Mein Herz schlägt weiter (1936)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Mein Herz schlägt weiter
Autor Fechenbach, Felix (1894-1933)
Genre Briefsammlung

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1936, St. Gallen
Titel Mein Herz schlägt weiter

Erscheinungsort St. Gallen
Erscheinungsjahr 1936

Verlegt von Kultur-Verlag
Gedruckt von Genossenschaftsdruckerei Arbon
Publiziert von Fechenbach, Felix (1894-1933)

Herausgegeben von Victor, Walther (1895-1971)
Umfang 63 Seiten
Abbildungen Insgesamt vier Fotografien von Felix Fechenbach, seinen Kindern im Garten und von seinem Portemonnaie

Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)

Zusammenfassung

Nach seiner Inhaftierung im Detmolder Landesgefängnis im März 1933 beginnt der sozialdemokratische Redakteur Felix Fechenbach, Briefe an seine Familie zu verfassen. Diesen legt er kleine Geschichten, Schlaflieder für seine Kinder und Märchen bei. Beides wird – ergänzt um Zitate aus früheren Schriften Fechenbachs aus den 1920er Jahren – nach seiner Ermordung collagenartig zusammengestellt. So soll ein Dokument „eines Menschenherzen[s]“ entstehen, „das die Unmenschlichkeit zertrat. Das aber weiterschlägt für alle, die ein Ohr haben für die Stimme der Menschlichkeit“ (beide Zitate S. 5).

Die undatierten und mit zwei Ausnahmen alle an seine „[l]iebe Irma“ (S. 9) adressierten Briefe müssen die Zensur durchlaufen, was den Inhalt beeinflusst: „Jeder Brief, obwohl ganz, ist so doch nur ein Torso“ (S. 10) lautet das beigefügte Zitat aus einem Buch Fechenbachs von 1925. Aus ihnen allen spricht die Hoffnung Fechenbachs, seine Frau und die Kinder bald wiederzusehen. Dabei glaubt er, als Familienvater und Weltkriegsveteran gute Chancen auf eine baldige Freilassung zu haben.

In seinen Briefen nimmt Fechenbach Anteil am Familienleben, fragt nach dem Wohlergehen und der Entwicklung der Kinder und ermahnt diese bei Fehlverhalten: „Na, na, Lotte, das mußt Du Dir aber abgewöhnen, bis Vati zu Euch kommt“ (S. 35). Fechenbach versucht in seinen Briefen, den Alltag seiner Familie zu organisieren und erinnert an die Bezahlung von Rechnungen oder Dinge, die erledigt werden müssen. Gerade die Sorge um die Familie prägt seine Briefe: „Das Schlimmste an meiner Schutzhaft ist mir, daß unsere Kinder so sehr darunter leiden, daß sie ohne Heim, ohne Vater, ohne einheitliche und stetige Erziehung aufwachsen“ (S. 49). Daher spricht er seiner Frau an vielen Stellen Trost zu und beschreibt oft die Veränderungen in der Natur, beispielsweise das Wachsen verschiedener Blumen, statt den Haftalltag. Immer wieder macht Fechenbach Pläne für die Zeit nach seiner Entlassung. So überlegt er, wo er eine neue Anstellung finden könnte, da die Zeitung, für die er arbeitete, von den Nazis verboten wurde.

Die vielen Besuche von Freunden, deren Namen abgekürzt sind, und Päckchen mit Blumen und Lebensmitteln erleichtern ihm die Haft. Doch die Freunde sind vorsichtig und geben auf den Paketen keinen Absender an: „Daraus schließe ich, daß die Absender fürchten, sie könnten Unannehmlichkeiten haben, wenn man weiß, daß sie mit einem Schutzhaftgefangenen in Verbindung stehen“ (S. 45). Fechenbach spricht auch von seiner bevorstehenden Verlegung in das Konzentrationslager Dachau. Er glaubt, dass in Dachau „wohl, wie ich mir denke, alles straffer und disziplinierter sein [wird] als anderswo“ (S. 52). Er schreibt weiter: „In die neue Umgebung werde ich mich schon hineinfinden. Vor allem werde ich mehr Gesellschaft und frische Luft und Bewegung haben. Das tut gut nach fünf Monaten Zellenhaft“ (S. 56). Ob er die Gefahr der dortigen Haft verkennt, sie aufgrund der Zensur verschweigt oder ob er seine Familie nicht verängstigen möchte, bleibt unklar.

Der letzte Brief endet mit einem Nachtrag nur wenige Stunden vor seinem Tod: „Soeben wird mir mitgeteilt, daß ich heute, den 7. August, abtransportiert werde“ (S. 58). Diesem werden Zitate aus früheren Werken Fechenbachs nachgestellt als Appell an den Leser, weiterhin gegen die nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen zu kämpfen.

Die wöchentlichen Antwortschreiben seiner Frau – für Fechenbach in der Haft „die allergrößte Freude“ (S. 19) – sind nicht erhalten. Jedoch nimmt Fechenbach darauf Bezug und zwischen den Zeilen wird so auch der Alltag der Familie eines Häftlings deutlich: Sie müssen die alte Wohnung aufgeben, denn da Fechenbach Jude ist, erhalten sie keine Arbeitslosenunterstützung. Daher muss seine Frau Irma Arbeit in einem Kinderheim und als Hauspflegerin aufnehmen. Eines der drei Kinder, der älteste Sohn Kurt, muss zudem bei Verwandten untergebracht werden.

Die von Fechenbach in der Haft verfassten literarischen Texte, die den Briefen beigefügt sind, sind vielfältig: So gibt es beispielsweise Märchen und Fabeln über Hasen, die sich auf die aktuellen Entwicklungen in Deutschland beziehen. Neben den Fabeln über Wölfe mit Doppelmoral und hinterlistige Elstern schreibt Fechenbach auch kurze, teils sozialkritische Erzählungen über Menschen aus seiner Kindheit, wie der alten Magd Detta. Allein die Erzählung „Pfingsten im Zuchthaus“ thematisiert die Haft und die dort herrschende Einsamkeit sowie die Verzweiflung. Damit verbunden ist aber auch der Appell, an die „viele[n] hohläugige[n] Gestalten in grau-braunen Kitteln“ (S. 33) hinter Gittern zu denken. Bei den literarischen Erzählungen handelt es sich meist um Texte, die in den Briefen bereits erwähnt werden und oft als Geschenke für seine Kinder gedacht sind. Wie wichtig das Schreiben für Fechenbach als einziger Zeitvertreib in der Zelle war, macht er in seinen Briefen deutlich. So schreibt er etwa über den von ihm in der Haft verfassten Roman „Der Puppenspieler“: „Die Arbeit daran macht mir viel Freude. Die Schreibmaschine bedeutet eine wesentliche Hafterleichterung. Ich bin voller Schaffenslust und fühle mich wohler, seit ich mir diese Aufgabe gestellt habe. Das Nichtstun war zum Verzweifeln“ (S. 47).

Besonders auffällig ist die Anordnung der einzelnen Textteile. Briefe, Fotos, die frühen Zitate Fechenbachs aus seiner ersten Haft in den 1920er Jahren sowie die Märchen und Kurzgeschichten sind nicht hintereinander aufgeführt, sondern aufgeteilt, eingerückt und verschachtelt dargestellt. So gleichen die Seiten dem jüdischen Talmud mit seinen Texten und Kommentaren.

Die Briefe und Erzählungen sind eingerahmt von zwei kurzen Texten über die historischen Ereignisse. So schildert ein unbekannter Verfasser vor dem ersten Brief, wie es zur Verhaftung Fechenbachs im März 1933 kam. Daran anknüpfend wird am Ende von der Ermordung Fechenbachs auf dem Weg nach Dachau berichtet und die Schuld klar der SA zugesprochen.

Dem Buch ist ein Vorwort von Heinrich Mann vorangestellt, in dem dieser deutlich macht, wie sich Deutschland und die Haltung der Deutschen zwischen dem Niederschreiben der Briefe und der Drucklegung verändert haben. Hofft Fechenbach 1933 noch auf einen positiven Ausgang und vertraut dem Rechtsstaat, so konstatiert Mann nur drei Jahre später: "[E]r war einer der Ersten, die es traf, er wußte [es] noch nicht. […] Mitte 1933 schrieb er dies. 1935 hätte er es nicht mehr niedergeschrieben, nicht einmal um des Trostes willen. Jetzt hat man miterlebt und weiß. […] Keiner in Deutschland glaubt an Recht und Gewissen: das ist die wirklich entscheidende Veränderung in jenem Lande“ (S. 3).


Biografie

Felix Fechenbach (geb. 28.02.1894 in Mergentheim, gest. 07.08.1933 in Scherfede) war in den zwanziger Jahren Privatsekretär des bayerischen Ministerpräsident Kurt Eisner. 1922 wurde der Sozialdemokrat als ‚Landesverräter‘ verurteilt und musste eine lange Haftstrafe ableisten. Nach seiner Freilassung trat Fechenbach als Redakteur des Detmolder „Volksblatt“ ab 1928 gegen das Gedankengut der Nationalsozialisten ein und verfasste Glossen mit dem Titel „Nazi Jüsken“, in denen er lokale Nationalsozialisten und ihre Handlungen angriff. Fechenbach, der auch als Redner bei Wahlversammlungen der SPD auftrat, bis ihm dies im März 1933 gerichtlich verboten wurde, wurde schon vor 1933 von den Detmolder NSDAP-Vertretern in Drohbriefen angegriffen, massiv verfolgt und des ‚Landesverrats‘ bezichtigt. Er wurde zum exponierten Gegner der Nationalsozialisten, der in der NS-Presse vorgeführt wurde: „Als Jude, Pazifist, Sozialdemokrat und Kritiker des deutschen Obrigkeitsstaates verkörpert Felix Fechenbach alle Grundsätze, Eigenschaften und Traditionen, die den Nationalsozialisten verhasst sind“ (Gedenkstätte Deutscher Widerstand, o.S.). Fechenbach wurde am 11. März 1933 direkt im Anschluss an die Reichstagswahlen im Detmolder Volkshaus verhaftet. Trotz der Warnungen im Vorfeld, hatte er nur seine Familie nach Augsburg zu den Eltern in Sicherheit gebracht. In seinen Briefen heißt es dazu: „Es ist mir lieb, daß Du Verständnis dafür hast, daß ich im März nicht davongelaufen bin […]. Man mag das dumm nennen. Ich konnte jedenfalls nicht anders handeln. Es wäre ein Treubruch gegen die lippischen Arbeiter gewesen. Ich will lieber die Schutzhaft ertragen, als daß man mich feig und treulos nennen könnte“ (S. 39). Fechenbach galt als „prominente[r] ‚Schutzhäftling‘“ (Hartmann 2005, S. 38) und die lokalen deutschen Zeitungen berichteten über seine Festnahme. Ein halbes Jahr später sollte Fechenbach nach Dachau verlegt werden – er erfährt davon aus der "Lippischen Landeszeitung", die er in Haft lesen darf. Auf dem Weg nach München wird das Transportauto bei Scherfede von einem SA-Kommando angehalten, Fechenbach wird auf eine Waldlichtung gebracht und dort mit 20 Schüssen erschossen. In den offiziellen Schreiben und den NS-Zeitungen hieß es, er sei ‚auf der Flucht erschossen‘ worden. Die Familie Fechenbachs erfuhr von seinem Tod durch eine Radiomeldung. Nur in der Exilpresse – etwa im „Neuen Vorwärts“, mit dem Fechenbachs Frau in Kontakt stand – wurde Fechenbachs Tod als Mord bezeichnet und ihm mit zahlreichen Artikeln gedacht.

Quellen:



Werkgeschichte

Erstmals wurden unter dem Titel „Ein Toter klagt an!“ eine Auswahl der gesammelten Briefe im „Neuen Vorwärts“ vom 1. Oktober 1933 publiziert. Irma Fechenbach, die Ehefrau, hatte die Briefe ihres Mannes an die Redaktion der sozialdemokratischen Exilzeitung in Prag weitergeleitet. Sie wurden im Andenken an Fechenbach publiziert. Die kurzen Geschichten und Fabeln erschienen zudem u.a. im „Pariser Tageblatt“, in der „Pariser Tageszeitung“ und in „Über die Grenzen“.

Die Publikation der Briefe und Geschichten unter dem Titel „Mein Herz schlägt weiter“ 1936 konnte nur in der Schweiz erfolgen. Zeitgleich wurde von Walther Victor das „Felix-Fechenbach-Buch“ herausgegeben. Beides stieß auf eine große Resonanz. Im Anhang der Briefsammlung wird das Buch mit den gesammelten Werken Fechenbachs beworben: „Wer in diesen Briefen aus der Schutzhaft ersehen hat, welcher Mann in Fechenbach als Märtyrer der Arbeiterbewegung dahingegangen ist, der wird auch den Wunsch haben, das gesamte Schaffen Fechenbachs kennen zu lernen. […] Das Fechenbach-Buch gibt aber auch eine vollständige Lebensbeschreibung des Toten, sowie eine genaue, von Dokumenten in Wort und Bild gestützte authentische Darstellung von seiner Ermordung“ (S. 63). Daher werden dezidiert die Mörder Fechenbachs beim Namen genannt.

Fechenbach wird ab 1936 kaum noch in der nicht-sozialistischen Exilpresse erwähnt. Nur die sozialdemokratischen Zeitungen wie der „Neue Vorwärts“ gedenken während des Krieges seines Todestags.

Quellen:

  • Fechenbach, Felix: Mein Herz schlägt weiter. Briefe aus der Schutzhaft von Felix Fechenbach. St. Gallen 1936.
  • Hartmann, Jürgen: „Die Erinnerung an Felix Fechenbach in deutschen Exilzeitungen 1933-1945“. In: Rosenland. Zeitschrift für lippische Geschichte (2005), Nr. 2, S. 38-45.
  • Schueler, Hermann: Auf der Flucht erschossen. Felix Fechenbach 1894-1933. Köln 1981.



Bearbeitet von: Christiane Weber