Sie starben für Dich! (1945)

Aus Frühe Texte der Holocaust- und Lagerliteratur 1933 bis 1949
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Angaben zum Werk

Titel Sie starben für Dich!
Autor Becher, Johannes R. (1891-1958), Fissel, Addy, Girnus, Wilhelm (1906-1985), Michalski, Willi, Raddatz, Karl (1904-1970), Rische, Emil, Schnog, Karl (1897-1964), Thomas, Herbert (1912-?)
Genre Sonstige

Ausgaben des Werks

Ausgabe von 1945
Titel Sie starben für Dich!

Erscheinungsort
Erscheinungsjahr 1945
Auflage 1
Auflagen insgesamt 1

Auflagenhöhe insgesamt 20.000
Verlegt von Ausschuß der Opfer des Faschismus
Gedruckt von Volksverlag
Publiziert von Becher, Johannes R. (1891-1958), Fissel, Addy, Girnus, Wilhelm (1906-1985), Michalski, Willi, Raddatz, Karl (1904-1970), Rische, Emil, Schnog, Karl (1897-1964), Thomas, Herbert (1912-?)

Umfang 32 Seiten
Abbildungen 1 (Faksimile einer Todesurkunde aus dem KZ Sachsenhausen)
Lizenz Zs. 0484
Preise 0,50 Reichsmark (RM)
Bibliotheksnachweise DNB-icon.gif Deutsche Nationalbibliothek (Print-dnb-icon.gif gedruckte Ausgabe)


Zusammenfassung

Um die Bevölkerung über die Geschehnisse in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Buchenwald und Majdanek aufzuklären, sammelt die lokale Abteilung des Ausschusses der Opfer des Faschismus (OdF) Erinnerungsberichte und Gedichte, welche die Lagerbedingungen thematisieren. Die verschiedenen Autoren, darunter auch Karl Raddatz und Johannes R. Becher, schildern unter anderem die Lagerstrukturen, die medizinischen Versuche, die Todesmärsche sowie den politischen Widerstand in den Lagern.

In einem Vorwort wird die Ausrichtung der Publikation deutlich: Im „Namen all jener, die man erschlug, vergiftete, vergaste und verbrannte“ (S. 1), müsse „der Kampf um die Erneuerung Deutschlands“ (ebd.) geführt werden. Wie bereits im Titel wird auch an dieser Stelle der Leser direkt angesprochen: „Angesichts der Opfer, die gebracht wurden, wollen wir, daß Ihr klar Eure Mitschuld erkennt, und für die Zukunft die heilige Verpflichtung übernehmt“ (ebd.), die Demokratie aufzubauen. Dass die Deutschen bereits beginnen, das Thema zu verdrängen und der Meinung sind, „es wäre genug von diesem Scheußlichen geredet“ (ebd.) worden, beobachten die ehemaligen Häftlinge mit Sorge. Dies betonen auch viele Autoren in ihren Texten, so schließt Emil Rische seine aus Sicht eines kollektiven ‚Wir‘ formulierte Schilderung über einen Todesmarsch mit den Worten: „Wir aber, die Ueberlebenden, müssen Mund und Zunge der gemordeten Opfer der Hitlerbanditen sein. Wir haben ein Urteil zu vollziehen und ein Vermächtnis zu erfüllen“ (S. 13). Der Toten wird auch namentlich gedacht, wenn Karl Raddatz beispielweise die 27 „Helden des antifaschistischen Kampfes“ (S. 16) im Lager Sachsenhausen aufführt.

Die Texte stammen von verschiedenen Autoren und unterscheiden sich in ihrer literarischen Gestaltung. Der erste Text wurde von Willi Michalski verfasst, der über Erschießungen im Lager Sachsenhausen berichtet. In emotionaler Sprache schildert er, wie ein SS-Mann einen Häftling erschießt, um die damit verbundenen Urlaubstage gewährt zu bekommen: „In dieser Mordbestie regt sich kein Gedanke, daß der Ermordete vielleicht auch in weiter Ferne ein Mädel hat, mit dem er gern drei Tage in Sonne und Freude verbringen möchte. Er denkt nicht darüber nach, daß der Unglückliche Frau, Kinder oder Eltern haben könnte […]! Er ist ja nur ein Häftling – Freiwild –, den jeder SS-Angehörige über den Haufen schießen darf“ (S. 3). Daran anschließend berichtet Emil Rische in einem längeren Textauszug über die verschiedenen Möglichkeiten des Sterbens im Lager: medizinische Versuche, der „kalte Schuß“ (S. 5), bei dem einem Häftling so lange ein starker Wasserstrahl auf die Brust gerichtet wird, bis sein Herz aufhört zu schlagen, Erschießungen von russischen Kriegsgefangenen oder das öffentliche Erhängen. Hierbei ist die Sprache schonungslos, so heißt es etwa über die Verbrennungen: „Ein übler Verbrennungsdunst liegt zäh über dem Lager. Man atmet ihn ein. Atmet man nicht die Kameraden ein? Es ist zum verrückt werden“ (S. 7). Ausführlich beschreibt Rische den Todesmarsch nach der Auflösung des Lagers: „Wie eine zebragestreifte Gespensterarmee wankten die Kolonnen vorwärts, ein Kind hätte sie umwerfen können. […] Wir aber bissen auf die Zähne, ein Wille hielt uns aufrecht, peitschte uns vorwärts: Rache!“ (S. 10) Karl Raddatzʼ Text „Das Verbrechen vom 11. Oktober 1944“ schildert die Ermordung von internationalen politischen Widerständlern, die im Lager Sachsenhausen durch einen Spitzel verraten wurden. Ihre Arbeit wird dabei sehr positiv dargestellt: „Unbändig war auch im Lager Sachsenhausen unser Widerstandswille. […] Die politisch geschultesten und kühnsten Antifaschisten organisierten den Widerstand, führten die Nationalitätenausschüsse und gaben der Masse des Lagers das politische Rüstzeug“ (S. 14).

Addy Fissel, ein tschechischer Häftling, ist nach langjähriger Haft in Auschwitz und Buchenwald für den Bau des Lagers Majdanek nach Lublin verbracht worden. Der Grund für seine Haft ist ihm klar: „Was ich verbrochen hatte? Mein Gott, ich war Tscheche, war das an sich nicht schon Verbrechen genug?“ (S. 17) Er beschreibt aus eigener Erfahrung die viele Opfer fordernden Gaskammern, die Vergasungswagen und die Verbrennungsöfen. Fissel schildert auch die Traumatisierung und Verzweiflung, die er als Zeuge des „fabrikmäßige[n] Mord[s]“ (S. 18) erfährt; nur durch einen weitsichtigen Plan gelingt ihm und anderen Funktionshäftlingen die Flucht. Die NS-Ideologie wird in dem kurzen Textausschnitt durch ein Gespräch mit einem SS-Mann aufgezeigt, das Fissel wiedergibt. Unter der Überschrift „Erinnerungen an Buchenwald“ gibt Herbert Thomas einen umfassenden Überblick über seine zweijährige Lagerhaft in Buchenwald, von der Ankunft, über die Zwangsarbeit und die Strafen, von den an der Qual berauschten SS-Männern bis hin zu den verzweifelten Juden, die nach der Reichspogromnacht eingeliefert werden. Die gegenseitige Unterstützung unter den politischen Häftlingen beschreibt Thomas ebenfalls.

Abschließend fasst Wilhelm Girnus die „internationale Solidarität“ (S. 28) in Buchenwald zusammen. Die Maßnahmen sind dabei vielfältig: Man versteckt beispielsweise kranke Häftlinge oder bringt sie in Positionen, in denen sie nicht schwer körperlich arbeiten müssen. Auf diese Weise werden zahlreiche Menschen gerettet, etwa auch Eugen Kogon. So wie man im Lager zusammengehalten habe, so solle auch nach der Befreiung ein jeder für den anderen einstehen, betont Girnus. Die Vertreter der luxemburgischen, belgischen, jugoslawischen und weiterer Komitees loben in ihren Abschiedserklärungen, die Girnus zitiert, die deutschen politischen Häftlinge, die ihnen unter Lebensgefahr in Buchenwald geholfen haben.

Neben den Erinnerungsberichten gibt es in der Sammlung zwei Gedichte: In „Heimkehr“ beschreibt Karl Schnog die Fremdheit zwischen Ehepartnern nach der Entlassung des Mannes aus dem KZ sowie dessen Kampfeswillen für eine bessere politische Zukunft. Ebenso wird das 36-strophige Gedicht „Kinderschuhe aus Lublin“ von Johannes R. Becher abgedruckt.

Autorbiografie

Der Ausschuss der Opfer des Faschismus (OdF) wurde nach dem Krieg gegründet, um aus Gefängnissen und Konzentrationslagern Entlassene und deren Angehörige zu unterstützen. Die Hilfsmaßnahmen reichten dabei von Geldbeträgen und Arbeits- sowie Wohnungsvermittlung bis zu Lebensmittel-, Heizmaterial- oder Kleiderzuteilungen. Die Verantwortlichen schufen in der Folge ein System von Haupt- und Unterausschüssen, die die Versorgung und die offizielle Anerkennung der ehemaligen Häftlinge als ‚Opfer‘ oder ‚Kämpfer des Faschismus‘ organsierten. Der Hauptausschuss setzte sich aus Vertretern verschiedener Parteien und Widerstandsgruppierungen zusammen; viele von ihnen – wie der Vorsitzende Otto Geschke – waren selbst ehemalige Häftlinge. Vor Ort wurden die kommunalen Verwaltungen in den jeweiligen Abteilungen für Sozialwesen damit beauftragt, die Organisation der Hilfsleistungen zu koordinieren. Hierfür richteten sie die sogenannten OdF-Dienststellen ein, die bis Dezember 1949 bestanden. Nach der Auflösung aller OdF-Dienststellen übernahm der Hauptausschuss in Ost-Berlin die Versorgung aller Opfer zentral.

Quelle:'

  • „Hauptausschuss ‚Opfer des Faschismus‘ (OdF)/Referat Verfolgte des Naziregimes (VdN). Vorwort“. In: Landesarchiv Berlin, Findbuch C Rep. 118-01, S. III-VII.

Werkgeschichte

Der Erlös aus dem Verkauf der Broschüre wurde zur Unterstützung der „Opfer des Faschismus“ (o.S.) genutzt. Die „[p]ressegesetzliche Verantwortung“ (ebd.) für die Publikation übernahm Emil Rische, von dem auch zwei Texte aufgenommen wurden.

Quelle:

  • Stadtverwaltung Schwerin (Hg.): Sie starben für Dich! Schwerin 1945.



Bearbeitet von: Christiane Weber