Der Reisepass (1937)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Der Reisepass
Autor Frank, Bruno (1887-1945)
Genre Roman

Ausgaben des Werks

Frank-Reisepass-1937.jpg
Ausgabe von 1937, Amsterdam
Titel Der Reisepass

Erscheinungsort Amsterdam
Erscheinungsjahr 1937

Verlegt von Querido Verlag N.V.
Gedruckt von N.V. Drukkerij G. J. Thieme
Publiziert von Frank, Bruno (1887-1945)
Umschlaggestaltung von Denneboom

Umfang 363 Seiten

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
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Zusammenfassung

Der Roman „Der Reisepass“ beschreibt den durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten ausgelösten Wandel in der adeligen und akademischen Bevölkerungsschicht Deutschlands. Der 27-jährige Ludwig Prinz von Sachsen-Camburg soll von führenden Eliten zum Gesicht einer Widerstandsbewegung gemacht werden. Nach dem Scheitern der Pläne gelingt ihm die Emigration nach London. Die Schilderung seines Lebens im Exil wird zu einem weiteren Hauptthema des Romans.

Ludwig wächst privilegiert in einer alten Adelsfamilie auf einem thüringischen Schloss auf; seine Familie wird trotz der Entmachtung nach dem Ersten Weltkrieg von den Dorfbewohnern geachtet und Ludwig kennt keine Ressentiments. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte widmet er sich einem vergeistigten Leben in Berlin. Dabei blendet er die gesellschaftlichen Veränderungen nicht bewusst aus, sondern ist in seiner akademischen Welt nur wenig davon betroffen, denn in den Bibliotheken, in denen er arbeitet, geht „es so ordentlich zu […] wie eh und je“ (S. 77). Die Berliner Aristokratie im Allgemeinen nimmt die Veränderungen in ihrer ganzen Tragweite auch nicht wahr: „Man ignorierte sie. Man bagatellisierte, was geschah“ (S. 79). Das großbürgerliche Judentum handelt ebenfalls nicht und sympathisiert sogar in einigen Punkten mit den Nationalsozialisten. Ludwig wird erst aktiv, als sein ehemaliger Hauslehrer Otto Steiger – der schon immer einen „wirklichen Fürsten“ (S. 27) in ihm gesehen hat – ihn auffordert, Teil einer Widerstandsbewegung zu werden. Eliten aus dem Militär, der Universität, der Kirche, dem Adel und hohe Beamte planen den Umsturz in der thüringischen Heimat, der dann auf den Rest Deutschlands übergreifen soll. Ludwig soll nach einem Erfolg der neue Kaiser Deutschlands werden. Jedoch werden die Verschwörer durch die Dresdener SS entdeckt und verhaftet. Ludwig wird allerdings nicht, wie er fest angenommen hat, hingerichtet, sondern an die tschechoslowakische Grenze gebracht und des Landes verwiesen. Er flieht nach Prag zu seinem Doktorvater Geheimrat Johannes Rotteck. Dort lernt er auch den jüdischen Intellektuellen Leo Breisach kennen, der eine bekannte Exilzeitung herausgibt. Er spricht mit Ludwig über die Arbeit im journalistischen Widerstand und informiert ihn über die Konzentrationslager in Deutschland. Sein moralisches Gewissen lässt Ludwig nicht zur Ruhe kommen und er kehrt mit einem gefälschten Ausweis nach Deutschland zurück, um die sieben Mitverschwörer zu retten. Er erfährt, dass sechs von ihnen bereits wieder – meist durch ihre guten Kontakte zu einflussreichen Kreisen – in Freiheit sind. Die riskante Rettung seines Hauslehrers aus dem fiktiven Konzentrationslager Ginnheim bei Frankfurt gelingt ihm mit Hilfe des Arbeiters Martis, der zuvor Chauffeur des alten Familienfreunds Jacques Wetzlar war. Steiger und Ludwig fliehen über Luxemburg nach Ostende. Dort glückt ihnen wider Erwarten die Flucht nach Großbritannien: Mit einem alten Familienerbstück, dem grünen Smaragd, den Ludwig von seiner Mutter erhalten hat, beweist er einem zufällig vorbeikommenden Verwandten aus dem englischen Adel, wer er ist. Der Onkel kann ihn und Steiger auch ohne Ausweise in seinem Gefolge mit auf die Fähre nehmen. In London angekommen integrieren sich die beiden durch die finanzielle Unterstützung einer jüdischen Fürsorgeorganisation rasch: Der durch die Haft seelisch und körperlich geschwächte Steiger versteht sich immer mehr als Diener Ludwigs, während dieser beginnt, als Privatlehrer zu arbeiten. Auch kann sich Ludwig erneut geistig und kulturell betätigen, wird in die Londoner Gesellschaft aufgenommen und blüht beim Schreiben seiner Doktorarbeit über den Maler der Moderne Francisco de Goya wieder auf. In der Bibliothek des Britischen Museums trifft er Ruth, die Tochter von Jacques Wetzlar, die er noch aus Kindertagen kennt, und verliebt sich heftig in sie. Nur langsam fasst das traumatisierte Mädchen, das nach der Entrechtung und dem Tod des Vaters aus Deutschland fliehen musste, Vertrauen zu ihm. Ludwig bemerkt, dass sie „wund war an ganzer Seele“ (S. 320) und kümmert sich aufopfernd um sie: „Sie hatte, wie Rotteck, wie Steiger, innerlich nicht standhalten können, niemand konnte sagen, ob die Wunde heilbar sei“ (S. 331). Dennoch finden die beiden zueinander und Ruths Rückkehr aus der Kur, die Ludwig mit dem Verkauf des Familienjuwels finanziert, kann ihn über die Mitteilung von Rottecks Tod während einer Überfahrt in die USA trösten.

Eine wichtige Nebenhandlung stellt Ludwigs Beziehung zu seinem berühmten Doktorvater Johannes Rotteck dar, der ihn während seines Studiums stark prägt. Durch ihn wird Kunst für Ludwig zu „Daseinsextrakt, Aufschrei, Trost und Nahrung“ (S. 48). Da sich Rotteck gegen die nationalsozialistische Universitätspolitik stellt, wird er nur drei Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten entlassen und muss verarmt im Prager Exil leben. Bewusst die Umstände negierend, arbeitet er dort vereinsamt und resigniert an seinem Hauptwerk. Als Ludwig das Ehepaar Rotteck nach seiner Flucht in Prag trifft, beginnt er eine Affäre mit Rottecks Frau Susanna, zu der er sich schon in Studienzeiten stark sexuell hingezogen fühlte. Sein schlechtes Gewissen über diesen Vertrauensbruch beschleunigt seine Abreise. Erst in London trifft er Rottecks Frau wieder, doch hat sie nicht mehr dieselbe erotische Wirkung auf ihn wie zuvor.

Das Schicksal der Juden im nationalsozialistischen Deutschland skizziert Frank an der Figur des jüdischen Antiquitätenhändlers Jacques Wetzlar aus Frankfurt. Er gehört seit den Kindertagen der Prinzen zum Freundeskreis der Familie. Wetzlar steht für den Typus des wohlhabenden und intellektuellen Juden, der durch seinen „unverholen jüdische[n] Tonfall“ (S. 35) auch als solcher zu erkennen ist. Obwohl sich Rotteck, wie viele andere jüdische Deutsche, durch seine gesellschaftliche Stellung, die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und durch seine kulturelle Assimilation sicher fühlt, wird auch er zum Opfer der Nationalsozialisten: Seine Wohnung wird beschlagnahmt, sein Laden zerstört und seine Tochter muss ihre Doktorarbeit abbrechen, da sie nicht mehr die Universität besuchen darf. Schließlich wird er verhaftet, weil er ein ‚arisches‘ Mädchen als Haushaltshilfe beschäftigt und begeht in der Haft Selbstmord.

Dass auch Adlige den Nationalsozialismus nutzen, um Karriere zu machen, wird an Ludwigs älterem Bruder August deutlich. Dieser fungiert als Gegenentwurf: Er ist kein vergeistigter Kulturmensch wie Ludwig, sondern roh und impulsiv. Er begeistert sich für die nationalsozialistische Sache, während Ludwig „derartiges Pöbel-Rülpsen“ (S. 37) abstößt. Trotz der Entfremdung zwischen den Brüdern versucht August immer wieder, Ludwig auf seine Seite zu ziehen. Er warnt ihn vor der Gefahr: „Man nimmt oben Anstoß an Deinem Umgang. Äußerungen von Dir sind bekannt geworden. Man legt Dir nahe, solange es noch Zeit ist, zu erwachen“ (S. 61). Letztendlich bewahrt August nur die Beerdigung des Vaters davor, Opfer der Morde im Rahmen des Röhm-Putsches am 30. Juni 1934 zu werden. Er muss auf Führerbefehl fortan unter Hausarrest leben.

Der Roman ist in einem klassischen Stil ohne moderne Formexperimente geschrieben: Die Geschichte um Ludwig wird chronologisch von einem auktorialen Erzähler wiedergegeben, der seine Gedanken reflektiert. Nur die dem eigentlichen Beginn des Romans vorangestellte Episode unterbricht die Chronologie. Der Leser erfährt zunächst, wie Ludwig an der tschechoslowakischen Grenze geschwächt in ein Gasthaus einkehrt. Erst dann beginnt mit der Kindheit Ludwigs die chronologische Handlung. Sprachlich ist der Roman an einem akademischen Lesepublikum ausgerichtet. Oft werden Fremdwörter, fremdsprachliche Ausdrücke oder historische Zusammenhänge ohne Erklärung verwendet. Viele Schilderungen sind sehr ausführlich, etwa wenn die geliebte Münzsammlung des Vaters oder die Stadtspaziergänge in Prag und London beschrieben werden. Auch Figuren und ihre Beziehungen zueinander werden ausgiebig und adjektivreich beschrieben. Demgegenüber stehen die stakkatoartigen, atemlos assoziierten und wortgewaltigen Kommentare über die NS-Politik. Auffallend ist dabei, dass die nationalsozialistische Politik immer durch schlechte Gerüche beschrieben wird: Die NS-Bewegung pfeift „aus ihrem letzten stinkenden Loche“ (S. 58), Ludwig „spürte nur den Gestank“ (S. 66) der NS-begeisterten Studenten und die Träger der „scheißbraunen Hemd[en]“ haben nur „Jauche im Hirn“ (beide Zitate S. 223). In diesen Passagen nimmt der Erzähler durch deutliche Worte eine klare Position gegen das Vorgehen der Nationalsozialisten ein: „Das Gesindel hatte die Gasse frei. Es wurde geraubt, gemordet, zu Tode geprügelt“ (S. 65). Diese Passagen wirken umso deutlicher, da sie sich stark von den ansonsten dominierenden intellektuellen und feingeistigen Schilderungen absetzen.


Biografie

Bruno Sebald Frank (geb. 13.06.1887 in Stuttgart, gest. 20.06.1945 in Beverly Hills/Kalifornien) wuchs als ältester Sohn eines jüdischen Bankiers in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Er studierte Jura unter anderem in Tübingen, Straßburg und Heidelberg, promovierte 1912 aber in der Literaturwissenschaft. Sein finanzieller Hintergrund erlaubte es ihm, nach dem Studium zunächst zu reisen, bis er als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg zog. Er kehrte krank aus den Kämpfen in Flandern und Polen zurück; bis zu seiner vollständigen Genesung vergingen mehrere Jahre. In den 1920er Jahren umgab sich der Pazifist mit einem kulturell bedeutenden Bekanntenkreis. Zu seinen Freunden zählten Thomas Mann, Lion Feuchtwanger und Klabund. Seine Ehe mit der Tochter der berühmten Schauspielerin und Opernsängerin Fritzi Massary verankerte ihn weiter im Münchner Kulturleben. Schon nach seinem Schulabschluss hatte Frank erfolgreich begonnen, Gedichte, später auch Novellen, Romane, Dramen und Komödien zu verfassen, von denen sich die meisten mit historischen Personen wie Friedrich dem Großen oder Miguel de Cervantes beschäftigten. Viele seiner Texte wurden zu sehr großen internationalen Erfolgen, wie etwa sein Theaterstück „Zwölftausend“ von 1927. Tagesaktuelle Themen, in denen Frank auch eine politische Position gegen den Nationalsozialismus einnimmt, finden sich etwa in „Sturm im Wasserglas“ von 1930. Seine späteren Zeitromane „Der Reisepass“ (1937) und „Die Tochter“ (1943) thematisieren schließlich gezielt die Auswirkungen des Exils und den in Deutschland herrschenden Antisemitismus. Bereits im Februar 1933 – einen Tag nach dem Reichstagsbrand – ging Frank mit seiner Frau in das Schweizer Exil und zog dann nach Frankreich, Österreich und London. In London lebte das Ehepaar Frank wie in München in gehobenen kulturellen Kreisen. Sein Drama „Sturm im Wasserglas“ wurde beispielsweise in Anwesenheit von König Edward VIII aufgeführt und war ein großer Erfolg; auch speiste das Ehepaar mit prominenten Persönlichkeiten wie George Bernhard Shaw. 1937 schloss Frank sich dem „Bund Freie Presse und Literatur“ an, dem andere Exilautoren wie Konrad Heiden, Alfred Döblin und Leopold Schwarzschild angehörten. Frank ging es in seiner europäischen Exilzeit weitaus besser als anderen Exilanten, so konnte er mit seiner Frau oft Wochen an der Riviera oder anderen Urlaubs- und Kurorten verbringen. Seine literarischen Erfolge, deren Film- und Theaterrechte er meist auch erfolgreich verkaufen konnte, sicherten den beiden einen gehobenen Lebensstandard und ermöglichten in den 1930er Jahren auch die Unterstützung verfolgter Autoren.

Im Oktober 1937 emigrierte das Ehepaar Frank in die USA, wo Frank bereits einen Vertrag mit der Filmfirma Metro-Goldwyn-Mayer abgeschlossen hatte, der ihnen die Einreise auch ohne gültige Ausweisdokumente ermöglichte. In Kalifornien traf er auf viele Bekannte, die ebenfalls aus Deutschland emigrieren mussten. Dort integrierte er sich in die deutschen Emigrantenkreise um Kulturschaffende wie Thomas Mann und Ludwig Marcuse. Frank war ein eifriger Schriftsteller: Seine zahlreichen im Exil entstandenen Texte wurden in internationalen Verlagen in Stockholm, Mexiko Stadt und Los Angeles verlegt und übersetzt in Zeitschriften publiziert. Während er an einem neuen Roman arbeitete, starb Bruno Frank an einem Herzschlag.

Quellen:

  • Ackerknecht, Erwin H.: „Frank, Bruno Sebald“. In: Neue Deutsche Biographie (1961), Nr. 5. Online: https://www.deutsche-biographie.de/sfz60979.html (Stand: 25.06.2019).
  • Hofe, Harold von: „German Literatur in Exile: Bruno Frank“. In: The German Quarterly (1945), Vol. 18, Nr. 2, S. 86-92.
  • Hofe, Harold von: „In Memoriam Bruno Frank“. In: Books Abroad (1946), Vol. 20, Nr. 1, S. 40f.*Kirchner, Sascha: Der Bürger als Künstler. Bruno Frank (1887-1945). Düsseldorf 2009.
  • Munzinger Internationales Biographisches Archiv. Online: http://www.munzinger.de/document/00000001004 (Stand: 25.06.2019).
  • Werner, Klaus U.: „Frank, Bruno“. In: Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Band 3. Berlin 2008, S. 533f.


Werkgeschichte

Bereits im Oktober 1933 befasste sich Frank mit dem Plan, einen Roman über die deutsche Gegenwart zu schreiben. Er berichtete auch Klaus Mann, Ludwig Marcuse und Stefan Zweig von seinem Schreibprozess. Er schreibe, so Frank in Briefen, die einzelnen Kapitel immer wieder um, konzentriere sich akribisch auf jede Formulierung. Dennoch musste er vor der Publikation Passagen streichen, die Hitler und die Nationalsozialisten zu heftig kritisierten.

Der Romananfang erschien zunächst am 13. März 1937 als Vorabdruck im „Neuen Tage-Buch“. In der Vorbemerkung der Redaktion heißt es: „Bruno Frank arbeitet an einem neuen Roman. Von dem Spanien des Cervantes hat er sich dem Deutschland und Europa unserer Tage zugewandt. Wir haben ihn gebeten, aus dem noch unvollendeten Manuskript den Lesern des NTB einige Kapitel zugänglich zu machen, – Kapitel, die bereits abgeschlossen sind oder in den nächsten Tagen zum Abschluss gelangen werden. Es schien und, dass es einen besonderen Reiz haben müsse, sozusagen dem Entstehen eines Werkes folgen zu können“ (S. 259). Die zitierten Passagen stammen aus dem ersten, unbetitelten Kapitel des Romans (Frank 1937, S. 9-16); nur wenige, meist kleine Änderungen – dabei handelt es sich etwa um die Änderung eines Wortes oder die Streichung eines kurzen Satzes – lassen sich zwischen Vorabdruck und Roman feststellen.

1937 wurde „Der Reisepass“ schließlich im Amsterdamer Querido Verlag verlegt, in dem Frank bereits 1933 seinen sehr erfolgreichen historischen Roman „Cervantes“ publiziert hatte. Eine zweite Auflage des Exilromans erschien ebenfalls 1937. Ein Erfolg, den mit Vicki Baum nur eine weitere deutsche Autorin im Querido Verlag erreichte. Bereits im Erscheinungsjahr der deutschen Fassung wurde der Roman zudem in britischer, amerikanischer und tschechischer Übersetzung publiziert: unter dem Titel „Lost heritage“ in der New Yorker Viking Press übersetzt von Cyrus Brooks, als „Closed frontiers. A story of modern Europe“ im Macmillan Verlag London und in tschechischer Übersetzung von Pavel Levit als „Cestovní pas“ im Verlag Družstevni Práce. 1975 kam es zur ersten Auflage in Deutschland im Rahmen einer Gesamtausgabe von Franks Werken in der Nymphenburger Verlagshandlung mit einem Nachwort des Herausgebers Martin Gregor-Dellin. Darin versucht Gregor-Dellin die Frage nach der ungewöhnlichen Wahl des Protagonisten – „Warum also der Prinz?“ (Gregor-Dellin 1980, S. 208) – zu beantworten. Er betont ebenfalls, dass der Roman sich durch sein positives Ende von den meisten anderen Exilromanen unterscheidet: „Alle Träume der Emigranten, und alle ihre Gegenwartsstoffe, gingen böse aus – Bruno Franks Roman nicht. Der Roman mündet in das Glück der Sprache“ (ebd., S. 211). Bereits vor der Veröffentlichung der deutschen Neuauflage gab es einen Vorabdruck in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1980 folgten weitere Ausgaben im Deutschen Taschenbuchverlag sowie im ostdeutschen Verlag Der Morgen mit Texten und Bemerkungen von Alfred Kurella und Klaus Hermsdorf. Auch im Ausland erinnerte man sich nach Jahrzehnten wieder an Franks Roman. In den Niederlanden gab es 1981 eine Neuauflage unter dem Titel „Het paspoort“ sowie 1986 eine im Prager Verlag Melantrich.

Die Rezeption des Romans begann bereits sehr früh, denn Klaus und Golo Mann kommentierten ihn direkt nach der Veröffentlichung und lobten vor allem die politische Dimension. So heißt es bei Golo Mann in der „Neuen Weltbühne“ vom 1. Juli 1937: „Diese Geschichte ist mit Zorn, Liebe und Heiterkeit erzählt, unterhaltend, rührend, aufregend, spannend sogar, mit Franks Sprachkultur natürlich […]. Indessen erlaube man mir, sie als eine wesentliche politische Geschichte, einen politischen Roman anzusehen“ (Mann 1937, S. 846). Nur die kitschige Beschreibung der Liebesszene zwischen Ludwig und Susanna Rotteck nennt er einen „peinlichen Akzent“ (ebd., S. 266), während er Franks Kritik am Adel, der sich zu leichtfertig mit den Nationalsozialisten arrangierte, positiv hervorhebt. Klaus Mann äußert sich begeistert in seiner Rezension für „Das neue Tage-Buch“. Die Gefahr sei groß, dass Autoren in diesen gefährlichen Zeiten ihre Sprache verlieren und nicht mehr schreiben. Nicht so Frank: „Der Dichter, dem wir für diesen glanzvollen Zeit-Roman dankbar sein müssen, ist innig beteiligt an allen harten Sorgen der Zeit, aber er ist nicht bitter. Seine Anklage [in „Der Reisepass“] ist heftig, zornig, schonungslos, er nennt die Dinge beim Namen, – aber es fehlt jeder schrille Ton, jede Nuance der Hysterie, jede Masslosigkeit, jede Entgleisung. […] [D]ie Sprache, in der die Erzählung sich vorträgt, [ist] männlich gefasst, von schöner rhythmischer Führung, präzis und oft wunderbar anschaulich in der Schilderung des Details“ (Mann 1937, S. 547). Weiter heißt es: „Zunächst und vor allem bewundere ich den ‚Reisepass‘ als politischen Roman grossen Stils; als ein anklagendes und klärendes, die Wahrheit mit Mut und tapferer Deutlichkeit präzise aussagendes Werk“ (ebd., S. 548). Im nichteuropäischen Ausland wurde der Roman ebenfalls wahrgenommen, so rezensierte Alfred Kazin das Buch für die New York Herald Tribune.

Der von Frank sehr verehrte Thomas Mann lobte den Roman zwar in einem Brief an Frank, jedoch verfasste er die angedachte Rezension für das „Neue Tage-Buch“ nicht. In einer Würdigung vom 13. Juni 1937 in der Baseler „National-Zeitung“ anlässlich Franks 50. Geburtstag äußerte er sich allerdings begeistert über den „Reisepass“, den er als „an Schönheit reichen Emigranten-Roman“ (Mann 1984, S. 383) und „im Grunde heitere[s] Leidensbuc[h]“ (ebd., S. 386) bezeichnet: „Man liest den vortrefflichen Roman in einem Zuge – es gibt wenig Bücher, die dermaßen fesseln und in Atem halten […]. Er bietet ebensoviel Reizendes wie Grauenhaftes“ (Mann 1984, S. 385). Mann ist fest davon überzeugt, dass der Roman viele Übersetzungen erfahren wird.

Andere Autorenkollegen äußerten sich – meist in Briefen – durchaus auch teilweise kritisch. Arnold Zweig etwa missfiel die Wahl des ‚Helden‘: „Bruno Franks Roman macht mir durch sein fürstliches Milieu Unbehagen; schade – er hatte es aber stets mit Fürstinnen und Königen. […] Das ist alles gut und schön – in Friedenszeiten“ (Zweig 1986, S. 160). Auch Ludwig Marcuse und Klaus Mann wiesen auf die Wahl des Protagonisten hin, die untypisch für Exilromane sei. Mann nennt diese „dichterische Laune“ (Mann 1937, S. 547) einen „Ausnahmefall“ (ebd.). Gerade die Wahl eines Prinzen gäbe dem Roman einen „Einschlag von Märchenhaftem“ (ebd.). Stefan Zweig, dem der Roman eigentlich gefiel, kritisierte hingegen die jüdischen Figuren: Auf der einen Seite würden die reichen Berliner Juden zu stark kritisiert, während auf der anderen Seite Vater und Tochter Wetzlar idealisiert seien.

Ludwig Marcuse betont in seiner Rezension, dass Franks Roman einer der ersten Texte sei, der „das Exil, in dem er lebt“ (Marcuse 1937, S. 84), thematisiere. Obwohl es ein „etwa problematischer Roman“ (ebd.) sei, ist Marcuse voll des Lobes: „[D]as Buch strömt eine solche Wärme des Herzens aus, daß man sich fast scheut auf seine Unvollkommenheit zu ausführlich hinzuweisen. Es ist ein ehrfürchtiges Denkmal für alle Deutschen, die drinnen und draußen leiden, die drinnen und draußen weitermachen, als hätten sie nicht in die Hölle geblickt. Und es ist ein wundervoller Dank an die neue Heimat“ (ebd., S. 85). Die Betonung der Wichtigkeit der Kultur und die Darstellung der „sekundären Greul“ (ebd.) an jenen „Opfer[n], die nicht mit dem Hammer, sondern auf administrativem Wege erledigt werden“ (ebd.) – damit ist vor allem die Figur Rotteck gemeint – hebt er als Leistung des Romans hervor. Die Rezeption von kommunistischer Seite – darauf weist Sascha Kirchner hin – blieb bei dem gewählten Protagonisten aus, ein „adliger Antifaschist“ (Kirchner 2009, S. 252) wurde in den entsprechenden Publikationsorganen nicht thematisiert.

Frank wurde direkt nach dem Krieg, aber auch vermehrt ab den 1970er Jahren als Vertreter der deutschen Exilliteratur rezipiert und in der Forschung untersucht. Bereits 1945 erschienen mehrere Fachbeiträge von Harold von Hofe in den USA. Von Hofe war mit Frank befreundet, was auch in den Texten über Frank offensichtlich wird. In den späteren Jahren wird Frank immer wieder – neben Anna Seghers, Lion Feuchtwanger oder Klaus Mann – als Beispielautor für das Schreiben im Exil genannt. Thomas A. Kamla beispielsweise betont den Wert des Romans, da er durch die krasse Gegenüberstellung des „humanistic cultural haven“ die „corrupting tendencies inherent in Nazi cultural policy“ (Kamla 1980, S. 404) darstellt. Die Wahl eines adligen Protagonisten unterscheidet Frank stark von anderen Exilautoren, die sich vermehrt anderen Figurengruppen zuwandten.

Quellen:

  • B.A.: „Bruno Frank: ‚Der Reisepaß‘“. In: Internationale Literatur, Bd. 7, Nr. 8, S. 127.
  • Bolz, Peter: „Ein Roman aus der Emigration: Bruno Frank: ‚Der Reisepass‘. In: Pariser Tageszeitung vom 27.08.1937, Nr. 440, S. 6.
  • Frank, Bruno: „Der Reisepass [Vorabdruck]“. In: Das neue Tage-Buch vom 13.03.1937, Nr. 11, S. 259-261.
  • Hofe, Harold von: „German Literatur in Exile: Bruno Frank“. In: The German Quarterly (1945), Vol. 18, Nr. 2, S. 86-92.
  • Kamla, Thomas A.: „The German Exile Novel During the Third Reich: The Problem of Art and Politics“. In: German Studies Review (1980), Nr. 3, S. 395-413.
  • Kamla, Thomas A.: „‚Der Reisepaß‘: The Exile as an Aristocrat of Humanity“. In: Monatshefte (1975), Nr. 1, S. 37-47.
  • Kirchner, Sascha: „Ein adliger Antifaschist – Der Reisepaß“. In: ders.: Der Bürger als Künstler. Bruno Frank (1887-1945). Düsseldorf 2009, S. 252-276.
  • Mann, Golo: „Der Reisepass“. In: Die neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft (1935), Nr. 27, S. 846-849.
  • Mann, Klaus: „Der Reisepass“. In: Das neue Tage-Buch vom 05.06.1937, Nr. 23, S. 547f.
  • Mann, Thomas: „[Bruno Frank]“. In: ders.: Rede und Antwort. Über Freunde, Weggefährten und Zeitgenossen. Frankfurt 1984, S. 382-386.
  • Marcuse, Ludwig: „Fünf Blicke auf Deutschland“. In: Das Wort. Literarische Monatsschrift (1937), Nr. 7, S. 81-89.
  • Zweig, Arnold: „Zweig an Feuchtwanger“. In: Zweig, Arnold und Lion Feuchtwanger: Briefwechsel 1933-1958. Band 1. Frankfurt am Main 1986, S. 159f.



Bearbeitet von: Christiane Weber