135f.). In besagter Biografie geht Theek noch einmal auf die KZ-Haft in Dachau ein. Ähnlich wie in seiner 1945 publizierten Rede berichtet er von den extremen Grausamkeiten im Lager und der Solidarität der Gefangenen untereinander. Er nimmt auch die im Bericht behandelten Themen der pseudomedizinischen Versuche und der Häftlingsstruktur auf. Einzelne Passagen aus der Biografie finden sich weitestgehend wortgleich in dem Buch von 1945 wieder.

Der Bericht wurde 2003 noch einmal – zusammen mit einer Schrift Theeks aus dem Jahr 1929 über die sozialen Probleme Jugendlicher in Berlin – in der Reihe „Das verbrannte Buch“ herausgegeben. Die Bleischnitte von Günther Karbow und das Cover sind darin ebenfalls abgedruckt. Der Text findet sich auch – ohne das Vorwort des Landesbischofs Walter Schultz, aber ansonsten ungekürzt – in dem Lexikon „Das Reich des Todes“ über die in Dachau inhaftierten Pfarrer von Manfred Wendel-Gilliar. In dieser Fassung wurden die Personen, die Theek in seinem Buch von 1945 noch namentlich nennt, anonymisiert.

Quellen:

  • Theek, Bruno: K.Z. Dachau. o.O. 1945.
  • Theek, Bruno: Keller, Kanzel und Kaschott. Lebensbericht eines Zeitgenossen. Berlin 1961, hier besonders S. 133-137.
  • Theek, Bruno: „[Bericht]“. In: Wendel-Gilliar, Manfred (Hg.): Das Reich des Todes hat keine Macht auf Erden. Priester und Ordensleute 1933-1945. KZ Dachau. Band II. Roma 2002, S. 61-70.
  • Theek, Bruno: „Erlebnisbericht KZ Dachau“. In: ders.: SOS – Jugend am Kreuz (=Das verbrannte Buch 7). Rostock 2003, S. 35-58.



Bearbeitet von: Christiane Weber