Menschen am Kreuz (1947)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Menschen am Kreuz
Autor Heilig, Bruno (1888-1968)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1947, Berlin
Titel Menschen am Kreuz

Erscheinungsort Berlin
Erscheinungsjahr 1947
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Auflagenhöhe insgesamt 10.000
Verlegt von Verlag Neues Leben
Gedruckt von Thormann & Goetsch
Publiziert von Heilig, Bruno (1888-1968)

Umfang 264 Seiten
Abbildungen 1 Portraitfotografie von Bruno Heilig
Lizenz Verlagslizenz Nr. 391. 2258/48 – 4519/47

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Der jüdische Journalist Bruno Heilig wird als prominenter Gegner der Nationalsozialisten direkt nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich mit dem ersten Transport in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Im September 1938 wird er mit anderen Häftlingen nach Buchenwald gebracht, wo er sieben Monate bis zu seiner Freilassung bleibt. In seinem zunächst in Großbritannien auf Englisch erschienenen Bericht geht er vor allem auf den Vergleich der beiden Lager und die Entmenschlichung der Häftlinge ein.

Chronologisch beschreibt Heilig den Weg von Wien nach Dachau: Mit zahlreichen anderen ‚Prominenten‘ – hohen österreichischen Politikern, einflussreichen Unternehmern, politischen Funktionären und Publizisten – wird Heilig bereits auf der Zugfahrt nach Dachau Opfer brutaler Gewalt. Die betrunkenen jungen Wachen lachen und schikanieren die Häftlinge bis zur Ankunft, vor allem Menschen mit besonderen körperlichen Merkmalen werden zum Ziel ihrer Quälereien. Alle leiden unter Durst, Hunger und Hitze während des Stehappells, bei dem die Gruppe in Juden und ‚Arier‘ aufgeteilt wird. Die neuankommenden Häftlinge durchlaufen die Aufnahmeprozedur im Schockzustand. Besonders schmerzlich für Heilig ist die ständige Enge in Dachau und dass er niemals allein ist: „Durst habe ich, quälenden, brennenden, schneidenden Durst … und sitzen oder liegen möchte ich, die Augen schließen … Zur Besinnung kommen, damit ich erkenne, ob das alles wahr oder Phantasie ist … ein Traum … ein Schauerfilm … allein möchte ich sein … liegen … nachdenken …“ (S. 20). Überrascht nimmt er die anderen Häftling wahr, die schon länger in Dachau interniert sind: „Die Gefangenen sehen phantastisch aus. Manche wie Papageien. […] Farbige Streifen und Flecke auf den Röcken und den Hosen erhöhen den grotesken Eindruck. […] Es ist wie ein riesiger Faschingszug“ (S. 21). Bereits zu Anfang wird Heilig Zeuge der in Dachau verbreiteten Strafe des Hängens, worauf sich auch der Titel des Buches bezieht. Die „Gekreuzigten“ (S. 28) entsetzen die Neuankömmlinge aus Wien, als sie nach der Strafe an ihnen vorbeigehen: „Ich habe nie zuvor so jammervolle menschliche Gestalten gesehen. Kraftlos schlenkern ihre Arme, die Köpfe sitzen wie verrenkt zwischen den Schultern, und die Beine bewegen sich, als ob sie nicht zu den Körpern gehörten. Als ob diese Menschen aus den Gelenken geraten wären. […] Ihre Gesichter sind aschfahl, ihre Augen starren blicklos“ (S. 29). Doch Heilig hat Glück und wird dem Blockältesten Hermann, einem etwa 20-jährigen politischen Häftling, unterstellt, der sich um die Gruppe kümmert. Er organisiert ihnen das erste Wasser nach 24 Stunden Durst und gibt ihnen viele Erklärungen und Hinweise für ihr Verhalten in Dachau. Am nächsten Tag beginnt für die Gruppe die Zwangsarbeit, welche für die meist nicht an körperliche Arbeit gewöhnten Wiener Intellektuellen nur schwer zu leisten ist. Die Schmerzen, die er genau beschreibt, sind auch für Heilig kaum zu ertragen, obwohl er schon von klein auf an harte Arbeit gewöhnt ist: „Da muß man aufhören, zu denken, Dachau k a n n  doch gar nicht wahr sein … Es ist alles Greuelpropaganda … So etwas gibt es nicht, k a n n  es nicht geben … […] Es gibt kein Dachau […], weil es das nicht geben k a n n  … Es ist alles Greuelpropaganda, was ich hier erlebe … Greuelpropaganda schneidet in meine Schulter … Greuel … Zementblöcke sind Greuelpropaganda … Es gibt ja überhaupt keinen Zement … Alles ist Lüge … Lüge schneidet in mein Fleisch“ (S. 39, Sperrungen im Original). Die Häftlinge leiden unter den „scharfkantigen Steine[n]“ (S. 43) und dem „rasende[n] Tempo“ (ebd.), in dem sie die Arbeit verrichten müssen, denn „[n]icht eine Sekunde, nicht für einen einzigen Atemzug dürfen wir halten“ (S. 44). Besonders die beiden Kapos Sterzer und Zock, zwei ‚Schwerverbrecher‘, quälen die Häftlinge auf das Extremste – als Heilig schließlich Sterzers Kommando zugeordnet wird, glaubt er sterben zu müssen. Nach der Schilderung der Qualen bei der Arbeit wendet sich Heilig dem Lager zu, beschreibt seinen Aufbau, die Häftlingsstruktur, den Tagesablauf und die Strafkompanien. Er hebt dabei die besonderen Schikanen der Wachen, wie das sinn- und funktionslose Umgraben von Erde, und die schweren Strafen beispielsweise für das Vorfinden von kleinsten Brotkrumen in einer Zahnbürste hervor. Auf die Gestaltung der Freizeit geht Heilig ebenso ein: Da viele Journalisten in Dachau inhaftiert sind, treffen sich diese an den freien Sonntagen zu Diskussionsrunden, die Häftlinge singen, machen „Gehirngymnastik“ (S. 130) und praktizieren ihre Religion. Eine drastische Veränderung bringt die Ankunft von 700 neuen Häftlingen aus Österreich, der sogenannten „Wiener ‚Aktionsjuden‘“ (S. 120). Heilig und seine Gruppe gehören nun plötzlich zu den Erfahrenen und nehmen den Wandel deutlich wahr: Da es nicht genügend Arbeit gibt, müssen die Neuen zumeist gar keiner Arbeit nachgehen. Auch wird deutlich, dass die älteren Häftlinge die Überlebensbedingungen realistischer einschätzen können. Als der Herausgeber Hans A. Blum im Gespräch Heilig mitteilt, dass er glaubt, die Zeit im KZ nicht zu überstehen, findet Heilig zunächst keine Worte: „Was soll ich ihm antworten? Ich sehe selbst, daß er es nicht überstehen wird“ (S. 126). Am 22. September 1938 wird Heilig mit 1200 anderen Häftlingen in das KZ Buchenwald verlegt. Das Lager nimmt er nun im Vergleich zu seinen Erfahrungen in Dachau wahr: So sei die Zwangsarbeit weniger schlimm und viele Häftlinge arbeiten langsam ohne dafür bestraft zu werden. Das Nichtarbeiten wird von den Häftlingen sogar als Sabotage gesehen: „Man sabotierte, wo man konnte. Man drückte sich vor der Arbeit, wo es ging, und man machte das, was man machen mußte, so schlecht wie möglich. In Buchenwald war das Nichtarbeiten wunderbar organsiert“ (S. 173). Doch abgesehen von der Arbeitserleichterung ist Buchenwald schlimmer als Dachau, die hygienischen Bedingungen sind sehr viel schlechter, es gibt kein fließendes Wasser und kein Abortsystem. Vor allem da die ‚kriminellen‘ Häftlinge, die sogenannten Berufsverbrecher mit grünen Winkeln, alle wichtigen Positionen im Lager besetzen, ist der Einfluss der politischen Häftlinge weitaus eingeschränkter als in Dachau: „In Buchenwald geschah, im Großen wie im Kleinsten, was die Unterwelt wünschte“ (S. 185). Die Macht der ‚kriminellen‘ Häftlinge habe, so Heilig, auch zu den rege in Buchenwald praktizierten Schmuggeleien und Preistreibereien im illegalen Handel geführt, an denen auch die deutschen Wachen verdienen. Heilig schildert auch den Alltag in Buchenwald und Besonderheiten wie die Nacht, in der das ganze Lager bei Regen und Kälte Strafappell stehen muss. Die Lebensbedingungen im Lager werden mit der Zeit immer schlimmer, auch Heilig erkrankt mehrmals an einer Gesichtsrose und erlebt, wie viele seiner Mithäftlinge sterben. Hilflos fragt er sich: „Wer wird diese Hölle lebend verlassen?“ (S. 211) Episodenhaft schildert Heilig auch etwa die Dichtung des ‚Buchenwaldlieds‘, das alltägliche Sterben, den Bunker als „grausigste Erfindung des Konzentrationslagers“ (S. 238), die Kälte und die Erfrierungen oder das Nicht-mehr-Erkennen von alten Freunden, weil diese sich im KZ stark verändert haben. Die Situation für Juden bessert sich erst, als die Lagerverwaltung gegen die ‚grünen‘ Häftlinge, das heißt die ‚kriminellen‘, vorgeht und deren Postionen mit politischen Häftlingen besetzt: „Die Grüne Herrschaft ist zu Ende“ (S. 243). Im Januar 1939 werden sogar Juden zu Kapos ernannt, was die Häftlinge scherzhaft als „jüdisch[e] Machtergreifung in Buchenwald“ (S. 240) bezeichnen. Heilig betont die Bedeutung der Ehefrauen: „Die Frauen waren die großen Helden dieser schweren Zeiten. Übermenschliches hatten sie zu tragen und zu leisten. […] Wir fragten einander oft, ob wir, die Männer, in der gleichen Lage ebenso tapfer gewesen wären“ (S. 196f.). Auch Heiligs Ehefrau versucht in der Heimat alles, um die Entlassung ihres Mannes zu erwirken. Schließlich gelingt es ihr, Reisedokumente für Shanghai für ihn zu erhalten, und Heilig beginnt auf eine baldige Entlassung zu hoffen. Doch die Pläne zerschlagen sich in den folgenden Tagen, da die Entlassungen wegen zahlreicher Typhuserkrankungen und Kriegsgerüchte eingestellt werden: „Man könnte verrückt werden … Man redet und redet, man kolportiert die dümmsten Gerüchte, man hofft und verzweifelt. Kriegsgerüchte schwirren wieder durch das Lager“ (S. 245). Heilig hat sogar Selbstmordgedanken, die er offen anspricht. Doch schließlich beginnen die Massenentlassungen von 1200 Menschen zu Hitlers 50. Geburtstag. Am 27. April 1939 ist es schließlich auch für Bruno Heilig soweit: Wegen des nahenden Ablegetermins seines Schiffes nach Shanghai – der eigentlich schon verstrichen ist, aber den Heilig dennoch immer wieder vor den Verantwortlichen betont – wird er entlassen und reist per Zug nach Italien. Die letzten Zeilen bejahen die Zukunft: „Wir wollen ‚ja‘ zum Leben sagen, / Denn einmal kommt der Tag, da sind wir frei“ (S. 264), singen Heilig und die anderen Entlassenen.

Ein immer wiederkehrendes Thema des Berichts sind vor allem die Mithäftlinge: Heilig nennt Titel und Funktionen der zahlreichen anderen ‚Prominenten‘ und schildert ausführlich auch deren Schicksal. In Fußnoten beschreibt Heilig nachträglich, was mit den Menschen nach seiner Entlassung geschehen ist. Neben dieser Gruppe richtet er den Fokus vor allem auf die Arbeit der politischen Häftlinge. So schildert Heilig, wie er und andere Österreicher von politischen Häftlingen unterstützt werden, ohne dass diese sie persönlich kennen. Außerdem organisieren sich die ‚Politischen‘ gegen Denunzianten, richten eine Wohlfahrtskasse ein, in die jeder, der eine Geldsendung erhält, zehn Prozent einzahlt und sie warnen sich gegenseitig vor Gefahren – kurz: Sie folgen einem „eigenen Ehrenkodex“ (S. 102), der sogar den Wachen und SS-Männern Respekt abnötige, so Heilig. Auch sprachlich wahrt der Autor diese Einheit der politischen Häftlinge gegen die SS und ‚kriminellen‘ Häftlinge, wenn er etwa während einer Prügelstrafe für einen jungen Mann schreibt: „Halt‘ durch, Bruder, du leidest für uns alle, du bist ein Held für uns alle“ (S. 86). Der Zusammenhalt der Häftlinge schließt in Dachau auch Juden mit ein: „Das Verhältnis zwischen den jüdischen und den nichtjüdischen Gefangenen war herzlich. Unter den Gefangenen gab es keinen Antisemitismus. Im Konzentrationslager gab es nur Kameraden“ (S. 97). Dies gilt auch in Buchenwald, wo Heilig einem der wenigen guten Kapos die Worte in den Mund legt: „Die Juden sind unsere Brüder, und hier im Lager sind sie noch mehr, unsere Kameraden!“ (S. 187) Durch ihre Einheit setzen die Häftlinge ein Zeichen gegen die Entmenschlichung im Lager, wie Heilig sehr positiv hervorhebt. Erst das Attentat auf den Botschaftsgesandten vom Rath in Paris verschärft die Situation für die jüdischen Häftlinge und sie erleben antisemitische Reden von Mithäftlingen wie: „Aber ihr habt euch das selber zuzuschreiben. Wir Arier können uns nicht widerstandslos ausrotten lassen. Ihr tut mir leid, aber ich kann euch nicht helfen“ (S. 197). In den Tagen nach dem Attentat werden die Juden zu Opfern zunehmender Gewalt und Schikanen. Dennoch zeigen sich viele nichtjüdische Häftlinge weiterhin solidarisch mit den Juden in Buchenwald und teilen selbstlos ihr Essen mit ihnen, als ihnen die Brotration wegen des Attentats gekürzt wird. Schließlich werden die während der Reichpogromnacht verhafteten jüdischen Männer, darunter auch ein 14-jähiger Junge, eingeliefert, deren Lebensbedingungen in Buchenwald besonders schlecht sind. Heilig und seine Kameraden durchschauen, dass die nationalsozialistische Regierung den Mord an vom Rath als Vorwand für die Verhaftungen nutzt.

Im Zentrum der Erinnerungen steht die Entmenschlichung der Häftlinge im Konzentrationslager: „Ich habe selbst auf Grund von Berichten entlassener Gefangener eine Anzahl Artikel über Dachau geschrieben, aber ich habe es mir doch nicht richtig vorstellen können. Die Leute haben immer nur von Mißhandlungen und Erschießungen erzählt, aber da ist doch noch vieles andere … Die Erniedrigung des Menschen, der hier völlig aufhört, ein Mensch zu sein, der zu einem wertlosen Gegenstand wird, der das primitive Recht verliert, seine Glieder zu bewegen, der immer geradeaus starren muß, der nicht schlafen darf, dem es nicht weh tun darf, wenn er geschlagen wird“ (S. 22). Heilig versucht sich immer wieder seiner eigenen Menschlichkeit zu vergewissern und sucht nach Momenten der Selbstbestimmung. Diese findet er beispielsweise in der Nacht: „Ich liege da mit entspannten Muskeln. Ich mache nichts als ruhen. Ich ziehe meine Knie hoch weil ich Lust dazu habe. Im Bett bin ich König. Ich bin ein Mensch. […] Hier im Bett darf ich alles, im Bett dürfen mir auch Tränen in die Augen schießen. Im Bett bin ich – ich“ (S. 80). Auch an anderen Stellen reflektiert er die Lagerhaft. In diesen Passagen abstrahiert und bewertet Heilig ausführlich, so heißt es etwa: „Es war ein Leben voll von Gegensätzen, dieses Leben im Konzentrationslager. Manches war wie draußen, und doch war alles so unwirklich. [...] Wir lebten im Unwirklichen. Das Unwirkliche war unsere Wirklichkeit“ (S. 96). Viele Passagen überraschen dabei in ihren auf den ersten Blick paradoxen Formulierungen, wie zum Beispiel: „Wenn der Schutzhaftgefangene das Konzentrationslager verläßt, hat er tausend Tode hinter sich, ist er tausendmal ermordet worden“ (S. 99).

Die Erinnerungen gleichen im Stil oft einem Roman: Die Personen werden ausgiebig vorgestellt, als Zeitform wird das Präsens genutzt und Dialoge sind das hauptsächliche Stilelement. Der Ich-Erzähler bindet den Leser durch häufige Fragen eng an das Geschehen. So kann der Leser die Gedanken der Häftlinge im Moment des Geschehens nachvollziehen, wenn es etwa heißt: „Wie lange werden wir noch stehen? Werden wir hier erstarren? Was wird sein, wenn sie uns die ganze Nacht stehen lassen?“ (S. 26f.) Besonders häufig nutzt Heilig Punkte, um Assoziationen, Gedankensprünge und Denkpausen darzustellen. Dadurch werden einzelne Stellen zu einer Art Bewusstseinsstrom, wenn er zum Beispiel einen Moment beschreibt, in dem er glaubt, bei der Arbeit zu sterben: „Es wird nicht mehr lange dauern … die Kräfte verlassen mich … die Sinne schwinden mir … meine Arme schaufeln noch … sie schaufeln … […] ein Wolf glotzt mich an … ich sehe nur mehr zwei schreckliche Augen … meine Hände krampfen sich um die Schaufel“ (S. 63). Stilistisch ändert sich die Schreibweise Heiligs nach der Ankunft weiterer Wiener Juden in Dachau: Ab diesem Punkt wirkt sein Text weniger flüssig und er springt zwischen den Themen hin und her als seien es Notizen in einem Tagebuch, bis er schließlich im zweiten Teil über Buchenwald zu seiner eigentlichen Erzählweise zurückkehrt. Besonders einprägsam ist die Schilderung eines Strafappells kurz vor Weihnachten 1938 über mehr als fünf Seiten, in denen die erzählte Zeit fast identisch mit der erzählenden Zeit ist. Die Ereignisse werden fast minutiös wiedergegeben: „Der Zeiger auf der Uhr am Gebäude der Kommandantur springt von Strich zu Strich, greift von Ziffer zu Ziffer. Fünf Uhr … viertel sechs … halb sechs […]. Suchkommandos sind ausgeschickt worden. Der Zeiger auf der Uhr kriecht apathisch seine ewige Runde. Im Lautsprecher knackt es. Haben sie ihn? […] Wir stampfen. Der Kamerad hinter mir fällt um. Er wird aufgehoben, seine Nebenmänner stützen ihn“ (S. 227f.).

Heilig hat sich schon während seiner Haft bewusst dafür entschieden, über die Zeit in Dachau und Buchenwald zu schreiben. So gibt er ein Gespräch mit einem Mithäftling wieder, in dem die beiden darüber diskutieren, dass ihren Texten sicher nur wenig Glauben geschenkt wird, sie aber dennoch schreiben müssen: „Du hast recht, schweigen darf man nicht. Man muß es der Welt so oft und so eindringlich und so mit allen Einzelheiten erzählen, daß sie es endlich doch glaubt“ (S. 60f.). Dafür müsse man sich alles merken: „Man will sich alles einprägen, was hier geschieht. […] Andere tun es bewußt für später. Jeder Schutzhäftling wird so zu einem lebenden Tagebuch“ (S. 60). Um die Frage des Schreibens über Holocausterfahrungen drehen sich die Gedanken Heiligs auch an anderer Stelle: „Könnte ich es überhaupt? Kann man das beschreiben? Darf man das beschreiben?  D a r f man Menschen zumuten, das zu lesen? Sie haben recht, wenn sie es nicht glauben. Wer hat die Nerven, so etwas zu glauben? Wenn man das liest,  m u ß man sich einreden, daß es nicht wahr ist … Man könnte sonst keine Nacht mehr schlafen“ (S. 63, Hervorhebung im Original).


Biografie

Bruno Heilig (geb. 26.04.1888 Hohenau in Niederösterreich, gest. 23.07.1968 in Berlin) wurde als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren und studierte nach seinem Abitur an einem humanistischen Gymnasium ab 1908 Jura in Wien. Während des Ersten Weltkriegs diente Heilig, der bis Kriegsbeginn als Journalist einer ungarischen Nachrichtenagentur gearbeitet hatte, in einem Telegrafen-Regiment der ungarischen Armee. Nach Kriegsende kehrte er in seinen bürgerlichen Beruf zurück und schrieb über Außenpolitik für die Budapester Zeitung „Pesti Napló“ sowie für die „Vossische Zeitung“. Nach seiner Ausweisung aus Ungarn wegen kritischer Artikel zog er im November 1928 nach Berlin, wo er für den Ullstein Verlag und als Korrespondent für eine Wiener und Prager Zeitung arbeitete. Um einer Verhaftung durch die Nationalsozialisten zuvorzukommen, musste Heilig im September 1933 nach Wien fliehen. Dort schrieb er erfolgreich für verschiedene österreichische Zeitung, darunter „Der Morgen“, „Der Wiener Tag“ und „Die Stimme“, eine jüdische Zeitung, und für die britische „Jewish Chronicle“. Am 15. März 1938 wurde er von der Gestapo in seiner Wohnung verhaftet und von Wien aus in einem der ersten Transporte als prominenter politischer Gegner in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Neben seinen journalistischen Arbeiten sei ein anderer Grund gewesen – so Heilig im Fragebogen des Hauptausschusses „Opfer des Faschismus“ aus dem Mai 1945 –, dass er als Korrespondent Informationen ins Ausland gebracht, in Österreich Neuigkeiten an Kommunisten vor Ort weitergegeben und geheime Berichte des Präsidenten der Jüdischen Gemeinden von Deutschland an Journalisten in Wien verteilte hatte. In Dachau wurde Heilig am 2. April 1938 als Neuzugang geführt und erhielt die Häftlingsnummer 13870. Am 22. September 1938 wurde er nach Buchenwald verlegt, wo er als Häftling Nummer 8221 geführt wurde. Heilig wurde am 27. April 1939 entlassen, da seine Frau eine Schiffspassage nach Shanghai hatte organisiert können, die er später jedoch nicht antreten konnte. Doch die Unterlagen ermöglichten die Freilassung aus Buchenwald. Mit Hilfe und finanzieller Unterstützung des „Jewish Chronicle“ emigrierte er im August 1939 nach England, wo er 1940 für drei Monate als ‚enemy alien‘ in einem Lager auf der Isle of Man interniert wurde. Dort arbeitete er an der Lagerzeitung „Mooragh Times“ mit. Seine Frau und einer seiner Söhne konnten nicht mehr rechtzeitig vor Kriegsausbruch ausreisen. Nach seiner Entlassung verfasste er, basierend auf seinen Erfahrungen im nationalsozialistischen Deutschland und in den Konzentrationslagern, 1941 das Buch „Men crucified“, welches mehrere Auflagen in verschiedenen Verlagen erfuhr und nach Kriegsende ins Deutsche, Tschechische und Slowakische übersetzt wurde. Neben der journalistischen Tätigkeit – die durch seine fehlenden englischen Sprachkenntnisse erschwert wurde – begann Heilig nach seiner Schlosserlehre 1941 als Dreher und Werkzeugmacher in kriegswichtigen Betrieben zu arbeiten. Politisch aktiv blieb er in seiner Zeit im britischen Exil auf verschiedenen Ebenen, so engagierte er sich unter anderem im „Free Austrian Movement“. Er veröffentlichte zudem Artikel in Exilzeitungen wie dem „Aufbau“ und schrieb für „Die Zeitung“, die in London auf Deutsch erschien. Andere wirtschaftspolitische Artikel wurden für englischsprachige Zeitungen wie „Land and Liberty“ vermutlich übersetzt, obgleich Heilig eigenen Angaben nach in Dachau bereits begonnen hatte Englisch zu lernen. Im Juni 1944 wechselte Heilig in das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte (SHAEF), wo er Flugblätter, Radiosendungen und weitere Schriften verfasste. Bis zum Sommer 1946 arbeitete Heilig dann für die Deutsche Allgemeine Nachrichtenagentur (DANA) in der amerikanischen Besatzungszone, wo er junge deutsche Journalisten ausbildete. Von August 1946 bis April 1947 war er dann an der Zusammenstellung des Archivmaterials für die Nürnberger Prozesse beteiligt. Im Oktober 1947 kehrte Heilig nach (Ost-)Berlin zurück und da er bereits in England im kommunistischen Diskussionsforum „Austria of Tomorrow“ aktiv war, trat er in die SED ein. Heilig war Chefredakteur und Leiter des Ressorts Außenpolitik von „Deutschlands Stimme“, bis er 1952 aus politischen Gründen seine Stellung aufgeben musste. Heilig meldete sich nach dem Krieg immer wieder mit seinen Analysen zu Wort – neben seinen Zeitungsartikeln auch im Rundfunk. Ein weiteres Betätigungsfeld von Bruno Heilig war – neben der Schriftstellerei – das Übersetzen von ungarischer Literatur ins Deutsche, darunter auch Berichte von ungarischen Holocaustüberlebenden. Er gilt als „wichtiger Mittler der ungar[ischen] Lit[eratur] in der DDR“ (Barth, o.S.) und erhielt 1960 eine Gedenkmedaille des ungarischen PEN-Clubs.

Quellen:

  • Barth, Bernd-Rainer: „Heilig, Bruno“. In: Biographische Datenbank der Bundesstiftung Aufarbeitung. Online: http://bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3B-1424.html?ID=1294 (Stand: 11.09.2019).
  • Heilig, Bruno: Men crucified. Eyre & Spottiswoode. London 1941.
  • Heilig, Bruno: Menschen am Kreuz. Berlin 1947.
  • Heilig, Bruno: Dlouhý pochod. Státní Nakl. Dětské Knihy. Prag 1953.
  • Heilig, Bruno: Dlhý pochod. Slovenské Nakl. Detskej Knihy. Bratislava 1954.
  • „Fragebogen und Lebenslauf“. In: Landesarchiv Berlin, C Rep. 118-01, Signatur 13707, o. Bl.
  • o.A.: „Heilig, Bruno“. In: Österreichische Nationalbibliothek (Hg.): Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft 18. bis 20. Jahrhundert. Bd. 1. München 2002, S. 518.
  • Reiter, Andrea: „Die autobiographischen Berichte ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge im Englischen Exil. Bruno Heilig, Ella Lingens, Kitty Hart“. In: Zeitgeschichte (1992), Nr. 19, H. 5/6, S. 172-186.
  • Reiter, Andrea: „Auf dass sie entsteigen der Dunkelheit“. Die literarische Bewältigung von KZ-Erfahrungen. Wien 1995, S. 278.
  • Unbekannter Autor: „Bruno Heilig“. In: Bruno Heilig: Menschen am Kreuz. Dachau – Buchenwald. Hg. von Richard Pils. Weitra 2002, S. 261-264.


Werkgeschichte

Bruno Heilig erreichte 1941 nach seiner Flucht aus Deutschland Großbritannien, wo er das deutsche Manuskript für „Menschen am Kreuz“ verfasste. Im Vorwort der deutschen Ausgabe betont er die Authentizität der geschilderten Szenen, jedoch habe er alles erst nach seiner Befreiung niederschreiben können: „Es war nicht erlaubt, aus dem Konzentrationslager irgend etwas Schriftliches mitzunehmen, so daß ich aus dem Gedächtnis schreiben mußte“ (o.S.). Allerdings habe er seinen Text vor der Drucklegung anderen ehemaligen Häftlingen zur Prüfung gegeben. Von diesen „Kameraden“ (ebd.) nahm er nicht nur Korrekturen an, sondern vor allem auch deren Erlebnisse in den Text selbst auf. So stammen die Episoden über die Arbeit der politischen Häftlinge, die sich erst nach Heiligs Entlassung ereignet haben, von Walter Bartel. Diese Passagen sind allerdings nicht besonders gekennzeichnet.

Die Erinnerungen erschienen zunächst im Juli 1941 auf Englisch in Großbritannien unter dem Titel „Men crucified“; von wem die Übersetzung des deutschen Originalmanuskripts stammt, ist nicht bekannt und wurde auch nicht im Buch selbst vermerkt. Der Titel wird in Großbritannien ein großer Erfolg: Innerhalb weniger Monate erschienen insgesamt drei Auflagen. In seinem Vorwort schrieb Heilig über die Unterschiede zwischen der englisch- und deutschsprachigen Fassung: Die deutsche Ausgabe „unterscheidet sich nur unwesentlich von der englischen Ausgabe. Einzelheiten, die in England weniger interessiert hätten, fehlten in der Übersetzung, während Erklärungen gewisser Stellen, die ohne sie in England nicht verstanden worden wären, aus der deutschen Ausgabe als überflüssig weggelassen wurden“ (Heilig 1947, o.S.). Um dem englischen Lesepublikum die Schilderungen verständlicher zu machen, erklärt Heilig in zahlreichen Fußnoten Begriffe wie ‚SS‘ oder Verhaltensmuster im Lager; militärische Titel und Anreden sowie Begriffe der Lagersprache wie ‚Kommandantur‘ werden auf Deutsch wiedergegeben. Die Fußnoten zum Schicksal einiger Personen finden sich ebenfalls in beiden Ausgaben, nur beinhalten sie oft – trotz gleicher Kernaussagen – verschiedene Informationen. Allerdings gibt es – im Gegensatz zu Heiligs Aussage im Vorwort – größere inhaltliche Unterschiede zwischen den Ausgaben, teilweise fehlen ganze Passagen, die in der jeweils anderen enthalten sind. Auch stimmen die Kapiteleinteilungen nicht überein und die in der deutschen Fassung aneinandergereihten Erinnerungssplitter sind in der englischen Fassung durch Unterteilungen voneinander getrennt. Allen voran unterscheidet sich die Wahl des Tempus: Die englische Ausgabe ist in Vergangenheitsform gehalten, während die deutsche im Präsens geschrieben worden ist. Als Illustration wird in der englischen Fassung eine Fotografie von Häftlingen eines nicht näher genannten KZ nahe Berlin abgedruckt.

Die englische Fassung wurde von den Kritikern in circa dreißig Rezensionen unter anderem im „Daily Express“, „The Scotsman“ und dem „Sheffield Telegraph“ sehr positiv aufgenommen (vgl. Heilig 2002, S. 263f.). Das einflussreiche „Times Literary Supplement“ berichtete ebenfalls über das Buch. In allen Kritiken wurde der nüchtern-authentische Ton Heiligs gelobt, der dennoch die Schrecken der KZ-Haft nachvollziehbar mache. Interessanterweise, so hebt Andrea Reiter in ihrem Aufsatz über Bruno Heilig hervor, betont der Rezensent des „Times Literary Supplement“ bereits im Juli 1941 die Neuartigkeit der Informationen, die selbst für ein Lesepublikum, das glaubt, bereits alles über die Geschehnisse in Deutschland zu wissen, „die Lektüre einer weiteren Publikation über das Thema […] rechtfertig[e]“ (Reiter 1992, S. 181). Im „Jewish Chronicle“ wird der Bericht über das Buch mit dem Aufruf verbunden, weiter vehement gegen Hitler zu kämpfen.

Nach seinem Umzug nach Berlin verlegte Heilig 1947 – in anderen Quellen heißt es 1948 – sein Buch erstmals auf Deutsch im Verlag Neues Leben. Dieser Verlag war 1946 neugegründet worden und wurde später zum führenden Jugendbuchverlag der DDR. Heiligs eigenen Angaben nach erlaubten „Schwierigkeiten des Verlags“ (Reiter 1992, S. 180) keine weiteren Exemplare als die zu Anfang gedruckten 10.000 Stück. Nach dieser einmaligen Veröffentlichung wurde das Buch lange vergessen: Erst 2002 erschien eine Neuausgabe in Österreich, die um eine Biografie Bruno Heiligs und einem Nachwort seines Sohnes Gerhard erweitert wurde.

Quellen:

  • Heilig, Bruno: „Vorwort zur deutschen Ausgabe“. In: ders.: Menschen am Kreuz. Berlin 1947, o.S.
  • Heilig, Bruno: Menschen am Kreuz. Dachau - Buchenwald. Hg. von Richard Pils. Weitra 2002.
  • Heilig, Bruno: Men crucified. London 1941.
  • Reiter, Andrea: „Die autobiographischen Berichte ehemaliger Konzentrationslagerhäftlinge im Englischen Exil. Bruno Heilig, Ella Lingens, Kitty Hart“. In: Zeitgeschichte 19 (1992), Nr. 5/6, S. 172-186.



Bearbeitet von: Christiane Weber