Hinter Stacheldraht und Gitter (1934)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Hinter Stacheldraht und Gitter
Autor Hirsch, Werner (1899-1941)
Genre Erinnerungsbericht

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1934, Paris,Zürich
Titel Hinter Stacheldraht und Gitter
Untertitel Erlebnisse und Erfahrungen in den Konzentrationslagern und Gefängnissen Hitlerdeutschlands

Erscheinungsort Paris,Zürich
Erscheinungsjahr 1934

Verlegt von MOPR-Verlag
Gedruckt von Unionsdruckerei Zürich
Publiziert von Hirsch, Werner (1899-1941)

Herausgegeben von Trostel, Willi (1894-1942)
Umfang 31 Seiten
Abbildungen Insgesamt 5 Abbildungen (Zeichnungen von Helen Ernst, im Bericht anonymisiert)

Bibliotheksnachweise UBGI-icon.gif UB Gießen (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)
DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Online-dnb-icon.gif elektronische Ausgabe)


Zusammenfassung

In seinem Bericht beschreibt Werner Hirsch seine Erlebnisse als Häftling in den Konzentrationslagern Brandenburg und Oranienburg sowie in verschiedenen Gefängnissen in Berlin von 1933 bis 1934 (Hirsch datiert den Beginn seiner Verhaftung auf den 3. März 1933). Hierbei schildert der Autor die Gewalttaten der Nationalsozialisten an ihm und seinen Mithäftlingen, wobei er besonders auf die Biografien von Ernst Thälmann, Erich Mühsam, Georgi Dimitrow und John Schehr eingeht. Seine Intention ist es dabei, Gewalt und Folter, aber auch Solidarität und Loyalität unter den Häftlingen zu dokumentieren. Hirsch nutzt ebenfalls seine Beobachtungen, um an die Mitglieder der Kommunistischen Partei zu appellieren und diese zum politischen Widerstand aufzurufen.

Zu Anfang legt der Autor seine Intention dar, seine Erlebnisse als Häftling zu schildern, um Anhängern der Kommunistischen Partei und anderen Gegnern des NS-Regimes ein realistisches Bild der „Folterhöllen des Faschismus“ (S. 1) zu übermitteln. Hirsch stellt dem „Druck des faschistischen Terrors“ den „echte[n] Revolutionär“ (beide Zitate ebd.) entgegen, der bereit ist, sich im politischen Widerstand für die KPD zu engagieren. Hier spielt die dokumentierende Absicht des Autors eine zentrale Rolle. Hirsch sieht es als seine Aufgabe aufgrund seiner Erfahrungen, Angehörige der KPD und des politischen Widerstands über Gewalt und Folter während der Inhaftierung zu informieren und diese darauf vorzubereiten.

Hirsch schildert nicht nur physische und psychische Misshandlungen, die er selbst erlebt hat, sondern auch Erfahrungen von Mithäftlingen, die er als „Fall“ und „X.“ (beide Zitate S. 11f.) anonymisiert. Zitate und Dialogfragmente unterstreichen den dokumentarischen Charakter. Zudem erläutert er Begriffe, um der sprachlichen Verschleierung von Gewalt und Leid entgegen zu wirken: „In Oranienburg war das beliebteste Schlagwort ‚organisieren‘. „Etwas ‚organisieren‘ bedeutete, daß man die betreffende Sache stahl und beiseite brachte“ (S. 22). Ebenfalls sind Ortsangaben und Begriffe wie „Mißhandlungen“ (S. 9) und „Solidarität“ (S. 21) fettgedruckt, was neben den Zeichnungen von Helen Ernst den dokumentarischen Charakter des Berichts weiter ergänzt.

Auch auf der sprachlichen Ebene wird die Absicht Hirschs, seine Erlebnisse festhalten zu wollen, deutlich. Durch eine emotionale Ausdrucksweise formt der Autor einen Kontrast zwischen der Gewalttätigkeit der Nazis und dem loyalen Zusammenhalt der Häftlinge untereinander. Sprachlich trennt er scharf zwischen der „echte[n] und prachtvolle[n] Kameradschaft der Gefangenen“ (S. 23) und der „skrupellosen Gehässigkeit und Rivalität, die unter den Faschisten in allen Lagern herrschte“ (S. 22). Als Beispiel führt Hirsch an, dass die deutschen Wachen Nahrungsmittel stehlen (bzw. ‚organisieren‘), während Hirsch selbst zusammen mit anderen Häftlingen Nahrungsmittel an Frauen im Konzentrationslager Mohringen schickt. Eine Trauerfeier für Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg wird als weiteres Zeugnis der Loyalität und Empathie aufgeführt. Hier schildert der Autor die Todesumstände und dokumentiert, auf welche Weise Mühsams Ermordung durch die Wachen als Suizid dargestellt wird: „Am 9. Juli wurde Erich Mühsam nachmittags in das Verwaltungsgebäude geholt. Dort erklärte der SS-Führer Ehrath wörtlich: ‚Mühsam, ich rate Ihnen, sich binnen 3 Tagen aufzuhängen. Wenn Sie es bis dahin nicht getan haben, werden wir es besorgen.‘ [...] Der Befund des Leichnams ließ nur die eine Erklärung übrig: Mühsam war im Verwaltungsgebäude zuerst betäubt und dann durch eine Giftinjektion ermordet worden. Den Leichnam hatte man dann über den Hof in den Abort getragen und in die Schlinge gehängt“ (S. 24 ff.).

Neben der von Mühsam werden ebenfalls die Biografien von Georgi Dimitrov, Ernst Thälmann und John Schehr als Inbegriff der Loyalität innerhalb der KPD dargestellt. Hirschs Sprache ist auch hier stark emotional, so wird Schehr als „echter proletarischer Held“ (S. 28) bezeichnet. Der Autor betont weiter, wie wichtig Zusammenhalt und Überzeugung in der Widerstandsbewegung der KPD seien, wobei er sich auch hier einer metaphorisch dichten Ausdrucksweise bedient: „Aus diesem Holz sind die Männer geschnitzt, die Hitlers faschistisches Joch früher oder später zerbrechen und aus Blut und Schmutzz (sic!) des Faschismus die Freiheit der proletarischen Herrschaft und des Sozialismus aufbauen werden“ (ebd.).

Mithilfe rhetorischer Fragen und erneuter Ausrufe erinnert der Autor am Ende seines Berichts an weitere Mithäftlinge, deren Schicksale unerwähnt bleiben. Hier stellt Hirsch seine Erlebnisse in einen kollektiven Zusammenhang: „Der Einzelfall ist wichtig, weil er eben kein Einzelfall ist, sondern typisch für das Schicksal von tausenden und aber tausenden“ (S. 30). Weiterhin appelliert er an „die Arbeiter aller Länder und an alle ehrlichen Intellektuellen“ (ebd.), sich nicht von Berichten, es seien Konzentrationslager geschlossen worden, manipulieren zu lassen, sondern sich weiterhin im politischen Widerstand zu organisieren. Diesen Appell bekräftigt der Verfasser auch auf formaler Ebene. Absätze, in denen Verbildlichungen wie die „stürmische[...] internationale[...] Protestkampagne“ und der „faschistische[...] Blutterror“ (beide Zitate S. 30) verwendet werden, sind eingerückt und fettgedruckt.


Biografie

Werner Daniel Hirsch (geb. 07.12.1899 in Berlin, gest. 10.06.1941 im Butyrka-Gefängnis in Moskau) wurde in eine jüdische Familie geboren. Als Sohn von Helene Kallmorgen (verwandt mit den Familien von Bismarck und von Alt-Stutterheim) und dem Landgerichtsrat Walter Hirsch wuchs er in einem wohlhabenden Elternhaus auf. Bereits während seiner Schulzeit auf dem Gymnasium unterstützte Hirsch die USPD, in die er 1917 als Mitglied eintrat. Gleichzeitig war er Mitglied der Spartakusgruppe. Vor seinem Eintritt in die KPD im Jahr 1919 wurde Hirsch zur Marine eingezogen und war als Kriegsgegner an der Novemberrevolution 1918 beteiligt. Er engagierte sich weiterhin im „Arbeiter- und Soldatenrat“ in Hamburg und war an der Gründung der „Volksmarinedivision“ in Cuxhaven beteiligt. Erstmalig wurde er im Januar 1919 in Berlin verhaftet, es folgten weitere Haftstrafen 1927 und 1930.

Beruflich war Werner Hirsch bis 1924 als Seifenstanzer tätig, danach arbeitete er als Freier Schriftsteller und Journalist bzw. Korrespondent bei der „Vossischen Zeitung“ in Wien und der „Sächsischen Arbeiterzeitung“ in Leipzig. Als Redakteur bzw. Chefredakteur war er für „Der Kämpfer“ in Chemnitz sowie für die „Roten Fahne“ in Berlin tätig. Ab 1932 arbeitete er ebenfalls als Sekretär von Ernst Thälmann, mit dem er am 3. März 1933 in Berlin verhaftet wurde. 1933 bis 1934 war Werner Hirsch in verschiedenen Gefängnissen in Berlin und Leipzig sowie in den Konzentrationslagern Brandenburg, Oranienburg und Lichtenburg inhaftiert. Nachdem er 1934 aus dem Konzentrationslager Oranienburg entlassen wurde, reiste Hirsch zuerst nach Prag, um dann in die UdSSR zu emigrieren. Am 14. November 1936 wurde Werner Hirsch in Moskau verhaftet; ihm wurden Verbindungen zu „konterrevolutionären trotzkistischen Gruppen“ vorgeworfen, die er in Verhören und im Gerichtsprozess 1936 und 1937 dementierte.

Am 10. November 1937 schuldig gesprochen, wurde Werner Hirsch zuerst auf der Gefängnisinsel Solowezki inhaftiert und dann 1941 in das Butyrka-Gefängnis in Moskau überführt. Hirsch war körperlich durch Mangelernährung und Misshandlungen stark geschwächt und verstarb im Gefängnis in Moskau. Die Todesursache wurde offiziell als Herzversagen angegeben.

Quellen:


Werkgeschichte

„Hinter Stacheldraht und Gittern“ wurde von Werner Hirsch 1934 verfasst und von der KPD im selben Jahr als Broschüre verlegt. Inhaltlich und formal steht der Bericht in engem Zusammenhang mit „Sozialdemokratische und kommunistische Arbeiter im Konzentrationslager“, einem weiteren Erinnerungsbericht von Werner Hirsch, der ebenfalls 1934 von der KPD publiziert wurde. Während in „Hinter Stacheldraht und Gitter“ jedoch inhaltlich eine stärkere Gewichtung auf die Erlebnisse von Hirsch während der Inhaftierung gelegt wird, steht in „Sozialdemokratische und kommunistische Arbeiter in den Konzentrationslagern und Gefängnissen Hitlerdeutschlands“ die politische Ideologie Hirschs im Vordergrund.

Quelle:



Bearbeitet von: Lisa Beckmann